Wahlbündnisse in Bayer«.

o o. Nürnberg, 8. Jan

Tie gestern und heute hier abgehaltene Landesver- saimnlung der Tcutschen Voltspartei galt der Stellung­nahme zu den im Frühsommer stattfindenden Land­tagswahlen. Ucber das Ergebnis der am 18. Tez. zwischen Vcntretungen sämtlicher liberalen Parteien er­folgten Beratung referierten Professor Quidd e-München und Landtagsabgeordneter K ö h l-Würzbnrg. Tann wurde nach mehrstündiger Tebatte dnrck) die init fast allen Stimmen angenommene Resolution einWahl- Programm und ein Wahlaufruf der ver­einigten Liberalen und Demokraten Bay- e r n s", gutgeheißen unter dein Vorbehalt der Streichung einer gegen die Sozialdemokratie gerichteten Wendung im Wahlaufrufe, sowie die Einräumung voller Freiheit für die Demokratie in den Einzclwahlkrcifen bei den Kan- didaturaufstelluugen und der Wahlagitation. Ties war das Ergebnis der ersten Sitzung. Jnzrvischen waren diese beiden Bedingungen von den übrigen Parteien angenom­men worden, so daß Professor Quidde den damit erfolgten Vollzug der Wahlvereinbarung verkünden konnte. Ge­mäß übereinstimmenden Beschlüssen der beteiligten Par­teien i Teutsche Volkspartei, Deutsch freisinnige Partei, Nationalsoziale Parteigruvpe, Jungliberaler Verband, Nationalliberale Partei, liberale Kanunerfraktion und schwäbisch liberaler Kreisverband) sollen das gemeinsame Programm und der gemeinsame Aufruf sofort publiziert werden. Tie Landesversammlung beauftragte den Engeren Landesausschutz^dazu eine erklärende Kundgeb­ung zu erlassen.

Ter gemeinsame Wahlaufruf fordert u. a. Schaffung eines Landtags-Wahlgesetzes auf der Grund­lage des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, ivenn. möglich, nach dem Grundsätze der Ver­hältniswahl. Zeitgemäßere Zusammensetzung der Ersten Kammer. Vollständige Glaubens- u n d G e wissens- freiheit; Unbeschränktheit der religiösen Meinungs­äußerung unter Erziehung der Bevölkerung, insbeson­dere der Jugend, zu konfessioneller Duldsamkeit, unge­schmälerte Ansrechterhnltuug der verfassungsmäßigen Staatshoheit auf tirchenpolitischem Gebiete lind Abwehr jeglicher klerikaler Eingriffe in diese, besonders im Schulwesen, daher entschiedene Bekämpfung des Mißbrauchs der Religion zu politischen Zwecken. Ver­staatlichung der Voltsschule unter Gewährung größerer Selbstverwaltungsrechte an sckulfreundliche Gemeinden, mit Unentgeltlichkeit des Unterrichts und dev Lehrmittel aus Staatskosten, Schaffung eines umfassenden/ allgemeinen, aus freiheitlicher Grundlage beruhenden Schulgesetzes zur Hebung der Volksschule, der Volks­bildung und der rechtlichen und sozialen Stellung der Lehrerschaft. Freie Entwicklung der Simultanfchule, allgemeine Fachaufsicht und Trennung des niederen Kirchendienstes vom Schuldienst. Verbilligung und Er­leichterung der Benützung aller Verkehrsmittel. Besei­tigung des schädlichen Wettbewerbes der deutschen Einzel­staaten in der Eisenbahnpvlitik, Herbeiführung der Be- tiüebsmittelgemeinschast für sämtliche deutsche Eisenbahnen, wesentlich Erweiterung des Vororts- und Sonntagsver- kehrs. Für die Arbeiffrstwfft wird proklamiert: Aus- H'Üst der sozialen Einrichtungen ans dem Boden der- Arbeitergesetzgebung des Reiches, insbesondere: Sicher­ung und Ausbau des Koalitionsrechtes für alle Arbeiter. Rechtsfähigkeit der Berufsvereine, Arbeiterkammern. G e- setzlicheFestlegungdeszehnstündigenMaxi- malarbeitstages für die industriellen Betriebe. För­derung der Tarifgemeinschaften zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Vereinfachung der Versichernngsgesetzgeb- nng, Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug der Altersrente, Witwen- und Waiscnversicheriing. P anvolle Durchführung des Arb.itsnachweises und der Wohnungs- fürsorge in Staat und Gemeinde: dann der Fabrik- und Getvkrveinspektion unter Vermehrung der weiblichen Hilss- beamten und unter Beiziehung von Gehilfen aus dein Arbeiterstande. Staatliche Förderung der Arbeits­losenfürsorge, mustergfftige Arbeits- und Lohnver­hältnisse in öffentlichen Betrieben. Berücksichtigung der Lohn- und Arbeusverhältnisse bei Vergebung öffentlicher Arbeiten. Weitgehende Berücksichtigung der Sonntags­ruhe in allen Zweigen der Staatsverwaltung, Regelung der Urlaubsverhältnisse von Beamten, Bediensteten und Arbeitern. Schaffung staatlicher Rechtsauskunftsstellen für Minderbemittelte.

Dieser freiheitlichen Wahlkoalition treten-Zen­

trum und Sozialdemokratie als Wahlver­bündete gegenüber!!

Die Lage im Ruhrrevier.

Ein Teil der Bergarbeiterschaft des Ruhrreviers ist in eine Streikbervegung eingetreten. Ter Streik ans Zeche Bruchstraße hat zum unmittelbaren Anlaß eine Differenz über die Seilfahrt, d. h. über die Ein- und Ans- fahrtszeit der Grubenarbeiter. Nach dem großen Berg­arbeiterstreik von 1889 wurde in das Berliner Protokoll die Bestimmung ausgenommen, daß die Seilfahrt in der Regel nicht mehr als eine halbe Stunde betragen solle. Das wird aber schon lange nicht rnehr beachtet. Tie im Bergbau hervortretende Tendenz, die Förderung auf die leistungsfähigsten Schächte zu übertragen und die minder rentablen entweder stillzulegen oder ihre Förderung mehr oder minder einzuschränken, hat dazu geführt, daß auf vielen rentablen Zechen die Belegschaft beträchtlich ge­wachsen, auf den minder ergiebigen hingegen zurückge­gangen ist. Tie Folge war, daß auf Zechen, auf denen die Belegschaft zunahm, die Seilfahrtdauer verlängert wurde, da die vorhandenen Einrichtungen zu schnellerer Hinunterbeförderung nicht reichten. Tie Arbeiter von Zeche Bruchstraße wollen nun die Verlängerung der Seil­fahrt nicht ruhig hinnehmen, und daher der Streik. Wenn

es dabei bliebe, so wäre bas Ganze nicht gerade er­schreckend, wenn auch sicherlich bedauerlich. Mer das Gefährliche liegt darin, daß die Bergarbeiterbevölkerring des Ruhrreviers überhaupt bereits seit langem in starker Gährung ist und es daher bei der ersten Gelegenheit zu einein Massenstreik kommen kann.

Tie dortigen Bergwerksnnkernehmer haben es nicht verstanden, den neuzeitlichen sozialpolitischen Ideen Rech­nung zu tragen. Ihre Beamten glauben, den Arbeitern durch besondere Schneidigkeil imponieren zu müssen, und wo einheimische Arbeiter mißliebig werden, ersetzt man sie einfach durch gefügige Polen. So hat sich langsam mehr und mehr ein großes Maß von Erbitterung in der westfälischen Bergarbeiterschaft angesammelt, das sich. Lust machen will. Und da ist es eben die alte Geschichte: wo ein Pulverfaß ist, genügt ein Funke!

Politische Rundschau.

Hessen. AL gelehnt hat der Großherzog ein Hochzeitsgeschenk der Darmstädter Behörden, das dem Großherzog anläßlich seiner Hochzeit am 2. Febr. ds. Js. überreicht werden sollte.

Deutschland.Evangelische Vereinigung". TieNational-Zeitung" veröffentlicht den Entwurf einer programmäßigen Erklärung, mit der die evangelische Ver­einigung (kirchliche Mittelpartei) hervorzutreten beabsich­tigt. Im Entivurf heißt es: Wir scheiden uns einerseits von denen, die den Inhalt des evangelischen Glaubens an einmal gegebene Formen und Formeln gebunden er­achten, andererseits von denen, welchem Glanbensaussagen früherer Jahrhunderte nur ein belastendes Erbe der Ver­gangenheit sehen. Wir treten für eine Kirchenverwaltung ein, welche die Selbständigkeit des evangelischen Pfarr­amts zu voller Geltung kommen läßt. Wir halten jede rechtlich« Einschränkung der Freiheit der theolo­gischen Lehre im eigenen Interesse der evangelischen Kirche für ausgeschlossen, widersprechen namentlich der Beteiligung des Generalsynodalvorstandes an der Berufung der Professoren. Tie sogenannten Lehrprozesse der Geistlichen dürfen nicht im Rahmen des gewöhnlichen Disziplinarverfahrens entschieden wer­den; vielmehr ist ein selbständiges Verfahren zu erstreben, wonach Geistliche ihres Amtes enthoben werden können, ohne daß ein sittlicher Makel auf sie fällt. Unsere Ab­grenzung gegen die römische Kirche suchen wir nicht durch Angriffe festzustellen, sondern durch positive evan­gelische Arbeit, namentlich durch die Bekämpfung alles katholisierenden Wesens innerhalb unserer eigenen Kirche.

Ter Ausstand im Ruhrgebiet. Auf der Zeche Kaiserstuhl Schacht 2 ist die Belegschaft ohne An­gabe eines Grundes in den Ans stand getrete n. Falls der Streik andauert, wird die gefaulte Arbeiterschaft von über 7000 Leuten auf längere Zeit ausgesperrt.

8 Ruhrgebiet, 10. Jan. Di« Streikbeweg­ung hat viel rascher um sich gegriffen, als erwartet wurde. Im Bezirk Dortmund streiken schon 10,000 Mann. Eine weitere Ausdehnung des Streiks ist zu erwarten. Tie organisierte Arbeiterschaft beschloß ein gemeinsames Vorgehen.

Haudelsvertragsverhandlunge«.

o Berlin, 10. Jan. Ueber weitere Punkte ist mit den österreichischi-ungarischen Handelsvertragsunter­händlern eine Einigung erzielt worden. Ter glück­liche Abschluß der Vertragsverhandlungen wird in wenigen Tagen erwartet.

Rußland. Für den Wiederaufbau der Fl o t te ist vorläufig die Summe von fast 500 Millionen Rubel frei gemacht und es sind bereits große Bestellungen in Teutschland, Italien und Frankreich vollzogen worden.

Aus den Kolonien.

^ Berlin, 9. Jan. Der Vizegouverneur Berg der Kolonien hat mit Unterstützung des Kriegsschiffes Condor die Trukinsel friedlich ganz entwaffnet. Den Eingebor­enen wurden 436 Gewehre und 2531 Patronen abgenommen.

Paris, 9. Jan. Japanesenfurcht. Das Echo de Paris erklärt, es besitze den dokumentarischen Nachweis, daß Japan einen Anschlag gegen das französisch« Hinter in dien beabsichtige.

Die Hutter UnterfuchungSkommisfion.

Paris, 9. Jan. Die Kommission trat heute zu­sammen. Admiral Fouruier wurde zum Präsidenten gewählt. ES wurde beschlossen, die Verhandlungen vor ser Oeffent- lichkeit vorzunehmen.

Zur Lage i» Marokko

E Paris, 9. Jan. Ter französische Gesandte st Tanger wird am 1. Februar nach Fez abreisen. Tie Mission wird von 500 Reitern eskortiert werden. Tie Aufgabe des Gesandten wird eine sehr schwierige sein und wenn auch der Sultan eine sehr versöhnliche Ge. sinnung an den Tag legt, so sei doch unleugbar, das; die marokkanische Bevölkerung sehr erregt sei. Der Gesandte habe die Weisung erhalten, vor allem die Mittel zur Herstellung der Ordnung und Sicherheit in den größten Plätzen und besonders in den Häfen zu) verlangen und werde zu diesem Zweck die Umgestaltung und die Verstärkung der marokkanischen Gendarmerie vor« ( schlagen.

Der Kolonialkrieg i« Sudwestafrika. !

)( Berlin, 9. Jan. Major Meister meldet, dcitz er am 2 ., 3. und 4. Januar gegen Hendrik Witboi, die rote Nation unter Manasse, die KarraSleute, die Veldschöndrager unter Friedrich Maharero gejochten hat.! Ter Feind verlor mindestens 80 Tote. Der Sieg konnte wegen Mangels an Munition nicht voll ausgenu tzt werden. Meister erreichte daher am 6. Januar wieder die einzige ergiebige Wasserstelle, Stamm- rietfontein, um sich dort zu ergänzen. Sobald dies ge­schehet!, soll er die Vereinigung mit Teimling, Ritter und Lengerke anstreben.

Tie deutschen Verluste in dem letzten 50stün- digen Gefecht bei Kroß Nabas sollen nach einen: Gerücht sehr bedeutend sein, nämlich 5 Offiziere und 50 Mann. !

Vom oft asiatische« Krieg.

General Stöffel, 7 andere Generäle und 4 Ad­mirale gaben ihr Ehrenwort, in dein gcgenlvärtigen Kriege nicht mehr gegen Japan zu- kämpfen. General Stöffel reiste nach Petersburg ab. Ti? Kranen in Port Arthur sind außer sichvor Freude, über die endliche Auf- ^ Hebung der Belagerung. In Port Arthur wird vor- ^ läufig nur eine geringe Garnison Zurückbleiben. Tie Ja­paner beabsichtigen angeblich, aus Port Arthur eine be­deutende Flotten st ation zu machen. In Tokio verlautet, daß demnächst eine vierte innere An­leihe in Höh? von 100 Millionen Den unter den gleichen Bedingungen wie die dritte Anleihe zur Auf­nahme gelangen soll.

)-( Tokio, 10. Jan. Das Marineamt spricht sein Bedauern über die Abfertigung des englischen Kreuzers ! Andromeda" in Port Arthur aus. Tie englische s Regierung habe die japanische von der Absicht der An- l! dromeda, Proviant und Verbandszeug zu bringen, zu l? spät verständigt, so daß der Kornmandant von Port s Arthur dieAndromeda" auf Grund seiner allgemeinen ^ Instruktion abwies. :

)-( Petersburg, 9. Jan. Zwischen dem 28. Jan. c und dem 2. Febr. verlassen, um sich mit den: Geschwader ^ des Admirals Roschdjestwensky zu vereinigen, den : Hasen von Lrbau: das Linienschiff Imperator Nikolai l., !- der Küstenpanzer Generaladmiral Apraxin, Admiral Ssenjawin, Admiral Uschakow und der Panzerkreuzer - Wladimir Mossomach, s

)-( Mukden, 9. Jan. Nuss. Tcl.-Ag. Neue ja- ! panische Truppenabteilungen treffen von Süden kommend f ein, die. hauptsächlich dazu dienen sollen, die Besatzungen E von Liaojang und Jentai, sowie von anderen befestigten ß Stellungen zu verstärken. Tie Japaner sollen seit dem i 18. Okt. mehr als 3000 Mann verloren haben. Auf Seiten der Russen sind 7 Offiziere und 183 Mann ge- k fallen, sowie 44 Offiziere und 1032 Gemeine verivundet k worden. is

Berlin, 9. Jan. Mit der Harnburg-Amerika- ' Linie werden angeblich Verhandlungen gepflogen, wonach diese Gesellschaft eines ihrer besten Schiffe nach Port Arthur sendet, um eine schnelle Ueberführung der Verwundeten nach Kiautschou zu veranlassen, wo bereits die deutschen Hospitäler zu ihrer Auf- ( nähme in Stand gesetzt werden. Das Schiff soll in den s Treust des Roten Kreuzes gestellt werden. >

)-( Nagasaki, 9. Jan. Tausend verwundete Ruf- sen aus Port Arthur sind hier eingetroffen. k

)-( Tokio, 9. Jan. Man glaubt, daß der Ge­samtverlust der Russen in Port Arthur ungefähr 25,000 Mann beträgt.

^ 7 ^

fors Dstk kjs-cliliof M üem fott IMv^s, im ilintetzqrunci

EL