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Die preußischen Sozialdemokraten

halten z. Z. in Berlin einen Parteitag. Man hat sich u. a. mit der Schulfrage beschäftigt, die bekanntlich auf dem Bremer Parteitag nicht mehr zur Besprechung kommen konnte, weil die Zeit durch ödes Parteigezänk in Anspruch genommen Wörden war. Referent in Berlin war der ehemalige Privatdozent Tr. Leo Arons, der eine Resolution empfahl, die genau dasselbe verlangt, was die Deutsche Volkspartei schpn seit Jahren programmatisch festgelegt hat. Dem ganzen Karakter der sozialdemokratischen Agitationsweise entsprechend, die in der Praxis nicht mit ihren zukunftsstaatlichen Problemen, sondern lediglich mit den guten alten Forderungen der bürgerlichen Demokratie krebsen geht und dabei tut, als verzapfe sie eine ganz neue Weisheit, schwieg sich natürlich Tr. Arons darüber aus, daß er sich mit seinen Forder­ungen in der Schulfrage auf den Boden des Programms der Deutschen Volkspartei stelle. Das könnte man ihm noch verzeihen. Aber man sollte dann wenigstens nicht so unklug sein, zu erklären, keine einzige bürgerliche Partei wage es, die völlige Trennung von Schule und Kirche zu verlangen!! Tie Deutsche Volkspartei verlangt in ihrem Programm nicht nur die Trennung von Schule und Kirche, sie fordert die völlige reinliche Scheidung von Staat und Kirche auf allen Gebieten. Das geht aus dem am 21. September 1895 auf dem Münchener Partei­tag der Deutschen Volkspartei genehmigten Programm hervor, in dem folgende Forderungen erhoben werden:

Freiheit des Glaubens, der Wissenschaft und des Unterrichts, Trennung der beiden nach Wesen und Auf­gabe verschiedenen Gebiete von Staat und Kirche, Selbständigkeit und Hebung der Schule unter fach­männischer Aufsicht, einheitliche Volksschule, gesetzliche Regelung des Schulwesens, Unentgeltlichkeit des Unter­richts und der Lehrmittel."

Das klingt eher noch bestimmter als die Resolution des Herrn Arons, chs sozialdemokratischen Schwieger­sohns eines bekannten vielfachen Millionärs.

Wie fast in allen Fragen, ist aber auch in der Schiul- frage die Sozialdemokratie keineswegshasenrein". Reichs­tagsabgeordneter Heine beantragte denn auch zu der Resolution Arons die verwässerte Fassung:Ersatz des konfessionellen Religionsunterrichts durch Unterweisung in Religionsgeschichte, Moral und Kunstpflege, Gestaltung des gesamten Unterrichts nach den Grundsätzen der fort­geschrittensten Pädagogik". Unzweifelhaft gehöre die Re­ligion zu den wichtigsten und bedeutsamsten Erscheinungen des Menschengeistes. Nur durch diesen Unterricht, der allerdings kein kirchlicher Memorierstoff von sinnlosen Sprüchen sein dürfe, könne sich der Mensch das höchste Gut einer persönlicher: Religion erringen. Heine hatte damit freilich kein Glück bei seinen Parteigenossen. Doch wollen wir es den Herren überlassen, die Sache unter sich abzu­machen. Viel wichtiger für die Außenstehenden ist es, daß sich die preußische Sozialdemokratie auch in der Schulfrage wieder auf das hohe Roß der Prinzipientreue setzt und dabei die zunächst liegenden praktischen Fra­gen der Schulpolitik links liegen läßt. Tie erste Aufgabe muß sein, die paritätische Schule, so weit sie besteht, gegen die Angriffe von reaktionärer Seite zu verteidigen; an­statt nun wenigstens hierbei mit der bürgerlichen Demo­kratie Schulter an Schulter Hu fechten, weiß die Sozial­demokratie nichts Besseres zu tun, als ihren natürlichen Verbündeten in den Rücken zu fallen!

In ähnlicher Weise wie die Schulfrage hat der Ber­liner Parteitag die Wohnungsfrage erledigt. Auch hier wußte man nichts besseres zu empfehlen, als die schon längst formulierten Vorschläge der bürgerlichen Wohnungs- und Bodenreformer. Und mit den übrigen Punkten der Tagesordnung, dem Kontrakt­bruchgesetz und der Reform des Landtagswahl­rechts ging es ebenso. Auch die preußische Sozial-, bemokratie ist nicht imstande, einfach, aus der bürgerlichen Haut zu fahren. Und das ist auch die einfache Erklärung dafür, warum gerade die unentwegtesten und radikalsten Genossen lieber Rede gefechte auf den Parteitagen aufführen, statt sich ernstlich! mit praktischen poli­tischen und wirtschaftlichen Fragen zu beschäftigen.

Wiidbad, Montag Vs« S Januar Oberst Leutwein,

der Freitag früh in Hamburg aus Süd westa frika eintraf, hat sich gegenüber einem Korrespondenten der Frkf. Ztg." über die Lage in der Kolonie wie folgt ge­äußert : Ich trieb die Politikdes M ö g liche n. Frei­lich kann man mit 10000 Manu anders auftreten, als mit den 700, über die ich verfügte. Ich, wollte dem Deutschen Reiche.die Opfer ersparen. Ich war fest über­zeugt, daß allmählich sich ein dauerndes friedliches Verhältnis mit den Eingeborenen Herstellen ließ. Jahrelang war ich immer in der Lage, den einen Ein­geborenenstamm gegen den anderen auszuspielen, und ich hatte damit Erfolg. Ter alte 80jährige Wiboi muß wohl ein bischen verrückt geworden sein, und es scheint, daß er auch! nicht mehr ganz Herr über seine Leute ist. Am letzten Kaisers-Geburtstag veranstalteten wir im Lager bon Kalk fontein eine große Parade, an> der die weißen und die schwarzen Truppen teilnahmen. Alle Kapitäne des Namalandes waren anwesend. Ter alte Witboi war so elend, daß er sich aus einen Stuhl vor die Front setzen mußte, und nur beim Hoch auf den Kaiser erhob er sich. Damals hatte ich! eine letzte eingehende Unterredung mit ihm. Ich sagte zu ihm: Ein schwerer Hereroaufstand bricht eben aus. Er er­widerte: Ich helfe Dir auch gegen die Hereros. Er sandte eine Hilfstruppe von 100 Mann. Damals meinte es Witboi ehrliche sonst hätte er in dem für uns so krllischen Moment selbst losgesch,lagen. Leutwein war überzeugt, daß es ihm persönlich gelungen wäre, Witboi zu bekehren, wenn er ihn noch einmal gesprochen hätte.

Leutwein tadelt es, daß die Engländer den Ueber- tritt des Oberhäuptlings auf englisches Gebiet gestattet haben und ihn dort unbehelligt ließen. Angesichts der tiefgehenden Gärung gegen die Weißen, welche gegen­wärtig in Südwestafrika herrsche, sollten die Engländer zusammenhalten. Die Herstellung völliger Ruhe sei nicht so bald zu erwarten. Es fei leichter, Siege davonzutragen, als Frieden herzustellen. Leutwein ist der Ansicht, daß jetzt genügend Truppen nach Afrika äbgeschickt worden seien. Er spricht ironisch von gewissen Zeitungen, welche am liebsten alle Hereros aus­rotten möchten, und tritt für Verhandlungen mit den Hereros ein, für welche diese jetzt sicherlich geneigt wären. Man müsse ihnen das Leben zusichern und nur diejenigen töten, welche Weiße ermordet hätten. Tie Er­richtung einer ständigen Kolonial-Arm ee habe sich als eine Notwendigkeit erwiesen. (?) Ter große Krieg gegen die Hereros sei beendet. Wenn aber kein Frieden hergestellt würde, so könne der kleine Krieg noch lange dauern. Der Krieg gegen die Hottentotten' sänge eben erst an. Diese seien geborene Soldaten. Sie seien gar nicht zu fassen, man könne sie immerfort be­siegen, und es nutze nicht viel. Gegen die Hottentotten richte eine gut berittene landeskundige Mannschaft von 100 Leuten mehr aus, als große, des Landes unkundige Truppenmassen. Oberst Leutwein hat Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft der Kolonie. Wenn das ganze Land erst Kronland geworden sein werde, würde die Erschließung schneller gehen. Wir waren durch die Ver­träge mit den Häuptlingen gebunden. Eine Besiedel­ung sei nur von Staatswegen zu empfehlen. Siedlungs­gesellschaften müßten Prozente beanspruchen, zu deren Be­zahlung die Kolonisten nicht imstande seien.

Was den Waffen verkauf an Eingeborene be­treffe, so habe er aus. den Akten ersehen, daß der Waffen- und Munitionshandel in den achtziger Jahren in unge­heurem Umfange betrieben wurde. Ten nun leider einmal mit Schießwaffen versehenen Schwarzen diese fort­zunehmen, hätte d en sofortigen Ausbruch eines allgemeinen Aufstandes bedeutet.

Ucker den Fall des Le utn an t I o b st, der schwere Fehler begangen habe, wollte sich. Oberst Leutwein vor­läufig nicht äußern. Der Angriff des Majors von Francois, welcher auf Ereignisse Bezug nimmt, die um elf Jahre zurückliegen, war dem Oberst noch unbe­kannt. Er wünscht, wenn es irgend möglich! ist, eine Polemik vor der Oeffentlichkeit zu vermeiden, die er Um Staatsinteresfe für u nersprießlich hält. Oberst Leutwein sagte zum Schluß noch! einmal, er hätte die feste Ucker-

1905.

I zeugung gehegt, daß auf friedlichem Wege eine Eroberung des Landes möglich sei. Er habe sich wohl getäuscht und die Katastrophe mußte konrmen, viel­leicht sei es in der Folge zum Segen des Vaterlandes!.

Politische Rundschau.

Deutschland. Ein neuer Erlaß ist angeblich dieser Tage den einzelnen Truppenteilen zur strikten Be­folgung zugegangen. Danach sollen im allgemeinen die zu Gewalttätigkeiten Neigenden vom Avancement im Heere ferngehalten und in Zukunft mit keinem Soldaten mehr kapituliert werden, der im Zivilverhältnis wegen Mißhandlung odereines anderen Roheits­vergehens vorbestraft worden ist. Ebenso soll mit allen Angehörigen der Armee, die während ihrer Dienst­zeit wegen Mißhandlungen bestraft sind, nicht weiter kapituliert werden.

Oesterreich-Ungarn. Ter Kaiser hat Körber mit der einstweiligen Besorgung der Staatsgeschäfte be­traut.

Z 14. Tie amtliche Wiener Zeitung veröffentlicht eine auf Grund des Z 14 (Notverordnungsparagraph) er­lassene Verordnung über ein haltjähriges Budget­provisorium.

Serbien. Thronmüdigkeit Peters I. Ter Daily Expreß" meldet aus Belgrad: König Peter von Serbien ist äußerst niedergedrückt wegen der heftigen gegen ihn und seine Familie gemachten Preßangrftfe. Er er­klärte in Gegenwart seiner Kinder und ihrer Erzieher, er sei der Königswürde überdrüssig.

England. Tertolle" Mullah. Der. Daily Expreß erfährt, daß die Regierung nach einem Krieg von 4 Jahren, der England 3 500000 Lstr. kostete, zu dein Entschluß gekommen ist, weitere Versuche, des verrückten Mullahs Herr zu werden, aufgiebt. Das Blatt fügt hinzu:Der Mullah, der weit entfernt davon ist, ver­rückt zu sein, gewinnt auf diese Weise alle Vorteile, um die er kämpfte. Er bleibt tatsächlich! unbeschränkter Herr­scher des inneren Somalilandes und die sogen,freund­lichen Stämme", die wir gegen ihn zu schlitzen versprachen, sind jetzt sich, selbst überlassen."

Afrika. Eine repräsentative Regierung für Transvaal hat der britische Oberkommissar Lord Mi ln er bei einer Konferenz der Burenführer in Vor­schlag gebracht. Nach dem Vorschlag sollen 25 Mitglieder dieser repräsentativen Regierung gewählt und 12 ernannt werden. Tie Konferenz verlief ergebnislos, aber es ist bei ihr ausgefallen, daß die Beziehungen zwischen den beiden Parteien weniger formell und kalt sind als bisher.

M Bukarest, 30. Dezbr. Das Kabinett hat seine Entlassung überreicht.

Konstantinopel, 30. Dez. Aden und Jemen. Der englische Minister des Aeußern hat, wie die Franks. Ztg. be­richtet, dem türkischen Botschafter in London gesagt, er möge den Sultan wissen lassen, daß, wenn nicht das Abkommen wegen des Hinterlandes von Aden in kurzer Zeit sanktioniert werde, die Folgen für die Türkei schwerwiegende sein würden.

Der Kolonialkrieg in Südwestafrika.

Berlin, 30. Tez. Amtlich. Trotha meldet: Am 27. Tez. überfiel eine Patrouille eine Witboiiverft bei Tsubgaris. 12 Witbois fielen. 1000 Stück Kleinvieh wurden erbeutet.

Hamburg, 30. Tez. Oberst Leutwein, der heute morgen hier eintraf, erklärte, der Aufstand sei allen überraschend gekommen. Die Hauptsache sei: Frie­den schließen; gesiegt hätten wir genug.

Berlin, 30. Tez. An Typhus ist gestorben: Reiter Karl Heim ann, früher Tragouerregiment König (2. württembergisches) Nr. 26 am 25. Tevember im Laza­rett zu Epukiro.

Hamburg, 30. Tez. Mit dem Postdampfer Lncie Wörmann traf heute auch ein aus Teutschsüdwestafrika zurückkehrender Transport Verivundeter und erkrankter Krieger ein, bestehend aus 10 Offizieren und 10 Unter­offizieren und Mannschaften.