Welche Forderungen verjähret am 31. Dezember ?
Es sei darauf aufmerksam gemacht, daß mit dem Ablauf eines jeden Jahres eine große Anzahl von Forderungen verjährt. Das bedeutet, daß der zur Leistung verpflichtete nach Vollendung der Verjährung die Leistung verweigern darf.
Mit dem 31. Dezember dieses Jahres verjähren von den im Jahre 1903 entstandenen Forderungen u. a. folgende:
1. Die Ansprüche der Kaufleute, Fabrikanten, Handwerker und Kunstgewerbetreibenden an die Privatkundschaft für Lieferung von Waren, Ausführung von Arbeiten und Besorgung von Geschäften mit Einschluß der Auslagen.
2. Die Ansprüche der Forst- und Landwirte für Lieferung forst- und landwirtschaftlicher Erzeugnisse (Getreide, Holz usw.) für den Haushalt des Schuldners.
3. Die Ansprüche von Transportunternehmern jeder Art, wie Eisenbahnen, Schiffern, Lohnkutschern, Boten, wegen der Vergütung.
4. Die Ansprüche der Gastwirte für Wohnung und Beköstigung.
5. Die Ansprüche der Lotterie-Loshändler an die Privatkundschaft.
6. Die Ansprüche von gewerbsmäßigen Ver- mitern beweglicher Sachen (Leihbibliotheken, Pferdeverleihinstituten).
7. Die Ansprüche derjenigen, welche abge- sehen von den Fällen dir. 1, die Besorgung fremder Geschäfte oder die Leistung von Diensten gewerbsmäßig betreiben, wegen der ihnen aus dem Gewerbebetriebe gebührenden Vergütung mit Einschluß der Auslagen (Stellenvermittler, Waschfrauen, Dentisten).
8. Die Ansprüche der Angestellten wegen des Gehalts oder Lohnes (Handlungsgehilfen, Werkmeister, Privatsekretäre).
9. Die Ansprüche von gewerblichen Arbeiten, auch Lehrlingen, wegen des Lohnes.
10. Die Ansprüche von öffentlichen oder privaten Schulen, Krankenhäusern.
11. Die Ansprüche der Lehrer.
12. Die Ansprüche approbierter Medizinal- Personen (Aerzte, Zahnärzte, Tierärzte, auch der Hebammen).
13. Die Ansprüche der Rechtsanwälte, Notare und Gerichtsvollzieher.
Verschiedenes.
Kismet. Eine merkwürdige Geschichte aus Jnnerafrika erzählt ein englischer Korrespondent: Die Frauen von Udschidschi, einer alten Araberstadt an der Nordküste des Tanganikasees, lieben zwar ihre Kinder, aber noch mehr den Sport, den ihnen der Fang von Myriaden glänzender silberner Fischchen, die den See beleben, bietet. Diese Fische, die nur anderthalb Zoll lang und dünn wie ein Bleistift sind, munden den Eingeborenen sehr; und wenn sich ein Schwarm nähert, so fahren die Männer schleunigst in ihren KanoeS aus, während Frauen und Kinder an das Ufer eilen. Der Schwarm wird geschickt den Frauen zugetrieben, die reihenweise im Wasser stehen und die Fische erwarten, um sie mit Tüchern zu fangen. In der Aufregung der Jagd vergessen sie alles andere. „Ich sah eine Frau," so erzählt der Korrespondent, „die ihr kleines Kind in einem hinten herabhängenden Tuche trug. Da sie ihren Anteil an der Jagd nicht verlieren wollte, tauchte sie mit den übrigen ins Wasser unter und bückte sich immer wieder, und dabei wurde natürlich das unglückliche Kind stets mit untergetaucht. Als sie mit den heiß begehrten Leckerbissen beladen ans Ufer zurückkehrte, bemerkte sie, daß ihr Kind ertrunken war. Sie war überrascht und betroffen, als sie die kleine Leiche sah, aber es war „Kismet". In diesem Kampf zwischen Sportleidenschaft und Mutterliebe hatte erstere gesiegt. Der Verlust des Kindes aber war „Kismet"."
Die vorsichtige Feuerwehr. An die gute alte Zeit erinnert folgende Feuerwehrgeschichte, die ein Landgeistlicher dem „Bayerischen Vaterland" schreibt: Stand mit Lehrer, Ministranten, und Fahnenträgern am Dorfeingang, um eine Leiche in Empfang zu nehmen. Einen halben Kilometer vor uns näherte sich der Leichenzug, eskortiert von der Feuerwehr in blitzblanken Helmen. Da fängt es an zu „tröpfeln" und siehe, die offenbar wasserscheuen Wehrmänner spannen gemütlich das Paraplui über die funkelnden Helme aus, und so ausgerüstet, nahen sie sich dem auf sie harrenden
Kondukt. Gestehe offen, wie mich die biedereü Wehrmänner unterm Paraplui so wohlgeborgen treuherzig anblickten, da zuckt es krampfhaft um meine und des Herrn Lehrers Mundwinkel, als wir beide das Do profund anstimmen mußten. Erst nach der Beerdigung löste sich das krampfhafte Zucken in das natürliche Gefühl eines frohen Lachens aus, als ich einen Wehrmann, der mit dem Regenschirm bewaffnet nach Hause ging, fragte: „Warum haben Sie denn einen Regenschirm?" und er mir sehr aufrichtig ant- wartete: „No, weils halt reg'nt."
Kleine Philosophen. Man erzählt der Tgl. Rdsch.: Auf einem großen städtischen Friedhof in Süddeutschland spaziert ein fünf- jähriges Bübchen mit seinem Schwesterlein. Hinter ihnen her kommt, ohne daß sie es merken, der Geistliche und belauscht folgendes Zwiegespräch: „Wen begrabt man denn auf dem Friedhof?" fragt das Schwesterchen. — „Wer gestorben ist." — „Ja, was ist denn das, wenn man gestorben ist?" — „Da geht die Seele in den Himmel und der Leib kommt unter die Erde?" Darauf schweigt der Kleine eine Weile und sagt dann: „Ich möchte meine Sächle aber doch lieber beieinander behalten."
-Ein krankes Kind war oft in seinem
Bette unartig. „Aber was wird der liebe Gott sagen, wenn du so unartig in den Himmel einst kommst?" — „Vielleicht ist er dann gar nicht zu Hause," sagte sich beruhigend der kleine Philosoph.
MM
Das Christkindlein kehrt wieder ein Bald strahlt in seinem Glanz Der Weinachtsbaum für Groß und Klein Im vollsten Lichterkranz.
Ein liebes Völkchen ist uns nah.
Mit Aeuglein hell und klar;
Für sie ist auch der Ehrifttag da, Jungwildbad heißt die Schar.
Drum die bescheid'ne Bitte heut'.
Zu Kinderfreunden spricht:
Vergeht, wenn Ihr gern Gaben
^streut.
Die Kinderschule nicht!
Oswald und der kleine Arthur.
„Tragen Sie Sorge stets für ihn, Harry," sagte Vioien; „er ist noch so klein, geben Sie acht, daß ihm nichts passiert."
„O nein," erwiderte ihr Gatte, „Oswald ist sehr vernünftig." Und in bester Stimmung betraten beide das Haus.
» *
Alles ging seinen gewohnten Gang an diesem sonnigen Morgen. Lord St. Just machte einen Ritt durch seine Besitzungen er hatte einige kleine Angelegenheiten zu ordnen.
Der erste, der Verdacht schöpfte, es sei ein Unglück passiert, war der Gärtner. Als er an dem Fluß vorüberkam, sah er das umgestürzte Vergnügungsboot.
Von einem unbehaglichen Gefühl getrieben, beeilte der Mann seine Schritte, als er Lord St. Just in der Ferne reitend erblickte.
„Mylord," sagte er, „das Vergnügungsboot ist auf dem Fluß, aber umgestürzt."
Lord St. Just zog die Bräunen zusammen; er liebte es nicht, daß man seinen Befehlen zuwiderhandelte.
„Wer nahm das Boot heraus, — es war nicht sicher," sagte er.
„Ich weiß nicht, wer es wagte, Mylord. Die Ruder fehlen ebenfalls."
„Haben Sie keine Idee," fragte er den Gärtner, „wer das getan hat?"
„Wäre es nicht möglich, Mylord, daß der junge Gentelman, der hier zu Besuch ist, das Boot herausgenommen hat?"
„Gehen Sie in das Haus und fragen Sie nach. — Oder nein, halten Sie mein Pferd. Ich werde selbst gehen. O, mein Weib, mein Weib."
„Wo ist die gnädige Frau?" fragte er mit gedämpfter Stimme.
„In ihren eignen Gemächern, Mylord," war die Erwiderung.
„Sagen Sie ihr nicht, daß ich zurück sei," sagte er.
Er ging wieder an den Fluß zurück. Meh
rere Männer standen am Ufer.
„Durchsucht den Fluß — den Fluß!"
Augenblicklich befolgten die Leute den er haltenen Befehl und der unglückliche Vater stand dabei in stummer Verzweiflung, das Antlitz zum Himmel erhoben
Nach Verlauf einer halben Stunde wurden die Vermißten gefunden; der kleine Arthur fest umschlossen von den Armen seines älteren Gefährten. Nebeneinander wurden sie auf die grüne Uferbank gelegt, während Lord St. Just dabei knieend wahnsinnige Versuche machte, ein Lebenszeichen zurückzubringen.
„Will einer von Euch Männern," rief er wild — „die ihr selbst Gatten und Väter seid — mir sagen, wie ich diese Nachricht meinem Weibe beibringen soll?"
Aber es mußte gesagt sein. Als er Viviens Zimmer betrat, sprang sie sogleich von ihrem Stuhle auf und rief —
„Adrian, was hast Du? Was ist passiert?"
Er zog sie an sein Herz und flüsterte —
„Mein Liebling das Schlimmste, was uns passieren konnte."
Er zog sie noch fester an Fch und erzählte ihr alles.
„Adrian," sagte sie mit leisen, gemessenen Tönen, „es ist des Himmels gerechte Strafe für meine Sünde. Sie sind beide tot, sagst Du — der Knabe, den ich beraubte und mein Sohn, den ich an seine Stelle setzen wollte?
Weißt Du auch gewiß, daß sie tot sind? Das Licht ist in den klaren Augen meines Lieblings erloschen, seine süßen Lippen sind geschlossen. Oswalds Arme hielten ihn umschlungen, sagst Du? So ist meine Sünde bestraft. O gerechter Himmel, laß mich sterben!"
Bewußtlos brach sie jetzt zusammen.
Viele lange Tage und Nächte — viele Wochen — vergingen ehe Lady St. Just wieder wußte, was um sie her vorging.
Während die unglückliche Mutter mit dem
Tode kämpfte, hatte man die beiden, so seltsam im Tode Vereinten, in der prächtigen Kirche von Stutwell zur letzten Ruhe gebettet. Es war nun keine Notwendigkeit mehr vorhanden, Lady St. Justs Geheimnis zu entdecken. Eine Marmortafel bezeichnte die letzte Ruhestätte von Henry Dorman.
Vier Jahre nach Arthurs Tod schenkte der Himmel nochmals einen kleinen Knaben, den sie nach ihrem edlen Gatten Adrian nannte — Adrian Neßlie von L^ncewood.
Aber an dieses Kind verschwendete sie nicht die leidenschaftliche Liebe, wie an dem kleinen Arthur.
Lady St. Just nahm ihren Platz in der Welt wieder ein; sie erfüllte gewissenhaft ihre Pflichten; sie war eine musterhafte Gattin und Mutter, eine Wohltäterin der Armen und Bedrängten — aber sie war nie wieder die Gleiche.
In ihrem Zimer in Kings Rest hängt das Bild eines lieblichen lachenden Knaben mit edlen Zügen — ein Bild, das sie niemanden zeigt, aber vor welchem sie oft stundenläng verweilt, besonders, wenn die Sonne ihren goldenen Schein darauf wirft. Darunter steht geschrieben: „Arthur Neßlie, Erbe von Lancewood."
Jahre vergingen, und Lord St. Just war einer der populärsten Männer Englands, dessen größter Stolz es war, daß Reich und Arm, Groß und Klein, Hoch und Niedrig einstimmig Lady St. Just als die gütigste, die liebenswürdigste, die wohltätigste aller Frauen Englands verehrten. Man sagte, ihre Wohltätigkeit kenne keine Grenzen, ihre Güte suche ihresgleichen. Und war Lady St. Just glücklich? Sie war schön, reich und gut. Sie hatte den edelsten Gatten, liebliche Kinder. Aber in ihrem Antlitz, mit der fast übernatürlichen Schönheit war eine dunkle, feine Linie, eine ganze Geschichte verzeichnet — die Geschichte der Sünde ihrer Lebenszeit.
—- En.de. —
Druck und Verlag der Beruh. Hofmann'schrn Buchdruckern in Wildbad. Für die Redaktion »erantwortlich: E. Reinhardt daselbst.