Dichters. Der nach Form und Inhalt sich auSzeichnende Vortrag wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen.
Rundschau.
Cannstatt, 10. Dez. Unter außerordentlich großer Beteiligung fand heute mittag auf dem Uffkirchhof die Beerdigung -der ermordeten Eugenie Mast statt. Die Straßen, durch welche sich der Leichenzug bewegte, füllten Tausende von Personen, ebenso hatte sich vor dem Friedhof eine dichte Menschenmenge angesammelt, Schutzleute mußten dem Trauerzug erst einen Weg bahnen. Dekan Oehler hielt eine ergreifende Trauerrede. — Die Staatsanwaltschaft sichert demjenigen eine Belohnung von 1000 Mk. zu, welcher zur Ueberführung der Täter weitere Beweise liefert, insbesondere wer glaubhaft nach- weisen kann, von wem die in der Nähe des Tatorts aufgefundene blutbefleckte Manschette herrührt.
Crailsheim, 9. Dez. Masern und Wasser- Pocken. Unter den Kindern herrschen gegenwärtig neben den Masern auch noch die Wasser- Pocken. Ueberhaupt ist der jKrankenzustand derzeit ein ziemlich hoher, so daß die Aerzte vollauf beschäftigt sind.
Lenzkirch (A. Neustadt), 10. Dez. Ein schwerer Unglücksfall ereignete sich gestern hier. Zwei Knäblein von 2°/, und 3 Jahren, Kinder von Arbeiterfamilien, wählten lt. Brsg. Ztg. beim Heimgang von der Kinderschule den Fußweg hinter der Pfränglemühle, der neben dem jetzt starken Mühlenkanal hinführt. Die Kinder fielen in das Wasser und ertranken. Alle Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.
Tages-Nachrichten.
Konstanz, 11. Dez. Plötzlicher Tod. Die Ehefrau des Maurers Marschall ist unter Vergiftungserscheinungen gestorben. Vorhergegangen war ein Streit mit ihrem Mann. Der Mann wurde verhaftet.
Werden, 11. Dezember. Aus dem hiesigen Zuchthaus ist der aus Högen gebürtige Bäckergeselle Offergeld, der in Köln wegen Straßenraubs und anderer Verbreche» 12 Jahre Zuchthaus erhalten hatte, ausgebrochen.
Kiel, 12. Dezember. Oberlandesgerichtsrat Justizrat v. Bernsdorff ist an Blutvergiftung
infolge einer Hühneraugen-Operation Hierselbst gestorben.
Berlin, 10. Dez. Die Freisinnige Volkspartei brachte mit Unterstützung der Freisinnigen Vereinigung und der Deutschen Volkspartei folg. Interpellation im Reichstage ein:
„Welche Stellung nimmt der Reichskanzler gegenüber der im Abgeordnetenhause beantragten, von den preußischen Regierungsvertretern ge- billigten Einführung von Gebühren auf den natürlichen Binnenschiffartsstraßen?
Dresden, l l. Dezember. In Neustadt bei Stolpen vergifteten sich ein Witwer und sein 18jähriger Sohn mittelst Cyankali. Motiv der Tat ist häuslicher Streit.
Leipzig, 12. Dezember. Wie das hiesige „Tagbl." meldet, brannte in der gestrigen Nacht in Steina bei Pulnsintz das Bauerngut des Besitzers Freudenberg nieder, dabei fanden sieben Personen den Tod: Freudenberg, seine Frau, 2 erwachsene Töchter, ein 14jähriger Sohn und 2 Enkelkinder.
Der Mann der älteren Tochter, des Steinbruchbesitzers, Domschke, wurde unter dem Verdacht des Mordes und der Brandstiftung ver- haftet. Es verlautet, daß Domschke die ganze Familie mit einer Radehacke ermordete, und dann, um die Spuren der Tat zu verwischen, das Gut seines Schwiegervaters angezündet hat.
Antwerpen, 10. Dezember. Ein deutscher Auswanderer machte hier vorgestern zufällig die Bekanntschaft von zwei Landsleuten, die ihn mit in ein Wirtshaus nahmen, ihn dort zu einem Spielchen verleiteten und ihm hierbei seine ganze Barschaft, in 200 Fr. bestehend, abnahmen. Der also Geprellte begab sich nach dem nächsten Polizeibureau, um dort sein Leid zu klagen. Sofort wurden zwei Geheimpolizisten beordert, den Auswandrer zu begleiten, um mit ihm die Stadt nach den Betrügern zu durchsuchen. Sie hatten das Glück, einen der Betrüger auf der Straße zu treffen und zu verhaften.
Belgrad, 11. Dezember. Anläßlich der heute abend stattsindendeu Durchreise des Fürsten Ferdinand von Bulgarien wird auf dem hiesigen Bahnhofe eine Unterredung zwischen dem König Peter und dem Fürsten Ferdinand stattfinden. Der Aufenthalt ist auf 40 Minuten berechnet.
Belgrad, 11. Dezember. Infolge des
unheilvollen Einflusses, welchen die Verschwörer
auSüben, hat eine große Anzahl Offiziere den Abschied eingereicht.
Rußland und Japan.
Petersburg, 11. Dezember. In der hiesigen Generalstabsprefse ist man überzeugt, daß auf dem Kriegsschauplätze in der Mandschurei jetzt alte großen Aktionen eingestellt sind und erst bei Beginn des Frühjahrs wieder ausgenommen werden können. In Mukden erhält sich hartnäckig das Gerücht, daß die Japaner eine Armee aus Reserve- und Territorialtruppen informieren.
Tokio, 10. Dezember. Die Verluste, die im letzten Drittel des September die Wegnahme der Außenwerke von Erlungtschan und der vorgeschobenen Nordstellung von Siuschin kosteten, werden jetzt hier allgemein auf 12000 Mann angegeben, sodaß die Gefechtskräfte der 9. Division, die von Norden angreift, als erschüttert gilt.
Tokio, 12. Dezember. Eine offizielle Mitteilung der BelagerungSarmee vor Port Arthur sagt: 4 russische Linienschiffe, 2 Kreuzer, 1 Kanonenboot und 1 Minenschiff sind vollkommen kampfunfähig gemacht worden. Eine weitere Beschießung der Schiffe ist unnötig. Jetzt wird die Stadt beschossen und ihr schwerer Schaden zugefügt.
London, 12. Dezember. Nach einem der hiesigen japanischen Gesandtschaft zugegangenen Telegramm meldet die Belagerungsarmee vor Port Arthur, daß durch die gestrige Beschießung die Station für drahtlose Telegraphie am Fuße des „Goldenen Hügels" erheblich beschädigt, und das Arsenal in Brand gesteckt wurde.
Petersburg, 11. Dezember. Der Kaiser verlieh dem Kommandeur des 17. Korps, Biderling, und dem Chef des Stabs Kuropat- kins, Sacharow, je einen mit Brillanten besetzten Säbel mit der Aufschrift „Für Tapferkeit."
London, 12. Dezember. Die Sonntagsblätter sprechen die Ueberzeugung aus, daß das Ende der Belagerung von Port Arthur trotz aller bisher erlebten Enttäuschungen jetzt unmittelbar bevorstehe und daß damit der baldige Friedensschluß näher rücke, vorausgesetzt, daß kein anderes Land in den Konflikt mit hineingezogen werde.
Enterbt.
Roman.
Nach dem englischen frei bearbeitet von Klara Rheinau.
27) Nachdruck verboten.
„Ich wollte ja nicht, 'baß dies geschehe, Adrian. Als ich jene Worte bei Gerald Dorman äußerte, war ich kaum zurechnungsfähig, die widerlichen Vorgänge in Lancewood hatten mich halb von Sinnen gebracht. Wie konnte ich denken, daß er mich so rasch beim Wort nähme! Glaube mir, Adrian, ich meine wirklich, das Kind sei ertrunken."
Lord St. Just war buchstäblich überwältigt. Er war kein harter und strenger Mann, sondern milde in seinem Urteil, stets bereit, Entschuldigungen gelten zu lassen.
„Was hast Du mit der Ehre getan, die man Dir anvertraut hatte, mein Liebling," sagte er traurig.
„Ich habe gesündigt, um sie zu schützen," erwiderte sie.
„Ich muß alles wieder gut machen. Ad- rian!" rief sie fast verzweifelt aus; „ich muß es auf der Stelle gut machen! Oswald muß zurückkehren."
„Dem Himmel sei Dank, daß ich Dich so sprechen höre!" sagte Lord St. Just. „Ja, mein Liebling, der Knabe muß sogleich zurückkehren."
An dem nämlichen Abend als alle Besucher sich entfernt hatten, teilte Lord St. Just seiner Gattin mit, was er bezw. Oswalds beschlossen.
„Ehe wir weitere Schritte tun, Oswald als Erben von Laneewood zu installieren," sagte er, »wird es rätlich sein,. den - Knaben für eine Weile zu studieren, seine Chärakteranlagen und Gewohnheiten kennen zu lernen, um besser zu wissen, wie er zu behandeln ist. Was ich nun Vorschläge ist dies: Wir gehen nach Kings Rest Und laden den Knaben ein, uns als unser Gast
dahin zu begleiten — sagen wir, seine Sommerferien bei uns zuzubringen. Stimmst Du diesem Vorschlag bei?"
„Ja," antwortete Vivien.
„Wenn er dann in Kings Rest und frei von allem Schulzwang ist," fuhr Lord St. Just fort, „so können wir ihn genau beobachten, uns mit ihm unterhalten und ihn lehren, welche Achtung und Ehrerbietung er dem Namen Neßlie schuldig ist. Wenn er dann unsere Gefühle teilt, können wir ihm die Wahrheit offenbaren."
„Für jetzt braucht der Doktor noch gar nichts von der Wahrheit zu ahnen," sagte er. „Wenn die Zeit da ist, den Knaben als den jungen Sir Oswald bekannt zu machen, dann werde ich ihm das Nötige schon mitteilen und um Diskretion bitten. Der Doktor ist ein Gentleman und wird uns nicht verraten."
Es geschah alles, wie Lord St. Just es wünschte. Henry Dorman war über alle Maßen erfreut über die Einladung.
„Werden Sie mich auch reiten lassen?" fragte er Lord St. Just. „Mein Onkel lehrte es mich in Amerika."
„Gewiß, Sie sollen Ihr eigenes Pferd haben," erwiderte der Peer freundlich, „und noch mehr als dies, Harry."
Am meisten überraschte den Knaben die Entdeckung, daß seine Freundin „Frau Smith" die Lady St. Just war. Mit seinem offenen, gewinnenden Lächeln blickte er zu ihr auf.
Doktor Lester sagte ihm Lebewohl und voll Entzücken über die Aussicht auf eine herrliche Ferienzeit begab sich der Knabe mit Lord und Lady St. Just nach Kings Rest.
29. Kapitel.
Es war merkwürdig —> und Lord und Lady St. Just sprachen in späteren Jahren noch oft darüber --- aber vom ersten Augenblick an zeigte der junge Oswald eine fast leidenschaftliche Liebe zu dem kleinen Arthur. Er wurde nie müde, mit dem Kinde zu spielen, zu plau
dern, oder ihm Geschichtchen zu erzählen. Einst fragte ihn Lady St. Just: „Lieben Sie Francis nicht, Harry?"
„O ja," erwiderte er, „aber dieser Kleine ist mir lieber, als die ganze Welt. Wenn ich jemals ein reicher Mann werde, so werde ich dem kleinen Arthur all mein Geld hinterlaffen."
Vivien und ihr Gatte warfen sich einen raschen Blick zu. Beide waren frappiert über diese Worte.
Er schien die Fehler seiner Kindheit abgelegt zu haben; er war offen und aufrichtig und hatte einen guten Charakter. Vivien sah nun ein, daß hauptsächlich seine Erziehung an seinem früheren schlechten Betragen die Schuld gewesen. Er würde schließlich doch keinen so unpassenden Gebieter für Lancewood abgeben. Ihr Gatte stimmte ihr bei.
„Er ist ein sehr lebhafter Knabe," sagte Lord St. Just; „dabei tapfer und kouragiert; er kennt keine Furcht; er ist nicht allzu gehorsam und schwärmt für waghalsige Unternehmungen — aber er ist leicht durch Liebe zu leiten und darum wünschte ich auch, daß er uns erste liebe, ehe wir ihm die volle Wahrheit sagten."
Mit einem Lächeln, wie er es seit langem nicht bei ihr gesehen, blickte Vivien zu ihm auf.
„Adrian," sagte sie, „wenn es so kommen sollte — wenn ich wieder Ruhe und Frieden finden und Lancewood in guten Händen sehen würde — dann wäre ich glücklich." Und für sich dachte sie: „Ich entgehe der Strafe für meine Sünde."
Lord und Lady St. Just ergiengen sich in den reizenden Anlagen von Kings Rest unter dem Schatten uralter Kastanienbäume.
„Wie prächtig der Fluß heute morgen aussteht!" sagte Lord St. Just. „Viruen, wir müssen ein neues Vergnügungsboot haben; unser jetziges hat einen Leck und ist nicht mehr sicher. Ah, hier kommen die Knaben!"
Aber es waren deren nur zwei, der junge