Nr. 269. Amts- und Auzergeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 94. Jahrgang.

S rfchelniinlisweN e ? 6 mal wSchentl AnzelgrvreiS : Die kleinspaltlge Zelle 25 Psg^ Dienstag, den 18. November 1919 Bezu gSpr«1»: In der Lladt mit TrSgerlohn Mk. 3.30 vierteljöbrk.. Postbe;uft-prei« im

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Der §all Hslfferich-Tohn. Immer noch der «erschürfte A-Vootkrieg und feine Folgen.

Berlin» 15. Nov. Zu Beginn der heutigen Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses verwies Dr. Helfferich auf die Frage des Vorsitzenden nach seiner geänderten Stellungnahme zum rücksichtslosen Untersee­boot-Krieg auf die Erklärung der Obersten Heeresleitung, das, sie die Verantwortung für die weitere Fortsetzung der Kriegscpcrationen nicht übernehmen könne, wenn nicht unserer bedrängten Westfront durch jedes erreichbare Mittel Erleichterung verschafft werde, und wenn nicht durch den Unterseeboot-Krieg die Zufuhr von feindlichen Verstärkungen und Munition verhindert würde. Sollte da der Reichskanzler oder ich, soweit ich mitzureden hatte, es darauf ankommen lassen, daß Hindcnburg und Luden­dorff erklärten:Wenn man uns die nötigen Mittel nicht bewilligt, dann müssen wir erklären, dass wir nicht mehr Mitspieler." Wenn ich einem Untsrseeboct-Krieg widerraten habe, so geschah das, weil ich eine verhängnis­volle Steigerung unserer Schädigung durch Amerika be­fürchtete. Mein Vertrauen auf Wilson war nach der Lansingaffäre restlos erledigt. An Wilsons Stelle hätte ich dir definitive Antwort der Entente als unverschämt angesehen, da sich die Entente eine Gleichstellung mit den Zentralmächten verbat, aber eine Vermittlung doch nur unter Gleichen möglich ist Aus dieser Antwortnote ging auch hervor, dass die Entente eine Vermittlung, bei der uns Vorteile zugcbilligt würden, nicht akzeptieren würde. Nach meiner Ansicht hatte die amerikanische Regierung uns gegenüber nicht ibre Schuldigkeit getan. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr wurde Amerika gegen uns voreingenommen.

Zu einer längeren Geschäftsordnungsdebatte führt im weiteren Verlauf der heutigen Sitzung die Weigerung von Dr Helsssrich, eine Frage des Beisitzers Dr. Cohn direkt zu beantworten, mit dem Hinzusügen, daß er, vor einem Gerichtshof stehend, nach der Strafprozessordnung das Recht haben würde, Dr. Cohn als Richter abzu- lchnen. Nach l^stündioer Beratung verkündet Vor­sitzender Warmuth folgenden Beschlich:

Der Ausschuss hat mit dem Stimmenverhältnis 4 gegen 2 unter Stimmenthaltung des Abg. Dr. Cohn fol­genden Beschluß gefaßt: Der Ausschuß ist kein Staats- gerichtshof. Seine Verhandlungen sind auch kein Vorver­fahren für den Etaatsgerichtshof. Er hat kein Urteil zu fällen. Die Ablehnung eines Beisitzers aus persönlichen Gründen ist unzulässig, ebenso die Nichtbeantwortung der von einem einzelnen Mitglieds gestellten Fragen. Eine Ablehnung der Beantwortung von Fragen steht einem Zeugen nur aus Gründen der Strafprozessordnung zu."

Auf die Frage des Vorsitzenden an Dr. Helfferich, ob er jetzt bereit sei, die Fragen von Dr. Cohn zu beant­worten, erklärt Helfferich unter Bewegung und Beifall im Zuhörerraum nnd bei der Presie, daß der Beschlich an den für ihn maßgebenden Griiyden nichts geändert Habs, und er nach wie vor nicht bereit sei, Fragen von Tr. Cohn zu beantworten. Für diesen Fall ist mit gleichem Stimmen­verhältnis, 4 gegen 2, bei Stimmenthaltung des Abg. Dr. Cohn, folgender Beglich des Ausschusses ergangen, den der Vorsitzende verliest:

.Der Zeuge Dr. Helfferich wird, da er sein Zeugnis ohne gesetzlichen Grund verweigert hat. entsprechend 8 69 der Strafprozessordnung in die durch die Weigerung ver­ursachten Kosten, sowie zu einer Geldstrafe von 800 Mark verurteilt." -

Persönlich bemerkt der Vorsitzende noch, daß der Straf- deschluß an sich nickst seiner Auffassung über die Bedeu­tung her sinngemäßen Anwendung der Strafprozessord­nung entspreche. Für ihn sei die Ablehnung seiner Stellungnahme durch die Ausschußmehrheit so bedeutend und so wichtig, daß er den Vorsitz niedsrlege. (Lebhafter ^2,>all bei einem Teil der Pressevertreter und im Zu- yorerraum.) Warmuth übergab hierauf den Vorsitz on den -tbg. Gothein, der nachträglich rügte, daß von den Ver­reisen der Presse Beifallskundgebungen geäußert wurden. Im Wiederholungsfall werde er diesen Herren die Karte Entziehen.

Dr. Helfferich erklärte zur Begründung seiner Ver­weigerung der Aussagen auf die Frage» des Dr. Cohn. Der Eesamtausschuß ist eingesetzt, um die Gründe zu prüfen, die zum Zusammenbruch des Reichs geführt haben. Nach meiner Auffassung ist Dr. Cohn an diesem Zusammen­bruch ganz unmittelbar beteiligt. Nach einem Tele­gramm des Botschafters Fasse hat Tr. Cohn sich Geld­mittel zur Verfügung stellen lassen, um Deutschland zu revolutionieren.

In Beantwortung erklärt Dr. Cohn, das deutsche Volk sei nicht Schuld am Kriege; aber an der Entstehung und dem unglücklichen Ausgang des Krieges feien Leute wie Dr. Helfferich schuld. Hieraus erklärt letzterer, er werde den Saal verlassen, wozu ihm der Vorsitzende Eothein das Recht bestreitet, aber bald darauf die ^ung schließt

Berlin, 17. Nov. Der Andrang zur heutigen Sitzung war sehr stark. Auch Staatssekretär Dr. Helfferich war wieder erschienen. Bei Eröffnung der Sitzung verlas der Vorsitzende Gochein eine Er­klärung, in der darauf dingcnüescn wird, daß der Untersuchungs­ausschuß lediglich den Charakter einer parlamentarischen Enquete- kommission hat und daß alle Mitglieder der Ausschusses, ebenso aber auch alle Zeugen sich in ihren Auslagen aller Werturteile zu ent­halten haben. Staatssekretär Dr. Helfferich, der einen Ein­spruch gleich zu Beginn der Sitzung brkanntzugeben wünschte, füat sich dem Vorschlag des Vorsitzenden, diese Erklärung zu Protokoll zu geben. Er bittet, daß der Haupiausschuß dazu Stellung nimmt.

von Vethmann Hollweg kommt in längeren Ausführun­gen zu dem Schluß, daß die Geheimhaltung unseres Schrittes in Washington lediglich eine Förderung der WIlsonschcn Frirdensakt-on, die Geheimhaltung dcS U-BootSbeschlusses lediglich die Fernhaltung aller militärischen Schädigungen von diesem Kriegsmittel im Auge gehabt habe. Trotz der Erkenntnis «nv der Bedeutung dcS U-Boot- kriegcS gegenüber Amerika sei eine kompakte Reichstagsmehrheit An- hängerin des U-Bootkrieges gewesen, weil dieser von der Obersten Heeresleitung als nötig gehalten wurde. An diesen Tatsachen könnten namentlich diejenigen politischen Faktoren n'cht rütteln, die mit besonderem Nachdruck das Prinzip vertreten, daß die Mehrheit der Volksvertretung dem Gang der Dinge zuzustimmen habe. Reichs­minister Dr David gegenüber verwies Vethmann Hollweg darauf, daß cs ein öffentliches Geheimnis in der ganzen Welt mar, daß der U-Bootkrieg den Krieg mit Amerika nach sich ziehen werde.

In der fortgesetzten Vernehmung führte Dr. Helfferich aus, daß nach Ablehnung des Friedensangebotes und Scheiterr.s der Friedens­aktion Wilsons der UntcrseebooNieg auch nach seiner Meinung zu einer unentrinnbaren Notwendigkeit geworden war. Nicht nur ein­mal, sondern wohl ein dutzendmal habe er im Reichstag der Uebcr- zeugung Ausdruck gegeben, daß der uneingeschränkte Unterseeboot­krieg Deutschland den Krieg mit Amerika bringen werde. Der Reichs­tag sei also nicht hinters Licht geführt worden.

Dr. David bestreitet, daß das letzte Telegramm DernstorffS der Sitzung am 31. 1 17 vorg-lcgcn habe. Es sei damchS nicht er­klärt worden, daß der Krieg mit Amerika unvermeidlich sei.

Vors. Gothein erinnert sich ebcnsalls nicht, daß das Tele­gramm Bernstorsss in jener Sitzung mitgetcilt wurde. Aber der Reichstag war ja damals nicht mehr imstande, an der Sachlage irgend etwa» zu ändern.

v. Bethmann Hollweg: Die Situation, welche Bern- storff schilderte, wurde durch unser Telegramm vom 30. insofern ver­ändert, als wir dem Präsidenten ein sehr gemäßigtes Friedenspro­gramm mitteilten und erklärten, daß wir den Unterseebootkrieg sofort aufhcben würden, wenn wir die Sicherheit hätten, zu annehmbaren Friedensbedw.gungcn zu kommen.

Auf die Frage Dr. SinzheimerS. warum das letze Mittel des Unterseebootkrieges eingesetzt habe, und warum nicht durch eine Erklärung über Belgien eine letzte Friedcnskart« ousgespielt wurde, erwiderte v. Bethmann Hollweg, eine solche Erklärung in demselben Augenblick, wo die Entente uns FricdenSbedingungcn stellte, die eine Zertrümmerung Deutschlands darstellten, wäre politisch unklug gewesen.

Dr. Helfferich erinnerte in diesem Zusammenhang daran, daß Wilson diese Mitteilung als höchst wertvoll hingenommcn habe. Trotzdem sei darauf die Senaisbotfchaft vom 22. 1. gefolgt. Uebri- gcns habe damals der ganze Reichstag mit Ausnahme der Unab­hängigen eine Erklärung auf völlige Wiederherstellung Belgiens be­kanntlich abgelchnt.

Am Schluffe der heutigen Vormittagssitzung äußerte sich Bern­stor ff darüber, daß Wilson «nv dir amerikanische Oeffentlichkeit Deutschland nicht freundlich gesinnt waren und daß es seines Er­achtens nur die Möglichkeit gab. die Vereinigten Staaten aus dem Kriege hcrauSzulasscn, indet man ihre Vermittlung annahm. Hät­ten wir, sagt« der Botschafter, die» getan, so hätte Wilson den Krieg gegen uns nicht eröffnen können, selbst wenn er ihn gewollt hätte.

v. Bethmann Hollweg hält die Aussage des Grafen Bernstorff von ausschlaggebender Bedeutung. Wilson konnte den Krieg gegen Deutschland nur vermeiden, wenn er den Frieden ver­mittelt«. Rückschauend könne man es ja jetzt so hinstellen, daß cS besser gewesen wäre, uns in die Hand von Wilson zu begeben, ob­wohl nach seiner Meinung auch der Eintritt Amerikas in den Krieg eS nicht notwendig gemacht hätte, daß wir zum Frieden von Ver­sailles kamen. Aber wenn wir uns damals in Wilsons Hand be­geben hätten, so hätten wir uns in die Gewalt eines ManneS be­geben, der unS nach Aussagr Bernstorffs nicht freundlich gesinnt war, »der unmittelbar nach unserer Suffexnote Bernstorff mittcilc» ließ, daß er gegen England nichts machen könne, weil das den Wirt- schaftSintercffen Amerikas zuwiderlaufen würde. Wenn wir Wilson, als Sachverwalter annahmcn, mußten wir jede uns von ihm auf- erlcgte Bedingung annehmen. Eine Ablehnung hätte bedeutet: Eine Erneuerung des Krieg-? mst der Entente und den Krieg mtt Amerika. Dafür aber war das deutsche Volk nicht zu haben. W-rr Wilson mit seinem Herzen und seinem politischen Wollen bereit gewesen, der Welt unter höheren Gesichtspunkten den Frieden wieder zu geben» wrS hind-rte ihn dann daran, unser Telegramm vom 30. 1. wenig­stens zn beantworten. Hätte er sofort geantwortet, so hätte der r"' sichts*ose Unterseebootkrieg vielleicht 2 oder 3 Tage gedau-rt

Darauf vertagt der Ausschuß die Verhandlungen au mittags 5 Uhr.

In seiner zu Protokoll gegebenen Erklärung erhebt Dr Helf­ferich wegen seiner Verurteilung zu 3"0 Geldstrafe Einivruch und sagt, daß die Anwendung der Vorschriften der Strafpro-eßard- -nung über den Zeuaniszwanq als unsinnqcmäß zu betrachten !ei; dagegen erachte er «S als die sinngemäße Anwendung der Sirickvro- -eßv''dn"ng. d-ß dm als A"Skunfisver''.anen geladenen Mitgliedern der früheren kaiserlichen Regierung das Recht der Nbkebnuna vn Mitgliedern des Ausschußes zugcbilligt werde Tie Ausübung dieses Rechtes behalte er sich vor.

Berlin, 17. Nov. sNachintttanssitzunq ) Noch Wiederaufnahme der Verhandlungen äußerte sich Staatssekretär Dr. Helfferich zu den wirtschaftlichen Fragen dahin daß angichch'S der schlechten Erntelage von 1916 er den Eindruck batte, daß eine schwere Ge­fährdung der Ernährung En"lgndS vorhanden war. Die Wclterute war ungenügend, Englands Ernte ungünstig und In dm Vereinigten Staaten und Eanada war sie geradezu katosiropbal. Eng'and zahlt« d-n Vereinigten Staaten harrende Brette, ab-r die Zufuhren a'n"eu ständig zurück. Des einzige, was ich !m Zusammenhang hiermit im Ausschuß gesagt hoben kann war die Hoffnung. England fr'-^-nS- bereit zu machen. Ich betrachtete sveziell tue Situation der Nah- rungSmittelversorgung Englands im Januar für ungemein viel gün­stiger für den U Doottrieg als je zu-einem anderen Zeitv"nkt des Jabr-s. Trcckdem habe ich mich gegen den -,,.m

1. Februar ausgesprochen.

Als der Abg Dr. Cohn v-m Dr. H.sisserich die Beantwortung der Frage erbat, ob von England noch Reis eingesälrt wurde, und der Vorsivende Gothein sich diese Frage zu eigen machte, entgegnete Dr. Helfferich: Ich werde d-m Vorsitzenden ans diese Frage ant­worten. An diese Bemerkung knüpfte sich eine länacre Ausem-mder- sehung zwisch-m Dr Eahn dem Vorsitzenden und Dr. Helffer'ck Der Abg. Warmuth hielt eS für'ia jetzt die Erk'ärung Dr. Hrlf- ferichs vom Beginn der heutigen Vormittaassihung zu v-rlcken, worauf der Ausschuß um 51k Uhr sich zur BelckchEsasinng darüber zurückzog. Nach etwa einstündiaer Beratung verkündete der Vor­sitzende als Beschluß des Ausschusses. den Antrag des Abae- ordncten Warmuth. den Einspruch des Dr Helfferich gegen den Strafbcsck>luß vom Sonnabend zn verlesen, mit 4 gegen 2 Stimmen bei Stimmenthaltung von Dr Cohn abzulchnen und den Staatssekretär Dr. Helfferich wegen wiederholter >ienaii!Sv:r- wciacrung wieder in die hochstzulässige Strafe van 390 Mark zu nehmen. Das Stimmenverhältnis bei diesem Beschluß war das­selbe. Eine Auseinandersetzung über diesen Beschluß ist unzulässig, doch bat Dr. Helffcr'ch dos Einspruchsrecht

Dr. Helfferich: Die Wirkung deS 11-Boo'kriegeS war so stark, daß nach einigen Monaten ganz bestimmte Symviome einer Friedensgeneigtheit bei den Feinden vorhanden waren. Diese Frie- dcnSgneigtheit ist ober durch Dinge zerstört worden, über die ich jetzt nicht sprechen will. Die Annahme ist falsch, daß England nicht ganz erheblich durch den U-Vooikrieg für seine Ernährung gelitten hätte.

v Bethmann Hollweg wies darauf hin, daß der Ad­miralstob bei seinen Berechnungen nie davon gesprochen habe, Eng­land auf die Kniee zu zwingen. Er habe am 2 Januar in der Denkschrift lediglich die Garantie übernommen, daß England frie­densbereit werden solle. Ich für meine Peckon, fuhr Herr v. Beth­mann Hollwcg fort, habe weder am 9. Januar noch sonst wann mir die sichere Erwartung gesittet, daß wir durch den U-Boots'-: - E ig- laud zum Frieden innigen w'rden. Ich bin nickt eu' -

wesen als dieses Resultat auSblieb. ?tts Bestes. wcS der 1l Z- kricg für uns leisten könnte, habe ich angenommen, daß er in Eng­land Gedanken dafür Hervorrufen würde, ob einem fortgesetzten Ton­nageverlust nicht eine Verständigung über den Frieden vorzuziehen