Rnchstag. Es hardelt sich darum, daß Redak- teure, die sich weigern, einen Einsender zu nennen, nicht selten in Zeugniszwangshaft genommen. Eingebracht war die Interpellation von zwei Nationalliberaleii Neulingen, dem Verleger Dr. Jänecke und dem Schriftsteller Dr. Billiger. Tie Verhandlungen verliefen zunächst außerordentlich leidenschaftslos. Die Wünsche auf Abschaffung des Zeugniszwanges beantwortete Staatssekretär Nieberding dahin, die Frage werde demnächst von der Regierung „mit Wohlwollen" und mit der ausgesprochenen Absicht behandelt werden, den Streit zwischen Vundesrat und Reichstag darüber zu bannen; „ganz abschaffen" freilich werde man den Zeugniszwang nicht können! Rören vom Zentrum und Himburg von den Konservativen sprachen kurz, jener den Interpellanten zustim- meud. dieser natürlich ablehnend. Sozialdemokratischer Redner war Heine, von dem man vielleicht eine leidenschaftliche Darstellung über Maßregelungen sozialdemokratischer Redakteure erwartete. Heine blieb aber sachlich und juristisch. Ein lebhaften Ton schlug der kleine, schwarzhaarige Pole Knlerski an, der sich alsbald einen Ordnungsruf Paasche's zuzog, weil er die preußischen Gerüchte poiitisch durchseucht nannte- Aus den Reihen der freisinnigen Parteien traten zwei parlamentarische Neulinge in die Arena, um für die Beseitigung des Zeugniszwanges zu plädieren. Dr. Ablach von der freisinnigen Volkspartei ging als Rechtsanwalt gründlich auf die juristische Seite der Frage ein und verlangte vor allem aus ethischen Gründen die Beseitigung des Zeugniszwanges. Sein Hinweis auf die hundertjährige Wiederkehr des Todestages des Buchhändlers Palm, der den Tod dem Verrate des Verfassers einer von Napoleon verfolgten Schrift vorgezogen habe, wurde von der Linken mit lebhaftem Beifall begrüßt Der kleine Herr von Gerlach, Nationalsozialer und Hospitant der freisinnigen -Vereinigung, sprach gewandt und sicher gegen den Zeugniszwang.
Am Montag kommt die Interpellation der Konservativen bezüglich der Kündigung der Tarifverträge zur Besprechung. Die Debatte darüber dürfte mehrere Tage beanspruchen, und
Ballesireitt wird immer besorgter, wie er den Etat fertig bringen will!
Verschiedenes.
Im Herzen unserer Bevölkerung wohnt ein lebhaftes Rechtsgesühl. Das ist ganz gut und schön. Daraus entspringt jedoch ein eigensinniges Festhalten an dem, was man für Recht hält. So kommt es, daß um ganz geringfügige Dinge unter Nachbarn oder Familienangehörigen unversöhnlich Prozesse angesangen werden. Das ist nicht schön. Man sollte kaum glauben wie leichtsinnig viele den Anlaß zu derartigen unseligen Prozessen er- greisen und mit welch' unglaublicher Zähigkeit sie den einmal begonnenen Prozeß weiterführen. „Ich will ja nichts weiter als mein Recht," sagt jede Partei. Jeder kleine oder große Verkauf und wer weiß was noch noch alles, gibt die Veranlassung dazu. Der im leichten Strohfeuer des Zornes angefachte Prozeß wird oft zur Flamme, welche Zufriedenheit, Glück, Wohlstand, ja die Ehre der Streitenden verzehrt, denn nichts wird leichter zur Saat von Haß, Lüge und Meineid, als das Prozessieren; die Prozesse schleichen sich wie die Pest in die Familien und werden zwischen Blutsverwandten leider häufig am allerbittersten geführt, während der mitunter wegen einer einfältigen Sache entstandene Streit bei guten Willen leicht beigelegt werden köunte. Durch Prozesse allein ist schon manches Haus und Hof verloren gegangen. Darum fange keiner leichtsinnig einen Prozeß an. Ein Vergleich der Streitenden auf gütlichem Wege ist selbst dann besser, wenn scheinbar den einen ein kleines Unrecht träfe. Der kleine Funke brennt weniger, als die einmal angefachte Flamme. Deralte Spruch : „Lieber etwas Unrecht gelitten als vor Gericht gestritten !" hat sich »och immer bewährt! Prozeßsucht ist ein Weg zur Armut.
Unvergohrener Traubensaft wurde als Abendmahlswein unlängst zum erstenmale in der St. Johanniskirche zu Flensburg bei der Abendmahlsfeier gereicht. In Flensburg ist bekanntlich eine kräftig sich ausbreitende Guttemplerbewegung.
Wenn auch der Guttemplerorden deck
Gebrauch des alkoholischen Weines denn Abendmahl keinerlei Vorschriften macht, so beweist die erwähnte Tatsache doch, daß man in den Reihen der Geistlichen bei der erfreulich wachsenden Kampfbewegung gegen Alkohol bereits Bedenken trägt, durch die Darreichung gegoh- renen Weines irgend einen Abendmahlsgast einem Gewissenszwange auszusetzen. Von Vertretern der Wissenschaft ist übrigens hervorgehoben worden, daß unter Umständen alkoholischer Abendmahlswein einem Alkoholkranken, der seine Gesundung lediglich seiner Enthaltsamkeit verdankt, sehr gefährlich werden kann.
Sei deinem Pferde ein Frenud.
Von Ernst Renck, Osi nbach a. M.
Das Roß zieht willig schwere Last,
Es reißen ihm die Muskeln fast.
Sieh, wie es schafft mit höchstem Fleiße,
Wie's keucht und dampft und trieft vom Schweiße;
Doch ist der Mensch oft ungerecht Und lohnt ihm seine Arbeit schlecht.
Kein freundlich Wörtlein er ihm schenket,
„Es ist ja nur ein Gaul," er denket-
Für treue Dienste ohne Dank,
Für harte Arbeit roher Zank,
Bei jedem Anlaß Peitschenhiebe.
Nur Hohn wird ihm, kein Fünkchen Liebe.
Für seine Leiden ohne Herz Bereitet ihm der Mensch nur Schmerz;
So geht's dem guten wackern Pferd,
Sein Los ist nicht beneidenswert!
Das Roß tut treulich seine Pflicht,
Weg mit der Peitsche schlag es nicht!
Laß ab mit Fluchen und mit Schelten,
Gott wird es dir sonst schwer vergelten!
Das Tier versteht ein gutes Wort,
Du kommst damit viel besser fort,
O, schütz' es allzeit vor Beschwerde,
Du sollst ein Freund sein deinem Pferde !
Reklameteil.
Der beste Brusttee ist und bleibt der „K n ö t e r i ch t h e e" ä 50 Pfg., zu haben bei Anton Heinen, Drogerie.
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Das C'nteikinv
Von G. Struder.
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„Und darf ich fragen, wohin die Reise geht?"
„Gewiß, Herr Graf. Ich gehe nach Rübenheim."
„Und wann werden Sie zurückkehren, Fräulein Winter?"
„Ich komme überhaupt nicht mehr zurück, denn ich stehe im Begriff, die Villa für immer zu verlassen."
„Aber das wird doch Ihr Ernst nicht sein!" rief der Graf betroffen aus, „und was hat denn so plötzlich einen solchen Entschluß in Ihnen hervorgerufen?"
„Das unerträgliche Benehmen des Herrn Thomas mir gegenüber hat mich hierzu gezwungen. Ter Abschied von der Villa ward mir nicht so leicht, aber mein Ehrgefühl erlaubte es mir nicht, noch länger auf derselben zu bleiben, und daher bin ich gegangen, ohne Wissen und selbst gegen den Willen Ihrer Cousine. Sie können es der Letzteren mitteilen, daß ich nicht mehr znrückkehre, und nun, Herr Graf, erübrigt mir nur noch. Ihnen, zum Abschiede meinen Tank dafür auszusprechen, daß Sie stets so freundlich gegen mich gewesen sind, und daß Sie mir noch vorhin so ritterlich gegen jenen Menschen beigestanden haben."
Die Stimme Irmas hatte bei den letzten Worten einen eigentümlich bewegten, vibrierenden Klang, der seinen Eindruck auf das weiche Gemüt des Grafen nicht verfehlte. Unwillkürlich n faßte er ihre Hand und sagte: ,
„Jetzt danken Sie mir für mein freundliches Benehmen, früher dagegen nahmen Sie meine Freundlichkeit stets so auf, als beleidigte Sie dieselbe, so daß ich mich mitunter schmerzlich fragte, ob Sie vielleicht eilte geheime Abneigung gegen mich hätten. Insofern eine solche Abneigung etwa in meiner Persönlichkeit begründet ist, so kann ich ja nichts Hierfür und brauche
j mir weiter keine Vorwürfe zu machen; trägt an
der ersteren dagegen etwa eine von mir getane Äeußerung die Schuld, so kann ich hier vor Ihnen mit ruhigem Gewissen beteuern, daß es mir niemals in den Sinn gekommen ist, absichtlich das zu sprechen oder auch nur zu denken, was Sie irgendwie hätte verletzen können."
„Ich habe auch durchaus keine Abneigung gegen Sie, Herr Graf," erwiderte Irma verlegen, indem sie ihm ihre Hand entzog. „Ich habe sogar . . . aber cs ist Zeit, daß ich meinen Weg weiter fortsctze. Denn es ist noch eine weite Strecke bis Rubenheim, und ich möchte nicht zu spät dort ankommen."
„So erlauben Sie mir, daß ich Sie noch ein Stückchen begleite, Fräulein Winter," ent- gegnete er, und als sie abwehrend mit dem Kopse schüttelte, fuhr er eifrig fort: „Aber! ich glaube doch, es liegt sogar in ihrem Interesse, daß Sie wenigstens den Weg durch den Wald nicht allein zurücklegen. Denn dieser Herr Thomas könnte Ihnen heimlich gefolgt sein, und es wäre Ihnen doch gewiß nicht angenehm, wenn Sie für den Fall, daß dieser Herr Ihnen seine Gesellschaft ausdrängen würde, keinen Beschützer zur Seile hätten."
„Daran hatte ich allerdings nichts gedacht," nieinte Jrnia, die unwillkürlich einen ängstlichen Blick um sich warf. „Aber was würde die Frau Baronin dazu sagen, wenn sie hört, daß Sie einer einfachen Gouvernante, oder, wie die erstere sich auszudrücken beliebt, einer Kindermagd das Geleit gegeben haben?"
„Was meine Cousine hierzu sagen wird oder würde, ist mir absolut gleichgültig," erwiderte Robert, der bereits an der Seite Irmas einherschritt. „Sie sind für mich nur das Fräulein Irma Winter, di hi eine mit allen äußeren und innerem Vorzügen im höchsten Grade ausgestattete junge Dame, die meine ganze Hochachtung und noch weit mehr als das besitzt, und wrnn ich einer solchen Dame das Geleite geben darf, so erblicke ich hierin eine Gunst
und eine Ehre, die für mich auch durch die
ärgsten Ausfälle meiner Cousine nicht im Geringsten an Wert verlieren könnten."
Irma, die zuerst lebhaft errötet war, wurde mit einem Male sehr ernst.
„Ich habe durchaus keine Veranlassung zu der Annahme, daß Ihre Worte nicht ehrlich und aufrichtig gemeint sein könnten," versetzte sie, „und eben deshalb halte ich es auch für meine Pflicht, Ihnen ebenso offenherzig auf dieselben zu antworten. Wir beide gehören zwei ganz verschiedenen Gesellschaftsklassen an, und zwar zwei so verschiedenen, als sie es überhaupt nur sein können. Denn Sie, Herr Graf, sind ein Edelmann, ich dagegen bin nur ein bürgerliches Mädchen aus dem dienenden Stande, und die Ihnen anerzogenen Ansichten über die gesellschaftliche Stellung eines solchen Mädchens auf die Dauer zu ändern, werden Sie niemals imstande sein. Zwischen uns beiden, Herr Graf, besteht eine tiefe und unübersteigliche Klüft> wenigstens für mich. Sie glauben dieselbe zwar leicht überspringen zu können, ich dagegen weiß es, daß Ihnen dies niemals vollständig gelingen würde, und weil ich dies weiß, und weil ich auch meinen Stolz besitze, der es nicht zulaffen würde, daß die temporäre Hochachtung vor der armen bürgerlichen Gouvernante sich dereinst in permanente Nichtachtung umwandelte, deshalb, Herr Graf, war ich stets und bin noch heute sorgfältig darauf bedacht, mich den Beweisen oder Beteuerungen Ihrer Hochachtung zu entziehen. Und wenn Sie einmal reiflich über meine heutigen Worte Nachdenken wollen, sv werden Sie mir zugeben müssen, daß ich mit denselben Recht gehabt habe." /
„Nie und nimmer werde ich dies zuaeben, wenigstens in meinem Falle > icht, Fräulein Winter," rief der Graf leidenschaftlich aus. „Denn das Gefühl, welches ich für Sie heae- ist stärker und andauernder, als die größt« Hochachtung es sein kann."
(Fortsetzung folgt.)
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