i
Amtsblatt
siii dir StM Wiiddad.
Erscheint TicuStags, Donnerstags^und Samstags.
Bestellpreis vierteljährlich 1 Ml. 10 Pfg. Bei allen würi- tembergischen Postanstalten und Boten im Orts- und Nachbarortsverkehr vierteljährlich 1 Mk. 1b Pfg.; außerhalb desselben 1 Mk. 20 Pfg.; hiezu IS Pfg. Bestellgeld.
Anzeigers
fiik WildliÄ imd Umgedinig.
Die Einrückungsgebühr
beträgt für die einspaltige Petitzeile oder deren Raum 8 Pfg.. auswärts 10 Pfg., Reklamezeile 20 Pfg. Anzeigen müssen den Tag zuvor aufgegeben werden; bei Wiederholungen entsprechender Rabatt.
selben 1 Mk. 20 Pfg.; hiezu IS Pfg. Bestellgeld. sprechender Rabatt.
Kiezu: Illustriertes SonntagsbLclLL und während der Senson Amtliche Iremdenl'iste.
' ^ ^ .... ^ _ I äl. Jahrgang.
Nr. 66 I
Tonnerstaq, den 3. Juni 1915
Die kommende russische Revolution.
„Aftonbladet" hat vo» seinem Petersburger Mitarbeiter folgenden Brief erhalten:
Die Stimmung in ganz Rußland und ganz besonders in Petersburg ist im Augenblick furchtbar gedrückt und die Nachrichten von der Ostfront sind durchaus nicht angetan, dieselbe zu verbessern. Man weiß in Rußland jetzt, daß in den Karpathen unerhörte Menschenopfer auf russischer Seite gebracht worden sind, um die österreichischen und die deutschen Truppen zu durchbrechen und in das reiche Ungarn einzudringen, und daß alle diese Opfer vergebens waren. Die Truppen sind nicht nur mutlos, sondern haben sich mehr wie einmal ungehorsam und aufrührerisch gezeigt. Nur durch Drohungen konnten in letzter Zeit die russischen Truppen zum Angriff gezwungen werden und immer wieder sind sie mit fürchterlichen Verlusten zurückgeschlagen worden. Das weiß man in Rußland.
Dazu kommt, daß an mehreren Stellen in Rußland ansteckende Krankheiten rasen. Allein in Petersburg liegen augenblicklich über 5000 Menschen an einer bösartigen Pockenkrankheit darnieder, und ihre Anzahl wächst mit jedem Tage. Die Fälle von Flecktyphus sind in Petersburg »och größer, wie die der Pocken. Wie groß dieselben sind, weiß überhaupt niemand. Hingegen soll die Cholera sich nicht weiter ausgebrertet haben. ^Aber i» Südrußland, besonders in den an Asien angrenzenden Gouvernements und besonders in Astrachan rast die Pest, und alle bisher getroffenen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung haben sich als fruchtlos erwiesen. Die Pest breitet sich langsam aber sicher nach Norden zu aus. Im Innern Rußlands fordert nebst anderen Epidemien hauptsächlich der Flecktyphus die meisten Opfer. In der Nähe der Stadt Homel hat man Baracken im Werte von drei Millionen Rubel ausgeführt, in die ein kleiner Teil der von Flecktyphus befallenen Soldaten gelegt wurden. In Petersburg und Moskau herrscht noch immer großer Mangel an Lebensmitteln und Kohle. In ganz Petersburg ist nicht mehr ein Pud Ochsenfleisch zu er
halten, und die ungeheuren Fleischhallen stehen so gut wie leer. Zu unerhört hohen Preisen kann man etwas Schweine- oder Kalbfleisch kaufen, aber das ist auch alles. Auch herrscht Mangel an Getreide und Brot und überhaupt sind alle Lebensmittel im Preise ungeheuer gestiegen. Dasselbe ist in Moskau der Fall, wo kürzlich eine ernstliche Revolte losbrach, in deren Verlauf der Generalgouverneur schwer verwundet wurde.
Dieser Lebensmittelmangel ist durch die gänzlich fehlende Organisation der staats- und städtischen Behörden entstanden. Kein Mensch denkt überhaupt daran, für das allgemeine Wohl zu sorgen, jeder denkt nur an sich und wie er sich am besten auf Kosten der Allgemeinheit bereichern kann. Die ärmeren Klassen befinden sich in einer fürchterlichen Not. Niemand zweifelt in Rußland länger, daß, wann auch der Krieg zu Ende sein wird, bei der Heimkehr der russischen Soldaten zu ihren verhungerten Frauen und Kindern unbedingt eine blutige Revolution ausbrechen wird. Die Explosion der Melinitfabrik m Petersburg, bei welcher Gelegenheit 500 Pud Melinit, die zum Füllen von Granaten und Schrapnells bestimmt waren, explodierten, und bei der 812 Arbeiter ihren Tod gesunden haben, wird von der russischen Polizei als eine Tat der Revolutionäre betrachtet, die hierdurch die Kriegführung stören wollten.
A r t egsncrch richten.
Großes Hauptquartier, 1. Juni. (WTB. Amtl.) Westlicher Kriegsschauplatz. Nach ihrer Niederlage von Neuville am 30. Mai versuchten die Franzosen weiter nördlich gestern einen neuen Durchbruchsversuch, der sich in einer Front- breite von 2Vü km gegen unsere Stellungen zwischen Straße Souchez-Bechune und Carency-Bach richtete, erbrach meist schon in unserem Feuer zusammen. Nur westlich Souchez kam es zum Nahkampfe, in dem wir Sieger blieben.
Im Priesterwalde gelang es unseren Truppen, die vorgestern verlorenen Grabenstücke größtenteils zurückzuerobern. Der Feind hatte wieder sehr erhebliche Verluste.
Auf den übrigen Frontabschnitten hatte unsere Artillerie erfreuliche Erfolge. Durch einen Volltreffer im franz. Lager südlich Mourmelon-Le-Grand rissen sich 3—400 Pferde los und stoben nach allen Seiten auseinander. Zahlreiche Fahrzeuge und Automobile eilten schleunigst davon. Nördlich St. Menehoult und nordöstlich Verdun flogen feindliche Munitionslager in die Luft.
Als Antwort auf die Bewerfung der offenen Stadt Ludwigshafen belegten wir heute nacht die Werften und Docks von London ausgiebig mit Bomben.
Feindliche Flieger bewarfen heute nacht Ostende, beschädigten einige Häuser, richteten aber sonst keinen Schaden an.
Deutlicher Kriegsschauplatz.
Bei Am boten, 51 km östlich Libau schlug deutsche Kavallerie das 4. russische Dragoner- Regiment in die Flucht.
In der Gegend von Szawle waren feindliche Angriffe erfolglos. Die Mai-Beute beträgt nördlich des Njemen 24700 Gefangene, 18 Geschütze und 47 Maschinengewehre; zwischen dem Njemen und der Piliza 8043 Gefangene, 11 Maschinengewehre und ein Flugzeug.
Südöstlicher Kriegsschauplatz.
Auf der Nordfront von Przemysl sind gestern die Forts 10a, 11a und 12, bei und westlich Dunkowczki gelegen, mit 1408 Mann von dem Rest der Besatzung und einer Bestückung von 2 Panzern, 18 schweren und S leichten Geschützen durch bayerische Truppen mit stürmender Hand genommen worden. Die Russen suchten das Verhängnis durch Massenangriffe gegen unsere Stellungen östlich Jaroslaw abzuwenden, ihre Anstrengungen blieben erfolglos. Ungeheure Mengen Gefallener bedeckten dasSchlacht- seld vor unserer Front. Von der Armee des Generals v. Linsingen haben die ErobererdesZwinin starke Truppen Ostpreußen und Pommern unter Führung des bayr. Generals Grafen Bothmer den stark befestigten Ort Stryi gestürmt und die russischen Stellungen bei und nördlich dieser Stadt durch»
l
Der Fliegry.
2> Novelle von Friedrich Roesgrr.
Nach dem Essen gingen Theo v. Rottammer, seine Mutter und Schwester in den kleinen Garte», °er sich um das Häuschen zog. Es war herrlich Heutes Im Garten grünte und blühte alles und °>e Sonne lachte aus dem heitersten Himmel Herder auf all das Erdenglück. Theo erzählte von seiner Ausbildung, von den Flügen, plauderte über seine Kameraden, über Willibald und seinen Schwager. Als die Köchin den Kaffee austrug, Zahlte sie ganz erschreckt, daß der Briefträger N eben anvertraut habe, die Sachen im Süden Rinden sehr schlecht und man könne stündlich einen ^u>ch erwarten. — Also deshalb das Telegramm! mau v. Rottammer erhob sich und ging nach- Ech ein Stück durch den Garten. Als sie wieder an den Kaffeetisch trat, fragte sie Theo A und ruhig: „Theo, war das Telegramm mach von einem deiner Kameraden?" Die Ant- Mt war kurz und klar: „Mutter, die Pflicht ruft . ch,ffch bin bereit und muß heut abend mit i ^ Schnellzug nach D . . . zurückreiseu. Du »in,.deshalb nicht zu ängstigen, es ist ^ für jeden eine Kugel gegossen."
^ war sehr still zwischen ihnen geworden. o ließ es sich gut schinecken und schwieg, die 'wer und die Schwester aber wechselten heim
liche Blicke, in denen sich ihre ganze große Sorge wiederspiegelte. Gleich nach dem Essen erhob sich Theo und machte sich reisefertig. Der Abschied von seiner Schwester war nicht so schwer; sie war an das Abschiednehmen gewöhnt, denn ihr Mann war schon zum zweitenmale an der Front, und ihren Bruder hatte sie ja auch schon zweimal an den Bahnhof begleitet. Theo wollte nicht an die Bahn gebracht sein, und darin hatten die beiden auch nachgegeben. „Geh' mit Gott, mein Bub", das waren die letzten Worte, welche Theo hörte. Sie waren alle beide tapfer gewesen, keine eine Träne vergossen. Das Gartentor schlug hinter ihm zu. Er wandte sich noch unzähligemale um, und winkte nach dem kleinen Erker, in welchem seine Mutter und Irmgard standen; es war schwer, aber wie gern ging er ja für sein Vaterland. Er sollte also einer der ersten sein, die an die Front gerufen würden. Er war stolz und mit Recht.
Um 11 Uhr traf er in D . . . ein und reiste bereits am nächsten Morgen weiter. Was war alles in den letzten Slunden geschehen. Beförderung zum Unteroffizier, an die Front, der Abschied. ... Ec vermochte es nicht zu fassen, es war zu viel für ihn. Er war ja nie ein Phantast oder Träumer gewesen, aber dennoch liebte er von seiner Jugend her, sich Pläne zu schmieden, über sein zukünftiges Geschick.
Am Abend des nächsten Tages erreichte er sein Ziel und meldete sich sofort.
„. . . Vielleicht schon heute nacht, hier nehmen Sie die Karten mit und studieren Sie dieselben ein wenig, damit Sie mit der Gegend vertraut werden, alles übrige wird Ihnen der Feldwebel Luzius sagen. Guten Tag."
„Danke gehorsamst, Herr Oberleutnant", er- wiederte Theo und verließ das Zimmer.
Feldwebel Luzius führte ihn zuerst zu dem Schuppen, in dem sein Apparat stand, mit dem er aufsteigen sollte. Alsdann wollte er Theo sein Zimmer anweisen, doch damit hatte der Feldwebel kein Glück, sein Zimmer sah er noch zeitig genug. Er ging deshalb unverzüglich daran, den gesamten Apparat genau zu prüfen, die Spanndrähte, die Tragflächen, die Motore, die Steuerungen, kurz, jede Kleinigkeit. Als er sich genügend überzeugt hatte, daß alles in bester Ordnung sei, bat er um die Erlaub»is, zu einem Probeflug aufsteigen zu dürfen. Das Resultat war voll und befriedigend. Nun lernte Theo sein Zimmer immer noch zeitig genug kennen. Er richtete sich sofort behaglich ein und schrieb dann an seine Mutter und Irmgard; ja, das durfte er nie vergessen. Diese Nacht tonnte er nur schwer einschlafen. Immer und immer wieder hörte er die Worte in seinen Ohren wider- halleu: „Vielleicht schon heute nacht I" Doch die weite Reise und die Arbeit am späten Abend hatten ihn zu müde gemacht, er schlief bald ein und träumte von fernem ersten Flug,seinerMutter, seinerSchwester und von seinem eigenen Glück. (Fortsetz, folgt.)