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Hirzu: Illustriertes Sonnlagsblatt und während der Saison: Amtliche Fremdenlisty.
Nr. 95
Samstag, den 9. August 1913
49. Jahrgang.
Pik Elkigmffk a«f dm KM«.
Am Donnerstag ist in Bukarest tatsächlich der Friede unterzeichnet worden, und zwar seitens aller vier Balkanstaaten. Bulgarien m ußte Frieden schließen und hat aus der Not eine Tugend gemacht, wenn auch mit der Faust im Sack, denn eine Reihe wichtiger Punkte fällt den Verbündeten zu, wie Kavalla, das Griechenland erhält, Uebri- gens haben Oesterreich und Rußland sich die Revision des Friedensvertrages Vorbehalten. — Für die europäische Diplomatie setzt jetzt eine Periode eifriger Arbeit ein. Besonders Oesterreich wird und muß nun seinen ganzen Einfluß geltend machen, daß Bulgarien nicht zu sehr gedemütigt wird durch völlige Verdrängung aus Zentralmazedonien.
Die in dem Friedensprotokoll festgesetzte Grenze zwischen Bulgarien und Griechenland beginnt am Gipfel des Belaschitzagebirges zwischen Strumitza und Doiran, läuft den Kamm des Gebirges entlang bis Mrükleri, weiter bis Topolmitza, geht über den Strumafluß nach Kalesi und zum Dorf Lootscha, von dort südwärts bis zum Dorf Peritza, nordöstlich zum Gipfel Karakowa, nördlich nach Avlikadak, südlich zum Gipfel Lajindschal nach Karowo, dann südlich zum Gipfel Tschigla, weiter zur Eisenbahnstation Oktschilar und über das Mesta- land zum Meer.— Die serbisch-bulgarische Grenze beginnt an der Westecke des Belaschitza- Gebirges auf der Wasserscheide zwischen Strumitza und Wardar und zieht bis zur jetzigen Südgrenze Bulgariens. — Ein Blick auf eine gute Landkarte zeigt, daß Serbien und Griechenland einen schönen Gebietszuwachs erhalten und nicht umsonst gekämpft haben. Der Türke aber wird aller Wahrscheinlichkeit nach den Londoner Friedensvertrag respektieren und aus dem so leicht „wiedereroberten" Adrianopel wieder weichen müssen. Die Mächte haben energische Schritte in diesem Sinne durch ihre Botschafter getan.
Die Demobilisierung der Armeen wird nun rasch vor sich gehen; angeordnet ist sie bereits. Tausende und Abertausende aber sehen die Heimat nicht wieder, sie liegen in den zahllosen Massengräbern aufeinandergeschichtet bis zum großen Appell vor dem obersten Herrn aller Heerscharen. Welcher Jammer für die tausende von Frauen und Kindern, wenn der so heiß ersehnte Gatte, Vater, Bruder oder Bräutigam sich nicht unter den nach so blutiger Arbeit dieser beiden männermordenden Kriege zu den Ihrigen Zurückkehrenden befindet l Wieviele Tausende liegen noch in den Spitälern ohne richtige Pflege und kommen erst viel später heim als
Krüppel oder mit einer schleichenden Krankheit behaftet! Das ist die Kehrseite der Medaille!
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Bukarest, 7. August. Die gesamte Presse feiert den Friedensschluß und hebt die bedeutungsvolle Rolle hervor, die Rumänien bei der Beendigung der Balkankrise gespielt hat. Die Blätter drücken die Hoffnung aus, daß der Friede von Bukarest nicht das Schicksal des Vertrages von San Stefano haben werde. — Mit dem heutigen Tage ist die Demobilisation der rumänischen Armee angeordnet worden. Die Entlassung der in der Landwirtschaft beschäftigten Soldaten soll mit Rücksicht aus die Erntearbeiten raschestens erfolgen. Die krankheitsverdächtigen Truppenteile werden an der Donau einer Quarantäne unterworfen.
Bukarest, 8. August. Die Friedenskonferenz hat gestern nachmittag ihre zweite Sitzung abgehalten. Die griechischen und bulgarischen Delegierten gaben die schriftliche Erkärung ab, daß sie in Betreff der Grenzfragen vollkommen einig seien. Die gleiche Erklärung wurde von den serbischen und den bulgarischen Bevollmächtigten abgegeben. Die nächste Sitzung findet heute nachmittag 4 Uhr statt.
Petersburg, 8. Aug. „Nowoje Wremja" und „Rjetsch" besprechen den Bukarester Friedens- vcrtrag und insbesondere die Uebergabe Kavallas an Griechenland sehr ungünstig und beschweren sich in bitteren Ausdrücken darüber, daß Rußland von seinem französischen Verbündeten im Stich gelassen worden sei.
Sofia, 8. August. Die Regierung hat gestern den Vertretern der Mächte eine Note übermittett, worin sie zur Kenntnis bringt, daß sie ihren Vertretern in Bukarest die nötigen Instruktionen erteilt habe, die Friedenspräliminarien zu unterzeichnen, und beschlossen habe, sofort nach Unterzeichnung des Friedensvertrages an die Abrüstung der Armee zu schreiten. Dieser Entschluß sei der tiefen Ueber- zeugung entsprungen, daß die Mächte die Respektierung des unter ihrer Mitwirkung zustande gekommenen Londoner Vertrages durch die Türkei durchzusetzen wüßten und geneigt sein würden, zu allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu greifen, um einem Einfall seitens der Türkei vorzubeugen.
Belgrad, 8. Aug. In hiesigen informierten Kreisen wird behauptet, der Friedensvertrag sehe u. a. eine überaus wichtige Abmachung über die künftige Integrität der Balkanstaaten vor. Man glaubt an den Abschluß eines Schutz- und Trutz
bündnisses, das alle Balkanverbündeten verpflichtet, gegen jeden von ihnen gemeinsam vorzugehen, der einen von ihnen angreift.
Konstantinopel, 7. August. Die Botschafter der 6 Mächte besuchten heute den Groß- vesir einzeln und überreichten ihm eine Verbalnote bezüglich der Frage von Adriauopel, in der die Türkei aufgefordert wird, den Vertrag von London einzuhalten.
Aus Württemberg.
Stuttgart, 8. August. Der Hauptgewinn von 15000 Mark der Lautlinger Kirchenbaulotterie fiel einem pensionierten Bahnwärter aus Rottweil zu.
Stuttgart, 8. August. Aus München kommt die Nachricht, daß dort heute, 7. August, Prof. Dr. F. C. Huber im Alter von 62 Jahren gestorben ist. In Württemberg gedenkt man dankbar der vielfachen Verdienste, die sich der Verstorbene um das Handels- und Gewerbeleben des Landes erworben hat. Vom Jahre 187S bis zum 1. Mai 1908 war Huber Sekretär der Stuttgarter Handelskammer. Lange Jahre war er gleichzeitig als Dozent an der technischen Hochschule hier tätig. Bei der Handelskammer hat er eine außerordentlich große Zahl wichtiger Referate erstattet, die den ganzen Kreis der Aufgaben einer Handelskammer betrafen.
Tuttlingen, 7. August. Gestern mittag entlud sich ein heftiges Gewitter über der Gemeinde Neuhausen. Der Blitz schlug in die Scheune und das Oekonomiegebäude des Landwirts Brodmann. Die Scheune und das Wohnhaus standen sofort in Flammen. Beide Gebäude wurden in Asche gelegt. Fast gleichzeitig fuhr ein Blitz in das Dekanat zu Wurmlingen, aber ohne zu zünden. Ein Schornstein wurde in Stücke gerissen.
Nürtingen, 7. Aug. Gestern abend ist der 16 Jahre alte Seminarist August Roth aus Ehingen aus dem Fenster des Seminargebäudes 3 Stock tief in den Hof herabgestürzt. Er wurde so schwer verletzt, daß er bald darauf starb. — Der ca. 45 Jahre alte, verheiratete Bierbrauer Gottlob Haderer, Germaniawirt von Oberensingen, ist heute vormittag kurz nach 9 Uhr in den Aufzug des Sonnenbierkellers geraten und hat so schwere Verletzungen erlitten, daß er gleich darauf tot war. Er hinterläßt eine Frau und zwei Kinder.
Dischingen, OA. Neresheim, 7. Aug. Bei einem gestern nachmittag hier niedergegangenen Gewitter traf der Blitz den auf dem Felde arbeitenden, 56 Jahre alten Hirschwirt Böhm
Fern von der Welt.
Roman von L. Haid he im.
(54. Fortsetzung). (Nachdruck verboten.)
Betroffen trat Claas einen Schritt zurück. Daß sie so aus sich herausging und ihn direkt anklagte, das hatte er nie gedacht. Schon öffnete er die Lippen, da fiel ihm etwas Klügeres ein, etwas Wirksameres.
Tief und ernst blickte er ihr in die Augen — wie ein Mensch, der reden, anklagen möchte und könnte, und der, von einem höheren Gefühl geleitet, dann doch schweigt.
Schweigend ging er neben ihr her. Sie sah, er setzte mehrmals zum Reden an, aber er brachte kein Wort über die Lippen.
Dann scklug er sich plötzlich mit der Faust auf die Brust wie in rasender Leidenschaft.
„Ich kann — ich darf nicht sprechen! Glauben Sie, was immer Sie Schlimmes von mir denken, ich muß es tragen! Es gibt Lagen, in denen man eher stirbt als spricht, Fräulein Alice."
„Großer Gott! Sie glauben — Sie glauben ernstlich, daß —"
Alice wurde plötzlich ganz bleich.
„Kein Wort weiter — ich flehe Sie an! Sie haben mich vom ersten Augenblick an grausam verkannt I Ich mußte es dulden. Ich mußte ertragen, daß Sie in mir, der ich selbst genug habe — nein, nein — kein Wort! Sie wissen auch ohne das, was Sie von mir Schlimmes dachten! Und — ja — ja, ich bekenne, Alice, daß Sie — Sie — mich erst gelehrt, was Liebe ist! Daß —"
„Nein, nein! Nicht weiter! Kein Wort mehr! Adieu, Herr Gerdena — verzeihen Sie mir -" Claas Gerdena sah der Forteilenden nach, die wie gehetzt dahinflog.
„Verspielt! Abgeblitzt I" murmelte er wütend in sich hinein. „Ich war ein Esel, ich ging zu rasch vor I Aber nur Geduld, das Gift wird schon wirken l Und gesagt habe ich nichts, nichts Positives, woraus sie einen Strick für mich drehen könnte. Sie hat wahrhaftig den Wilm heimlich angebetet. Abreisen, ohne ihr Lebewohl zu sagen, das ist schon ein harter Brocken — und dann heule — na, gesagt habe ich nichts!"
Ueber die letzten Worte immer noch nachgrübelnd und vor sich hinmurmelnd, schritt Claas Gerdena weiter. Er war mit sich im ganzen recht zufrieden, nur bedauerte er, zu rasch vorgegangen zu sein.
Alice von Groothusen verbrachte eine schlimme, schlaflose Nacht.
Was war es, was Claas nicht sagen wollte? War es möglich, daß gegen Wilm Gerdena Dinge Vorlagen, die Claas wußte, aller um keinen Preis verraten wollte? Konnte sie es leugnen, daß Claas ihr noch nie so ehrenwert und brav geschienen, wie bei dieser Zurückhaltung? Aber Wilm? Wilm? Und wenn sie sich bisher in Claas geirrt, konnte sie sich nicht am Ende in Wilm täuschen?
Gesagt hatte Claas kein Wort gegen Wilm — keine Silbe — und doch — er mußte böse Dinae von Wilm wissen.
Arme Alice! Ihr Kopf brannte wie im Fieber. Welche Qual! Wie unendlich langsam die Stunden dahinschlichen. Sie hörte jeden Schlag, jedes Ticktack der großen Hausuhr. Sonst war es totenstill — höchstens, daß im Stalle ab und zu eins der Pferde stampfte. Jetzt wurde es schon lichter im Osten; sie stand auf und trat ans Fenster.