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Nr. 238.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

84. Jahrgang.

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Montag, den 13. Oktober 1919.

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NkmmllM «der de» IkiedknsncrtW.

Versailles, 12. Okt. Bei Erörterung des Friedensvertrags im französischen Senat nannte Ministerpräsident Cleinenceau den Vertrag unvollkommen. Die Vertreter Frankreichs auf der Friedenskonferenz hätten keine Wunder wirken können. Der­artige Ereignisse könnten nicht durch beschriebene Aktenbogen, die man einfach unterzeichnet, beendet werden und man dürfe, nachdem man sie vollbracht habe, nicht einfach schlafen gehen. Die Friedenskonferenzen in Haag Hütten sich ausgedehnt und als eine Folge des Krieges zu einem Völkerbund ausgewachsen. Der Völkerbund sei aus dem Kriege heraus geboren worden. Ten Krieg der Deutschen habe Frankreich seit einem halben Jahrhundert erwartet (!). Die Franzose» seien einig in zwei Gedanken gewesen: einmal darin, diesen Krieg niemals zu provozieren und andererseits hätten sie die Ueberzeugung ge­habt, daß. wenn der Krieg komme, sie alle Lasten ertragen müßten. Aus diesen Gedanken heraus sei die Allianz mit Rußland entstanden. Clemenceau besprach sodann das Ver­hältnis Frankreichs zu England und fuhr fort, die Welt sei groß genung, um Frankreich Platz zu lassen. Wilhelm ll. habe gesagt, die Zukunft Deutschlands liege auf dem Wasser, heute liege seine Zukunft unter dem Wasser. England habe sich erst nach dem Einfall in Belgien zum Eingreifen entschlossen. (Weis glaubt!) Es habe nur an Antwerpen gedacht. Heute wisse es aber auch, daß es an Calais denken müsse. Die Aufgabe sei gewesen, den deutschen Militarismus niederzuschlagen. Was die deutsche Einheit betreffe, so sei er gewiß kein Anhänger davon, aber wenn man sich erinnern wolle, habe die Kommission, die die Vollmachten der Deutschen geprüft habe, die Frage a'ttgeworsen, ob Bayern nicht den Friedensvertrag mitzeichnen m isse. Die alliierten Rechtslehrer hätten einstimmig geant­wortet, daß die Unterschrift des Herrn Ebert das ganze Deut- H'>e<Reich verpflichte. Die Niederlage habe die deutsche Ein­heit naturnotwendig stärken müssen. Die durch den Vertrag geschaffene Lage werde sich in einer Weise entwickeln, die nicht nur von den Deutschen, sondern auch von den Franzosen ab- h nge. Frankreich wolle die Deutschen nicht beherrschen. Die Franzosen wollten frei sein, um zu bcrfreien, die Deutschen aber flüchteten sich, um zu knechten. Die Freiheit liege nicht in dem Protokoll der Diplomatie, sondern in den Herzen der Menschen. Es gebe 160 Millionen Menschen, denen man sich anpassen müsse. Es liege nicht in der Absicht Frankreichs, in das Herz der Deutschen einzudringen. Was die Frage der Ent­waffnung Deutschlands anbetreffe, so müsse er zugestehen, daß zwischen fünf Millionen Soldaten und 100 060 ein Unter­schied sei. Man habe die Militärpflicht gegen die Vorschläge der militärischen Sachverständigen beseitigt. Man habe die ganze schwere Artillerie verboten und die leichte Artillerie von llW Stück auf 288 herabgesetzt. Warum hat man Deutschland diese verboten und die Festungen im Osten gelassen? Weil Deutschland ein Interesse daran hat, sich zu verteidigen und weil Frankreich kein Interesse daran hat, ein bolschewistisches Deutschland zu sehen. Er müsse zugestehen, daß er die Men­talität des Deutschen nicbt verstehe. In seinem Heim sei er ein liebenswürdiger Mensch mit anerkennenswerten Gefühlen, ober es gebe Unterhaltungen, die man mit ihnen nicht pflegen könne. Die Sozialdemokraten seien Alliierte der Militaristen Partei und regierten Deutschland. Er wisse nicht, ob die Mili­taristen sich nicht sozialisieren würden. Clemenceau fragte: Glauben Sie, daß die Zukunft des deutschen Regimes ebenso sichcrgestellt ist, wie das unsrige? Es vollzögen sich in der deutschen Armee Revolutionen, deren Tragweite -man nicht voraussehen könne, aber was er wisse, sei, daß dieser Staat in der jetzigen Weise nicht lange bestehen werde. Krisen seien un­vermeidlich. Wenn man ihn frage. welches die Politik Frank­reichs gegenüber Deutschland sei. so antworte er, zuerst müsse der Friedensvertrag ausgeführt werden. Das sei der Prüf­stein. Er befürchte heute die wirtschaftliche Domination mehr o's die militärische. Wenn man für die Zukunft einen nütz- k ch:n Ausgleich haben wolle, dann müsse man die französische rberhn,schaft sicherstellen. Aber damit Deutschland bezahlen Msso es arbeiten. Man dürfe niemals vergessen, daß rr sich um ein intelligentes, ordnungsliebendes und methodi- b":dele. Auch die Frage der Verantwortlichkeit müsse gelöst werden. Das werde in Deutschland Tatsachen Kotigen, die man nicht kenne. Frankreich ab-r könne die wider­wärtigen Verbrechen, die man gegen es begangen habe, amnestieren, Präsident Wilson, der nicht deutschfreundlich sei, habe gehofft, daß die Deutschen in den Völkerbund cintreten konnten. Wenn diese Frage zur Debatte stehe, werde man sie befragen, was sie über das Manifest der 93 Intellektuellen denken. Mit dem Haß löse man nichts. Was die Wiedergut­machungen betreffe, so habe man einen festen Preis sestlegen wollen. Der sei aber so niedrig gewesen, daß ihn die französi­schen Parlamente nicht angenommen hätten. Was die mili­tärische Sicherheit Frankreichs betreffe, so sei der Rhein auf dem linken Ufer neutralisiert und auch auf 50 Kilometer auf

dem rechten Ufer. Was die ständige Besetzung der Rheinlande mit den Brückenköpfen betreffe, so habe er sich dazu nur ver­stehen können, wenn er nichts anderes hätte erreichen können. Er habe darauf verzichtet, sobald er die englische und die ameri­kanische Allianz gehabt habe. Was den Völkerbund unbetreffe, so sehe er Mitglieder des Völkerbunds, die sich gegenseitig mit der Pistole in der Hand betrachteten. Damit der Völkerbund leben könne, müsse man Menschen haben, die fähig seien, ihm das Leben zu ermöglichen. Man suche nach einer Formel, die das Glück der Menschheit machen könne/aber bevor man andere reformieren wolle, müsse man sich selbst reformieren. Die Schaffung des internationalen Arbeiterparlaments sei ein großes Werk, aber es frage sich nur, wie es funktionieren werde.

Zum Schluß forderte Clemenceau die Franzosen auf, einig zu bleiben. Frankreich müsse viele Kinder haben. Ohne diese da könne man in einen Vertrag hineinschreiben, was man wolle sei Frankreich verloren. Augustus habe die Römer gezwungen, eine starke Familie zu haben. Es sei ihm nicht ge­lungen und man wisse, wie Rom geendet habe. Tlemenceau schloß: Unsere Väter haben uns die schönste Geschichte hinter­lassen. Wir haben Frankreich für die Achtung der Völker reif gemacht. Dieses Legat wollen wir unseren Kindern über­mitteln. Sie werden zu gut sein, um es zu degenerieren. Clemenceau erntete starken Beifall und es wurde beschlossen, seine Rede im ganzen Lande anschlagen zu lassen.

Anffnrdernnq der Erneute a» Deutschland z«r Mitinirwnn bei der BlMde gegen die rnMen Bolschewisten.

Berlin, 11 . Okt. Der deutschen Regierung ist durch die Waffen­stillstandskommission folgende Note überreicht worden: Auf Befehl des Oberstkommandicrendcn der alliierten Armeen habe ich die Ehre, Ihnen zur Weiterleitung an die deutsche Negierung folgende Mit­teilung der Friedenskonferenz zugehcn zu lassen: 1 . Der Präsident der Friedenskonferenz ist durch die Konferenz beauftragt worden, die neutralen Regierungen von den durch den Hohen Rat der alliierten und assoziierten Mächte betreffend den auf das bolschewistische Ruß­land auszuübenden Druck gefaßten Beschlüsse in Kenntnis zu setzen. Die deutsche Regierung wird gebeten, Maßnahmen zu ergreifen, die den in § 2 näher bezeichncten entsprechen. 2. Die gegen alle Re­gierungen gerichteten ausgesprochenen Feindseligkeiten der Bolsche­wik! und das durch sie verbreitete Programm einer internationalen Revolution bilden eine große Gefahr für die nationale Sicherheit aller Menschen. Jedes Anwachsen der Widerstandsfähigkeit der Bol­schewisten vergrößert diese Gefahr, und es wäre im Gegenteil wün­schenswert, daß alle Völker, die den Frieden und die gesetzliche Ord­nung wieder herzustellen suchen, sich vereinigen, um sie zu bekämpfen In diesem Sinne haben die alliierten und assoziierten Mächte bei Aufhebung der Blockade gegen Deutschland ihren Staatsangehörigen nicht erlaubt, die Handelsbeziehungen mit dem bolschewistischen Ruß­land wieder aufzunchmcn. Diese Beziehungen können in der Tat nur durch Vermittelung der Oberhäupter der bolschewistischen Regierung statthaben, die nach Belieben über die ihnen durch die Handelsfreiheit gelieferten Produkte und Quellen verfügen. Sie werden dadurch eine beträchtliche Kraftvermehrung schöpfen und auf diese Weise die durch sie auf das russische Volk auSgeübte Tyrannei steigern. Unter diesen Umständen haben die alliierten und assoziierten Mächte di« Regie­rungen Schwedens, Norwegens. Dänemarks, Hollands, Finnlands, Spaniens, der Schweiz, Mexikos, Chiles, Argentiniens und Colum­biens gebeten, im Einvernehmen mit ihnen sowohl die nachbezeich- neten Maßnahmen ergreifen zu wollen und ihre Staatsangehörigen zu verhindern, mit dem bolschewistischen Rußland irgend welchen Handel zu treiben und versichern zu wollen, daß sie diese Politik streng durchführen werden: 3 ) Jedem nach einem russischen Hafen zu den Bolschewisten fahrenden Schiff ist jede Ausfuhrerlaubnis und jedem von einem dieser Häfen kommenden Schiff die Einfuhrerlaub­nis zu verweigern, b) Es werden ähnliche Maßnahmen für alle Waren ergriffen, die auf irgend einem anderen Wege nach dem bolschewistischen Rußland befördert zu werden bestimmt find, c) ^edsr nach dem bolschewistischen Rußland gehenden oder von dort kommenden Person werden die Pässe verweigert, ausgenommen in Einzelfällen im EiMernehmcn mit den alliierten und assoziierten Mächten, d) Es werden Anstalten getroffen, um die Banken zu ver­hindern, mit dem bolschewistischen Rußland Geschäftsverhandlungen zu pflegen, e) Jede Regierung verweigert ihren Staatsangehörigen jede Erleichterung der Verbindung mit dem bolschewistischen Ruß­land, sei es durch die Post oder auch durch drahtlose Telegraphie. Der Oberstkommandierende fügt hinzu: Teilen Sie der deutschen Regierung mit, daß die englischen und französischen Kriegsschiffe im Finnländischen Golf fortsahren werden, die Bolschewistischen Häfen

zu blockieren und die nach bolschewistischen Häfen fahrenden Schiffe anzuhalten, sobald sie dieselben auf ihrem Wege in Sicht erblicken werden.

Znr linkere« Lage.

Eine unverschämte Ententenote bezüglich der Räumung des Baltikums.

Berlin, 12. Okt. In dev^RäumunMrage ^ Baltikum hat die Entente der deutschen Regierung eine Note überreicht, in der es u. a. heißt: Die Alliierten billigen die Zweckmäßigkeit der von der deut­schen Regierung eingeleiteten Maßnahmen. Nachdem aber die An­ordnungen so lange aufgeschoben worden sind, daß die deutsche Re­gierung jetzt behaupten kann, sie sei tatsächlich nicht in der Lage, ihre Anordnungen durchzusetzen, ist es schwierig, nicht anzunehmen, daß deren Verzögerung nicht beabsichtigt wurde, um die Verhältnisse her­beizuführen, welche die deutsche Regierung jetzt zu bedauern vor­gibt. Warum wurde General Graf v. d. Goltz, nachdem er erst vor einigen Tagen nach Berlin berufen worden war, absichtlich auf das Operationsgebiet zurückgeschickt? Offenbar doch nur, uin mit Hilfe der Autorität seiner offiziellen Stellung eine Organisation durchzuführen, die heute der deutschen Regierung gestattet, zu be­haupten, daß die Truppen bis heute unbotmäßig gewesen sind. Hat General v. d. Goltz seinen Instruktionen entgegengehandelt? Wenn das der Fall war, warum ist er nicht wegen seiner Insubordi­nation bestraft worden? Sofern die deutsche Regierung auf diese Fragen nicht genügendere Erklärungen als bisher liefert, können die Alliierten nicht glauben, daß die deutsche Regierung ihren Ver­sicherungen gemäß alles getan hat, was in ihrer Macht stand, um alle deutschen Truppen aus den baltischen Staaten zurückzuziehen. Im Hinblick auf diese Lage halten die Alliierten das Prinzip der vollen Verantwortung der deutsche« Regierung in der Ausführung des Abtransportes aufrecht und wünschen, die in ihrem Telegramm vom 27. September angekündigten Maßregeln in vollem Umfange aufrecht erhalten zu sehen, wenn der Abtransport nicht endlich unter­nommen und mit wünschenswerter Eile durchgeführt werden wird. Immerhin nebmcn die Alliierten den Vorschlag der deutschen Re­gierung an, alliierte Vertreter zu entsenden, um von den Maßregeln Kenntnis zu nehmen, die von ihr getroffen find, und di« Bedingun­gen des Abtransportes zu prüfen. Erst wenn der Vorsitzende dieser Kommission dem Obersten Rat mitgeteilt haben wird, daß die Maß­regeln des Abtransportes normal durchgeführt werden, können die durch das Telegramm vom 27. September vorgesehenen Maßregeln aufgehoben werden, (gez.) Marschall Fach.

Unruhen in der Pfalz.

Mannheim» 13. Okt. DiePfalz-Zentrale" meldet: Bet den Kundgebungen in Kaiserslautern am 8 . und 9. Oktober iusolge der Verhaftung von fünf Arbeitervertretern sind französische Offizier« und Soldaten verprügelt und eia Offizier schwer verwundet worden. Französische Truppen schossen darauf i» die Menge. Det 19jährige Arbeiter Philipp Felder wurde durch einen Backenschutz gelötet. , Sechs andere Perjonen, darunter gänzlich unbeteiligte Frauen, wurden mcbr oder minder schwer verletzt, wovon einige durch Bajonettstiche.

Die Agenee Havas zur Lage in Saarbrücken.

Paris, 13. Okt. Agenee Havas meldet aus Mainz: General Legoutte ist hier eingetroffen. General Mangin wird heute abreisen. Im Saargebiet ist eine fühlbare Entspannung eingetreten. Die Eisenbahner haben die Arbeit wieder ausgenommen, ebenso die mei­sten Gruben und die Metallarbeiter. In Saarbrücken herrscht Ruhe. Vereinte Banden haben versucht, in der Umgebung von Saarbrücken Unruhen hervorzurufen, wurden aber schnell auSetnandergetrieben. Die vorgenommenen Verhaftungen haben klar gezeigt, daß diese seit mehreren Wochen erwartete Bewegung das Werk berufsmäßiger Hetzer ist, die gerade in dem Augenblick ans Werk gingen, als die Ratifikation des Friedensvertrags der Landeshoheit Preußens ein Ende machen sollte. Natürlich sind esberufsmäßige" Hetzer, die sich gegen die französischen Uebergriffe und Gewalttaten wehren.

Bevorstehende Ratifikation des Friedensvertrags.

Versailles, 13. Okt. DaSJournal" meldet unter dem 12. Ok­tober: Präsident Poincare wird jedenfalls heute oder morgen die Ratifizierungsurkunde zeichnen. Die Veröffentlichung durch das Journal officiel" wird sofort erfolgen. Wenn der Senat den Kam­merbeschlüssen zustimmt, wird der Zeitpunkt der Veröffentlichung deS Gesetzes über die Ratifizierung als das Ende der Feindseligkeiten an­gesehen werden. Hierauf müssen die Alliierten Deutschland benach­richtigen, daß drei gegnerische Großmächte den Frieden ratifiziert haben und dann müssen Vertreter dieser drei Großmächte mit Der-

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