- Aus London wird der „Inf." geschrieben In der City kam vor einigen Tagen zwischen den Angestellten eines großen Bankhauses eine leichtsinnige Wette zum Austrag, die beinahe von sehr tragischen Folgen begleitet gewesen wäre. Als der Chef um die Mittagszeit, das Geschäft verließ, wollten die jüngeren Angestellten erproben, wer von ihnen es am längsten iu dem geschlossenen Geldschrank aushalten könnte. Die Wette wurde auch bald zum Austrag gebracht und der jüngste Stift begab sich in den riesigen Geldschrank, dessen schwere Tür von seinen Kollegen zugeschlagen wurde, nachdem vorher die Geschäftsbücher herausgenommen worden waren. Jeder mußte solange im Geld- sckrank drinbleiben, bis er durch Klopfen an der Tür zu erkennen gab, daß er keine Luft mehr bekomme und herausgelassen zu werden wünschte. Mehrere der Angestellten hatten schon die Probe gemacht und sestgestellt, daß man nur wenige Minuten in einem verschlossenen Geldschrank bleiben könne. Als nun der erste Buchhalter im Geldschrank eingeschlossen worden war, merkten die anderen, daß der Buchhalter die Schlüssel des Geldschranks im Versehen mit sich genommen hatte. Der Eingeschlossene hämmerte und schrie, aber es konnte keiner Hilfe bringen, da der Schlüssel nicht vorhanden war. Endlich, als die Rufe des Eingeschlossenen verstummt waren, kam der Chef zurück, der ein zweites Paar Geldschrankschlüssel besaß. Jetzt konnte der Geldschrank geöffnet werden. Der Eingeschlossene war aber schon durch den Mangel an Sauerstoff ohnmächtig geworden und konnte erst nach langer Zeit durch die Bemühungen von Aerzten ins Leben gerufen werden.
Reims, l8. April. In Epernay und Umgebung herrschte am Sonntag Ruhe. Nach einer vorläufigen Aufstellung des bisher angerichteten Schadens beträgt dieser mindestens 20 Mill. Aus einer Umfrage bei mehreren Fabrikanten und Besitzern von Champagnerhäusern in Epernay über die Plünderung und die Auffassung der Lage bei den Produzenten, sowie über deren künftige Pläne geht hervor, daß die Stimmung in diesen Kreisen sehr pessimistisch ist. So wurde im Haus Bissinger, das bereits eine Niederlassung in Metz besitzt, erklärt, daß es das ganze Schwergewicht seines Unternehmens nach Deutschland verlegen werde, wo zum Teil auch die Fabrikation'erfolgen soll. Die Firma Ayala u. Cie. hat eine ähnliche Entscheidung getroffen und wird mit mehreren andern Firmen der Gegend die Produktion und ihre Lager möglichst ins Ausland verlegen. Die Verhaftungen dauern fort. Gegen 100 Winzer, die an den Plünderungen und Brandstiftungen teilgenommen haben, sitzen hinter Schloß und Riegel.
— Die Generaldirektion des italienischen statistischen Amts veröffentlicht einen Bericht über die Erdbebenkatastrophe in Messina, in welchem sie die Zahl der Todesopfer nach den Akten und genauesten' Feststellungen auf 370000 angibt. ?
Lokales
s) Wildbad, 22. April. Wohl Mancher hätte Viel dafür gegeben, hätte er Reisebegleiter Sr. Kaiser!. Hoheit Kronprinz Friedrich sein dürfen, j nur um all die Sehenswürdigkeiten der Welt mit anzuschauen und Auge und Herz daran zu ergötzen. Weil dies eben nicht möglich war, so mußte man aus Mittel und Wege sinnen, die es Jedermann ermöglichten, diese Reise mitzumachen. Dieses Mittel ist der Kino. Der Kinematograf Union führt uns morgen den I. Teil der Kronprinzenreise vor Augen. Die Aufnahmen wurden mit Genehmigung des Hofmarschallamts von Herrn Prof. Dr. Widenmann, einem amtlichen Reisebegleiter, gemacht. Aber auch andere spannende S tücke kommen zur Vorführung, wie z. B. das großartige biblische Drama „Esther", oder „Durch drathlose Telegrafie gerettet", ein Drama aus dem Leben. Auch humoristische Stücke, in denen Naucke eine Hauptrolle spielt, kommen zur Vorführung. Im Ganzen ist das Programm ein großartiges und feindurchdachtes zu nennen, das dem Besitzer, Hrn. I. Krimmel alle Ehre macht.
Unterhaltendes
Der Fall Welshofen.
Kriminalroman von M. Kossak.
(Forts.) (Nachdruck verboten)
„Doch, nach hinten stieß das Badezimmer daran, doch auch dessen Tür war von innen verschlossen und ebenfals hat der Schlüssel darin gesteckt."
„Ja, wozu muß denn überhaupt in der Nacht, in welcher der Graf vergiftet wurde, der Mörder im Zimmer gewesen sein? bemerkte jemand, der sich bisher nicht an dem Gespräch beteiligt hatte. „Man zwingt doch nicht einen Menschen, den man vergiften will, gewaltsam, das Gift zu trinken.
Sicher hat irgend einer, der die Gewohnheiten deS' Grafen kennt, ihm statt irgend eines unschuldigen Schlafpulvers, das er gewöhnlich zu nehmen pflegte, ein Morphiumpulver hingelegt und der Graf hat es sich dann, nichts ahnend, selbst ins Wasser geschüttet. So denke ich mir wenigstens die Sache", schloß der Sprecher bedächtig.
„Ob nicht am Ende der Diener der Täter ist? fragte einer aus dem Kreise.
„Es scheint nicht so, denn er ist nicht verhaftef. Daher hat man doch wohl keinen Verdacht ans ihn geworfen."
Es wurde noch hin und her geredet. Niemand achtete auf den feinen jungen Herrn, der unter den Arbeitern saß, in den Speisen, die er sich hatte geben lassen, herumstocherte, ohne mehr als ein paar Bissen zu genießen, dagegen von dem bestellten Wein mehrere Gläser hastig hinunterstürzte. Dann bezahlte er und ging mit der steifen Haltung jemandes, der sich gewaltsam Haltung zu geben versucht, aus dem Lokal.
„Jnfama canaglia!" knirschte er zwischen den Zähnen.
Draußen griff er sich an den Halskragen und zerrte daran, als ob er ihm zu eng wäre. Die Gebärde sah aber aus, als ob er einen anderen würgte. Und wieder murmelte er, indem die ganze, dem Südländer angeborene Leidenschaftlichkeit und Rachsucht in seinen Augen glühte, sein „infama canaglia!"
3. Kapttel.
Die hübsche blonde Frida hatte wenig Freude an ihrem Leben seit dem Abend, an dem sie mit ihrem Verlobten den Grafen Welshofen beobachtet, während er vor den Kaiserhallen auf die schöne Anita Brusio wartete. Wie es erklärlich war, hatte sie mit Felix über die Mordtat zu sprechen versucht, doch hatte er das Thema rasch abgebrochen.
„Was geht uns der Welshofen an?" äußerte er unwirsch.
„Nein, der Graf geht uns nichts an", meinte sie kleinlaut, „aber die Anita. Nun der Graf tot ist, kann er sie doch nicht heiraten."
„Er zukte ungeduldig die Achseln und wandte sich ab.
Um Fridas Mund zuckte es bitter. Wozu das Schicksal ihr doch all' die Schwere auferlegt hatte I Sie liebte ihren Felix so grenzenlos und hatte gehofft, daß mit Anitas Vermählung eine ewige Scheidewand zwischen ihr und Felix aufgerichtet werden würde und nun war Anita wieder frei und jeder durfte um sie werben, der Lust dazu hatte! Daß Felix die Italienerin aber immer noch liebte, deuchte ihr sicher. Sie war ja auch viel schöner als sie, deren Reiz, wie sie in ihrem bescheidenen Sinn meinte, hauptsächlich nur in ihrer Jugendfrische bestand. Und die Anita behexte alle Männer, gleichviel ob sie jung oder alt, vornehm oder zornig waren.
Traurig trat sie von Felix fort, um sich in ihrem bescheidenen Ankleidezimmerchen, das sie in den „Kaiserhallen" mit Louison teilte, zum Fortgehen anzuziehen, denn die Vorstellung neigte sich ihrem Schluß zu und da sie nicht mehr aufzutreten brauchte, wollte sie sich, ohne auf der Freundin Begleitung zu warten, sofort nach Hause begeben. Das Herz war ihr zu schwer, als daß sie Lust gehabt hätte, mit jemandem zu plaudern. Als sie dann aber im Jackett und mit dem dunklen Teller- mützchen auf dem Kopf herauskam, fand sie zu ihrer freudigen Verwunderung ihren dunkellockigen Schatz ihrer harrend.
„Willst du mich nach Hause geleiten?" fragte sie zaghaft, denn sie hatte auf seine Begleitung gar nicht mehr zu hoffen gewagt.
„Aber natürlich", entgegnete er. „Ich bringe dich doch stets nach Hause, wenn ich nicht anderweitig verhindert bin." Dabei zog er ihren Arm durch den seinen und drückte ihn leise.
Frida schwoll das Herz vor Freude, „Felix" — hauschte sie — „hast du mich lieb?"
„Aber das weißt du doch, Kleinchen," gab er zärtlich zur Antwort. „Niemand als dich."
„Aber die Anita?"
Sonst war er immer mutwillig aufgefahren, wenn sie die Italienerin erwähnte, heute aber entgegnete er weich, wenn auch mit tiefem Ernst *in der Stimme: „Du brauchst nie mehr auf die Anita eifersüchtig zu sein, Liebling — nie mehr, hörst du? Die Anita ist tot für mich oder vielmehr —" er brach ab und Frida glaubte eine halb unterdrückte Verwünschung zu vernehmen.
Eng aneinandergeschmiegt gingen sie durch die stillen Straßen. Jeder, dem sie begegneten, sah ihnen lächelnd nach, denn niemand konnte verkennen, daß das ein Liebespärchen war. Von Zeit zu Zeit drückte Felix zärtlich Fridas Arm.
„Armer Liebling!" meinte er einmal leise.
Warum arm. Felix, da ich dich doch habe? Besseres kann die Welt mir doch nicht geben, als dich."
„Denn du bist ja für mich die ganze Welt!" rezitierte er mit ein wenig spöttischer Betonung. „Das kommt nämlich im Sommernachtstraum vor, den ein gewisser Shakespeare geschrieben hat."
„Ach, Felix, wie klug du bist!" seufzte das blonde Kind, mit einem fast erfurchtsvollen Blick der Bewunderung zu ihm aufsehend. „Ich denke oft, daß du mich nur deshalb nicht so recht lieben kannst, weil ich zu dumm für dich bin."
„Aber, Kind, was willst du nur —" gab er unwillig zurück — „ich liebe dich doch — ich liebe dich, glaub' mir's nur. Und was das bißchen anbetrifft, was ich mehr gelernt habe, als du — damit macht man keine Frau glücklich. Du hättest besser wählen können, Kind."
„Warum denn aber nur, Felix? Ich kenne keinen Fehler an dir." Es war mit soviel Ueber- zeugung gesagt, daß er lächeln mußte.
„Du kennst mich ja im Grunde gar nicht, Kleinchen."
„Ich dich nicht kennen Felix?" fragte sie mit aufrichtiger Verwunderung.
„Gewiß, Kind, was weißt du von dem, was
in mir steckt und was-Ach Kind —"
brach er plötzlich in leidenschaftliche Klage aus. „Könnt, ich zwei, ach nur zwei Jahre noch einmal leben oder hätte ich damals, als ich dich kennen lernte, schon so gefühlt und gedacht, wie ich heute fühle und denke, dann, ja dann würde ich eine glückliche Frau aus dir machen, aber so —"
„Ja, inwiefern hast du dich denn verändert, Felix" forschte sie ängstlich.
„Mein Baby merkt es nicht! Gott erhalte dem Kinde seine Unschuld!" Er lächelte trübe. „Laß' gut sein, Liebchen, und zermartre dir nicht deinen hübschen Kopf, um zu verstehen, was ich dir sagte Man redet eben manchmal so allerhand dummes Zeug, was einem durch den Kopf geht."
Sie waren vor Fridas Haustür angekommen und sie drückte auf den Knopf der elektrischen Glocke. In Wien ist es nicht üblich, daß jemand als Mieter eines Hauses einen Hausschlüssel erhält, man klingelt vielmehr abends und der Hausmeister oder die Hausmeisterin öffnen und erhalten dafür jedesmal 20 Heller. Dies „Sperrgeld" beträgt einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen. Während die Mieter dann nach ihrer Wohnung gehen, entnehmen sie einer auf dem Treppenpfosten stehenden Schachtel ein Wachslichtlein, das der Hausmeister ihnen nach Zahlung des Sperrgeldes gratis liefert, entzünden es an einer daneben befindlichen Kerze und leuchten sich damit nach ihrem Heim.
Währevd die beiden jungen Leute auf den Hausmeister warteten, zog Felix seinen Schatz in seine Arme und küßte heiß die jungen roten Lippen.
„Wrrst du immer an mich glauben, Liebling?" fragte er leiste.
„Immer, Felix."
„Was man mir auch über mich sagen möge?"
„Was man dir auch über dich sagen möge. Aber warum fragst du nur, Felix? Was hast du? Du bist so seltsam."
„Aber nichts, Kind. Ich sagte dir ja schon, daß einem manchmal allerhand durch den Kopf geht. Vergiß meine Reden und schlaf' und träume süß."
Von drinnen näherten sich schlürfende Schritte, ein alter, weißhaariger Mann kam aus dem Hintergebäude heraus und schloß die Tür auf. Felix trat grüßend zurück und Frida suchte mit ihrem brennenden Wachslichtlein, das sie vorsichtig in der Hand trug, ihr und Louisons Zimmer auf.
Sie vergaß aber doch nicht, wie er es gewünscht hatte, die wunderlich dunkeln Reden ihres .Verlobten. Halb ausgekleidet saß sie auf ihrem Bett und grübelte, grübelte. Die ganze Geschichte ihrer jungen Liebe zog an ihrem geistigen Auge vorbei und vielleicht zum erstenmal fand sie manches Fremdartige darin.
Frida Sasse war die Tochter eines kleinen Buchhalters aus Berlin, der seinem Kinde Unterricht im Geigenspiel und Gesang hatte erteilen lassen, da sachverständige Personen ihn auf die musikalische Begabung des Mädchens aufmerksam gemacht und gemeint hatten, daß sich auf dieselbe wohl ihre Zukunft gründen lasse. Daß Frida dereinst ihre Kunst auf einer Varietebühne zum besten geben würde, ahnte dazumal wohl niemand, ihre Eltern dachten vielmehr, daß sie die Tochter zur Musiklehrerin ausbilden lassen wollten. Erst als ihr Vater ziemlich unerwartet an einem Lungenleiden starb, das der schwächliche Mann sich durch das gebückte Sitzen in den engen, lustlosen Kontorräumen zugezogen, und seine ewig sorgenvolle gedrückte Gattin, die diesen Schlag nicht zu überwinden vermochte, ihm wenige Wochen später nach- folgtc, trat an Frida die bare Not des Lebens und damit die Frage, was nun werden solle, heran.
. Fortsetzung folgt.