Nr. 202.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
94. Jahrgang.
Erscheinungsweise: 6 mal rvöchentl. Anzeigenpreis: Diekleinspaltige Zelle MPfg.»
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Montag den 1. September ISIS.
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der KneMsWcie«.
An die Angehörigen von Kriegsgefangenen.
Georg Heuncfarth, gebürtig von Breitenberg, gefangen seit 7. Juli I"47. befindet sich als Kriegsgefangener in Pattishall Towcester in England. Von ihm liegt uns ein Brief vom 9. August '1919 an seine Mutter und Geschwister in»Breitcnberg vor, worin es heißt; „Ich bitte Euch dringend, dasselbe zu tun wie die Angehörigen meiner Kameraden, und folgende Bitte deutscher Kriegsgefangenen an die Redaktion der nächsten Zeitung
-mit der Bitte um umgehende Veröffentlichung an möglichst
sichtbarer Stelle zu übersenden: Deutsche Kriegsgefangene haben aus der geringen Menge der ihnen seit Friedensuntcrzeichnung gesandten Prst und deren Inhalt gesehen, daß ihre Angehörigen auf Grund irgind welcher Information die falsche Meinung haben, daß die Heimkehr der Gefangenen in Kürze erfolgt und weitere Postsendungen zwecklos sind. Die Kriegsgefangenen ersuchen deshalb die deutsche Regierung, umgehend dcnl deutschen Volke alle Informationen zu veröffentlichen, die sie über das voraussichtliche Datum des Beginnes der Heimbe- förderung der Gefangenen zur Verfügung hat."
Die Kriegsgefangcnenfürsorge Stuttgart, Alte Akademie, teilt mit. daß neuerdings wieder eine beschränkte Anzahl Lebensmittel- Mte für unsere in Frankreich und Belgien befindlichen Gefangenen *n Bern zur Verfügung stehen. Bestellungen hierauf können von im Stadtbezirk Stuttgart wohnenden Personen bei der vorgenannten Stelle, bei der auch nähere Auskunft über Inhalt und Preis der beiden in Frage kommenden Paket-Typen zu erhalten ist, gemacht werden. Bestellungen von Orten außerhalb Stuttgarts können dagegen nur durch Vermittlung des Bezirksvertreters des Roten Kreuzes im zuständigen Oberamt erfolgen.
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Die Entente verlangt Gegenleistungen.
Versailles, 31. August. „Petit Journal" schreibt, man glaube in politischen Kreisen, daß von den Alliierten in dem Augenblick, in dem sie den Fricdensvertrag hinsichtlich der Bestimmungen über die deutschen Kriegesgefangenen für gültig erklärt hätten, wahrscheinlich eine Gegenleistung von Deutschland erwartet werde, nämlich daß Deutschland sofort Oberschlesien räume. Im übrigen glauben die Blätter, der vorzeitige Abtransport der Kriegsgefangenen sei auf englischen Einfluß zurückzuführen. Nach der Pariser Ausgabe des »Newyork Herold" sollen Amerika und England beschlossen haben, im Laufe der nächsten oder übernächsten Woche täglich 2000 deutsche Kriegsgefangene abzutransportieren. Augenblicklich befänden sich 48000 deutsche Kriegsgefangene unter amerikanischer Bewachung. Das Blatt sagt wörtlich, die französische Regierung wolle die unter ihrer Bewachung befindlichen Gefangenen zurückbehalt-n bis der Friedensvertrag ratifiziert sei.
Beschönigungsversuche.
Berlin, 1. Septbr. Dem „Berliner Lokalanzeiger" wird aus Amsterdam gemeldet: Der erste Transport von 1000 Kriegsgefangenen hat gestern Frankreich verlassen. Das ist die höchste Zahl, für die die deutsche Negierung Vorbereitungen zu treffen vermochte. Die Entente ist in der Lage, täglich 3000 Mann abzusenden und kann die Transporte bis 6000 Mann steigern, falls die deutschen Behörden chie notwendigen Eisenbahnwagen zur Verfügung stellen. Die Heimsendung der Kriegsgefangenen aus Großbritannien hängt von dem Seetransport ab. den Deutschland nach dem Friedensvertrag zu stellen gezwungen ist. Sabelln Deutschland genügend Schiffe zur Per sügung stellt, kann der Transport beginnen — Jetzt auf einnial sollen Lransportschwierigkeiten vorliegen. Man muß sagen, die Ententeregie ist einzigartig.
ZU Wmn LAS.
Alliierte Kriegsschiffe in deutschen Häsen.
Berlin, 31. August. Die alliierte Marinekommission (Panac) hat kürzlich die Auffassung vertreten, Kriegsschiffe der Alliierten könnten ohne vorherige Anmeldung die deutschen Häfen anlausen. Die deutsche Regierung hat dieser Auftastung, die in den Waffenstillstandsbedingungen keine Stühe findet und eine empfindliche Einschränkung der deutschen Hoheitsrechte bedeutet, widersprochen und gebeten, das Anlaufen deutscher Häfen auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Die wegen des Anlaufens deutscher Häfen zur Durchführung der Waftenstillstandsbedingungen mit den Alliierten getroffenen Vereinbarungen, wonach die mit dieser Aufgabe betrauten
Kriegsschiffe 24 Stunden vorher anzumelden sind, dürsten allen berechtigten Interessen der Alliierten Rechnung tragen.
Berlin, 31. August. Die alliierte Waffenstillstandskommisston hat auf den Einspruch der deutschen Marinewasienstillstandskommisston gegen die Fahrten des französischen Kreuzers „La Marseillaise" erwidert, daß der Protest zur Kenntnis der französischen Regiemng gebracht werde.
Dauernde polnische Ueberfälle
an der oberschlesischen Grenze.
Breslau, 1. Sept. Das Generalkommando des 6. Armeekorps meldet: Eine starke feindliche Bande griff am 30. August Klein- Gorschütz an, das vorübergehend geräumt wurde. Beim Eintreffen von Verstärkungen zog sich der Feind über die Grenze zurück. In der Gegend Golkowitz fand mit Banden ein heftiger Zusammenstoß statt. Ein bewaffneter Ueberfall auf eine Feldwache in der Gegend östlich Beuthen wurde abgewiesen. Bei der Waffendurchsuchung^in Kobelwitz wurde ein Pole, der auf unsere Truppen schoß, getötet.
Die Deutschen in Westungarn.
Wien, 31. August. Die Blätter meiden aus Wiener Neustadt, daß in Deutsch-Westungarn die Drangsalierungen der Personen, die als Anhänger des Anschlusses an Deutsch-Oesterreich bekannt sind, oder nur.dicses Gedankens verdächtigt werden, seitens der Magyaren fortdaucrn. Wie die Parlamentarische Korrespondenz meldet, begab sich der Chef der englischen Mission in Wien, Oberst Cnnningham, im Automobil nach Westungarn, um sich durch eigenen Äugendem über die dort herrschenden Verhältnisse zu informieren.
Der Kuhhandel um Fiume.
Berlin, 1. Sept. Einer Amsterdamer Meldung des „Berliner Lokalanzeigers" zufolge verhandelte Tittoni gestern in Deauville mit Lloyd George. Fiume soll danach an Italien fallen und das Hinterland an den Völkerbund verpachtet werden
Die Bulgaren und der Friedensvertrag.
Berlin, 1. Sept. Die bulgarische Friedensdelegation überreichte gestern dem Obersten Rat der Alliierten ein umfangreiches Memorandum über die Kricgsursachen D> S M ^.andum kommt z« dem Ergebnis, daß Bulgarien für den Krieg nicht verantwortlich sei und daß man ihm infolge besten auch keine Strafe auserlegen dürfe.
Besetzung Bulgariens durch die Alliierten.
Versailles, 30. August. Nach einer Meldung aus Sofia hat. der französische General Franchel d'Espernay beschlossen. Bulgarien durch französische Truppen bis zur Ratifizierung des Friedeusvertrages besetzen zu lassen. In Sofia. Barna und Scknmla sei der Belagerungszustand proklamiert worden
Die Rumänen merken auch etwas.
Bern, 30. August. Das rumänische Pressebüro erhebt gegen die Amerikaner den Vorwurf, daß die Standart Oil Cy, die in Zürich befindlichen, also Gemeingut der Alliierten bildenden Micn von rumänischen Pctroleumindustriegesellschasten auflaufe.
Die Kämpfe in Rußland.
Amsterdam, 30. August. Einer von englischen Blättern gebrachten Reutermeldung zufolge hat General Denikin den Knotenpunkt Dakamakh genommen. Der Kavallenefübrer Mamewow schlug die Sovjettruppcn bei Makarowa und zog in Tambow, dem Haupt- Hepot der bolschewistischen Südfront ein, wo er 13 000 Gefangene machte Nach einer Verteilung der von den Bolschewisten ange- häuften Lebensmittel räumte General Mamentow Tambow wieder und ging kämvfend gegen Koslow vor. Das Reutersche Bureau meldet aus Omsk, daß eine ftan-öststbc Flieg.-rabteiiung in Krasnojarsk (Sibirien) enigetroi cn ist um mit den Truppen K lischaks zusammen zu wirken. „Wircleß Preß" meldet aus Moskau, daß die Bolschewisten ein Manifest in chinesischer Sprache gedruckt haben, das in China und Zentralasien verbreitet werden soll Die Bolschewisten erklären, daß sie auf alle Vorrechte in China verzichten, und fordern die chinesische Regierung auf. sofort amtliche Beziehungen mit Sovjetrußland anzuknüpfen, und Vertreter zu entsenden, die mit den vordringendcn Sovjetb"eren in Fühlung treten sollen.
Das amerikanische Interesse an Sibirien.
Amsterdam, 1. Septbr Das Pressebüro Radio meldet aus Washington, daß der Kriegssekretär Baker darauf bestehe, dost die amerikanischen Truppen in ^ ''-en belasten werden
Die englischen »Befreier"
in de« türkischen Provinzen.
Amsterdam, 30. August. Die englischen Blätter melden, daß in der Gegend von Amadia, 55 Mellen von Mossul und Samara (?)
schwere Kämpfe zwischen britischen Truppen und Kurden stattgc- funden haben.
Der Schah von Persien unter englischer Kuratel.
Versailles, 30. August. Nach einem Telegramm aus Konstantinopel wird der Schah von Persien die Stadt in diesen Tagen verlassen. Er begibt sich alsdann auf einem englischen Dampfer nach Europa und wird als ständiger Begleiter einen englischen *Ost',ier haben. »
Die Gegner Wilsons im Senat.
Amsterdam, 1. Septbr Wie das Pressebüro Radio aus Washington meldet, ist das Programm für die Voriragsrcise des Präsidenten Wilion veröffentlicht worden Der Präsid-nt lüürt Montag, den 1. September, von Waslungton. ab und kebrt am 30. September zurück. Wilsons Gegner im Senat haben zwei Entschließungen eingebracht, in denen erklärt wird, daß der Senat dafür halte, daß der Präsident in Washington "bleibe und sich seinen Pflichten in Bezug auf Arbeitsschwierigkeiten, die Herabsetzung der hoben Lebensunter- haltskosten widmen solle. Bei der Einbringung dieser Ent'chlie' oq wurden einige Rufe laut: Ihr fürchtet wohl, daß der Präsident dem Lande die Wahrheit über den Widerstand der Revubiü ner gegen den Völkerbund sagt? — Der Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat weitere Abänderungsanträge der Senatoren Johnson, Moses und Fall angenommen. Wie bisher, so wurden auch diese Anträge mit 9 gegen 8 Stimmen angenommen Me Eumver stimmte mit den Demokraten gegen alle Abänderungsanträge. Der einzige Abänderungsantrag. über den noch abgestimmt werden muß. ist ein von Senator Fall eingebrachter, in dem die vollständige Streichung des Artikels 13 des Friedensvertrags gefordert wird. — „Newyork Times" und „Newyork World" verurteilen die Rede des Senators Knox im Senat. „Newyork Sun" stimmt ihr zu und schreibt, die Rede Knox zeigte, was über die noch ungeborenen Geschlechter kommen könne, wenn man die grausamen Härten des Friedensvertrags bestehen lasse. Das Blatt tritt dafür ein, daß die Vereinigten Staaten den Friedcnsvertrag ablehnen und erklären, daß der Frie- dcnszustand bestehe.
Wertvolle Dokumente.
Die 14 Punkte Wilsons
ein amerikanischer Bluff.
Amsterdam, 30. August. „Manchester Guardian" gibt einen ausführlichen Bericht aus der „Newyork World" über das am 6. August von dem Senatsausschuß für auswärtige Angelcgcu,, ton vorgenommene Kreuzverhör des Staatssekretärs Lanfing über die 14 Punkte, die Schantung-Regelung und das Verfahren gegen den vormaligen deutschen Kaiser sowie über den Vertrag zwischen England, Frankreich und den Vereinigten Staaten wieder. Lansing erklärte bezüglich des Verfahrens gegen den Kaiser, die amerikanischen Kommisstonsmitglieder die sich mit dieser Frage zu befassen gcbabt hätten, seien ausnahmslos der Ansicht gewesen, daß ein gesetzliches Verfahren nicht möglich sei. Auf die Frage des Senators Borah, ob kein Verfahren stattfinden werde, sagte Lansing lächelnd, das habe er nicht gesagt. Auf die Frage des Senators Johnson, ob während der Verhandlungen in Paris die 14 Punkte des Präsidenten Wilson zur Sprache gekommen seien, erwiderte Lansing. das glaube er nicht. Senator Johnson fragte dann, ob es sich je darum gehandelt Hab«, daß auf den 14 Punkten bestanden werden müsse. Lansing erwiderte: Nicht daß ich mich erinnere. Lansing erklärte außerdem auf Befragen, seiner Ansicht nach hätte man Japans Unterschrift unter den Völkerbundsvertrag auch ohne die Entscheidung bezüglich Schantungs> bekommen. — Daß Wilson niemals daran gedacht Kat, seine' sog. Grundsätze zu verwirklichen, das hat von Anfang an ieder politisch Geschulte gewußt,
Elemeneeau erwartet den Untergang
des deutschen Volkes.
Paris, 1, Sept, Das Organ Clemcnceaus, der „Homme Libre", beschäftigt sich in seinem heutigen Leitartikel mit der Kammcrdebatte über bie Ratifizierung des Friedensoerlrags. Wenn die Kammer die Verhandlungen geführt hätte, würde sie auf der Friedenskonferenz auf Widerstand gestoßen sein und es wäre auch ihr nichts anderes übrig geblieben, als ein Kompromiß zu schließen. Nur ein kranker Geist könne glauben, daß, solange die Alliierten eine starke Armee am Rhein unterhielten. Deutschland militärisch etwas gegen Frankreich unternehmen könne. Wenn die 15 Jayre Besetzung vorüber seien, bilde man sich dann etwa ein, daß Deutschland noch jem werde wie es vor 1914 gewesen sei? Was seine Einwohnerzahl, seine wirtschaftliche, finanzielle und jedenfalls politische Rolle betreffe, so werde das zukünftige Reich ganz sicher eine Welt von dem Deutsch»