^Nach dem, was vorgefallen war, mußte er sich darauf gefaßt machen, von Äsung wegen seines Benehmens eine Rüge oder Warnung zu erhalten. Die Botschaft traf auch wirk- lich ein, aber sie kam auf eine ihm völlig un- erwartete Weise. Ais er am nächsten Morgen erwachte, fand er auf der Bettdecke gerade über seiner Brust einen kleinen viereckigen Zettel angesteckt, auf welchem mit großen deutlichen Buchstaben die Worte standen: „Neunundzwanzig Tage sind dir zur Sühne gewährt, und dann-"
Jede Drohung wäre weniger furchtbar gewesen als der beängstigende Gedankenstrich. John Ferrier zerbrach sich vergebens den Kopf, wie der Zettel in sein Zimmer gekommen sein könne, denn das Gesinde schlief in einem Nebenbau und er hatte mit eigener Hand alle Fenster und Türen wohl verwahrt und verschlossen. Er vernichtete das Papier und sagte seiner Tochter nichts von dem Vorfall, aber ihn schauderte doch, wenn er daran dachte. Die neunundzwanzig Tage waren offenbar der Rest des Monats, den Brigham Dornig ihm zugesagt hatte. Was vermochten aller Mut und alle Kraft gegen einen Feind auszurichten, der so geheimnisvolle Hilfsmittel besaß? Die Hand, welche jenen Zettel befestigte, hätte ihn ebenso gut ins Herz treffen können und kein Mensch wurde jemals erfahren haben, wer ihn erschlagen.
Am folgenden Morgen wurde er noch heftiger erschüttert. Sie saßen zusammen beim Frühstück, als Lucy plötzlich eine« Schrei der Ueberraschung auSstieß und nach oben blickte, Mittenj auf der Zimmerdecke stand in schwarzer Schrift die Zahl 28. Seine Tochter wußte nicht, was das zu bedeuten habe und er klärte sie nicht auf. Die folgende Nacht hindurch saß Ferrier mit der geladenen Flinte da und hielt Wache. Alles blieb still, er vernahm keinen Laut, aber am nächsten Morgen fand er die Zahl 27 aui seiner Haustür ungeschrieben.
So verging ein Tag nach dem andern und jeder neue Morgen brachte ihm Kunde, daß seine unsichtbaren Feinde ihre Rechnung weiter führten. An irgend einer Stelle die ihm ins Auge fallen mußte, halten sie die Anzahl der Tage verzeichnet, die ihm noch von der Gnadenfrist übrig blieb. Bald tauchten die verhängnisvollen Nummern an den Wänden auf bald auf dem Fußboden, manchmal standen sie auf kleinen Anschlagzetteln, die an dem Gartentor oder den Gitterstäden befestigt waren. Trotz aller Wachsamkeit konnte Ferrier nicht entdecken, woher diese täglichen Mahnzeichen kamen und er empfand ein fast abergläubisches Grauen, so oft er eine neue Zahl gewahrte. Er kam sich vor wie ein ge- hctzies Wild, eine verzehrende Unruhe ergriff ihn und wer in seinem Auge zu lesen verstand, konnte sehen, welche Qualen er litt. Nur der Gedanke, daß der junge Jäger jetzt bald aus Nevada eintreffen müsse, hielt ihn noch aufrecht.
AuS 20 war 15, aus 15 war 10 geworden, aber noch traf keine Nachricht von dem fernen Freunde ein. Immer kleiner ward die Zahl der noch übrigen Tage und Jefferson ließ sich nicht blicken. Vernahm man einen Hufschlag, oder kam ein Fukrmann des Weges gefahren, so eilte der alte Farmer an das Tor, weil er glaubte, daß die ersehnte Hilfe da sei. Erst als auf die 5 die 4 folgte und aus dieser eine 3 wurde, sank ihm der Mut, und er gab jede Hoffnung verloren.
Wenig vertraut mit Weg und Steg in den Gebirgen, welche die Ansiedlung umgaben, konnte er, auf sich allein angewiesen, die Rettung nicht ins Werk setzen; alle bekannten Pfade wurden aufs strengste bewacht, und jeder Wanderer, der sich darauf betreten ließ, mußte einen Passierschein des Hohen Rats vorweisen können. Wohin sich also Ferner wenden mochte, nirgends bot sich ihm die Mög- lichkeit, dem Verhängnis zu entfliehen, das ihn bedrohte; dennoch schwankte der alte Mann keinen Augenblick in seinem Entschluß, lieber das Leben zu verlieren, als seine Tochter Mer Verbindung preiszugeben.
Er war in schweren Sorgen abends allein
aufgeblieben und sann vergebens nach, ob denn kein Entrinnen mehr möglich sii. Am Morgen war die Zahl 2 auf der Hauswand erschienen und mit dem nächsten Tage ging die festgesetzte Frist zu Ende. Was würde dann geschehen? — Seine Einbildungskraft war geschäftig, sich alle erdenklichen Schrecken auS- zumalen. Und was sollte aus seiner Tochter werden, wenn er ihr nicht mehr zur Seite stand? — Er sah sich rings von einem unsichtbaren Netz umgeben, das sich immer dichter zusammenzog. Von dem Gefühl seiner Ohnmacht überwältigt, brach er in schmerzliches Schluchzen aus und das Haupt sank ihm auf die Brust.
Aber was war das? — Durch die Stille der Nacht kam plötzlich ein leiser, schnarrender Ton deutlich zu ihm herüber. Er schien von der Haustür zu kommen. Ferrier schlich ge- räuschlos durch den Gang und horchte scharf hinaus. Einige Augenblicke vergingen, dann ließ sich der seltsame, schwache Laut wieder vernehmen. Es klopfte jemand mit großer Behutsamkeit an der Tür. War es ein nächtlicher Abgesandter des heimlichen Gerichts, der gekommen war, um dessen Mordbefehl auszuführen, oder sollte ihm noch besonders angekündigt werden, daß der letzte Tag herannahe? Dre furchtbare Ungewißheit schüttelte ihn wie im Fieber und nahm ihm jede Widerstandskraft. Länger vermochte er die Qual nicht mehr zu ertragen, mit der verglichen der Tod eine Erlösung schien. Rasch entschlossen zog er den Riegel zurück uud öffnete die Tür.
Draußen war alles still. Die Sterne flim- merken am klaren Nachthimmel und weder in dem kleinen Vorgarten, den der Zaun umschloß, noch auf der Straße jenseits des Gittertors, war ein menschliches Wesen zu erblicken. Ferrier sah nach rechts und nach links und atmete erleichtert auf. Als er aber zufällig gerade vor sich auf den Boden schaute, sah er mit Entsetzen zu seinen Füßen einen Mann platt auf der Erde liegen, Arme,und Beine weit von sich gestreckt.
Der Anblick erschütterte ihn so sehr, daß er gegen die Wand taumelte und Mühe hatte, den wilden Schrei zu ersticken, der sich ihm auf die Lippen drängte. Sein erster Gedanke war, daß es ein Verwundeter oder Sterbender sein müsse; allein plötzlich kam Leben in die Gestalt, sie wand sich wie eine Schlange behende und geräuschlos am Boten entlang und erreichte die Hausflur. Sobald der Mann über die Schwelle gekommen war, sprang er rasch in die Höhe, schloß die Tür und vor dem überraschten Farmer stand Jefferson Hope mit ingrimnuger, entschlossener Miene.
„Großer Gott — du bist es —st' keuchte John Ferrier; „weshalb kommst du so < e° schlichen? Du hast mich furchtbar erschreckt."
„Gieb mir zu essen," rief jener mit heiserer Stimme, „seit achtundvierzig Stunde» habe ich weder Trank noch Speise zu nur genommen." Ec griff gierig nach Brot und Fleisch, das noch von Ferriers Abendmahlzeit auf dem Tische stand. „Hält sich Lucy tapfer?" war seine erste Frage, sobald er seinen Heißhunger gestillt hatte.
„Ja, doch kennt sie die Größe der Gefahr nicht."
„Das ist gut. Das Haus wir von allen Seiten bewacht; ich konnte mich nur kriechend nähern, um nicht bemerkt zu werden. Sie pasfln scharf auf. doch sind sie nicht schlau genug, um einen Washoe-Jäger zu fangen."
John Ferrier war wie nmgewand'lt, nun er auf den Beistand eines getreuen Verbündeten zählen durfte. „Du bist ein Mann unter Lausenden," ries er. Jefferson« Hand herzlich ^schüttelnd; „nicht jeder wäre gekommen, um Gefahr und Not mit uns zu teilen."
„Wärst du allein in der Bedrängnis, Vater, wahrlich — ich hätte es mir wohl zweimal überlegt, bevor ich mich in dieses Wespennest wagte," erwiderte der junge Hope freimütig. „Um Lucys willen bin ich hier und ehe ich zugebe, daß ihr ein Leid geschieht, müssen sie mir das Leben nehmen."
„Was soll denn aber nun werden? Laß uns rasch handeln!"
„Morgen ist euer letzter Tag; wenn wir nicht diese Nacht entfliehen, seid ihr verloren. In der Adlerschl ucht stehen zwei Pferde und ein Maultier bereit. Wieviel Geld hast du?"
„Zweitausend Dollars in Gold und fünftausend in Banknoten."
„Das genügt; ich kann etwa die gleiche Summe hinzulegen. Wir müssen übers Gebirge nach Carson City. Lucy soll sich sogleich fertig machen. Gut, daß die Dienstboten nicht im Hause schlafen."
(Fortsetzung folgt.)
UkmWks.
— Während in Deutschland ein paar Millionen mehr Frauen als Männer sind, kommen in den Kolonien auf je eine Frau 6—9 Männer. Ohne Vorbildung und ohne Rückhalt ist es aber für die Frauen nicht ratsam in die Kolonien zu Zehen. Aus diesen Erwägungen heraus soll zum 1. April für Damen gebildeter Stände von im allgemeiner: 20—80 Jahren eine Kolonial-Frauenschule im Anschluß an die „Deutsche Kolonialschule" für Männer in Witzenhausen eingerichtet werden. Die Schülerinnen derselben können an dem Unterricht der Deutschen Kolonialschule teilnehmen und erhalten inr übrigen im Hause das, was speziell für die in den Kolonien lebenden Frauen notwendig ist. Als Vorsteherin ist Frau von Falkenhausen, z. Zt. in Berlin-Zehlendorf, gewählt worden, die selbst 11 Jahre lang in Deutsch Süd-West-Afrika gelebt hat. Näheres ist von dieser zu erfahren.
— Gar oft kommt es vor, daß ein Vater die Absicht hat, seinen .(Sohn ein Handwerk erlernen zn lassen. Auch der Sohn hätte Lust und Anlagen, z. B. Schreiner oder Flaschner oder Maler zu werden, aber ein geeigneter Lehrmeister befindet sich nicht iw Dorfe und anderweitige Adressen sind nicht bekannt. So bleibt es bei der Absicht, und nach einiger Zeit vergeblichen Wartens bleibt der Junge ohne einen Beruf zu erlernen, im elterlichen Hause und wird später vielfach Taglöhner oder Fabrikarbeiter. — Wenige Stunden entfernt nur sucht aber ein Schreiner-, Flaschner- oder Malermeister vergeblich einen Lehrling. — In dieser Hinsicht eine Art Stellenvermittlung zu schaffen, hat die Handwerkskammer in ihrer letzten Vollversammlung auf Anregung des StaalskommffsarS beschlossen und zwar in der Weife, daß alljährlich >m Monat Februar diejenigen Handwerker, welche zu Ostern einen Lehrling cinstcllen wollen, ihre Adresse an die Handwerkskammer Reutlingen einsen-en. Die Vermittlung erfolgt unentgeltlich.
(Feuerversicherung.) Die im Jahre
1821 eröffnet? Gothaer Feuerversicherungsbank auf Gegenseitigkeit, deren Geschäftsbereich sich aui dar Deutsche Reich und die deutsche Schweiz erstreckt, hat mit dem Jahr 1907 das siebenundachtzigste Jahr ihrer gemeinnützigen Tätigkeit vollendet. Im Jahre 1907 waren für M. 65O43304««.— (gegen das Vorjahr mehr Mk. 169321100.—) Versicherungen in Kraft. Die Prämieneinnahme betrug im Jahre 1907: M 31425 V1V — (gegen das Vorjahr mehr Mk. 667934.—) Von der Prämieneinnahme wird in jedem Jahre derjenige Betrag, der nicht zur Bezahlung der Schäden und Verwallungskosten, sowie für die Prämienreserve erforderlich ist, den Versicherten zurückgewährt. Nach dem jetzt vcröffent- lichten Rechnungsabschlüsse für das Jahr 1907 beträgt dieser an die Versicherten zurückfließende Ueberschuß M. 15V85313.3« oder 73°/o der eingezahlten Prämie. Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre sind alljählich 73,9°/o der eingezahlten Prämien als Ueberschuß an die Versicherten znrückerstattet worden.
StcrnöesbucH-Khr-orrik der Stadt Wildbad vom 31. Jan. bis 7. Febr. 1908.
Gest.orbene:
3. Febr. Bär, Katharine Sabine, zeb. Rometsch, Wittive des verst. Dienstmanns Thomas Bär hi?r, 73 Jahre alt.
3. „ Günthner, Gustav Friedrich, Sohn des
Holzhauer Wilhelm Jakob Günther in Sprollenhaus, 3 Monate alt.