MnterHcEenöes.
Späte Rache.
Autorisiert. Nachdruck verboten.
Von Conan Doyle
. Zweiter Teil.
(Fortsetzung.)
Lucy Ferner wuchs in dem Blockhaus auf und half ihrem Pflegevater bei allen seinen Unternehmungen. Das Kind gedieh in der scharfen Berglnft und den balsamischen Fichtenwäldern besser, als wenn es die Pflege der besorgtesten Mutter und Wärterin genossen hätte. Wie die Jahre flohen, wurde ihre Gestalt schlanker und kräftiger, ihre Wangen röteten sich, ihr Schritt gewann an Elastizität; allmählich und unmerklich hatte sich die Knospe zur Blume entfaltet. Mancher Wanderer, den sein Weg auf der Landstraße an Ferriers Besitztum vorbeiführte, sah dem anmutigen Mäd. chen mit Wohlgelallen nach, wenn sie durch die Weizenfelder schritt oder auf ihres Vaters Mustang einhergeritten kam, den sie leicht und sicher zu regieren verstand, wie ein echtes Kind de» Westens.
Zur Zeit, als John Ferrier für d-n reich- sten Farmer an den Abhängen des Felsenge. birgrS galt, war Lucy zur Jungfrau erblüht; unversehens hatte sie die Schwelle der Kindheit überschritten, und nun kam auch für sie der Tag, an dem sie das Erwachen einer neuen, schöneren Leben» in ihrem Innern mit Stolz und Freude empfand. Ein Ereignis trat ein, das nicht nur für Lucy- Zukunft von den wichtigsten Folgen war, sondern auch auf das Schicksal vieler anderer einen entscheidenden Einfluß übte.
An einem warmen Junimorgen waren die „Heiligen des Jüngsten TageS" nach ihrer Gewohnheit, geschäftig wie die Bienen, die sie sich zum Vorbild erwählt Huben. Ueber- all auf den Feldern und in den Werkstätten vernahm man dar Gewirr und Gesumme menschlicher Tätigkeit. Auch aul den staubigen Landstraßen herrschte ein bunter Leben; dort trabten lange Züge schwerbeladener Maultiere einher, die alle nach dem Westen zogen, denn das Goldfieber war in Kalifornien auSgebro- chen und wer zu Lande dorthin wollte, den führte sein Weg an der Stadt „der Auser- wählren" vorbei. Zugleich mit den Scharen dreier Einwanderer, die sich mit ihren ermatteten Tieren mühsam weiter schleppten auf der endlosen Fahrt, begegnete man großen Herden von Schafen und Jungvieh, welche die ferner gelegenen Weideplätze verlassen hatten.
Auf der Straße war ein dichtes Gedränge von Menschen und Tieren entstanden, aber mitten durch da» Gewühl hindurch galoppierte Lucy Ferner, sich als geschickte Retterin einen Weg bahnend; ihre Wangen waren gerötet von der raschen Bewegung, ihre kastanienbraunen Locken flocken im Winde. Der Vater hatte sie
mit ein em Auftrag nach der Stadt geschickt, „Sie sind wohl John FerrierS Tochter/ und sie jagte in jugendlichem Mute, wie sie fuhr er fort," „ich sah Tie unten von seinem
schon so oft getan, furchtlos dahin, um ihn auszurichten. Mehr als einer der wegemüden Abenteurer blickte dem kühnen Mädchen bewundernd nach; ja, selbst der stoische Indianer, der mit seinem erbeuteten Pelzwerk beladen heimkehrte, ward von Staunen er» griffen über die Schönheit de» lieblichen Bleich, gesichts.
Schon hatte Lucy die ersten Häuser der Stadt erreicht, als eine große Rinderherde,
Hause wegreiten. Fragen Sie ihn doch ein- mal, ob er sich noch an Jeffecson Hope aus St. Louis erinnert. Wenn er der Frrrier ist, den ich merne, müssen mein Vater und er gute Freunde gewesen sein."
„Wollen Sie nicht lieber kommen und ihn selbst danach fragen?" entgegnete sie mit freundlicher Miene.
Dem jungen Manne schien der Vorschlag
die in der Hut ihrer wildblickenden Treiber ^ behagen, seine dunklen Augen glänzten ivon der Steppe daherzog, ihr plötzlich d,,,! vor Vergnügen. „Das. will ich tun," sagte Weg versperrte. Ungeduldig über die« Hin-! er; .'ch bm zwar jetzt mit meinen Kameraden derniS, sprengte sie in di» erste beste Lücke tw" Monate im Gebirge gewesen, da sehen hinein, die sich zu öffnen schien. Kaum aber ^n- gerade besuchsmäßig aus, vielleicht
hatte sie das getan, als di» gehörnten Scharen hinter ihr nachdrängten und sie sich mit ihrem Pferde fest eingekeilt sah in dem unaufhalt- j sam vorwärts flutenden Strome. Ohne über
nimmt Herr Ferrier aber mit uns fürlieb wie wir sind."
„Mein Vater ist Ihnen großen Dank schul, big," erwiderte sie, „und ich gleichfalls. Er
ihre Lage zu erschrecken, benutzte sie geschickt, hat mich sehr lieb, und wenn mich die Tiere jeden Vorteil, der sich ihr bot, um weiter zu-zu Boden getreten hätten, wäre er nie wieder
froh geworden."
„Ich auch nicht," versicherte der Jäger.
„Sie? — Ja, wa» sollten Sie sich denn groß darum kümmern?" Sie gehören ja nicht einmal zu unfern Freunden."
Di» Miene de- jungen Mannes verfinsterte sich so sichtlich, als Lucy Ferrier diese Aeußer- ung tat, daß sie hell auflachte.
(Fortsetzung folgt.)
kommen, und trieb ihr Pferd an, in der Hoff fnung, sich einen We, durch die Herde zu bahnen. Dabei geriet jedoch ein junger, feuriger Stier in allzu nahe Berührung mit dem Mustang und stieß seine Hörner in dessen Weichen. DaS Pferd ward wild, stieg auf die Hinterbeine, schnaubte und schüttelte sich 'mit solcher Heftigkeit, daß Lucy ihre ganze Kunst anwenden mußte, um sich im Sattel zu.halten. Die Gefahr, in der sie schwebte, war groß, bei jedem Sprunge stieß das Pferd wieder gegen die spitzigen Hörner und wurde zu neuer Wut ger»izt. Wenn es seine Reiterin abwarf, wäre diese ohne Erbarmen von den Hufen der ungefügen, erschreckten Stiere zu Tode getreten worden. Der ausgewirbelte Staub drohte sie zu ersticken, ein Schwindel ergriff sie, und schon begann ihre Hand, die den Zügel hielt, zu erlahmen. Die Kraft würde ihr versagt haben, wenn nicht in diesem Augenblick ein herzhafter Zuruf dicht neben ihr sie mit neuem Mut erfüllt hätte. Eine braune sehnige Faust ergrrff den Mustang beim Zaume und machte ihm Bahn mitten durch die Herde, bi» er wieder freien Spielraum vor sich sah und sich ungehindert bewegen konnte.
»Ich hoffe, Sie haben keinen Schaden genommen, Fräulein," sag:e Lucys Retter in ehrfurchtsvollem Ton.
Sie sah ihm beherzt in da» dunkle, kühne Antlitz und erwidert» unbefangen: „Einen furchtbaren Schrecken habe ich gehabt, wer hätte auch denken können, Poncho würde sich von einer Herde Ochsen in» Bockshorn jagen lassen."
„Gottlob, daß Sie sich fest im Sattel hielten," sagte der andere ernst. ' Er war ein junger Bursche von kräftigem Gliederbau und etwas verwildertem Leußern, trug ein grobe» Jägerwams, eine lange Büchse über der Schul- ter und ritt auf einem mächtigen Braunfuchs.
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