„Die Mutter nickte bloß, sie schien außer stände, einen Laut hervorzubringen, die Tochter aber brach in Tränen aus. Kein Zweifel, die beiden wußten Näheres über die Sache.
„Um welche Zeit verließ Herr Drebber Ihr Haus, um sich aus die Eisenbahn zu begeben?" fuhr ich in meinem Verhör fort.
„Um acht Uhr," erwiderte sie, ihre Auf- regung mühsam bezwingend. „Herr Slanger- son, sein Sekretär, sagte, es gäbe zwei Züge, einen um 9,15 und einen um 11 Uhr. Er wollte mit dem ersten abreisen."
„Und haben Sie ihn seitdem nicht mehr gesehen?"
„Bei dieser Frage wurde die Frau leichenblaß, und eS dauerte mehrere Sekunden, bevor sie das einzige Wort.- NeinI" hervorstieh. Ihre Stimme klang heiser und unnatürlich.
„Mutier," sagte die Tochter nach einem Augenblick tiefster Stille, „laß unS dem Herrn gegenüber aufrichtig sein. Ans einer Unwahrheit kann nie etwas Gutes kommen: Ja, wir haben Herrn Drebber noch einmal wiedergesehen."
„Verzeih dir Gott," rief Frau Charpentier, und sank händeringend auf einen Stuhl. ,Du hast deinen Bruder ums Leben gebracht."
„Arthur würde selbst wollen, daß wir die Wahrheit sagten," entgegnete sie mit Festigkeit."
„Sprechen Sie frei heraus," ermahnte ich „ein halbes Vertrauen ist schlimmer als gar keines. Auch weiß die Polizei vielleicht schon mehr, als Sie ahnen."
„Mein Sohn ist völlig unschuldig," beteuerte sie. „Wenn ich seinetwegen besorgt bin, so ist das nur, weil ich fürchte, daß er in Ihren Augen und vielleicht in denen anderer Leute, verdächtig erscheinen könnte. Aber buS ist ja undenkbar. Sein vortrefflicher Nus, sein Stand, sein ganzes früheres Leben, bürgen dafür, daß er an dieser gräßlichen That keinen Anteil hat."
„Sagen Sie mir nur alle», was Sie wissen," bedeutete ich sie; „wenn Ihr Sohn unschuldig ist, hat er nichts zu fürchten."
„Laß uns allein. Mary," gebot Madame Charpentier. Die Tochter verließ das Zimmer und die Mutter berichtete nun in heftiger Erregung: „Herr Drebber hat drei Wochen lang bei uns im Hause gewohnt. Vorher war er mit seinem Sekretär Stangerson auf Reffen; nach den Zettel an ihren Koffern zu schließen, kumen sie zuletzt' aus Kopenhagen. Stanzer, son zeigte sich schweigsam und zurückhaltend, Drebber aber benahm sich höchst anstößig. Er war ein gemeiner Mensch von rohen Sitten. Gleich am Abend seiner Ankunft hat er sich sinnlos betrunken und nach zwölf Uhr mittags sah man ihn selten nüchtern. Im Ver- kehr mit den Zimmermädchen war er widerlich frech und vertraulich, ja sogar meiner Tochter Mary gegenüber erlaubte er sich ein ähnliches Betragen und sprach mehrmals in einer Weise mit ihr, die sie in ihrer Unschuld zum Glück nicht verstand. Einmal war er sogar unverschämt genug, sie in meinem Beisein zu umarmen und zu küssen, so daß sein eigener
Sekretär sich ins Mittel legte und ihm seine Frechheit verwies."
„Aber warum ließen Sie sich das alles gefallen? Sie hätten doch den lästigen Menschen los werden können, sobald sie wollten."
„Ich weiß wohl," sagte Madame Charpentier errötend; „hätte ich ihn nnr gleich am ersten Tage aus dem Hause gewiesen. Allein die Versuchung war groß. Sie bezahlten mir zusammen vierzehn Pfund die Woche, und ich hielt es für meine Pflicht, in diesen schlechten Zeiten mir eine solche Einnahme nicht entgehen zu lasse». Ich bin Witwe und mein Sohn in der Marine hat viel Geld gekostet. Nach dem letzten Anstatt zögerte ich aber nicht länger, ihm zu kündigen, das was der Grund seiner Abreise."
„Nun, und wie wurde es weiter?"
„Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich ihn glücklich fortfahren sah. Mein Sohn ist jetzt aus Urlaub hier; ich habe mich jedoch wohlweislich gehütet, ihm etwas von meinen Unannehmlichkeiten zu sagen, denn er gerät leicht in Harnisch und liebt seine Schwester zärtlich. Meine Freude, jeneu löst gen Menschen los zu sein, war leider von kurzer Dauer. Noch war keine Stunde vorbei, so klingelte es heftig und man sagte mir, Drebber sei wieder da er habe den Zug versäumt. In stark berauschtem Zustand erzwang er sich den Eintritt in das Zimmer, wo ich mit meiner Tochter saß, trat frech vor Mary hin und machte ihr den Vorschlag, mit ihm zu entfliehen." Sie sind großjährig," sagte er „das Gesetz hat keine Macht über Sie. Ich besitze Gelo die Hülle und Fülle. Kümmern Sie sich nicht uür die Alte, sondern folgen Sie mir auf der Stelle; Sie sollen wie eine Fürstin leben." Die arme Mary war zu Tode erschrocken und wich vor ihm zurück, er aber ergriff sie am Arm, um sie mit sich fortzuziehen. Ich schrie laut auf vor Angst, und in diesem Augenblick trat mein Sohn Arthur ins Zimmer. Was weiter geschehen ist, weiß ich nicht, ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe und hörte nur Verwünschungen und ein verworrenes Getöse. AIS ich wieder aufzublicken wagte, stand Arthur, einen Stock in der Hand, lachend an der Tür. „Der saubere Kumpan wird unS voraussichtlich nicht mehr belästigen," sagte er; „ich will mich nnr noch überzeugen, was auS ihm geworden ist." Mit diesen Worten eilte er die Treppe hin unter. Am nächsten Morgen brachte man uns die Nachricht von Drebbers geheimnisvollem Tode."
„Um wieviel Uhr ist Ihr Sohn nach Hause gekommen?' fragte ich, als Madame Charpentier mit ihrem Bericht zu Ende war. „Das weiß ich nicht," stammelteste; „er hat sich selbst mit dem Hausschlüssel hereingelaffen."
„Nachdem Sie zu Bett waren?"
„Ja."
„Wann begaben Sie sich zur Ruhe?"
„Gegen elf Uhr."
„So blieb Ihr Sohn also wenigsten» noch zwei Stunden fort?"
..Ja."
„Möglicherweise auch vier oder fünf?"
„Ja."
„Wo war er inzwischen?"
„Ich weiß nicht," flüsterte sie mit bleichen Lippen.
„Unter diesen Umständen war ich natürlich nicht länger im Zweifel, was zu tun sei. Ich nahm zwei Polizisten mit, suchte Leukenant Charpentier auf und ließ ihn festuehmen. Als ich seine Schulter berührte und ihn ermahnte, unS ohne Widerstand zu folgen, richtete er sich stolz in die Höhe. „Man hegt vermutlich Verdacht, ich sei an der Ermordung des schurkischen Drebber beteiligt," waren seine ersten Worte. Sie werden mir zugeben, daß das höchst verdächtig aussah."
„Versteht sich," pflichtet Holme- bei.
„Er hielt den Stock in der Hand, vom dem seine Mutter gesprochen hatte, einen schweren eichenen Knittel."
„Wie denken Sie sich denn den Verlauf der Sacbc?"
„Nun, er ist Drebber bis zur Brixton- Straße gefolgt. Dort hat sich ein neuer Streit zwischen ihnen enlsponnen, Drebber hat mit dem Stock einen Schlag erhalten, wahrscheinlich in die Magenhöhle, der seinen Tod verursachte, ohne eine Spur zu himerlaffen. In der regnerischen Nacht war kein Mensch unterwegs. Chaipentier konnte daher die Lerche ungesehen nach dem leren Hause schaffen. Was aber das Licht betrifft, das vergossene Blut, die Schrift an der Wand und den Ring, so sind das wahrscheinlich alles nur Finten, um die Polizei auf eine solche Fährte zu locken."
„Vortrefflich," rief Holmes beifällig „Sie machen wirklich Fortschritte, Gregson; es kann noch etwas aus Ihnen werden."
„Ich schmeichle mir, daß ich alles ganz glatt abgewickclt habe," sagte der Polizist voll Selbstgefühl. „Der junge Mann behauptete zwar steif und fest, er sei Drebber nur eine kurze Strecke weit nachgegangen, dann habe dieser ihn entdeckt und sei in eine Droschke gestiegen, um ihm zu entkommen. Auf dem Heimweg wollte er dann einem früheren Kameraden vom Sch>ff begegnet sein und einen langen Spaziergang mit ihm gemacht haben. Als ich aber nach der Wohnung dieses Bekannten fragte, wußte er sie nicht anzugeben. Wie gesagt, der Fall ist mir ganz klar; eS macht mir nur Spaß, daß Lestrade eine so falsche Spur verfolgt, die zu nichts führen kann. — Aber, wahrhaftig, ich glaube, da ist er selbst."
Lestrade war wirklich während unseres Gesprächs die Treppe heraufgekommen und trat jetzt ins Zimmer. Sein für gewöhnlich so selbstbewußtes Wesen war kanm wieder zu er- kennen; seine Mienen waren verstört, sein sonst so peinlich sauberer Anzug in Unord- nung. Er wollte sich offenbar bei Holmes guten Rat holen; seinen Kollegen da zu finden, hatte er nicht erwartet. Unschlüssig blieb er mitten im Zimmer stehen und drehte seinen Hut krampfhaft in den Händen." „Ein höchst verwickelter, unverständlicher Fall," sagte er endlich.(Fortsetzung folgt )
^LiiLris,- imä Vo§sl2llektsr-Verein
VM-rL.
Zu der am
Sonntag, den 19. Januar
abends von 7 Uhr ab im Hotel „Palmengarten" staitfindenden
Menü-
uüt QLk6UV6r10LUU§ uuä 13.U2 und unter Mitwirkung der I. Pforzheimer Singfpieltruppe Rudolf Petri sind die verehr!. Mitglieder des Vereins mit ihren Angehörigen freundlichst eingeladen.
Der Morstanö.
N.8. Ehrengab:n zur Verlosung werden von den Vorstandrund Ausschußmitgliedern, sowie im Hotel,„Palmengarten" in Empfang genommen.
b<><b4>4>4>4>4>4>4>4>4>4l»4>47d47d4744>4>4>4>4>4>4>4
MlitLr-Vsrsiu V/iIädLä LL,
Leneralvmammlung
m Zauntas de« 18. Jan. 1908
nachmittags 3 Uhr bei Kamerad Schäffler zur Eisenbahn. Gageso^önung:
1. Bekanntgabe des Rechenschaftsberichts vom Jahre 1907.
2. Neuwahl des Vorstands, Kassiers, Schriftführers und 9 Ausschußmitgliedern.
3. Verschiedenes.
Den 14. Januar 1908.
Der Worstanö,
HeschäfLs-AZücher
in den dauerhaftesten Einbänden empfiehlt
Chr. Mtdbrett,
Papierhandlung