Nr. 196.

Amts-- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.

94. Jahrgang.

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Montag den 25. August 1919.

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(WTB.) Berlin, 24. Aug. Der Vorsitzende der Deutschen Demokratischen Partei und Abgeordnete der Nationalversamm­lung 0. Friedrich Naumann ist heute in Travemünde gestorben.

* Hamburg, 25. Aug. Ueber die letzten Stunden des Abge­ordneten O. Naumann wird demHamb. Frdbl." aus Travemünde gemeldet: v. Naumann erlitt am Sonntag mor­gen gegen 9 Uhr im HotelStadt Hamburg" einen Schlag- ansall. Die Folge war eine halbseitige Lähmung, die dann im Laufe des Tages weitere Fortschritte machte, während gleich­zeitig die Herztätigkeit immer mehr nachließ. Als der herbei- gerufene Arzt Dr. Schwicker zu v. Naumann kam, war der Kranke noch ziemlich bei Bewußtsein, doch konnte er nicht mehr viel sprechen. Er lispelte etwas von Blutleere im Kopf, ein Zeichen, daß er seinen Zustand kannte. Das waren seine letzten Worte. Dann verlor er das Bewußtsein, das er trotz ärztlichen Bemühungen nicht wieder erlangte. Er wurde in die Privat­klinik des Dr. Schwicker gebracht, wo er gegen 5 Uhr nach­mittags sanft entschlief, v. Naumann hat sich am Tage vorher noch völlig wohl gefühlt.

Berlin, 25. August. Zu Friedrich RaumannS Ableben sagt die .Deutsche Allgemeine Zeitung": Seinem ganzen Wesen lag das Ideale, das Hineingreifen in weite zukünftige Pläne näher als der harte Weg langsamen Aufbauens, der Stein um Stein in den er­strebten Bau fügt. Das war der Fehler, aber auch der Vorzug dieses Mannes, dessen rein geistige und stets vornehme Kampscsart auch dem politischen Gegner Achtung abnöttgte. Sein Tod wird überall ohne linierschied der Partei und der politischen Anschauung ein Empfin­den starken Verlustes für unser politisches Leben auslösen. Der .Vorwärts" schreibt: Der Tod Naumanns ist nicht nur ein Verlust für die Demokratische Partei, sondern für das ganze politische Leben Deutschlands. Seine vornehme und kluge Art hat auch den entschie­densten politischen Gegnern stets Respekt qbgewonnen. ImBer­liner Lokalanzeiger" heißt es: Naumann gehörte zu den vornehm­sten deutschen Parlamentariern. Er war eine ausgesprochene Per­sönlichkeit und ein glänzender Redner, der durch die Plastik seiner Bilder auch die Widerstrebenden zu fesseln und tiefe Wirkungen zu erzielen vermochte. Schon seit Jahren, schreibt dasBerliner Tageblatt", krankte er an seinem Herzen, das für den riesigen Kör perbau zu schwach war und das, weil es so schnell nicht mitkonnte wie der nie rastende Geist, ihm immer wieder neue Beschwerden be­reitete. Mit Naumann schwindet der große Romantiker der deutschen Demokratie von der Bühne der Politik. DieDossische Zeitung" schließt ihre Würdigung der Verdienste Naumanns mit dem Satz: Die Linke in erster Linie trauert gemeinsam mit allen denjenigen Demokaten, die die Erneuerung der Demokratie von der neuerwach­ten idealistischen Politik und von der sozialen Durchdringung der deutschen politischen Ideale erwarteten.

Zur Wen« Lase.

Dauernde polnische Grenzverletzungen.

(WTB.) Beuthen, 24. August. Die 32. Reichswehrbrigade meldet: Südlich Godow-Lazisk versuchten im Laufe der Nacht polnische Banden die Grenze zu überschreiten. Sie wurden durch Maschinengewehrfeuer vertrieben. Zwischen Birkenthal und Wohlan erfolgten an mehreren Stellen auf unsere Feld­wachen Angriffe durch polnische Banden. Hierbei wurde ein Unteroffizier, der leicht verwundet wurde, heimtückisch er­mordet. Sonst verlief die Nacht ruhig. Eine weitere Mel­dung der 32. Reichswehrbrigade besagt: In der Gegend südlich Eoldmannsdorf (Kr. Rnbnil) überschritt eine polnische Patrouille die Grenze. Sie wurde vom Grenzschutz zuriickgetrie- v«n. Dabei fiel ein Pole verwundet in Untere Hand. Er ge­hört dem Grenzschutz Beuthen an, der aus oberschlesischen Ueber­au eri: gebildet wurde. Bei Hohenlohe-Hütte wurde ein dort n°rll'eLknes Znsurgentennest gesäubert. Sonst verlief der "g ruh-g.

Die polnischen Sozialisten als Imperialisten.

Berlin, 25. Aug. Die polnischen Sozialisten verlangen, w e derV. L.-A." aus Wien erfährt, in einem Aufruf von er polnischen Regierung, sie möge von der deutschen Regie­rung die Räumung Oberschlesiens fordern und der dort kömp- ienden Bevölkerung militärische Unterstützung angedeihen lassen.

Belgien und Holland.

Versailles, 24. Aug. Die Erregung in Belgien über e Haltung der holländischen Regierung gegenüber den Forde­rungen Belgiens bei den Verhandlungen in Paris soll, wie vemTemps" aus Brüssel berichtet wird, sehr stark sein; amentlich deshalb, weil Holland nichts für die Verteidi­

gung von Limburg tun will, die es nach seinen Angaben nicht schützen kann. In gewissen Kreisen in Brüssel erwägt man deshalb, ob man nicht besser die Delegierten abberuft und die Angelegenheit dem Völkerbund überweist, damit eine Volksabstimmung in Holländisch-Limburg vorgenommen wird. Direkt mit Holland, wie dieses zu wünschen scheint, könne man nicht mehr verhandeln.

Die Neuorientierung der deutsch-österreichischen Außenpolitik unter dem Druck der Entente.

* Wie«, 24. Aug. DieNeue Freie Presse" veröffentlicht Aeußernngen von authentischer Seite über die Neuorientierung in der auswärtigen Politik des Staatskanzlers Dr. Renner. Es heißt in diesen Ausführungen u. a.: Es ist wohlbegreiflich, daß die unbedingten Anhänger des Anschlußgedankens an Deutschland durch die Erklärung Renners, daß Deutsch-Oester­reich im Vertrauen auf den Völkerbund allein durchzukommen versuchen müsse, sich beunruhigt suhlen. Es handelt sich hier nicht vielleicht um eine Frage der Auffassung, sondern um eine Frage des Vertrauens. Staatskanzler Renner hat die An­näherung an die Westmächte vollzogen und unser Geschick in ihre Hände gelegt. Don der Entente und dem Völkerbunde wird es nunmehr abhängen, ob Deutsch-Oesterreich imstande sein wird, die ihm im Friedensvertrage auferlegte Bedingung der staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit auch auf­recht zu erhalten ja überhaupt als Staat fortzuexistieren. Was nun aber die Idee der Donauföderation anbetrisst (gegen die hierzulande so viele und schwere Bedenken bestehen), so ist es klar, daß zwischen ihr und der vom Staatskanzler Nenner empfohlenen Bölkerbundspolitik keineswegs ein unmittelbarer oder notwendiger Zusammenhang besteht. Der Staatskanzler hat in der gleichzeitigen Aeußerung, mit der er die Völker­bundspolitik als den richtunggebenden Gedanken unsrer zukünf­tigen auswärtigen Politik verkündet, klar und deutlich ausge­sprochen, daß Deutsch-Oesterreich keinerlei nachbarschaftliche Politik mehr zu treiben habe. Das Verhalten unsrer Nachbarn, die sich zur Stunde abermals als unsre Widersacher erweisen, liefert für diesen Standpunkt Renners eine hinreichende Erklä­rung. Ctaatskanzler Renner hat aber für seinen Standpunkt noch einen andern einleuchtenden Grund angegeben: Deutsch- Oesterreich muß danach trachten, von allen Verwickelungen des neuen Balkan, der seine Grenzen weit nach Mitteleuropa vor­geschoben hat, sich völlig freizuhalten mit einem Worte: Unsre künftige Außenpolitik ist geleitet von dem Vertrauen auf den Völkerbund, der drc moralische Verpflichtung hat, unsrem Polle d: s Leben zu ermöglichen.

Der erzwungene Rücktritt

des Erzherzogs Joseph.

Budapest, 23. Aug. Das ungarische Korr.-Bur> meldet: Heute nachmittag ist vom Präsidenten der Friedenskonferenz, Clemenceau, ein Telegramm hier eingegangen mit der Mitteilung, daß die a. und a Mächte die Verwefcrschast des königlichen Prinzen Joseph und die durch den Prinzen ernannte Regierung nicht anerkennen und er­klären, daß sie nicht geneigt sind, mit dieser Regierung über den Frieden zu verhandeln. Nach Einlauf dieses Telegramms berief Ministerpräsident Friedrich sofort einen Ministerrat. zu dem auch Prinz Joseph erschien Es wurden zwei wichtige Entschließungen gefaßt, und zwar 1 daß Prinz Joseph Infolge der SteN'ngnass'ne der Entente seine Tätigkeit als abgeschlossen betrachtet und von der Verweserichast zurücktritt; 2. daß auch die durch hen Prinzen er­nannte Regien,ng demissioniert Von dieser Entschließung machte der Ministerpräsident persönlich der in Budapest weilenden Entente­mission und mittels Funkspruchs dem Präsidenten der Friedens­konferenz, Elcmcneean, Mitteilung. Die Budapcster Ententemission forderte den Ministerpräsidenten ans, ein Ministerium zu bilden, worin sämtliche Gcsellschostsschichten des Landes vertreten sind. Zu­gleich-wurde der Ministerpräsident aufgefordert, unter allen Umstän­den für die Ausrechterhaltung der Ordnung zu sorgen. Die Entente stellte zur Bildung der neuen Regierung eine Frist von drei Tagen. Hierauf kehrte M'instervräsident Friedrich in den Ministerrat zurück, wo der Minister des Renßern, LovaSzv, im Namen der Mitglieder des zurüchpP'.Urncu 5'.»ssn.sstS von dem Prinzen J'scph Abschied nahm. Er erklärte, Prinz Joseph habe sich in den Stunden der Kri­sis zum Handeln entschlossen, weshalb ibm der ewige. Dank der Nation sicher sei Der Prinz verabschiedete sich bewegt von seinen Mitarbeitern, reichte jedem der Reibe nach die Hand und entfernte sich hierauf. Der Ministerrat beschloß sodann, bis ?»r Konstituierung der neuen Negierung dis Geschäfte de? Landes weitcnuführen. Prinz Joseph wird morgen nachmittag eine N'ssckü ^Proklamation an die Nation erlassen.

Ein polnisch-ukrainischer Vertrag.

* Wien» 24. Aug. DerEaz. Warschawska" zufolge wurde ein Vertrag zwischen Petljura und Polen auf folgender

Grundlage abgeschlossen: Die Regierung Petljuras erklärt ihr grundsätzliches Desinteressement betr. Ostgalizien. Polen und die Ukraine verpflichten sich, mit vereinten Kräften gegen den Bolschewismus zu kämpfen. Die polnische Regierung ver­spricht, daß sie ohne die Einwilligung Petljuras das von sei­nem Militär besetzte Gebiet nicht betritt.

Die Kämpfe der Ukrainer

gegen die Bolschewisten.

Berlin, 24. Aug. Ein Flugzeug aus Kamenetz-Podols- kyj hat hier am Freitag folgende Nachricht über die militärische Lage in derllkraine gebracht: Die am 1. August eingesetzte Gegenoffensive gegen die Sovjettruppen hat bereits durchgrei­fende Erfolge erzielt. Die ukrainische Armee des Generals Petljura, der sich die aus Ostgalizien herangezogene westukrai­nische Armee in Stärke von 196 WO Mann gut disziplinierter Truppen angeschlossen hat, befreite in raschem Vormarsche fast ganz Podolien, große Teile Wolhyniens und des Kiewer Eou vernements und nähern sich auf der ganzen Linie dem DnjeH«,

London, 24. Aua. Das Reutersche Büro erfährt, daß Odrsstr von ukrainischen Truppen besetzt worden sei.

Amsterdam, 24. Aug. Das Pressrbureau Radio meldet aus Horsea, der Teil der bolschewistischen Schwarzen Meerflott«, der ausgeschickt war, um den Vormarsch der ukrainischen Trup­pen aufzuhalten, sei zu diesen übergegangen. Das O > schewistenheer auf dem linken Dnjeprufer weiche panikartig -. . den Truppen des Generals Petljura.

Japan und China.

(WTB.) Amsterdam, 24. August. Laut PressebüroRadio" wird aus Peking gemeldet, daß der japanische Gesandte dem chinesischen Auswärtigen Amte die Erklärung abgegebr-r' habe, daß Japan bereit sei, innerhalb zweier Jahre Kiautschv4 an China zurückzugeben, Japan müsse jedoch dafür Kompen­sationen an anderer Stelle fordern. Damit (so setzt das Presse­büro Radio hinzu) kann nur die Mandschurei oder die Mongolei gemeint sein.

Italienische Betrachtungen

über den Jriedensve.' .3.

Haag, 23. August. Aus Newyork wird gemeldet: Ein Korrespondent derUnited Preß" befragte den italienischen Delegierten Modigliani über das Friedensabkommen von Versailles. Modigliani sagte: Das Friedensabkommen bedeu­tet nicht das Ende des Krieges, sondern es schließt eine T des Weltringkampfes ab. Jetzt fängt der Kampf der B ' und Enttäuschten an. Bestimmt werden innerhalb w« ^ Jahre die 215 Seiten des Friedensabkommens zum Fetzen Papier geworden sein. Elsaß-Lothringen bedarf einer an-- deren Verfassung. Die Bewohner des Saargebiets sollen in ehrlicher Volksabstimmung selbst entscheiden, wem sie s hören wollen. Polen muß nur aus Polen und ni ,t : Deutschen bestehen. Deutsch-Oesterreich muß das Recht , ' sich an Deutschland anzuschließen. Die Abrüstung, die ledss , den Besiegten auferlegt wurde, während die Sieger die behalten, ist barbarisch und unerträglich, aber die Beste' » werden ihrerseits die Sieger zur Abrüstung zwingen. Tv -- kommen scheint von Juristen abgefaßt zu sein, die w in den Dienst des Kapitalismus gestellt haben. Eine , Umänderung des Friedensabkommens hat genau so viel - esse für den internationalen Kapitalismus wie für die Arbeit«^ die alles zu verlieren haben; denn Deutschland muß, um die gewaltigen Kriegsentschädigungen zahlen zu können, niedrige Löhne und längere Arbeitszeiten einführen. Die Frage ist, ob dis Revision praktisch zustande kommt, ohne daß Ds:> ' -'d zum Aufstand übergeht, oder ob es allmählich mit seinen E > nern zu einer Uebereinstimmung zu kommen trachtet. glaube nicht au die Eintracht der Sieger; denn gewisse glieder der Entente haben sich die fettesten Brocken gesichert, namentlich Frankreich und England, und außerdem haben sie nicht die gleichen Interessen gegenüber Deutschland. Ich innere nur an gewisse Abkommen zwischen Deutschland : Japan. Sobald die Eintracht der Sieger verloren geht, wird Deutschland Vorteile daraus ziehen, und wenn dies nicht geht, so werden wir bald sehen, daß die Besiegten sich erheben. Das ist für die Entwicklung der Welt von um so größerer Bedeutung, da sie sich nach dem Standpunkt der Arbeiter orientiert. Modi­gliani bezeichnet? schließlich Italien als das arme Kind der Entente und äußert die Hoffnung, daß Italien bald seine histo­rische Aufgabe erkennen und sich an die Spitze der Besiegten stellen werde, um den Sieg der Freiheit, der Abrüstung und der sozialen Gerechtigkeit zu sichern.