Rest aber müsse verderben. Das ändere alles die Eisenbahn. Der Redner führte hiefür eine Anzahl Beispiele aus Uganda an. In den 22 Jahren seines Kolonialbesitzes habe das Deutsche Reich 700 Millionen für die Kolonien ausgegeben, worunter sich aber viele Millionen für werbende Zwecke befänden. In dieser Zeit habe sich das Nationalvermögen um mindestens 30000 Millionen vermehrt. Die Kolonien hätten demnach ca. 2°/« dieses Vermögens verschlungen. Besondere Vorteile der kolonialen Politik habe der Industriearbeiter, denn der Handel Deutschlands in seinen Kolonien habe sich günstig entwickelt Für etwa 50 Millionen deutscher Jndustrieprodukte gingen jährlich nach unseren Schutzgebieten. Der Redner geht dann auf nähere Besprechung der südwestafrikanischen Verhältnisse ein und stellt fest, daß die Viehzucht besonders gute Aussicht auf Erfolg habe. Auch Tabak gedeihe und Mais, Bohnen, Weizen, Gerbstoffe, Baumwolle und Wein könnten in großen Mengen gepflanzt werden. Durch die Tätigkeit von Bohrtechnikern sei erwiesen, daß das Wasser in Südwestafrika gut und in reichlichen Mengen vorhanden sei. Kupfer werde erfolgreich gewonnen; auch Spuren von Diamant, Gold u. s. w. seien entdeckt worden. Er selbst halte Südwestafrika für den sichersten Besitz unter unseren sämtlichen Kolonien in materieller und klimatischer Hinsicht. Der Farmer Schlettwein aus Südwestafrika habe durch eine Anzahl Rechnungen bewiesen, daß die Wirtschaft dort sehr vielversprechend sei. Schon vor zwei Jahren habe man die Aufstandsver- luste der verhältnismäßig wenigen Ansiedler auf ra. 20 Millionen beziffert. Wenn bisher hauptsächlich die Industriearbeiter einen Nutzen von den Kolonien gehabt hätten, so sei sicher, daß die Zukunft auch der Landbevölkerung einen solchen bringen werde. Besonders der Zersplitterung uuseres einheimischen Grundbesitzes werde durch die Auswanderung von zweiten Söhnen gutgestellter Landwirte entgegengcar- beitet. In Südwestafrika sei eine Strecke, die I^Lmal so groß sei als das Deutsche Reich besiedelungsfähig, in Ostafrika eine solche von der Große ganz Preußens. Der Nutzen für die Kaufleute und für die Schiffahrt, für die Entwickelung unserer Wissenschaften, der theoretischen sowohl wie der angewandten, sei außerordentlich. Der Redner schloß mit der Bitte an die Anwesenden, als Lehrer und Führer unserer Heranwachsenden Jugend das Interesse für die Kolonialpolitik wecken zu helfen.
— Die große Kolonial-Versammlung von Berliner Gelehrten und Künstlern, in der Kolonialdirektor Dernburg seine bedeutsame Rede hielt, nahm nach einer Reihe weiterer Vorträge einstimmig eine Resolution an, worin es heißt: „In Erwägung, daß ein großes Kulturvolk an der Kolonial- und Weltpolitik teilnehmeu muß, und daß die späte Bildung des Deutschen Reiches als Nationalstaat das Volk erst in allerjüngster Zeit an diese Aufgabe hat herantreten lassen und infolgedessen die uns auserlegte Pflicht noch nicht zum Bewußtsein gekommen ist, und daß die Mehrheit des Reichstags nicht bloß unsere weltpolitische Stellung, sondern auch das Gebot der nationalen Ehre verkannt hat, daß Deutschland eines Reichstages bedarf, der mit der Entschlossenheit, die das Bewußtsein eines hohen Zieles gibt und verlangt, an diese Frage herantritt, beschließt die Versammlung, ein Komitee einzusetzen mit der Aufgabe, ohne unmittelbares Eingreifen in das Parteigetriebe das Verständnis für Kolonial- und Weltpolitik in den Kreisen der Wählerschaft zu erweitern und zu vertiefen."
Gmunden, 10. Januar. Die Königin von Hannover ist gestern nachmittag 3'/s Uhr gestorben. (Die verwitwete Königin Marie, eine geborene Prinzessin von Sachsen-Altenburg, war am 24. April 1818 geboren. Sie war die Gemahlin des 1866 depossedierten Königs Georgs V. von Hannover, der am 12. Juni 1878 starb. Ihr Sohn ist der am 21. September 1845 geborene Herzog von Cumber- land.)
— In Innsbruck ist neuerdings starker Schneefall eingetreten. Der Straßenverkehr ist eingestellt. Alle Bahnzüge treffen mit Verspätungen ein. Der Telephonverkehr ist unter
brochen. Der Schneefall erstreckt sich über ganz Nordtiro!. Auf dem Brenner liegt über einen Meter Neuschnee. Die Telephonverbindung mit München ist gestört. Es schneit weiter, aus Südtirol werden jedoch herrliche sonnenhelle Tage gemeldet.
Lokates.
— Der an Stelle des znrückgetretenen Hrn. Stadtarzt vr. Lorenz in Wildbad zum Distriktsarzt für die Gemeinde Enzklösterle und die Parzellen der Stadtgemeinde Wildbad bestellte Hr. vr. Theodor Hill er hat die distriktsärztliche Tätigkeit begonnen. Wohnung desselben: Wildbad, Villa Fritz Rath, Hauptstraße 149. Regelmäßiger Besuchstag in Enzklösterle: Donnerstag.
Wildbad, 12. Januar. Anläßlich der am 25. Januar stattstndenden Reichstagswahl dürfte das Ergebnis der letzten Wahl im Jahre 1903 von Interesse sein. Es erhielten bei der Hauptwahl:
Schrempf Schweick- Oster Gröber (kons.) Hardt (V.)(Soz.) (Ztr.)
OA.-Bez. Neuenbürg
921 1885
1946 18
Calw
2106 1536
749 1
Herrenberg 2801 750
184 297
„
Nagold
1950 1800
S7 105
7778 5971
2976 421
Bei der
Ttichwahl:
Schrempf
Schweickhardt
OA.-Bez. Neuenbürg
1007
3886
Calw
2205
2597
„
Herrenberg
3454
1064
„
Nagold
2448
2005
9114
9652
Alnte r Hc» l'tenöes.
Das Testament.
Erzählung von Georg Hartwig.
(Forts.) (Nachdruck verboten.f
Mit leiser, nicht selten schwer verständlicher Stimme entrollte er das Bild seiner Jugend; sprach von der gesellschaftlichen Stellung seiner Eltern, welche ihrer Vorliebe für eine glänzende Haushaltung dar Vermögen seiner Mutter, Wittigs Schwester, geopfert. Von seiner Neigung zu den schönen Künsten sprach er und von seiner Abneigung gegen jedes Brotstudium, insbesondere gegen das Studium der Rechte, welches ihm unleidlich und verhaßt gewesen sei. Er habe sich diesem Widerstreben um so sorgloser hiugegebeu, als die Erbschaft seines Oheims ihm von Jugend auf als ein unbestreitbares Eigentum vorgestellt worden sei — obzwar seine Eltern und später er selbst Wiltigs Aufforderungen, ihn, Jordan, Brauer werden zu lassen, mit Spott und Entrüstung abgcwiesen. Zu spät sei von seiten seiner besorgten Eltern, deren Sorge um des Sohnes Zukunft stetig wuchs, eine Annäherung zwischen ihm und Mittig angestrebt worden. In einer abscheulichen Scene zwischen dem in feinen Reichtümern verhärtete», herzensrohen Manu und einem übermütigen Jüngling vollzog sich der Bruch vollends und unheilbar. Nach dem rasch aufeinander folgenden Tode beider Eltern auch den letzten Schein einer geregelten Tätigkeit abwerfend, um eine knrze Spanne Zeit sich dem Künstlerleben hinzugeben, sah er plötzlich sich dem pekuniären Ruin gegenüber. Von dieser Zeit an, immer noch sich der unausbleiblichen Erbschaft getröstend, begann der junge Mann sich nach Arbeit und Verdienst umzusehen, ohne beides in hinreichendem Maße finden zu können. Beiläufiig erfuhr er, daß sein Oheim infolge zunehmender Kränklichkeit seine liegenden Besitzungen und Fabriken verkauft habe, um in Begleitung eines Sekretärs und einer Pflegerin nach dem Süden auf Reisen zu gehen.
Ungefähr ein Jahr später erhielt er einen Brief seines Oheims aus Genf, worin derselbe in vergebendem Tone sein» nahende Auflösung erwähnte, die ihn ermahne, alle Härte von sich abzutun, und ihm, dem Neffen, die Hand zur Versöhung zu reichen. Dem Versprechen war hiazugefügt, ihn, Jordan, zum Universalerben einzusetzen, nur solle derselbe nicht säumen, sobald der Ruf dazu an ihn ergangen, sich an
dem Sterbebette einznfinden, um Segen nud Erbe in Empfang zu nehmen.
Diese Aufforderung kam nie. Dagegen erfuhr Jordan einige Monate später zufällig, daß sein Oheim längst gestorben sei, nachdem er seinen Sekretär zum Universalerben eingesetzt und seiner Pflegerin ein sehr bedeutendes Legat vermacht. Von ihm, Jordan, war in dem Testament gar nicht Erwähnung geschehen.
Von Zorn und Verdacht bis zur Verzweiflung aufgestachelt, suchte der junge Mann in Genf nähere Aufschlüsse über ein so unerhörtes Verfahren zu erzwingen, brachte aber nur in Erfahrung, daß die Abfassung in aller Form Rechtens geschehen war und der Sekretär sowohl wie die Pflegerin gleich nach Eröffnung desselben Genf verlassen hatten.
Als jJordan bis zu diesem Punkte seiner Erzählung gekommen war, trocknete er sich die Schweißtropfen von seiner Stirn. Es bedurfte einer Pause und einiger Zwischenfragen des Untersuchungsrichters, um das Gleichgewicht seiner Seele wieder herzustellen.
„Den Ort verlassend," fuhr der junge Mann rascher fort, „wo mir neben erlittenem Unrecht der Spott gewiß war, im Herzen den bittersten Haß gegen Wittig, empfand ich damals schon ein starkes Mißtrauen gegen Balders Redlichkeit. Ich glaubte und glaube heute noch an ein falsches Spiel dieses Mannes, seit ich Ursache hatte, den versöhnlichen Brief meines Oheims als eröffnet und gelesen zu erachten."
„Sie siedelten sich nun hier an?"
„Seit zwei Jahren lebe ich in dieser Stadt," sagte Jordan, seine Hand nervös bewegend, „redlich bemüht, mein Brot durch Zeichen- und Musikunterricht zu verdienen."
„Sie machten nun am 2. November abends die Bekanntschaft der Gabriele Wellner aus dem Heimwege von der Villa Karstenbrock."
„So ist's," sagte der junge Mann, den Blick erhebend. „Ich bewahrte an der Kreuzung der Martin- und Albrechtstraße eine Frau vor dem Uebersahrenwerden, die sich Gabriele Wellner nannte, die ich nie in meinem Leben gesehen."
„Die Frau ist am folgenden Nachmittag gegen 4 Uhr zu Ihnen in die Wohnung hinaufgegangen. Erzählen Sie, wie die Dinge sich zutrugen und späterhin entwickelten. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß nur die volle Wahrheit imstande ist, Ihre Lage zu verbessern."
„Glauben Sie, daß ich Ursache habe, sie zu verheimlichen?" rief der junge Mann mit sprechender Entrüstung sein Haupt erhebend. „Die Frau war bei mir. In meiner Abwesenheit steckte sie den Zettel, dessen Inhalt Ihnen ebensowohl bekannt ist wie mir, in das Schlüsselloch meiner Tür. — Erwägen Sie jetzt, Herr Amtsrichter, die Erregung, die mich befiel. Die erste Andeutung auf das mir entgangene Erbe, dem ich nur allzu heftig nachtrauerte. Mehr noch, eine Anspielung auf das, was mir wie ein Gift im Herzen fraß: auf die Unredlichkeit Heinrich Balders. Der Inhalt des Zettels ist gar nicht anders zu verstehen. Nicht anders! Und wenn die ganze Jury der Welt zusammen- trete und dagegen spreche — mein innerstes Gefühl sagt mir, daß die ermordete Wellner den Berhätniffen nicht fremd war, welche meinen Oheim veranlaßten, Heinrich Balder und nicht mich zum Universalerben einzusetzen!"
(Foryetzung folgt.)
Vermischtes.
(Der Kaiser und die Exzellenz.) Folgende Anekdote erzählt der „Inf.": Eine neugebackene Exzellenz, die den Monarchen auf einer seiner letzten Reisen begleitete, war zur kaiserlichen Tafel befohlen und befestigte gemächlich nach Altväter Art die Serviette am Halse. Alles bebte über diesen Verstoß gegen höfische Sitte. Der Kaiser war gerctde mit dem Lesen eben eingelaufener Nachrichten beschäftigt. Plötzlich blickte er aus, sah auf die Exzellenz und sagte lächelnd: „Sagen Sie, lieber L., wollen Sie sich denn rasieren lassen?" Eine brausende Heiterkeit wurde durch diese Worte ausgelöst, und die Exzellenz „rüstete ab".