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verlieren. Das ist unsere unmittelbar drängende Pflicht. Später werden mir dann sehen, ob noch andere Pflichten zu erfüllen sind."

London, 15. Mai. Nachdem jetzt die Leiche des Sxpriesters Gapon aufgefunden, der in der ersten russischen Revolutionsperiode als Anführer der Petersburger Arbeiterinassen der blutigen Januartage von 1905 eine so auf­sehenerregende Rolle gespielt, bestätigt sich nach­träglich der Bericht, welchen der russische Korrespondent demManchester Guardian" seinerzeit über dieHinrichtung Gapons durch die Revolutionäre" zuges-mdt hatte. Nach demselben wurde Gapon am 10. April von seinem früheren Freunde eingeiaden, nach dessen Landsitz zu kommen. Dort fand nun eine Unterredung statt, welcher in einem Nebenzim­mer vier Arbeiter der Revolutionspartei, die sich dort verborgen hatten, zuhörten. Im Ver- lauf der Unterredung wurde Gapon von seinem früheren Freunde gesagt, daß er bloßgestellt und die Tatsache, daß er ein Spion sei, ver­öffentlicht würde. Gapon erwiederte:Ich werde eS leugnen und Niemand wird es glau­ben.Ich werde Zeugen bringen", erwiederte der andere Herr. Gapon lachte:Was für Zeugen kannst Du bringen?" In demselben Augenblick wurde die Türe aufgerissen und Gapon sah sich vier Männern gegenüber, in denen er mit Schrecken nicht nur Zeugen, son- dern auch Richter und Henker erkannte. Die vier Arbeiter, wütend über das, was sie gehört hatten, machten kurzen Prozeß und bald hing der frühere Savonorola Rußlands an einem großen Nagel an der Wand eines Zimmers der Villa.

P e t e r s b u r g, 15. Mai. Ueber die Auf­findung der.Leiche des Priesters Gapon in einer einsamen Villa in Oserki in dem Walde nicht weit von Petersburg wird weiter gemel­det: Der Zustand der Leiche läßt darauf schlie­ßen, daß er sich zur Wehr setzte. Der Leiche fehlt ein Auge und die Nase war durch einen Schlag zertrümmert worden. Außerdem wies der Körper mehrere Hieb- und Stichwunden auf. Alles läßt darauf schließen, daß Gapon erst, nachdem er tot war, an einen Kleiderhaken gehängt wurde. Die Leiche wurde in sitzender Stellung gefunden. Die Füße berührten den Boden. In einer Tasche Gapons fand man eine Eisenbahnkarte von Petersburg nach Schu- walowo, das einige Kilometer von dem Fund­orte der Leiche entfirnt liegt. Die Karte ist vom 15. April datiert. Die Villa, in der Gapons Leiche gefunden wurde, wurde am 11. April von einem ältlichen Manne, der sich Pu- tilin nannte, gemietet. Am 15. April besuchte dieser Mieter in Begleitung eines jungen Man­nes die Villa. Die beiden Leute hielten sich lange Zeit in dem Hause auf und verschwan­den dann spurlos.

Zwischen England und China soll, nach einer japanischen Blättermeldung, ein Vertrag über die Rückgabe von Weihaiwei abgeschlossen worden sein. Der Vertrag bestimme folgen­des : China macht Weihaiwei zu einer Flotten­basis und wird es nicht mehr als Sicherheit oder Pacht einer anderen Macht übertragen; China erstattet die von England in Weihaiwai ausgewandten Beiträge zurück und hält zum Schutz der Eingeborenen und Fremden in Wei- hawei Truppen.

Newyork, 14. Mai. Sofort nach dem Bekanntwerden des Todes von Schurz zogen alle öffentlichen Gebäude und viele Privathäu­ser die Flaggen auf Halbmast. Die Trauer- beze:gungen sind allgemein. Schurz erlag einem Magenleiden, das erst am letzten Don­nerstag zu Bedenken Anlaß gab. Der Tod trat ein, nachdem Schurz längere Zeit in schlaf, ähnlichem Zustand gelegen hatte.

N^ew-York, 17. Mai. Kaiser Wilhelm hat den Hinterbliebenen von Karl Schurz sein Be,leid ausgedrückt. Er erklärte den Dahin­geschiedenen als einen Mann, der nie sein deutsches Blut verleugnete. Schurz' Wohnhaus reicht nicht aus, um die Blumenspenden und die auf 15000 geschätzten Beileidstelegramme aufzunehmen. Heute erfolgt die Beisetzung, zu welcher nur Verwandte und die nächsten Freunde kommen.

Aus Stadl und Umgebung.

Wildbad, 17. Mai. (Amtsversammlung in Neuenbürg). Die Amtskorporation unseres Bezirks tagte gestern von st-9 Uhr morgens ab im Sitzungssaale des Rathauses in Neuen­bürg. Nach Feststellung der Beschlußfähigkeit gedachte der Vorsitzende, Herr Oberamtmaun Hornung der seit der letzten Versammlung ver­storbenen Deputierten Lerch-Hösen und Fischer- Lungenbrand. Die Versammlung erhob sich zum ehrenden Gedächtnis von den Sitzen. Daran anschließend begrüßte der Vorsitzende die zum erstenmal erschienenen Mitglieder Ziegler-Höfen, Rentschler-Langenbrand und Kappelmann-Wild­bad. Den ersten Punkt der Tagesordnung bildete die Bekanntgabe der Rechnungen der Oberamtspflege, der Bezirkskrankenpflegever­sicherung und der Oberamtssparkasse nebst den Abhörrecessen. Die Versammlung erhob keine Einwendung. Die Amtsvergleichungskosten für 1905/06 wurden genehmigt und die Amtsoer- gleichangstaxen in gleicher Höhe wie bisher belassen. Der Etat kann erst der nächsten Amts­versammlung vorgetragen werden. Es folgte hieraus durch Zuruf die Vornahme von not­wendig gewordenen periodischen Neuwahlen in verschiedene Kommissionen, darunter solcher, die nur im Falle einer Mobilmachung in Tätigkeit zu treten brauchen. Eine lebhafte, fast drei­stündige Debatte rief die Frage des Bezirks- krankenhausbaues hervor. Der Vorsitzende wies eingangs seiner Rede die in der Stadt und im Bezirk gerüchtweise aufgetauchten Behauptungen zurück, nach denen von Mitgliedern des Amts­korporationsausschusses in -dieser Frage irgend­welche Jnteressenpolitik betrieben würde. Der Ausschuß sei »ach Anhörung von Sachverstän­digengutachten des Stuttgarter Medizinalkolle­giums und eines Architekten, Prof. Schmohl, zu der Ueberzeugung gelangt, daß sich leider kein besserer Platz finden ließe und empfiehlt der Amtsversammlung seinem Antrag, in den unteren Hausäckern mit einem Kostenaufwand von 175 000 Mk. ein allen Anforderungen der Gegenwart entsprechendes Bezirkskrankenhaus zu erbauen, zuzustimmen. Die Kosten der Er­weiterung des jetzigen Krankenhauses würden 6070 000 Mk. betragen. Herr Stadtschult­heiß Bätzner-Wildbad, der die Debatte eröffnete, warnt eindringlich vor einer Uebereilung in dieser Frage, die eine eminent wichtige genannt werden muß. Den in Aussicht genommenen Bauplatz hält er für total ungeeignet. Die Wild­bader Deputierten und er hätten sich an Ort und Stelle überzeugt, daß gerade am geplanten Platze das Getöse von den Eisenhämmern der Senjenfabrik am besten gehört wird. Redner findet auch den beabsichtigten Kostenaufwand zu hoch, da ja die Erbauung von Kranken­häusern in Wi dbad und auch in Herrenalb nur mehr eine Frage der Zeit sei und das Be­zirkskrankenhaus dadurch doch wesentlich ent­lastet würde. Redner stellt schließlich den An­trag, die Frage dcs Bezükskrankenhausbaues bis zur nächsten Amtsversammlung, die schon in 2 Monaten stattfiaden soll, zu vertagen, und den Amtsausschuß zu beauftragen, in der Zwischenzeit erneute Erhebungen anzustellen, ob sich nicht noch ein geeigneterer Platz finden ließe. Nach langer Debatte, in die unser Stadtvor­stand noch öfters eingriff, wurde der Antrag des Ausschusses angenommen, jedoch mit dem Vorbehalt, daß der nächsten Amtsversammlung der eigentliche Entscheid nach Einsichtnahme der Baupläne zustcht und der Ausschuß mit Er­hebungen im Sinne des Antrages Bätzner be­traut wird. Indirekt bedeutet dies eine voll­ständige Annahme des letztgenannten Antrages. Zur Annahme gelangten hierauf die Vorschläge der Statutsänderung der Bezirkskrankenpflege­versicherung, die hauptsächlich eine Erhöhung der Beitragssätze involviert. Die Versammlung beschloß bei diesem Punkt, das Verpflegungs­geld aufrecht zu erhalten und auf die von Seiten der Amtskörperschaft geleisteten Vorschüsse zu verzichten, da die Bezirkskcankenpflege stets mit Defizit zu kämpfen hat. Ebenso wurde der Statutenänderung der Oberamlssparkasse, wonach das Einlagemaximum für einzelne Ein­leger 2000 Mk, für Familien und Korporationen 5000 Mk. betragen soll, zugestimmt. Der Bitte

der Bezirksstraßenwärter um Erhöhung ihrer Bezüge wurde dahin entsprochen, daß ihnen eine Aufbesserung von jährlich 20 Mk., ferner Alterszulagrn (nach 2 Dienstjahren 20 Mk. und nach je 3 Jahren weitere 10 Mk., bis zum Höchstbetrage von 50 Mk.) gewährt werden. Der Bezirk wird neu in drei Katastergeometer­bezirke mit dem Sitze in Neuenbürg, Höfen und Herrenalb eingelegt. Die neugebildete Ka­tastergeometerstelle in Herrenalb wurde dem Geometer Schilling von Stuttgart übertragen. Einem Antrag der Gemeinde Feldrennach auf Uebernahme der Straße gegen den Hasenstock in die Unterhaltung der Amtskörperschaft wurde nach lebhafter Begründung durch den Schult­heiß des Ortes und warmer Befürwortung des Landtagsabgeordneten Weiß, stattgegeben. Ein anderes Gesuch dieser Gemeinde um Bewilligung eines Beitrags zum Wartgeld ihres Ortsarztes wurde vorläufig zurückgestellt. Nach Erledigung einiger minder wichtiger Angelegenheiten und Bewilligung eines Beitrags von 300 Mk. zur württ. Veteranenstiftung König Wilhelmspende wurde die Versammlung gegen 2 Uhr von dem Vorsitzenden geschlossen. Ein Festmahl in der Sonne beschloß den Tag der Amtsversammlung.

Htnteryal'tenöes.

Zwei Zlmdertlmrkscheme.

Erzählung von Rudolf Jura.

6f (Nachdruck verboten.)

Schenkt sie mir dann einen einzigen Blick des Dankes, so bin ich belohnt genug. Finden Sie, meine liebe gnädige Frau, einmal eine solche Dame, so lassen Sie es mich wissen, und Sie machen mich überglücklich."

Mit atemlosen Schweigen hatte Anni diesen verführerischen Redefluß über sich ergehen lassen. Jetzt suchte sie befangen nach einer passenden Antwort. Aber zwei junge Leute, die plötzlich an ihrem Tisch mit Platz nehmen zu dürfen baten, machten eine weitere vertrauliche Aus­sprache unmöglich.

Auch Herr von Hankwitz war sehr ärgerlich über die unangenehme Störung, ließ sich aber da­von nichts merken, sondern sagte ganz unbe­fangen:

Ich merke Ihnen an, meine Gnädige, Sie werden ungeduldig, und ich gebe zu, ich habe Ihre Zeit schon über Gebühr lauge in Anspruch genommen. Es ist nur billig, daß ich Sie aus Dankbarkeit wenigstens bis. zu Ihrer Wohnung begleite. Uebrigens freue ich mich, bei dieser Gelegenheit auch gleich einen Blick in den Laden Ihres Herrn Gemahls werfen zu können."

Gemeinsam brachen sie aus. Anni fühlte üch sehr wohl in seiner Gesellschaft und gab sich dem Vergnügen seiner schmeichelnden Unter­haltung auch ganz rückhaltlos hin, da es ja nur noch kurze Zeit währte, und ihrer nach spätestens einer halben Stunde die Einsamkeit der ehelichen Wohnung wartete.

Sowie Herr von Hankwitz den Laden betrat, floß er von Lob über und pries mit Kennermiene die Ordnung, Sauberkeit und die geschmackvolle Einrichtung.

Ah, und da hinten gleich eine eiserne Wendeltreppe zu den Wohnräumen hinauf! Sehr praktisch. Hier kommen gnädige Frau gewiß täglich sehr oft heruntergeklettert, um den beneidenswerten Herrn Gemahl bei der Arbeit zu stören, oder der Herr Gemahl kommt leise herauf, um Sie in der Küche bei der Bereitung seiner Leibspeise zu überraschen. Es gibt doch glückliche Menschen!

Anni fühlte eine Röte in ihr Gesicht stei­gen, die mit Schamröte nur wenig verwandt war. Sie entstammte einer unklaren, aber ge­waltigen Erregung ihres ganzen Wesens. Ihre Augen hefteten sich auf den Gehilfen Böhlein, der respektvoll hinter dem Ladentisch dienerte und sich der etwaigen Befehle des vornehmen Kunden gewärtig hielt. In dem Bewußtsein seiner, wenn auch unbedeutenden Gegenwart, suchte sie gewissermaßen Schutz vor einer ver­hängnisvollen Macht, die sie drohend umgab.

Herrn von Hankwitz war Böhleius unbe­deutende Gegenwart lästig.

Guter Freund," bemerkte er, seine Brief­tasche lässig hervorziehend,da ich einmal hier