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L4ro. SS

Samstag, öen lO. Juni 1905.

41. Jahrgang.

Pfingsten.

Mit dem Pfingsttag in Jerusalem be' gann einst die bisher in der Weltgeschichte beispiellos dastehende Umwälzung im In­nenleben der Völker und des Einzelnen: die Verchri'tlichung der Gedankenwelt. Die Gründung und Geschichte der Kirche Christi ist das Spiegelbild davon.

Welche Mächte sind hier wirksam ge. wesen? Die Pfingstgeschichte zeigt sie. Es sind die scheinbar am wenigsten handgreif­lichen, flüchtigsten und dennoch wirkungs- kräftigsten: Der Geist und das Wort. Die vom Geist Gottes mächtig ergriffenen Jünger Jesu wurden mit machtvollen Worten die Zeugen ihres Herrn: sie, die vorher furcht­sam zurückhielten.

So sind es denn doch nicht jene beiden vielgepriesenen Mächte, die das Leben der Völker bestimmen: Das Geld und die Macht. Macht nur insofern, als sie Gei­stesmacht bei sich hat und durch sie wirkt. Das zeigen uns auch alle Kämpfe unserer Zeit. Die letzten Entscheidungen fallen in Geistesschlachten.

In diesen Geistesschlachten unserer Zeit will siegend der Pfingstgeist eingreisen. Er ist Gottes Geist, wie er in Jesus Christus auf Erden sichtbar geworden ist, Wo er lebendig wird, zeigt er die Kräfte, welche die Pfingstgeschichte aufweist: Einmütig­keit, todesmutige Begeisterung, Glaube und Bruderliebe. Er zwingt die Herzen zu einem Ziel: Einheit in der Liebe. Und wenn er nur in zwölf ungelehrten Men­schen lebendig wird: er hat weltüberwin. denke Kraft.

Wer wird mächtiger sein, als die Kräfte der Zwietracht und des Hasses in unserer Zeit? Der Geist Gottes. Wer gibt ihn uns? Niemals wir selbst. Wie empfangen wir ihn? Indem wir unsere Herzen er­heben zur gläubigen Pfingstbitte:O hei­liger Geist kehr' bei uns ein!"

Rundschau.

Stuttgart, 7. Juni. Die Kam­mer der Abgeordneten beendete heute die allgemeine Beratung des Etats der Post- und Telegrafenverwaltung. Die Sitzung begann mit einer Bemerkung des Abg. Reihling (Vp.) der deu gegen den Oberförster von Kleinenstingen un­längst erhobenen Vorwurf, daß dieser das schönste Holz für sich beanspruche, zurück­nahm. Dann hielt der Abgeordnete Grö­ber eine einstündige Rede, in der er auf den außerordentlich hohen Krankheits­stand unter den Pnstbeamten, namentlich auf die zahlreichen Erkrankungen der Ner­

ven und der Atmungsorgane hinwies und davon die Notwendigkeit ableitete, auf Mittel zu sinnen, um den Krankheilszu­stand zu verringern. Als Hauptmittei be­tonte er Verkürzung der Arbeitszeit und im Zusammenhang damit Verwehrung des Personals, wofür der Landtag sicher, wenn es sich um die Gesundheit der Be­amten handle, jederzeit die Mittel bewilli­gen werde. Die von der Verwaltung auf­gestellten Grundsätze für die Arbeitszeit müßten auch richtig durchgeführt werden. Minister von Soden gab zu, daß der Postdienst in der Tot der anstrengendste sei und daß sich daraus zahlreiche Krank­heiten ergeben; die Verwaltung werde die­ser Erscheinung ihre Aufmerksamkeit zu­wenden, wie sie dies anch bisher getan habe. Im weiteren Verlauf der Debatte, an der sich Präsident v. Majer, sowie die Abg. Haug, Hildenbrand, Hiebe r, Kloß und Henning betei­ligten, kam allgemein die Zustimmung zu den von der Kommission gestellten Anträ­gen zum Ausdruck, die dahin gehen, die Dienstzeit in der Regel ans 51 Wochen­stunden, die der Postunterbeamten in der Regel auf 60 Stunden fellzusetzen, ferner den Schluß der Postschalter allgemein auf 7 Uhr abends, für Massensendungen in der Regel auf 6sts Uhr abends festzusetzen, und sodann in eine Prüfung darüber ein­zutreten, in welcher Weise der Sonntags­dienst tunlichst eingeschränkt werden kann. Dieser Antrag wurde vom Haus einstim­mig angenommen, desgleick en auch der be­reits in unserem letzten Bericht erwähnte Kommissionsantrag zur Eingabe der Be­amten des mittleren Postdienstes.

Stuttgart, 8. Juni. Die Kammer der Abgeordneten hat heute die Beratung des Etats der Post- und Telegraphenver­waltung beendigt und dabei die Schaffung zweier neuer Oberpostmeisterstellen in Bi- berach und Geislingen genehmigt, ferner die Eingabe der Postmeister um Einreih­ung in die Kategorie der Expediteure zwecks gehältlicher Besserstellung gegenüber den untergebenen Postsekretären der Regierung überwiesen und die Eingabe des Aelteren- komitees den zeitweise nnverwendeten Post- Praktikanten um Gleichstellung der letzteren mit den im Postdienst verwendeten Fräu­leins bezüglich der fortlaufenden Verwend­ung der K. Regierung zur Kenntnisnahme, sowie die Bitte der Posthalter Württem­bergs um Neuregelung der Postfuhrver- gütuug zur Berücksichtigung übergeben. Im Lause der Debatte wurde insbesondere von dem Abg. Gröber befürwortet, daß den Schalterbeawten eine Entschädigung für Kassenabmängel gewährt werde; man sollte sie für die Einnahme falscher Kassen­scheine infolge eines Versehens nicht haft­

bar machen. Prälat von Demmler wünschte die Anbringung von Briefkästen für alle Stockwerke in den Parterren zur Erleich­terung des Dienstes der Briefträger, und rechnete unter dem Beifall des Hauses vor, daß ein 40 dreistöckige Häuser bedie­nender Briefträger täglich eine Höhe von 900 Meter zu besteigen habe einmaliger Besteigung jdes Hohenstaufen, dreimaliger Besteigung des Bopsers, viermaliger Be­steigung des Ulmer Münsters bis zur Spitze nnd fünfmaliger Besteigung des Prtersdomes. Haußmann-Balingen empfahl, die Post sollte dem Publikum die Kästen zur Verfügung stellen. Der Minister teilte mit, daß er den Bestrebungen, die Pferdepostwagen durch Automobile zu er­setzen, sympatisch gegenüberstehe. Weiter­hin wurden dann noch die Kap. 122 Er­trag der Münze, 122g, Ertrag des Staats­anzeigers, 123 verichiedene Einnahmen bei der Staatshauptkasse, 110 Leistungen an das deutsche Reich nnd 132 Ueberweisungen aus der Reichskasse, angenommen.

Stuttgart. In Nill's zoologi­schem Garten erweckt Miß Heliot mit ihren 12 dressierten Löwen fortgesetzt das größte Interesse. Heute Samstag tritt die beliebte Dompteuse um 5 Uhr auf, an den beiden Pftngstseicrtagen finden je vormittags 11 Uhr und nach- mittags 4 und 6 Uhr Vorstellungen statt. Die gewöhnlichen Eintrittspreise in den Tiergarten bleiben auch während des Gastspiels der Miß Heliot bestehen, nur diejenigen Besucher, die Sitzplätze (gedeck­ter Raum) beanspruchen, haben eine kleine Nachzahlung zu leisten. Die Vorstellungen finden bei jeder Witterung statt. Ander­weitiger Verpflichtungen wegen kann Miß Heliot nur noch kurze Zeit in Stuttgart verweilen.

Stuttgart, 6. Juni. (Strafkammer.) Der Verlagsbuchhändler Junginger hier oab nach dem Cannstalter Raubmord am 7. Dezember v. I. eineDer Cännstatter Mädchenmord" betitelte Broschüre heraus, i» der der Chauffeur Brüderlcin, der kurz nach dem Mord als mutmaßlicher Täter in Untersuchungshaft genommen, jedoch später bekanntlich wieder frcigelassen wurde, als Mörder und verkommener Mensch be- f zeichnet wird. Das Titelbild der Broschüre zeigt einen Mann mit Chauffeurmütze, der eben im Begriff steht, einem Mädchen den Hals durchzuschnciden. Von der Broschüre, deren Inhalt im Ton einer Moralpredigt gehalten ist, wurden 10 000 Exemplare verkauft. Brüderlcin stellte gegen Jung­inger Strafantrag wegen Beleidigung. Es wurde nun gegen Junginger öffentliche Anklage wegen Beleidigung, begangen durch Verbreitung von Schriften und Abbild­ungen, erhoben. Die Anklage machte