Amtsblatt
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Nrv. 1S3
Isreitag, Herr 30. Aezember 1904.
40. Jahrgang
Vom 1. Januar ab wird die „Wildbader Chronik"
Dienstags, Donnerstags und Samstags
ausgegeben.
E Neujahr,
Die Zeit ist kurz, sagt ein altes Wort. Das klingt so selbstverständlich und alltäglich und doch machen wir immer wieder die Erfahrung, daß so viele selbstverständ- liche und alltägliche Wahrheiten uns nicht recht in den Sinn wollen und uns immer wieder Ueberraschung bereiten.
Jahreswechsel predigt mit ehernen Zungen von der Kürze der Zeit. Kurz ist die Zeit, weil sie so schnell vergeht. Kaum ersaßt, schon geschwunden. Die Stunden von gestern sind durch ein schnelles heute zum morgen geworden. Je länger wir aus -der Wanderschaft uns befinden, je mehr Verlust und Trauer uns begegnet, je mehr wir merken, daß wir nicht Herren unserer selbst sind, desto eiliger entgleiten die Tage den hastenden Händen.
Kurz ist die Zeit, weil sie uns nicht gestattete, alles, was uns erfüllte in Beruf und HauS, zum gewünschten Abschluß zu bringen, weil so viele unserer Entschlüsse, Pläne und Vorsätze nicht zur Ausführung gekommen sind, weil das Wollen immer schmerzlichst hinter dem Vollbringen zurückgeblieben ist. Wer nicht mit geschlossenen Augen durch diese Welt zieht, wer es weiß, daß Selbsterkenntnis der erste Schritt zur Besserung ist, wer sich nicht scheut, wenigstens einmal zur Jahreswende die Bilanz seines Lebens zu ziehen, wird mit Erschrecken den Abgrund zwischen Soll und Haben entdecken. Die rechte Zeit nicht ausgekauft zu haben, ist schmerzlich. Wir geben ihr nicht den rechten Inhalt und darum ist sie zu kurz gewesen. Zeitkürze wird zum Kraftmangel.
Kurz ist die Zeit, weil die Ewigkeit dahinter steht. Unser Leben ist ein beständiges Sterben und wohl uns, wenn darüber geschrieben steht: im Dienste anderer verzehre ich mich! Ein Jahr nach dem andern wird uns genommen, unsere Lieben werden abgerufen und wir vereinsamen, ein neu Geschlecht wächst herauf, das uns nicht versteht, wie wir es nicht verstehen. Und was dann, wenn die Glocken nicht zur Jahreswende, sondern zur Lebenswende läuten? Sind wir bereit. Rechenschaft von unserem Tun und Lassen zu geben in getrostem Vertrauen auf den, der zur Zeitverklärung die Ewigkeit in die Welt gebracht?
Am Neujahrslage sollen wir Menschen der Zeit am Bekenntnis der Ewigkeit
halten: „Tu bist mein Gott, meine Zelt steht, in deinen Händen."
Rundschau.
— Anläßlich des zu erwartenden stärkeren Anfalls von Briefscndungen über Neujahr wird darauf aufmerksam gemacht, daß eine genaue und deutliche Aufschrift wesentlich zur Beschleunigung der Abfertigung, Beförderung und Bestellung der Briefsendungen und zur Fernhaltung von Verzögerungen und Fehlleilungen beiträgt. Bei Postsendungen nach Orten ohne Postanstalt sollte in der Aufschrift außer dem Bestimmungsort auch die Postanstalt angegeben sein, von welcher die Sendung zu bestellen ist. Wenn der Ort der Bestimmungspostanstalt nicht zu den bekann- teren Orten zählt, so sollte seine Lage in der Aufschrift näher bezeichnet werden. — Bei Briefen nach größeren Orten sollte dem Namen des Empfängers die Angabe der Wohnung (Straße und Hausnummer, Stockwerk) be,gefügt werden; bei dem Fehlen solcher Angaben wird für das nicht ganz eingeübte Hilfspersonal der Postanstalten, welches über Neujahr herangezogen werden muß, ein zeitraubendes Nachschlagen erforderlich, was Verzögerungen in der Weitergabe oder in der Bestellung der Briefsendungen mit sich bringt.
Calmbach, 24. Dez. Laut Bekanntmachung des K. Amtsgerichts wird das Konkursverfahren über das Vermögen des Heinrich Blessing, Gastwirts zur Sonne, nachdem der in dem Vergleichstcrmine angenommene Zwangsvergleich durch rechtskräftigen Beschluß bestätigt ist, auf- gehoben.
— Aus dem Jahresbericht des Sana- toriums Schömberg, der ältesten Heilanstalt Württembergs für Lungenkranke, für daS Jahr 1903 gehl hervor, daß durch die Winterkuren mindestens ebensogute Erfolge erzielt wurden, wie durch die Sommerkuren und daß alle Vorzüge des GebirgswinterS, die man für Davos, Arosa usw. gelten läßt, auch für den Schwarzwald in Anspruch genommen werden können. Es sollte darum immer mehr mit dem Vorurteil gebrochen werden, daß Lungenkranke nnr im Süden oder in den altbekannten Kurorten Davos, Arosa usw. gesund werden können und die deutschen Aerzte sollten ihre Patienten in dieser Hinsicht belehren und sie auf die Vorteile der Winterkuren im heimischen Gebirge aufmerksam machen.
Conweiler bei Neuenbürg, 29. Dez. Gestern abend 7 Uhr erschoß sich der ledige, 25 Jahre alte Forstwächter Wilhelm Fies im Garten hinter dem Haus seiner Mutter. Er tötete sich durch einen Revolverschuß in die rechte Brustseite.
Fies war ein fleißiger, solider Mann Es ist ein Rätsel, wie er zu dem Selbst mord kam.
Tübingen, 26. Dez. (Strafkammer.) Wegen eines Vergehens gegen das Wein- und NahrungSmitlelgesetz wurde am Samstag der Küsermeister und Weinhändler Christian Rothsuß in Neuenbürg zu der Geldstrafe von 200 Mk. und Tragung der Kosten verurteilt. Der gefälschte Wein ist zu vernichten; das Urteil ist im Amtsblatt des Bezirks Neuenbürg bekannt zu machen. Rothfnß bereitete Wein, speziell roten Dürkheimcr, aus Zuckerwasser, Obstmost und getrockneten Früchten. Einem Quantum von 4600 Liter Dürkheimer setzte er 1000 Liter Wasser, vermengt mit 8 Zentnern Kristallzucker zu und hielt den so gefälschten Wein auf Lager und brachte davon als Naturwein in Handel. Auch Kaiserstühler vermischte er mit übermäßiger Menge Zvckerwasser. Der Angeklagte behauptete, er habe seinen Weinen nur die nötige „Kellerbehandlung" zu teil werden lassen. Nach sachverständigem Gutachten ist der gefälschte Wein in Geruch, Farbe und Geschmack wcinähnlich, aber gezuckert und übermäßig gewässert.
Reutlingen. (Handwerkskammer.) Eine längere Ansprache veranlaßte die Tatsache, daß gegen eine größere Anzahl Lehrmeister wegen Unterlassung der Anmeldung mit Strafanträgen hatte eingeschritten werden müssen- Das Ergebnis war, daß man — obwohl die Vorschrift bereits seit 3 Jahren in Kraft steht und mehrfach bekannt gemacht, über das An- meldcwesen auch sehr viel gesprochen und geschrieben worden ist — im allgemeinen noch Milde walten lassen und auch in jedem einzelnen Falle die Zustellung eines besonderen Mahnschreibens (nach erfolgloser persönlicher Belehrung durch den Beauftragten) beibehalten wolle. Die Strafanträge sollen für dieses malnoch,wenn die Meister die Anmeldung bewirkt haben und die Versäumnis nicht aus bösen Willen zurückzuführen ist, oder nicht ein Rückfall vorliegt, zurückgezogen werden (vorausgesetzt, daß das Oberamt oder der Gemeinderat nicht schon eine Strafe verfügt hat.)
Lorch, 27. Dezbr. Der Schullehrer Kirchner in Waldhausen wollte It. „Neckar- Ztg." am hl. Abend noch rasch nach Lorch fahren, um etwas Christbaumschmuck ein- zukanfen. Da der Zug schon in Sicht war, mußte sich Kirchner etwas beeilen. Das rasche Laufen wurde dem erst 44jährigen Manne zum Verhängnis. Kaum am Bahnhof angelangt, traf ihn ein Herzschlag, sodaß er tot nach Hause gebracht wurde.
Ulm, 22. Dezbr. Das Kriegsgericht verurteilte den Arbeitssoldaten Menzel