Beilage z.
Mader Chronik.
//
Issro. 124. Areitcrg, den 21. Oktober 1904 40. Jahrgang.
HlrrtevHaltenöes.
Der Diamantstein.
Erzählung von O. Elster.
2) (Nachdruck verboten.)
Liselotte seufzte und beugte sich tief über ihre Arbeit. Ja, sie verkümmerte bei dieser handwerksmäßigen Arbeit, das merkte sie selbst. Aber nicht in dem Sinne, wie ihre Mutter es meinte. Ihr künstlerisches Empfinde», ihr künstlerisches Können und Wirken verkümmerte; sie hätte etwas Großes, Bleibendes schaffen mögen, sie fühlte die Kraft dazu in sich und war verurteilt, für Photographen und Kunsthandlungen allerlei Tand zu malen und zu zeichnen. Und sie mußte noch dankbar sein, daß ihr Lehrer auf der Kunstgewerbeschule, die sie seit einigen Jahren als Freischülerin besuchte, ihr diese Arbeiten verschaffte! Sie brachten doch Geld ein und so vermochte Liselotte die kargen Einnahmen ihrer Mutter wesentlich zu erhöhen.
Die armselige Pension, welche Frau von Jmhoff bezog, reichte kaum zur Wohnungsmiete und doch wohnte man schon vier Treppen hoch in einem Hinterhause. Die Zinsen des kleinen Ber- mögens, welches übrig geblieben war, gingen für die Erziehung der Kinder darauf — zum Leben wäre nichts übrig geblieben, wenn nicht Liselotte schon seit Jahren durch ihre Arbeiten verdient hätte.
„Dir scheint die Stellung bei Frau- lein von Diamantstein nicht zu behagen," fuhr Frau von Jmhoff in pikirtem Tone fort. „Aber bedenke, welche Erleichterung Du mir durch die Annahme der Stellung verschaffst — für Dich ist gesorgt — Du bist sogar in der Lage, Deine Geschwister zu unterstützen, die jetzt erst beginnen, Kosten zu verursachen. Freilich Curt hat eine Freistelle auf dem Cadettencorps, aber binnen einem Jahr verläßt er das Corps, um in die Armee einzutreten. Deine Schwester Käthe wird Ostern kon- firmirt — Alles das kostet Geld . . . ."
Liselotte erhob sich.
„Ich weiß es, Mama," entgegnete sie und ein müdes Lächeln huschte über ihr schönes Antlitz. „Ich bin auch bereit, die Stellung, welche mir Fräulein von Diamantstein anbietet, anzunehmen; nur meinte ich, daß wir diese Unterstützung von fünfhundert Mark nicht nötig hätten. Ich werde auch ohne diese anskommen."
„Soll ich etwa das Geld zurückschicken und dadurch meine Cousine verletzen?"
„Ich glaube, es wäre besser, Du schicktest das Geld zurück — unsere Stellung Deiner Cousine gegenüber wäre eine würdigere und angenehniere.
Frau von Jmhoff lachte auf. „Nie, meine liebe Liselotte, daraus wird nichts!"
„So behalte Du das Geld zu Deinem eigenen Bedarf. Ich behelfe mich schon allein. Nimm es mir nicht übel, Mama, aber es widerstrebt mir, Almosen anzn- nehmen."
„Du übertreibst wieder einmal," erwiderte Frau von Jmhoff lächelnd. „Aber die Hauptsache ist, daß Du die Stellung
annimmst. Wer weiß, welche Gelegenheit sich Dir bietet, Dein Glück zu machen. Auf Schloß Diamantstein herrscht ein großer Verkehr und Du bist ein schönes Mädchen . . ."
„Mama, ich bitte Dich ..."
„Na, es wäre doch nichts Ungewöhn- liches, wenn sich ein Mann in meine hübsche Liselotte verliebte."
Mit mütterlichem Stolz strich sie zärtlich über den dunklen, welligen Schei- tel des jungen Mädchens.
„Halte nur den Kopf hoch, Liselotte," fuhr sie dann fort. „Du wirst Deinen Weg im Leben schon machen. — Und jetzt will ich an Cousine Eleonore Poly- xena schreiben."
Sie nickte ihrer Tochter freundlich zu und verließ das kleine Zimmer, ganz erfüllt von dem Gedanken an das Glück ihrer Tochter.
Liselotte setzte sich wieder an ihren Arbeitstisch vor dem Fenster, aus dem man eine weite Aussicht über Höfe, unbebaute Flächen und Gälten, bis zn den hochragenden Wipfeln des fernen Grune- walds genoß. An der Grenze Charlot- tenbnrgs lag die Straße, in der Frau von Jmhoff ihre bescheidene Wohnung innehatte. Der Lärm des nahen Berlin und des- mit der Weltstadt innig verwachsenen Charlottenburg drang nicht bis zu den einsamen, stillen Straßen in dem äußersten Westen der beiden Schwesterstädte. Nur einzelne hohe Mietshäuser ragten aus den Straßen empor, dazwischen lagen wüste Baustellen, Holz- und Kohlenplätze und angefangene Bauten, die der Winter oder das mangelnde Baugeld des Unternehmers unterbrochen hatte. Jetzt sah die Gegend öde und trostlos ans; aber im Sommer sah man hier noch blühende Gärten, grüne Wiesen und Felder und der Westwind trug den erfrischenden Hauch des Grunewal- des herüber. Wenn nicht die hohen Brandmauern der Mietshäuser, die wüsten Baustellen und die fast alle fünf Minuten vorüberbrausenden Züge der Stadtringbahn gewesen wären, hätte man meinen können, man wohne weit entfernt von der Weltstadt irgendwo auf dem Lande.
Liselotte liebte diesen Fensterplatz mit seiner weiten Aussicht in das flache Land. Hier war ihre Arbeitsstätte, an der sie durch das Werk ihrer fleißigen Hände fast den gesamten Lebensunterhalt für die Mutier und sich bestritt; hier war ihre Erholungsstätte am Abend, wenn die Sonne glührot hinter dem fernen Grüne- wald versank und goldene Reflexe über die in Dämmerungsschleier sich enthüllende Ebene warf. Hier träumte sie ihre Träume von Glück, Ehre und Ruhm, hier versenkte sie sich in die süßen Erinnerungen ihrer Kindheit, als ihr guter, frohgemuter edler,stolzer Vaternoch gelebt, der seine kleine braunlockige Liselotte — diesen Kosenamen hatte er ihr gegeben — so oft auf den Knieen geschaukelt, der so stolz ans sein heranwachsendes, schönes Töch- terchen mit den großen, nachdenklichen, dunklen Angen gewesen war, bis er seine
lieben, treuen Augen zum letzten, ewigen Schlummer geschlossen.
Und jetzt sollte sie diesen LieblingS- platz verlassen? Sollte ihre Zukunfts- Pläne aufgeben, ihre künstlerischen Ar- beiten, ihre Träume von Glück und Ehre und Ruhm? Sollte in das Haus reicher, fremder Verwandten treten, um ihr Glück nach dem Sinne der Welt, der Gesellschaft zu machen?
Das junge Mädchen seufzte tief auf. Sie war sich wohl bewußt, daß ihr keine Wahl blieb, als die Stellung anzunehmen, denn ihre Mutter sah ihre künstlerischen Pläne mit wenig günstigen Augen an und hielt die kunstgewerbliche Beschäftigung Liselottens für eine der Tochter des Leutnants von Jmhoff unwürdige. Nur die Not hatte sie vermocht, ihre Zu- stimmung zu dieser Arbeit ihrer Tochter zu geben. Niemals aber würde sie es dieser verziehen haben, wenn sie die Gelegenheit, in das Haus der hochadeligen Verwandten zu kommen, versäumt hätte.
Langsam erhob sich Liselotte und zog sich zum Ausgehen an. Ihrer Mntter sagte sie, daß sie einige Bilder bei dem Photographen abliesern und die ausstehen- den Gelder einziehen wollre. Sie benutzte die nächste Pferdebahn, und bald war sie mitten im Gewühl der Weltstadt. Dort, wo auf dem Potsdamer Platz meh- rere Straßen münden, und der Verkehr wie ein ununterbrochener Strom brausend und tosend vorüberflutet, verließ sie die Pferdebahn und schritt rasch die König- grätzcr Straße hinunter dem Kunstgewerbemuseum zu.
-ß *
Professor Rottorf, der Lehrer an der ersten Malklasse an der Kunstgewerbeschule, arbeitete in seinem Melier, zugleich die Arbeiten einiger Schüler überwachend. Er ging von einem Schüler zum anderen, warf einen prüfenden Blick auf ihre Arbeiten indem er einigekritische Bemerkungen fallen ließ. Ein Mann von vielen Wor- ten war der kleine kugelrunde Professor während seiner Unterrichtsstunden nicht; aber wer einmal in vertrauter Stunde Worte der tiefen Begeisterung für seine Kunst aus seinem Munde vernommen und in diese großen, nachdenkenden und doch so seltsam leuchtenden Augen gesehen, die sich gewöhnlich halb unter den dunk- len Wimpern verbargen, der erkannte die echte, wahre Künstlersekle dieses äußerlich so unscheinbaren Mannes und verstand den Einfluß, den er auf die Kunstjünger und -Jüngerinnen ausüben mußte. Wenige Worte genügten, um seinen Schülern den richtigen Weg zu weisen. Sein Beispiel wirkte überaus befruchtend und anrenoend. Sein künstlerischer Ernst, verbunden mit harmlosem Frohsinn und einem tief mitfühlenden Herzen machten ihn zu dem Ideal aller Schüler und Schülerinnen.
„Nun ist's genug, meine Herren," ries er, als er alle Arbeiten besichtigt hatte. „Für heute wollen wir aufhören. Das Licht wird auch schon ungünstig. Auf Wiedersehen!"
(Forts, folgt.)