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Aufsichtsrat soll zur Schadloshaltung der Aktionäre herangezogen werden. Der flüchtige Direktor Hollmann ist unauf­findbar.

L e M a n s, 9. Juni. Durch das gewaltige Unwetter wurde die untere Ort­schaft Marners fast vollständig zerstört. Der Schaden wird auf über eine Million Franks geschätzt. 400 Personen sind ob­dachlos.

Innsbruck, 9. Juni. Heute nacht ist das Hotel Seespitz am Achensee, der Endpunkt der Zahnradbahn, ganz nieder, gebrannt.

London, 11. Juni. Aus Tokio wird gemeldet: Die japanischen Truppen unter General Oku besetzten die die nordwestlichen Außenforts dominierenden Höhen nach heftigem Artilleriekampf. Sie nahmen darauf die wichtigen Wangtail- sortS fort. Die japanische Flotte unter­stützte diese Operationen.

Lokales.

Wildbad, 13. Juni. Am letzten Samstag hielt der Turnverein im Gast­haus zum Badischen Hof seine diesjährige ordentliche Generalversammlung ab. Bei den erfolgten Neuwahlen wurden gewählt: als Vorstand: Karl Kallfaß, als Kas­sier: Fritz Kuch, als Schriftführer: Karl Münz, als Turnwart: Ernst Fröhlich, und als weitere Ausschuß­mitglieder.- Robert Maier, Karl Kern und Fritz Schmid, sowie als ersetzendes Ausschußmitglied: Hans Kühle. Es konstituirt sich somit der ganze Turnausschuß aus den bereits früher gewählten Personen.

Wildbad, 13. Juni. Gestern unter­nahm derSängerkranz" Pforzheim einen Familien-Ausflug hieher. Die Gesellschaft kam mit Extrazug an; eine stattliche Zahl von Teilnehmern wohl mehr Personen als eine kleinere Dorfgemeinde zählt entstieg dem Zug. Zeigte die zahlreiche Beteiligung, daß unsere badische Nachbarstadt gerne hieher pilgert, so be­wiesen die Leistungen des Vereins, daß in Pforzheim, der Goldstadt, auch das lautere Gold der Ideale zu finden ist. Mit welchem Eifer und mit welcher Be­geisterung folgten die Sänger der sicheren Führung ihres Dirigenten! Wie voll und ganz waren sie bei der Sache! Kein Wunder, daß auch ihre Lieder, die vom Herzen kamen, zum Herzen drangen! Versetzten uns die beiden Rheiulieder, welche der stattliche und gutgeschulte Chor zum Vortrag brachte, an den schönen u. erheiternden Rhein, so ließen die 2 zu Gehör gebrachten Volkslieder mit ihrer tiefen Gemütsinnigkeit die zarteren Sai- len unserer Seele erklingen. Besonders hat uns das LiedUebers Jahr" ge- fallen. Der Sängerkranz Pforzheim verfügt über ein gutes Material, insbe­sondere über gute Tenöre, welche aller­dings zuweilen im Drang der Begeister­ung desBasses Grundgewalt" zu klein erscheinen lassen. Recht erfrischend war die durch den starken Beifall der überaus zahlreichen Zuhörer veranlaßte Dreingabe des VereinsDurch den Wald". Die Kgl. Kurkapelle, welche in Verbindung mit dem genannten Verein konzertierte, verschönte durch prächtige Vorträge die genußreichen Stunden. Unter den Zu-i Hörern bemerkten wir auch viele Mit- Glieder des hiesigen Liederkranzes. Wenn auch in letzter Zeit dessen Tätigkeit auf Lem Gebiete des Männergesangs vielfach

anerkennend gedacht worden ist, so mag im Hinblick auf die stattliche Sängerzahl der Psorzheimer doch mancher Lieder- kränzler (und vielleicht auch mancher andere SangeSfreund) mit einem gewis­sen Unmut die Frage erhoben haben: Sind denn in Wildbad die idealen Gü­ter des Lebens so gering geachtet, daß trotz der musikalischen Begabung der Einwohnerschaft unser Häuflein nicht zu einem stattlichen Haufen anwachsen will? Was erhebt das Herz denn mehr als ein schöner Gesang? Dürfen wir hoffen, daß diese seelische Dissonanz in absehbarer Zeit durch eine friedliche Harmonie aufgelöst wird?

MntevhaLtenöes.

Aus Nacht Min Licht.

von Hugh Conway.

51) (Nachdruck verboten.)

Soweit es mich betrifft, verzeihe ich Ihnen gern."

Er zögerte einen Augenblick und streckte dann seine Hand aus. Die Tür war jetzt offen und ich konnte die dicht­gedrängten, abstoßenden Verbrechergesich­ter sehen, die Gesichter seiner Mitgefang­enen; ich konnte ihr neugierieges und verwundertes Geplapper vernehmen, konnte den faulen Dunst riechen, welcher aus dieser stinkenden, mit schmutziger Mensch­heit überfüllten Höhle drang. Und in einem Orte wie dieser, mit solchen Ge­fährten, sollte ein Mann von Erziehung, Bildung und Geschmack seine letzten Tage verleben! Eine entsetzliche Strafe, doch war sie wohlverdient. Wie er so mit ausgestreckter Hand auf der Schwelle stand, fühlte ich's. Der Mann war nach Absicht und Gesinnung ein Mörder. So sehr mich auch sein Geschick bewegte, konnte ich mich doch nicht überwinven, seine Hand zu ergreifen. Meine Weigerung mochte hart sein, aber ich konnte nicht anders.

Als er sah, daß ich seine Bewegung uicht erwiderte, flog Schamröte über sein Antlitz; er neigte den Kopf und wandte sich ab. Der Soldat faßte ihn rauh am Arm und stieß ihn durch den Torweg. Da wandte er sich um und seine Augen begegneten den meiuigen mit einem Aus­drucke, welcher mich tagelang- verfolgte. Er schaute noch so, als das schwere Tor sich schloß und ihn für immer meinen Blicken entzog.

Ich wandte mich mit schwerem Herzen zum Gehen, vielleicht bereuend, daß ich etwas zu seiner Schmach und Strafe hin­zugefügt habe. Ich suchte meinen gefäl­ligen Freund, den Kapitän auf und er­hielt sein Ehrenwort, daß alles Geld, welches ich ihm übergebe, zum Besten des Sträflings verwendet werden würde. Ich überreichte ihm eine beträchtliche Summe und will nur hoffen, daß wenigstens ein Teil davon seiner Bestimmung zugeführt worden sei.

Dann suchte ich meinen Dolmetsch und befahl, scgleich Pferde herbeiznschaffen und die Tarantaß vorzufahren. Ich wollte unverzüglich nach England abreisen zu Paul ine!

In einer halben Stunde war alles bereit. Ich und Iwan stiegen in den Wagen, der Jemschik schwang seine Pest- sche, die Pferde griffen aus, die Glöcklein klingelten lustig und fort ging's in der

Dunkelheit auf die Rückfahrt, welche viel tausend Meilen betrug. Erst jetzt, wo ich vor Verlangen brannte, wieder daheim zu sein, ward mir die furchtbare Ent­fernung klar, welche zwischen mir und meiner Liebe lag.

Eine Biegung des Weges verbarg bald den düstern Ostrog vor meinen Blicken, aber erst als wir viele Meilen weit waren, fand mein Geist ein wenig sein Gleichgewicht wieder, und Tage ver­gingen, ehe ich aufhörte, fast ununter­brochen an den schrecklichen Ort zu den­ken, an welchem ich Ceneri gefunden und in welchem er nach beendetem Gespräche mit mir wieoer eingeschloffen worden war.

Da dies keine Reisedeschreibung ist, will ich auch die Reise nicht rekapitulieren. Das Wetter war fast immer günstig, die Wege in gutem Zustande. Meine Unge­duld zwang mich, fast Tag und Nacht zn reisen. Ich sparte keine Ausgaben; mein außergewöhnlicher .Paß verschaffte mir Pferde, wenn andere ^Reisende zu war­ten gezwungen waren, meine großen Trink­gelder ließen diese Pferde so schnell als möglich dahinjagen. In fünsunddreißig Tagen fuhren wir am Hotel Russia in Nischni Nowgorod vor. Die Tarantaß war in einem so beschädigtem Zustande, daß eine weitere Station ihrem irdischen Dasein wohl ein Ziel gesetzt haben würde. Ich schenkte sie gern meinem Führer, welcher dieselbe, wie ich glaube, sogleich für drei Rubel verkaufte.

Von Nischni mit der Eisenbahn nach Moskau; von Moskau nach St. Peters­burg. Ich hielt mich iu der Hauptstadt nur so lange auf, um Lord * * * meine Auswartung zu machen und ihm nochmals für seine Unterstützung zu danken; dann nahm ich wieder das Gepäck an mich, welches ich da zurückgelassen hatte, und fort ging's nach England!

Auf meinem Rückwege von Irkutsk fand ich Briefe von Priscilla in Tomsk, Tobolsk und Perm, und später geschrie­bene iu St. Petersburg. Alle bis zum neuesten meldeten wir, daß alles gut gehe. Priscilla hatte ihren Pflegling nach De- vonshire gebracht. Da die Alte in der Gegend aufgewachsen war, hatte sie gro­ßes Vertrauen auf deren wohltuende Wirkungen. Sie befanden sich an einem ruhigen, aber hübschen kleinen Badeorte an der Nordküste, und Priscilla meldete, daß Paulineblühe wie eine Rose und so vernünftig scheine wie Master Gilbert selber."

Kein Wunder, daß ich mich bei so guten Nachrichten danach sehnte, nach Hause zu kommen, nicht nur, um meine Gattin wiederzusehen, sondern sie zu sehen, wie ich sie noch nie gesehen hatte, mit wiedergenesenem Geiste. Ob sie sich mei­ner erinnerte? Wie würde unsere Begeg­nung sein? Würde sie mich endlich lieben lernen? War mein Kummer zu Ende, oder sollte er erst beginnen? Alle diese Fragen konnten nicht beantwortet werden, bevor ich England erreichte.

Endlich daheim! Wie köstlich, unter seinen Landsleuten zu sein und um sich herum nur gutes, verständliches Englisch zu hören. Ich bin gebräunt von Wind und Sonne, mein Bart hat eine große Länge erreicht; ein oder zwei Bekannte, denen ich bei der Ankunft in London be. gegnete, erkannten mich kaum. In mei. ner gegenwärtigen Gestalt konnte ich nicht hoffen, in Paulinens Seele irgend eine Erinnerung zu erwecken. (Forts, folgt.)