Beilage z.Wildbader Chronik.

Uro. 48.

Untevhattenöes.

Ans Nacht zum Licht.

27) von Hugh Conway.

Meine Idee war vielleicht absurd, aber warum sollte ich nicht den Versuch wagen ? Ich zog meinen Schlüssel au-der Tasche, ein Duplikat von dem, welchen ich früher einmal benutzt hatte, und steckte ihn ohne Hoffnung auf Erfolg ins Schloß. Als ich aber fühlte, daß er öffnete, und sah, wie das Tor sich auftut, da zitterte ich vor Schrecken, denn es war mir plötzlich zur Gewißheit, daß dies kein bloßer Zufall sein könne. Als die Türe sich öffnete, ging Pauline ohne ein Wort, ohne eine Bewegung der Ueberraschung, ohne irgend ein Zeichen, daß sie meine Gegenwart bemerke, an mir vorüber und trat zuerst ein. Ich folgte ihr und befand mich, nachdem ich die Haustüre hinter mir geschlossen hatte, in vollkommener Finsternis. Ich hörte ihren leichten, raschen Schritt vor mir, hörte, wie sie die Treppe hinaufschritt, eine Türe öffnete, und dann, erst dann gewann ich Geistesgegenwart genug, meine Glieder zu zwingen, ihr zu folgen, mein Blut war wie zu Eis geronnen, meine Haut schauderte, mein Haar sträubte sich, als ich die Flur durchschritt und die Stiege ohne Schwierigkeit fand. Wie hätte ich sie auch nicht finden sollen, so finster, so pechfinster es auch war? Ich kannte den Weg so gut! Schon einmal hatte ich sie in der Dunkelheit erreicht, und wie manches Mal hatte ich in meinen Träumen diesen Raum durchmessen! Wie eine jähe Offenbarung überkam mich die Wahrheit. Sie kam über mich, als der Schlüssel sich im Schlosse umdrehte. Es war dasselbe Haus, in welches ich vor drei Jahren geraten war. Ich durch­schritt dieselbe Flur, erstieg dieselbe Stiege und sollte in demselben Zimmer stehen, in welchem jenes schreckliche, un- gesühnte Verbrechen stattgefunden hatte. Ich sollte mit meinem wiedergefundenen Sehvermögen, die Stelle sehen, wo ich blind und hilflos, fast als ein Opfer meiner Tollkühnheit gefallen wäre. Aber Pauline, was führte sie hierher? . . .

Ja, ich fand, was ich erwartet hatte, ja sogar gewiß wußte. Die Stiege war dieselbe und alles an derselben Stelle. Alles war wieder wie in jener schreckli­chen Nacht, selbst die Dunkelheit war dieselbe. Mir war, als seien die drei Jahre seitdem nur eiu Traum gewesen, als sei ich noch immer blind, als besäße ich gar keine Gattin. Mit Gewalt mußte ich mich diesen Einbildungen entschlagen. Wo mar Pauline? Wieder zu mir selber gekommen, sah ich die Notwendigkeit ein, vor allem Licht zu machen. Ich zog mein Feuerzeug hervor, zündete ein Wachskerzchen an, und beim Scheine desselben betrat ich das Zimmer, in welche» ich einsten» eingetreten war mit wenig Hoffnung, es je wieder zu ver­lassen. Mein erster Gedanke, mein erster Blick galt Paulinen. Da war sie, auf­recht, mmitten des Zimmers stehend, die Hände an die Stirne gedrückt. Der

, öerr IS. Aprit 1904

Ausdruck ihres Gesichtes und ihrer Augen war wenig verändert, und es war leicht zu sehen, daß sie noch nichts klar begriff. Aber ich fühlte, daß etwas in ihr rang, und ich hatte Angst vor dem Augenblick, wo es Zusammenhang und Gestalt ge­winnen sollte, Angst für sie und Angst für mich selber. Was für schreckliche Erlebnisse konnte es mir enthüllen!"

Das Wachskerzchen war bis auf mei­nen Finger herabgebrannt, und ich war gezwungen, eS fallen zu lassen. Ich zündete ein andere» an und suchte irgend etwas, um die Beleuchtung dauernder zu machen. Zu meiner großen Freude fand ich eine Halbabgebrannte Kerze in einem Leuchter auf dem Kamin stehen. Ich blies den dicken Staub aus der Höhlung, welche das geschmolzene Wachs unten um den Dochl gebildet hatte, und mit einiger Mühe gelang es mir, die Kerze anzu­stecken. Pauline stand noch immer in derselben Stellung da, doch schienen mir ihre Atemzüge rascher zu gehen. Ihre Finger spielten konvulsivisch um ihre Schläfen, von welchen sie ihr dichte» dunkles Haar zurückzerrte, als wollte sie die Gedanken mit Gewalt in das leere Gefäß de» Geistes zurückzwingen. Es blieb mir nichts übrig, als zu warten, und während ich wartete, schaute ich mich um.

Wir befanden uns in einem ziemlich großen Zimmer, reich, aber nicht modern möbliert, wie man eS in einem gewöhn­lichen Miethause zu finden pflegt. Man sah, daß es schon längere Zeit unbewohnt war, da der Staub dick auf allen Möbeln lag. Ich war imstande, mich so zurück­zuversetzen, daß ich sogar die Zimmereckc auffand, in die man mich gestellt hatte, während die Mörder so eifrig beschäftigt waren. Ich fand die Stelle, wo ich über den noch zuckenden Körper gefallen war, und ich schauderte, während ich doch nicht widerstehen konnte, am Fußboden nach Spuren des Verbrechens zu forschen. Aber wenn auch der Teppich noch derselbe sein mochte, er war von dunkelroter Farbe und bewahrte sein Geheimnis wohl. An dem einen Ende des Zimmers war eine Flügeltüre, es mußte dieselbe sein, hinter welcher ich jene Klagetöne gehört, die mich seitdem so oft verfolgt hatten. Ich öffnete sie, hielt meine Kerze in die Höhe und blickte in das nächste Gelaß. Es war ei» ähnliches Zimmer wie das erste, aber es enthielt, wie ich sicher erwartet hatte, ein Piano, dasselbe Piano vielleicht, dessen Klang in jenen Schreckens­ruf übergegangen war.

WaS überkam mich? Welcher Be­weggrund leitete mich? Da» wird mir nie klar werden. Ich stellte den Leuchter nieder, trat in das zweite Zimmer, öffnete den staubbedeckten Deckel des Pianos und schlug einige Noten an. Ohne Zweifel waren cs die düsteren Erinnerungen die­ses Ortes, welche mich bewogen, ohne weiteren Zweck oder besondere Absicht die Takte zu versuchen, welche jene große Arie einleiteten, die ich vor der Außen­türe lauschend von einer so süßen Stimme hatte singen hören, mich fragend, wessen Stimme dies wohl sein könne. Wie ich nun diese Noten anschlug, schaute ich

40. Jahrgang.

durch die offene Tür auf dir regungslose, statuenhafte Gestalt Paulinens.

Ein nervöses Zittern schien sie zu überlaufen. Sie wandte sich um, kam auf mich zu und in ihrem Antlitze war ein Ausdruck, welcher mich das Piano zu verlassen zwang, indem ich mich ver­wundert und furchtsam fragte, was jetzt geschehen werde.

Der Mantel, den ich ihr übergewvr- fen hatte, war ihr von den Schultern geglitten. Sie setzte sich auf den Stuhl vor dem Piano und spielte brillant und fehlerlos den Eingang der Arie, von der ich einige Takte unsicher angeschlagen hatte.

Ich war wie vom Blitze gerührt. Noch nie bis jetzt hatte sie die geringste Neigung für Musik gezeigt, dieselbe schien sie, wie gesagt, eher zu belästigen und aufzuregen. Und jetzt zauberte sie Töne hervor, welche niemand diesem vernach­lässigten und verstimmten Piano zuge­traut hätte.

Aber nach den ersten Takten schon schwand mein Erstaunen. Als ob es mir jemand gesagt hätte, so genau wußte ich, was jetzt erfolgen würde. Ich war sogar, als die Stelle kam, wo die Singstimme einfallen mußte, darauf vorbereitet, Pau­line die Arie so fehlerlos singen zu hören, wie sie die Begleitung spielte, aber mit derselben verhaltenen Stimme, wie in jener schrecklichen Nacht. So sicher war ich meiner Sache, daß ich mit atemloser Spannung auf die Stelle wartete, wo der Gesang damals, als ich demselben zuerst gelauscht, abgebrochen hatte, so sicher meiner Sache, daß in demselben Augenblick», wo sie aufspraug und aber­mals jenen Schreckensruf ausstieß, auch meine Arme sie schon umfaßt hatten und auf ein nebenstehendes Sofa trugen. Sie wie ich hatten alle Begebenheiten jener schrecklichen Nacht nochmals durchlebt. Pauline hatte die Erinnerung an die Vergangenheit wiedergefunden im gleichen Augenblick, wo sie dieselbe einst verloren hatte.

Wa» dieser Umschwung möglicherweise bei ihr bewirken konnte, ob er wohltätig oder schädlich sei, das zu bedenken, hatte ich jetzt keine Zeit, denn alle meine Sorge wurde von Paulint in Anspruch genom­men. Ich hatte eine schreckliche Aufgabe! Ich mußte sie mit Gewalt Niederhalten, mußte sie auf alle mögliche Art zu be­sänftigen und ibr Geschrei zu ersticken suchen, welches so gellend war, daß ich fürchtete, es werde die Nachbarn auf­schrecken. Ich war so fest überzeugt, als könne ich ihre Gedanken lesen, daß sie während der ganzen Zeit, wo sie sich wehrte, mich zurückzustoßen und aufzu­springen versuchte, alles das wieder zu erleben meinte, was sich einst begeben. Wiederum wurde sic von starker Hand nicdergehalten, wahrscheinlich auf demselben Lager, und wiederum wurde ihr Ringen allmählich schwächer und ihr Geschrei matter. Es fehlte nur noch, daß dasselbe bis zu jenem entsetzlichen Röcheln herab- sank, um das Bild, soweit es sie betraf, vollkommen zu machen. Der einzige Un­terschied bestand darin, daß die Hände, welche sie jetzt niederhielten, liebevolle Hände waren. (Forts, folgt.)