Beilage z. „Wildbader Chronik."
Urs. 31.
Ireitcrg, öerr 1k. März 1904
40. Jahrgang.
Hlnterhattenöes.
Ans Nacht Min Licht.
von Hugh Conway.
14) (Nachdruck verboten.)
Da mir jedes Wort und alles Tun Paulinens zeigte, daß sie wohlerzogen und gebildet sei, war ich sehr überrascht über ihre vollständige Unkenntnis der Litteratur. Wenn ich einen Autor nannte, eines Buches erwähnte, ging dos unbemerkt an ihr vorüber, oder sie schaute mich groß an, wie verwundert über meine Anspielung oder betrübt über ihre Unwissenheit. Obwohl ich sie jetzt schon einigemal gesehen hatte, war ich doch nicht zufrieden mit den Fortschritten, die ich gemacht; ich fühlte, daß ich noch nicht den Grundton ihres Naturells angeschlagen hatte.
Kaum war die alte Dienerin, Duenna, Freundin oder was sie war, wieder gesund, erfuhr ich etwas Ueberraschendes. Meine Hausfrau fragte mich, ob ich ihre obere Wohnung nicht irgend einem Bekannten empfehlen könne — einem so soliden Herrn, wie ich sei, fügte sie gü- tigst hinzu —, Miß March ziehe aus, und sie, die Hausfrau, ziehe jetzt einen Herrn als Mieter vor.
Ich war überzeugt, daß das ein Streich dieser alten Hexe Teresa sei. Sie hatte mir giftige Blicke zugeworfen, wenn wir einander auf der Treppe begegneten, hatte mir unfreundlich geantwortet, wenn ich sie nach ihrem Befinden fragte — mit einem Wort, ich wußte» daß sie meine Gegnerin sei, daß sie meine Gefühle für Pauline entdeckt habe und uns um jeden Preis trennen wolle. Ich wußte nicht, wie groß ihre Macht oder ihr Einfluß über das Mädchen sei, aber ich hatte seit einiger Zeit aufgehört, sie als eine einfache Dienerin zu betrachten. Der Umstand nun, daß meine Hausgenossen aus- ziehen wollten, zeigte mir die Notwendigkeit, diese unangenehme alte Gesellschafterin auf meine Seite zu bringen, wenn meine Bewerbung um Pauline irgendwie Erfolg haben sollte.
Noch an demselben Abend, als ich sie die Stiege Herabkommen hörte, öffnete ich meine Türe und stand ihr gegenüber.
„Signora Teresa," sagte ich so höflich wie möglich, „wollen Sie wohl die Güte haben, in mein Zimmer zu treten? Ich wünschte mit Ihnen zu sprechen."
Sie warf einen raschen, mißtrauischen Blick auf mich, erfüllte indes dennoch meinen Wunsch. Ich schloß die Türe und bot ihr einen Stuhl an.
»Ist Ihr armes Knie wieder ganz heil?" fragte ich teilnehmend in italienischer Sprache.
„Ganz heil, Signor," entgegnete sie lakonisch.
„Wollen Sic vielleicht ein Glas süßen Weines nehmen? Ich habe welchen hier."
Teresa machte trotz unserer gegenseitigen feindseligen Stellung keine Einwendung, und so füllte ich ein Glas und sah zu, wie sie es beifällig ausschlürfte.
„Ist die Signorina, ist Miß March wohl? Ich habe sie heute nicht gesehen."
„Sie ist wohl."
„Ueber sie eben möchte ich mit Ihnen sprechen, Sie werden das schon erraten haben ?"
„Ich habe es erraten." Dabei warf mir Teresa einen mürrischen, mißtrauischen Blick zu.
„Ja," fuhr ich fort, „Ihre wachsamen, treuen Augen haben gesehen, was ich vor Ihnen auch gar nicht zu verbergen wünsche. Ich liebe die Signorina Pauline."
„Sie ist nicht zum Lieben," sagte Teresa mürrisch.
„Eine solche Schönheit muß geliebt werden. Ich liebe sie und will sie heiraten."
„Sie ist nicht zum Heiraten."
„Hören Sie, Teresa, ich sage, daß ich sie heiraten will. Ich bin ein Gentleman und reich; ich habe fünfzigtausend Lire jährlich."
Die Höhe meines Einkommens, in ihrer vaterländischen Münze großartig klingend, verfehlte nicht, Eindruck aus sie zu machen. Wenn ihre Augen, als sie die meinigen trafen, auch noch immer so unfreundlich wie sonst dreinblickten, so sagte mir doch der Ausdruck des Erstaunens und des wachsenden Respekts in denselben, daß ich ihre schwächste Seite, die Habgier, berührt habe.
„Sagen Sie mir nur, weshalb ich die Signorina nicht heiraten sollte? Sagen Sie mir, wer ihre Verwandten sind, damit ich dieselben aufsuchen und um ihre Hand anhalten kann."
Sie ist nicht zum Heiraten."
Dies war alles, was ich aus der Alten herausbringen konnte. Sie wollte mir nichts über Paulinens Verwandte oder Freunde Mitteilen und wiederholte nur immer, daß sie weder zum Lieben noch zum Heiraten sei.
Mir blieb nur ein Ausweg. Teresas gieriger Blick, als ich meines Einkommens erwähnte, hatte Eindruck auf mich gemacht. Ich mußte mich zu der gemeinen Tat der Bestechung herablasse«; der Zweck mußte die Mittel heiligen.
Da ich oft reiste, pflegte ich gewöhn- lich eine große Summe Geldes bei mir zu tragen. Ich zog mein Taschenbuch heraus und zählte hundert Pfund in neuen raschelnden Noten heraus, welche Teresa begehrlich beäugelte.
„Sie wissen, was die da wert sind?" sagte ich. Sie nickte. Ich schob ihr zwei Noten zu und ihre magere Hand zitterte vor Begier, danach zu greifen.
„Sagen Sie mir, wer Miß Marchs Verwandte sind und nehmen Sie dafür diese beiden Banknoten; alle übrigen sollen Ihnen gehören an unserem Hochzeitstage."
Die Alte saß ein Weilchen still da, aber ich wußte, daß sie vergebens gegen diese Versuchung kämpfte. Dann hörte ich sie murmeln: „Fünfzigtausciid Lire! Fünfzigtausend Lire jährlich!" Der Köder wirkte. Endlich erhob sie sich. „Nun, nehmen Sie das Geld?" fragte ich.
„Ich kann nicht, ich darf nicht. Ich bin gebunden. Aber . . ."
„Aber was?"
„Ich will schreiben. Ich will das, was sie sagten, dem äottors mitteilen.
„Wer ist der Doktor? Ich kann ihm schreiben oder ihn besuchen."
„Sagte ich N äottorv? Da versprach ich mich. Nein, Sie dürfen nicht schreiben. Ich will ihn fragen und er muß entscheiden."
„Werden Sie ihm gleich schreiben?"
„Gleich." Und Teresa, mit einem bedauernden Blicke auf das Geld, wandte sich, um mich zu verlassen.
„Sie sollten diese zwei Noten nehmen," sagte ich, ihr dieselben darreichend.
Sie steckte sie mit fieberischem Entzücken in die Tasche.
„Sagen Sie mir, Teresa," versetzte ich schmeichelnd, „sagen Sie mir, ob Sie denken, daß die Signorina Pauline sich etwas aus mir macht?"
„Wer weiß das," entgegnete die Alte mürrisch. „Ich weiß es nicht. Ich sage Ihnen nur, sie ist nicht zum Lieben und nicht zum Heiraten."
Nicht zum Lieben und nicht zum Heiraten! Ich lachte laut auf über diese fixe Idee der Alten. Wenn es auf Erden ein Mädchen gab, welches mehr zum Lieben und Heiraten geschaffen war, als andere, so war es die schöne Pauline! Was konnte also Teresa meinen? Dann erinnerte ich mich an die Andacht, mit welcher sie in San Giovanni gebetet hatte, und welch eine eifrige Katholikin sie sei, und kam auf den Gedanken, sie möchte wünschen, daß Pauline den Schleier nehme. Das erklärte alles!
Jetzt, wo ich Teresa erkauft hatte, konnte ich hoffentlich Paulinens Gesellschaft ohne Spionage oder Unterbrechung genießen. Die Alte hatte mein Geld genommen und würde ohne Zweifel alles tun, um noch mehr zu gewinnen. Wenn ich das Mädchen überreden konnte, täglich einige Stunden in meiner Gesellschaft zu verbringen, brauchte ich kein Hindernis von seiten Teresas mehr zu fürchten, denn die Bestechungssumme war angenommen worden und ich hatte, wenn auch etwas beschämt über daS Mittel, mein Ziel erreicht.
Da ich am nächsten Morgen ein wichtiges Geschäft hatte, mußte ich meine weitere Liebeswerbung bis zum Abend verschieben. Dieses Geschäft hielt mich einige Stunden vom Hause fern, und als ich endlich nach Maida vale zurückkehrte, war ich wie vom Donner gerührt, als ich hörte, daß meine Hausgenossen die Wohnung bereits verlassen hätten und ausgezogen seien. Die Hausfrau hatte keine Idee, wohin sie gegangen. Teresa, welche, wie es schien, die Kasse führte, hatte die restliche Miete gezahlt und war mit ihrer jungen Herrin verschwunden. Mehr konnte fie mir nicht sagen.
Mit einer Verwünschung auf die italienische Hinterlist warf ich mich in einen Stuhl und nur der Gedanke an die italienische Habsucht gab mir wieder Hoffnung. Vielleicht schrieb oder kam Teresa wieder; ich hatte die gierigen Blicke nicht vergessen, welche sie auf mein Geld geworfen hatte. Aber Tag auf Tag verstrich ohne Brief oder Botschaft.
(Fortsetzung folgt.)