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ein auf die rechte Höh» zu bringen. Er dankt» ihm für seine große Treue und selbstlose Aufopferung im Ver»in, dessen heutige Leistungen seinem Dirigenten alle Ehre machen und gedachte in Humor» und gemütvollen Worten aller, die im einzelnen und gesamten zu dem guten Gelingen de- Famili»nabends beigetragen haben. Da Herr Stadtpfarrer Auch Heuer auf eine 10jährige Vorstandschaft zurück­blickt, feierte Herr Postmeister Herrmann denselben in einem mit Beifall aufgenom- menen Toast als trefflichen Vorstand. Das Programm wurde von allen Be» teiligten flott durchgeführt. Die Chöre und Quartette klangen voll und rein, der Vortrag der Klavierstücke (Frl. Mina Fehl­eisen) zeugte von feinem musikalischem Verständnis, das Trio (Frl. Auch, Frl. Wetzet und Frau Kübel) und die Ge- sangssoliS(Frl.M. Fehleisen, Hr. Post- fekretär Kübel) fanden ungeteilten Bei­fall, ebenso sehr erfreuten die schönen gesanglichen Zugaben außer Programm (Frl. Hau der, Frl. Meta Schmid, Frl. Wetzel und Frl. Weber.) Eine angenehme Abwechslung brachten humo­ristische Gedichte in schwäbischer Mundart und ein poetischer Rückblick über den Kirchenchor im vergangenen Sangesjahr. Der in den launig»» Versen ausgespro­chene Wunsch, daß die aktiven Mitglieder auch künftighin gerne und fleißig in den Kirchenchor kommen mögen, sei auch hier .wiederholt. Nur dadurch kann eine im­mer höhere Stufe des idealen Wirkrns in demselben erreicht werden.

Mntevtzcrctenöes.

Aus Nacht Min Licht

von Hugh Conway.

S) (Nachdruck verboten.)

Ich bin bisher so sehr damit beschäf­tigt gewesen, die Grausamkeit m»ineS Geschickes zu beklagen, daß ich noch nicht erzählt Hobe, wie ich in meinem Elende doch einen Trost hatte, der so vielen Blinden zu teil wird: die Musik. Ohne dieselbe würde ich, wie ich glaube, durch diese langen Wochen von Finsternis und Ungewißheit zum Wahnsinn getrieben worden sein. Wäre es mir nicht ver­gönnt gewesen, so manche schwere Stunde damit zu verbringen, daß ich selber spielte, oder in Konzerte zu gehen, wo ich andere fingen und spielen hörte, meine Tage würden unerträglich gewesen sein, und ich schaudere bei dem Gedanken daran, welche Mittel ich zu Hilfe gerufen haben würde, um dieselben erträglicher zu ma­chen ... Ich wartete und lauschte auf das Lied; dasselbe war aus einer Oper, welche erst unlängst auf dem Kontinent .aufgetaucht und in England noch nicht allgemein bekannt war, und zwar ein solches, an das nur wenige Dilettanten sich wagen. Tie Sängerin, wer immer sie sein mochte, sang es leise und verhal­ten, als fürchte sie, ihre Stimme mit voller Macht ertönen zu lassen, was die späte Stunde erklärlich machte. Dennoch konnte jeder Sachverständige erkennen, daß er keiner gewöhnlichen Sängerin lausche. Man erkannte leicht die gut- Schule und die verhaltene Macht und konnte sich vorstellen, was diese Stimme unter günstigen Umständen vollbringen könnte. Ich war entzückt. Mein Ge­

danke war, daß ich in einen Kreis von berufsmäßigen Musiker« geraten sei, von Leuten, deren Tagewerk so spät endete, daß sie die Nacht zu Hilfe nehmen muß­ten, um sich überhaupt ein Abrndver- gnügen zu verschaffen. Desto besser für mich! Da sie selber Nachtvögel waren, konnten sie mein nächtliches Eindringen um so leichter begreifen.

Die Sängerin hatte jetzt die zweite Stroph» begonnen. Ich näherte meini Ohr dicht der Türe, um jede Note zu erlauschen. Ich war neugierig zu hören, was sie aus dem effektvollen, aber schwie­rigen Finale machen werde, als o schrecklicher Gegensatz zu den sanften, süßen, flüssigen Tönen und den gedämpf­ten leidenschaftlichen Liebesworten! ich ein Röcheln, ein krampfhaftes, furcht­bares Röcheln hörte, welches nur eine Deutung zulicß. Ich hörte, wie demsel­ben ein langes, riefes Stöhnen folgte, welches in einem gurgelnden Laut endete, der mein Blut erstarren machte. Ich hörte, wie die Musik plötzlich verstummte und der Schrei der durchdringende Schrei eines Weibes bildete einen schrecklichen Uebergang von der Melodie in eine Dissonanz, und dann hörte ich einen dumpfen, schweren Fall auf den Boden.

Ich zögerte nicht länger, um noch mehr zu hören. Ich wußte, daß wenige Schritte von dem Platze, wo ich stand, eine schreckliche Tat begangen worden sei. Mein Herz schlug wild und stark. In der Erregung des Augenblicks vergaß ich, daß ich nicht war wie andere, vergaß, daß mir Kraft und Mut nichts halfen, vergaß alles außer dem Verlangen, ein Verbrechen zu verhindern, außer dem Wunsche, meine Mannespflicht zu er­füllen, indem ich ein Leben rettete und den Bedrohten zu Hilfe eilte. Ich stieß die Türe auf und stürzte über Hals und Kopf ins Zimmer. Dann, als ich das Vorhandensein grellen Lichtes gewahr wurde, aber eine- Lichtes, welches mir nichts enthüllte, überkam mich das Be- wußtsein der Torheit und UeberMheit meiner Tat in voller Kraft, und blitzartig durchzuckte es meine Seele, daß ich un- bewaffnet, blind und hilflos in dieses Zimmer gestürzt sei, um hier meinen Tod zu finden.

Ich hörte einen Fluch, einen Ausruf der Ueberraschung. In der Entfernung, hörte ich den Schrei einer Frau, aber er klang erstickt und schwach; eS schien mir, als finde in diesem Teile des Zimmers ein Ringen statt; so machtlos ich war, um zu helfen, wandte ich mich doch un­willkürlich um und tat ein paar Schritte in der Richtung, woher der Schrei er­tönte; mein Fuß strauchelte über etwas und ich fiel der Länge nach auf den Körper eine« Mannes. Selbst in dem Taumel des Entsetzens vor dem, was mich erwartete, schauderte ich, als ich fühlte, wie meine Hand, welche auf dem Gefallenen log, feucht wurde von irgend einem warmen Naß, welches langsam über dieselbe rieselte.

Ehe ich mich noch erheben konnte, faßten starke, muskulöse Hände meine Kehle und hielten mich nieder, während ich ganz nahe bei mir das scharfe Knacken eines Pistolenhahns hört». Oh, nur Licht für eine Sekunde! Wenn ich nur dieje- I rügen hätte sehen können, die mir das Leben nehmen wollten, wenn ich nur seltsame Einbildung! hätte wissen

können, in welchen Teil von mir ich die verhängnisvolle Kugel zu erwarten hatte. Und ich, der ich vor ein, zwei Stunden dagelegen und mir den Tod gewünscht hatte, fühlte in diesem Momente, daß mir das Leben, selbst mein verdunkeltes Leben so lieb war wie jeder Kreatur unter der Sonne.

So schrie ich denn laut, und meine Stimme erschien mir wie die Stimme eines Fremden:

Gnade! Ich bin ja blind! blind! blind! ..."

2 Kapitel.

Trunken oder träumend!

Die Hände, welche mich «iederhielten, ließen in ihrem Griffe nicht einen Augen­blick nach, und doch hätten sie es ohne Gefahr tun können. In dieser Lage fühlte ich, daß die einzige Aussicht auf Rettung darin lag, stillzuhalten und wenn möglich, die Personen in diesem Zimmer von der Wahrheit meiner Ver­sicherung zu überzeugen. Durch Wider­stand konnte nichts gewonnen, nur aller verloren werden. Ich war stark, aber selbst wenn ich meine fünf gesunden Sinne gehabt hätte, zweifle ich, daß ich erfolg­reich mit dem Manne, welcher mich niederhielt, hätte ringen können. Ich konnte die nervige Kraft seiner Hände und Arme fühlen. Und jetzt, wo ich blind und hilflos war, würde der Kampf nur kurz gewesen sein. Dann hatte er auch Gefährten ich wußte nicht, wie viele welche ihm zu Hilfe gekommen wären. Eine Bewegung von mir, und ich war verloren.

Ich machte keinen weiteren Versuch, mich zu erheben, sondern lag so still und widerstandslos, wie die hingestreckte Ge­stalt, über die ich gefallen war. Jeder Moment erschien mir wie eine Stunde!

Man bedenke meine Lage. Ein blin­der Mann in einem fremden Zimmer, in einem fremden Hause, niedergehalten auf den Körper eines Menschen, dessen letztes Röcheln er soeben vernommen, niederge­halten und auf Gnade und sUngnade jemanden prerSgegeben, der, wie ich sicher wußte, soeben an einem schwarzen und feigen Verbrechen tcilgenommen hatte und nicht imstande, die Gesichter der Mörder um ihn herum zu sehen und zu erfahren, ob ihre Mienen Tod oder Leben bedeu­teten, jeden Augenblick erwartend, den scharfen Stoß eines Messers oder die glühende Berührung einer Kugel zu fühlen, nichts sehend und nichts fühlend außer den Händen an seiner Kehle und den toten Körper unter sich! Und selbst nichts hörend außer jenem erstickten Stöhnen in der Entfernung. Die wil­deste Phantasie gleicht nicht dieser Wirk­lichkeit!

Seit dieser Nacht glaube ich nicht mehr, daß das Haar eines Menschen plötzlich erbleichen kann, denn wäre das möglich, dann hätte ich dieses Zimmer mit den Locken eines Greises verlassen müssen. Ich kann nur sagen, daß sogar jetzt, nach vielen Jahren, wo ich dieses schreibe, sogar wo ich alles um mich herum sicher, ruhig und still weiß, sogar wo ich diejenigen, welche ich liebe, an meiner Seite weiß, meine Hand zittert, mein Blut erstarrt und eine Schwäche mich überkommt bei der entsetzlich leben­digen Erinnerung an die schrecklichsten Augenblicke meines Lebens.

(Fortsetzung folgt.)