Beilage z.Wildbader Chronik."

U'rv. IS. Ireitcrg, den 5. Jebruar 1904 40. Jahrgang.

Mnterhattendes.

kravter propter.

Humoreske von Karl Pauli.

(Nachdruck verboten.)

Noch hingen in den Schluchten und an den Zweigen der an Bergschatten stehenden Fichten und Tannen weiße Fetzen des Morgennebels, noch herrschte Dunkelheit in den Täleru, während die Sonne über dem Hochgebirge schon ihr Goldnetz breitete. Aber so früh auch dieselbe an ihr Tagewerk ging, der alte Förster Diesner blieb nicht hinter ihr zurück, denn als die ersten Strahlen in die Fenster seines schmucken Forsthäus. chens fielen, trat er schon gestiefelt und gerüstet aus der Tür um seinen ersten Dienstgang anzutreten. So hatte er es immer gehalten, und seine Pflicht, sein Wald und sein Herrgott waren seine herrlichsten Güter. Rüstig schritt er in den erwachenden Morgen hinein.

Sein Weg führte nicht immer die Straße entlang, kreuz und quer wanderte er durch den Wald, da einen Holzschlag besichtigend, dort eine Lichtung in Augen­schein nehmend. Einmal, als er eben wieder den Fahrweg kreuzte, sah er den Landbriefträger den Weg heraufkeuchen.

Diesner bekam nicht viele Briefe. Eia paar dienstliche Schreiben, und alle drei, vier Wochen einen Brief von seinem Sohne, der in Hirschberg bei den Jägern stand, bildeten seine ganze Korrespondenz. Es war deshalb nicht die Erwartung einer Nachricht, die ihn stehen bleiben und warten ließ, sondern das Bedürfnis, mit semandem ein Paar Worte zu wech- sein, uoch dazu, da dieser Jemand ein lieber alter Kriegskamerad war.

He! Karle!" rief er dem Kommen- den entgegen.'S iS schön heute, was?"

A bissel heeß wird's werden!" rief er zurück.

Komm ock!" sagte Diesner, der dem Kommenden entgegenschritt,ruh Dich a bissel aus!" Er setzte sich bei diesen Worten auf eine der am Wege stehenden Knüppelbänke und lud den Briefträger durch eine Handbewegung ein, neben ihm Platz zu nehmen.

Nee, nee!" wehrte dieser, der in­zwischen herangekommen war, eifrig ab, ich ha' kerne Zeit, ich ha' an Brief nach Krummhübel, da stehteilig" druff, so was geht mich zwar nischt an, denn a Eilbrief iS cs nie, aber wenn ich kann, richt ich mich schon danach; man weeß nie, manchmal kann man einen doch sn Gefallen tun!"

Er war bei diesen Worten vor dem Förster stehen geblieben, hatte zwei Pakete, die er an fernem Stock über der Schulter trug, auf die Erde gelegt und wühlte jetzt zwischen den Briefen in seiner Tasche.

Was fuchste denn in deiner Tasche?" fragte Diesner,willste mir anne Prise anbitte?"

Nee, ich ha' eenen für dich!"

Nee su was? Von Ernst'n aus Hirschberg?"

Ach woock her!" antwortete der Briefträger unzufrieden,der hat doch

erscht vor acht Tagen geschrieben, was füll denn der schreiben? Nee, aus Warmbrunn iffa, vom Oberfcrster, wirscht wohl keene große Freude drüber Ham!"

Er reichte den Brief, den er endlich gefunden, dem Förster hin, wünschte ihm die Tageszeit und ging seines Weges weiter.

Diesner hatte den Brief neben sich auf die Bank gelegt, die Brille aus der Brusttasche gezogen und aufgesetzt. Ueber diesem mit großer Umständlichkeit und Wichtigkeit vollbrachte» Werk hatte er ganz vergeffeu, den Abschiedsgruß des Freundes zu erwidern, und erst jetzt, als er den Kopf hob, fiel es ihm ein, das Versäumte nachzuholen, weshalb er plötz­lich mit dem Oeffneu des Schreibens innehielt und, dem Briefträger nachsehend ausrief:Nu atje ooch, Karle, ich dank dir ooch fir di Mihe!"

Nun öffnete er umständlich das Schreiben und nahm von dem Inhalt Kenntnis, d. h. er nahm eigentlich keine Kenntnis, denn nachdem er es gelesen, wußte er noch weniger als zuvor. Und doch war der Text des Schreibens durch­aus nicht unverständlich. Derselbe lautete:

Einer statistischen Aufstellung wegen werden Sie ersucht, niit wendender Post darüber Aufschluß zu geben, welche Zahl der Rotwildbestand in Ihrem Revier praeter xropter ausmacht. Der Ober­förster.

Diesner, starrte lange auf das Blatt, endlich steckte er es mir einem Seufzer ein. Die ver Fremdwörter! Hatten wir darum die Franzosen be­kämpft und geschlagen? Warem dazumal soviel brave Kameraden darum in den Tod gegangen, daß man sich heute noch von dem verflixten Kauderwelsch den Kopf warm machen lassen mußte? krastsr proptor? Was zum Kuckuck mochte das wohl heißen? Der Teufel mochte wissen, was die beiden verflixten Wörter bedeuten sollten. 'S war halt ein Kreuz, daß er so wenig Gelegenheit gehabt, was zu lernen, den jungen Leuten heute, denen wird'S besser geboten, wenn Ernst da wäre, der hät's gewiß gewußt. Na, aber er war nun einmal nicht da, und er mußte sich eben so behelfen. Zuerst hieß es, den Bericht, der umgehend ein­gefordert war, zu erstatten, denn in so etwas verstand der Oberförster keinen Spaß, und er war zwar ein prächtiger, ehrlicher aber auch sehr grober Mann, zuweilen sogar mehr grob als ehrlich. Mit gesenktem Kopf ging Diesner nach Hause, immer die beiden Worte vor sich hinmurmelnd, mit gesenktem Kopfe ging er zu Hause in der großen Stube auf und ab. Die Zeit drängte; kam der Briefträger auf dem Rückwege wieder vorbei und der Brief war noch nicht fertig, so mußte er heute abend den zwei Stunden weiten Weg nach dem Postamt selber machen. Er mußte zu Ende kom­men, und so griff er denn zu dem letzten Mittel, welches er stets anzuwenden pflegte, wenn er sich gar keinen Rat mehr wußte: er rief seine Frau. Sofort erschien die Gerufene im Türrahmen.

Weeste Muttel," sagte der Förster, wifsen tu ich's ja, aber 's is mir im

Augenblick nich erinnerlich, weeßt du nich, was das heeßt: xrustsr proxtsr?"

Das versteh ich wch!" antwortete die Frau,was willste denn dadermitte sagen?"

Er reichte ihr den Brief.

'S is oock wegen dem Briefe da. Heut morgen Hab ich'n gekriegt!"

Die Frau laß den Brief aufmerksam durch, dachte eine Weile nach und sagte dann:

Aber Diesner, das mußte doch wissen, hier steht's doch ganz deutlich: Du sollst darüber Aufschluß geben, wie­viel der Rotwildbestand xraster propter ausmacht. Weeßte nich, was Rotwild is? Na, da mußte doch ooch wissen, was dak bedeut! Das lernt ja schon a kleencs Kind üff der Schulbank, die krustsr" das sind eben die Böcke und dekropter" die Ricken!" Sie warf den Brief auf den Tisch und sah den verblüfften Förster triumphierend an.

Diesner schlug sich vor die Stirn! Wie hatte er das auch vergessen können. Sofort setzte er sich nieder und verfaßte mit großer Anstrengung des Geistes und des Körpers folgendes Epistel:

Einem allerhochwohllöblichen Ober­försteramte. Einem allerhochwohllöblichen Herrn Oberförster wird hierdurch auf sein freundliches Schreiben dienstwillig mitgeteilt, daß sich z. Z. 14 Praeter und 46 Propter Rotwild in meinem Revier ganz ergebenst aufhalten. Einem aller­hochwohllöblichen Försteramte untertänig­ster Paul Diesner, Förster." Der Brief war eben fertig geworden, als der Post­bote ans Fenster klopfte. Er erhielt das Schreiben ausgehändigt, und mit befrie­digtem Stolz blickte der alte Förster dem davonschreitenden Postboten nach. Er dachte daran, wie man auf dem Amte seine Weisheit bewundern werde, und vor allem seinen Stil.

Noch im ganzen Gefühl dieses freu­digen Stolzes trat er beim nächsten Zu­sammentreffen seinem Oberförster entge- gen, Worte des Lobes und der Aner­kennung erwartend, aber er täuschte sich; der Oberförster sah ihn nur von der Seite an und sagte:

Na, Diesner, wiviel Praeters und Propters Sie in ihrem Revier haben, das is mir ja aus ihrer rührenden Epistel klar geworden, daß da oben aber och a alter Schafskopp rumläuft, das Hab ich auch daraus ersehen, und den können Sie sowohl zu den Praeters wie zu den Propters rechnen, da zählt er doppelt."

Vermischtes.

(Salzsäure gegen Gicht.) In der Berl. Mediz. Ges. vom 6. Janua hielt San.Rat. vr. Falkenstein in Groß- Lichterfelde einen Vortrag über das Wesen der Gicht und ihre Behandlung. Nachdem er, 23 Jahre an schwerer Gicht lei­dend, alle bekannten Mittel erfolglos an- gewendet hatte, habe er, auf naäffolgende Ueberlegungen gestützt, einen neuen Weg betreten und fühle sich nun seit 2'/» Jah­ren frei von Gichtanfällen. Da alle Au- toren aller Zeiten in erster Linie die schwere Magenverstimmung jedes Gicht­kranken betonen und eine Reihe von