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die deutsche Arbeiterschaft Freude und Genugtuung empfinden müßte für die Eröffnung eines so ungeheuren Feldes, aus dem sie ihre Tätigkeit entwickeln kann, und ich sollte meinen, daß auch sie das höchste Interesse daran hat, dieses deutsche Reich ungeschmälert und ungestört zu er halten und im Innern wie nach außen festgefügt zusammenzuhalten, denn nur in einem solcken wird die deutsche Arbeiterschaft Lohn, Lebensunterhalt, Zufrie denheit haben und mit Vertrauen in die Zukunft blicken können. Ein großer Teil der deutschen Arbeiter geht durch die Reihen der Armee und lernt hier Schulung und Disziplin. Diese Schulung gibt ihnen die Möglichkeit, auf friedlichen Gebieten Sieg über Sieg zu erringen. Ueberall weiß man, was deutsche Arbeit bedeutet, überall wird sie geschätzt und anerkannt. Das ist nur möglich durch die große Erfahrung und den hohen Stand der Bildung der deutschen Arbeiterschaft. Ich hoffe nach wie vor, daß die Gesinnungen denen Sie Heuer Ausdruck gegeben haben im Namen meiner Arbeiter der Kaiserl. und Kgl. Werkstätten, auch in den Herzen der übrigen Arbeiter schlagen und daß nach wie vor Sie sich immer bewußt sind, daß sie zunächst Deutsche sind, und daß die Arbeiter das Deutschtum nach außen zu Ehren zu bringen haben, wie sie auch im Kriege nicht zögern werden, zur alten bekannten Waffe zu greifen, wenn es gilt, das Vaterland zu verteidigen. So lange solche Empfindungen maßgebend sind, so lange — davon bin ich fest überzeugt wird das Vaterland sich weiter entwickeln zum Segen und zur Freude auch seiner Arbeiter."
Salzburg, 17. Sept. Heute ist hierher nähere Kunde aus Gastein ge- langt. Danach hat der Knrort n cht nur durch Ueberschwemmung enormen Schaden gelitten, sondern noch mehr durch mächtige Erdsenkungen. Am Sonntag begann der Erdboden vom Grand Hotel Gasteinerhof bis nach St. Nikolaus hin samt den daraus stehenden Hotels und Miethäusern sich zu senken. Gleichzeitig senkten sich die alte Straße und die längs derselben stehenden Gebäude, das Logier- hauS Hüller, die Wirtschaftsgebäude Hotel Goldener Hirsch und die Dependance Gefsenharter, das sogen. Imperial. Diese Häuser wurden eilig geräumt. Die Erdrutschungen dauerten fort, und Dienstag sind Gessenharters Dependance und die Villa Höller eingestürzt und in den Wellen spurlos verschwunden. Viele andere Grundstücke sind noch gefährdet; das Elektrizitätswerk wurde stark beschädigt. Der Verkehr mit Gaflein ist im Tal weiterhin unterbrochen. Nachrichten werden durch Fußboten befördert. Seit Diens- tag herrscht in Gastein Schneefall bei empfindlicher Kälte. Zu Hilfe gesandtes Militär sucht auf Umwegen Gastein zu erreichen. — Die gestrigen Schneefälle im Gasteiner Tal haben nicht, wie erwartet wnrde, das Ende der Wafferkatastrophe herbeigeführt. Diese dauert mit erschreckender Gewalt fort. Gastein ist im vollsten Sinne des Wortes abgesperrt: es kann kein anderer als telegraphischer Verkehr mit Bad Gasteiu stattfinöen. Die Reichsstraße war schon gestern an drei Stellen zerstört. Die Kurgäste, denen die Möglichkeit benommen ist. abzureisen, versagen sich das schauerlich-schöne Schauspiel des dahinbrausenden Stromes,
weil schon viele Leute herabgeschwemmt wurden und der Anblick Schrecken bereitet. Unter den Eingesperrten befinden sich Fürst Herbert Bismarck und Gemahlin, Gordon Bennet, der alte Plener, Graf Joinville, Marchese Ricci, Professor Zam- poni. Die höher als Gastein gelegenen Ortschaften sind von den Bewohnern verlassen, welche auf die Pablenberge flüchten. Die Lage des zwischen den Bergen eingeklemmten Ortes machen seine Rettung unmöglich. Die Häuser werden buchstäblich von Schutt und Geröll begraben; viele Menschenleben gehen dabei zu Grunde. Im Feistritztal irren obdachlose Menschen um Hilfe jammernd in den Wäldern umher. Im Maltatal ist das gräfliche Lodrousche Forsthaus mit 9 Insassen fortgeschwemmt worden.
— Der Bericht der Kriegsuntersuchungskommission gibt jetzt eine Aufstellung über die Kosten des südafrikanischen Krieges und über seine Verluste. Die Zahlen sind enorm, weit höher, als die schlimmsten Befürchtungen erwarten ließen. Betragen doch die Kosten des Krieges schon allein 4sis Milliarden Mk., genau 222 974000 Lstrl. Englischerseits waren 380,577 Mann Truppen mobilisiert, während auf Seiten der Buren nur 39,375 Mann im Felde standen. Die englischen Verluste betrugen im Ganzen 97 478 Mann, von denen 8590 Mann im Feuer fielen, während 13 352 Mann an Krankheiten verstürben. 75 536 Mann waren krank oder verwundet.
Lokales.
— Die Postannahmestelle im Kgl. Badhotel stellt am 30. September nach Schalterfchluß den Betrieb ein.
WnLevHal'tendes.
Im Bamie der Rache.
Bon O. Elster.
2) (Nachdruck verboten.)
2. Kapitel.
Mehrere Tage waren seit diesem Abend vergangen. —
Hauptmann Kurt von Oettekint saß behaglich in seinem elegant ausgestatteten Zimmer, schlürfte eine Tasse Thee, die er mit Arrac „verdünnte" und blies den bläulichen Dampf einer aromatisch duftenden russischen C garette mit einem zufriedenen Lächeln in die Luft. Hauptmann von Oettekint befand sich stets in behaglicher Stimmung, wenn seine Gattin nicht bei ihm war. Er, eine leichtlebige, gutmütige schwache Natur, fühlte sich durch ihr herbes Wesen, durch ihre Leidenschaftlichkeit, ihre Heftigkeit verletzt und abgestoßen. Und dann ihre Eifersucht! — Sie war kaum noch zu ertragen! Freilich konnte er einerseits ja stolz darauf sein, daß er mit seinen füufund- vierzig Jahren seiner Gattin noch nicht gleichgültig geworden war, aber konnte denn das irgend Jemand Wunder nehmen, wenn er die straffe, schlanke Gestalt des Hauptmanns, das frische blühende Gesicht, die lachenden blauen Augen, den langen blonden Schnurrbart, unter dem die weißen Zähne hervorblickten, kurz die ganz.e, besiegende, glänzende, vornehme Erscheinung des Hauptmanns in Betracht zog? Sicherlich nicht! — Der Hauptmann a. D. Kurt von Oettekint, früher Seiner Majestät schnei, digster und schönster Offizier, wußte noch jedes Mädchenherz in Flammen zu setzen
und man konnte es seiner Gattin nicht im Geringsten verdenken, daß sie ein wachsames Auge auf den Herrn Hauptmann a. D. hatte, da dieser von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugt, seine Aufmerksamkeiten auf das gesammte weibliche Geschlecht auszudehnen liebte.
Wenn der Hauptmann an seine Triumphe auf dem Gebiete der Galanterie dachte, dann ging ein lächelndes Schmunzeln über sein gutmütiges Gesicht, das sich aber rasch wieder in ernste Falten zog, wenn er dem scharf beobachtenden Blick seiner Gattin begegnete. Heute Abeud konnte er sich indessen ungestört seinen Träumereien überlassen. Seine Gattin war in die Oper gefahren, er ganz allein zu Haus und nur die Rückkehr seiner Schwägerin abwartend, um dann seinen Club aufzusuchen.
Er sah nach der Uhr. Schon einhalb acht Uhr und Cläre noch nicht da?
Er erhob sich, um zu klingeln. Doch da vernahm er wie die Corridortür geöffnet wurde, und er erkannte den leichten Schritt seiner Schwägerin.
Er ging zur Tür und rief hinaus: „Bist Du da, Cläre?"
„Jawohl, Kurt," klang es zurück. „Ich komme sofort, ich muß erst meinen Hut und Mantel ablegen."
Der Hauptmann ging in das Zimmer zurück und schlürfte die Taffe Thee aus. Gleich daraus trat Cläre von Helden ein.
„Verzeih, lieber Kürt — ich habe mich einige Minuten verspätet. Sind die Kinder schon zu Bett?
„Ja, die Minna hat sie zu Bett gebracht, sie schlafen schon. Aber sie haben nach Dir verlangt."
„Ich werde sofort zu ihnen gehen . . ."
„Ach, laß doch die Krabben! Sie schlafen auch ohne Dich. Bleib bei mir und trink eine Tasse Thee mit mir. Ich Hab' noch 'ne halbe Srunde Zeit."
„Amalie sieht es nicht gern . . ."
„Ach was, Amalie ist in der Oper. Sie stört uns heute Abend glücklicherweise nicht."
„Kurt, ich bitte Dich ..."
„Nun ja, 's ist auch war! Es wird allmählich unerträglich, diese Heftigkeit, diese .... Albernheit Amaliens. Ich hab's wahrhaftig satt. Komm, setz' Dich zu mir und laß uns plaudern."
„Wenn Du es wünschest, will ich Dir gern Gesellschaft leisten. Darf ich Dir noch eine Tasse Thee einschenken?"
„Ja und Dir auch eine."
Der Hauptmann zündete sich eine frische Cigarette an und lehnte sich behaglich in dem Schaukelstuhl zurück, mit zufrieden blinzelndem Aug die zierliche Gestalt seiner Schwägerin beobachtend, welche den Thee einschenkte.
„Ein allerliebster, kleiner Käfer," dachte der Hauptmann a. D. „Diese üppige Fülle der dunkelbraunen Locken! Diese tiefblauen etwas schmachtend blickenden Augen! Diese sanfte Rundung der Wangen, des Kinns — zum Kukuk, weß- halb soll man sich an dieser jungen, frischen Schönheit nicht in harmloser Weise erfreuen! Amalie war auch schön —- ein verteufelt schönes Weib — aber es fehlte ihr die Anmuth, die Lieblichkeit . . . ."
Der Hauptmaun a. D. geriet in eine gelinde Begeisterung für seine schöne junge Schwägerin. Er ergriff ihre kleine Hand, blickte ihr lachend in die Augen und seufzte tief auf.