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Leipzig, 26. Mai. Ueber die furcht­bare Tragödie zwischen den beiden Forst leuten, die sich im Forstrevier bei Rauten­kranz (Sachsen) gegenseitig für Wilddiebe hielten und aufeinanver schossen, lesen wir imLeipz. Tageblatt" folgende Ein­zelheiten. An der Grenze des Schönheider und des Georgengrüner Forstreviers war am Freitag abend ein Schuß gefallen, der, da gegenwärtig volle Schonzeit ist, darauf schließen ließ, daß Wilderer dort ihr Unwesen treibe». Der Waldwärter Röder von Vogelsgrün begab sich daher mit dem Forstgehilfen Bergmann aus Grünheide am Samstag abend zur Beob­achtung in den Wald, in die Gegend wo tagsvorher der Schuß gefallen. Röder stellte sich etwa 10 bis 12 Meter hinter dem Waldrande im Walde, von wo aus er die auf drei Seiten von Wald um­schlossene Waldwiese, wo das Wild zu wechseln pflegte, überblicken konnte, der Forstgehilfe etwa 100 Meter von ihm auf. Zur selben Zeit unternahm auch der Forstassessor Härtel, ohne daß er von Röders Aufstellung und ohne daß letzterer von seines Vorgesetzten Dienstgange etwas wußte, einen Kontrollgang auf derselben Reviergrenze, immer am Waldsaume ent­lang. Unglücklicherweise blieb er gerade unterhalb des Standortes Röders am Waldessaume stehen, also nur 10 12 Meter von Röder entfernt. Durch eine Beweguug Röders mag nun Härtel auf diesen aufmerksam geworden sein nnd ihn für einen Wilderer gehalten haben. Er hat dann, um für alle Möglichkeiten vor­bereitet zu sein, jedenfalls das Gewehr in Anschlag gebracht. Röder hat nun umgekehrt seinen Vorgesetzten im Dunkeln für einen Wilderer gehalten und, als der Assessor anschlug, Feuer gegeben. Sein Schuß zerschmetterte dem Assessor die Kinnlade. Unmittelbar darauf gab der Assessor Feuer. Sein Schuß traf den Waldwärter in die linke Brust. Beide Schützen haben jedenfalls ohne vorherigen Anruf geschossen, da sie sich sonst bei der großen Nähe an der Stimme erkannt hätten. Der Forstgehilfe, der auf die Schüsse sofort auf Röders Standort eilte, fand diesen noch lebend vor und wollte Hilfe holen. Er sah auch den angeschosse­nen Assessor am Waldrande liegen, den auch er in seiner Dunkelheit für einen Wilderer hielt, und sagte mit Bezug auf ihn zu Röder:Der hat genug." Röder antwortete, mit ihm werde es auch bald aus sein, er möge daher lieber bei ihm bleiben. Auf den Wunsch des Verwunde­ten holte er ihm Wasser im Hute, und als Röder nochmals um Wasser bat, ein ein zweites Mal. Bei seiner Rückkehr war Röder bereits besinnungslos und lag im Sterben. Er ist verschieden, ohne die schreckliche Wahrheit über die furcht­bare Personenverwechslung erfahren zu haben. Der Forstgehilfe eilte nun nach Rautenkranz, um dem Forstassessor Meld­ung zu machen. Wie entsetzlich war aber die Ueberraschung für ihn, als man in­zwischen den schwerverwundeten Assessor, den vermeintlichen Wilderer, auf einem Wagen nach seiner Behausung brachte. Forstassessor Härtel hatte sich mit Auf­bietung aller Kräfte über die Wiese bis an die Straße zum letzten Hause geschleppt, wo er um Hilfe rief, soweit seine furcht-- bare Verletzung ein Rufen überhaupt er-' rnöglichte. Zwei Aerzte bemühten sich um den Verwundeten. Sein Zustand ist nicht hoffnungslos. Als er später erfuhr, daß

er den Waldwärter fälschlich statt eines vermeintlichen Wilderers erschossen, schrieb er, da er wegen der Wunde nicht sprechen konnte, auf ein Stück Pappe:Röder hat geschossen, ich wieder." Der erschossene Röder stand etwa in der Mitte der drei­ßiger Jahre und hinterläßt Frau und sechs Kinder; Härtel ist Vierziger und hat zwei Söhne.

Paris, 25. Mai. Die furchtbaren Unglücksfälle, die sich auf der ersten Etappe der Automobilwettfahrer Paris- Madrid ereignet, haben hier große Be­stürzung hervorgerufen. Bisher haben sieben Personen ihr Leben eingebüßt, darunter drei Maschinisten, der Wett- fahrer Porter, welcher mit seinem Wagen verbrannt ist, ein Soldat, namens Dupuy und ein Zuschauer Gaillin, der von dem Wagen des Wettfahrers Tu- rand überfahren wurde, und schließlich eine Frau, die in Ablis beim lieber­schreiten der Straße getötet wurde. 4 Personen, die Wettfahrer Martin Re­nault, Turand, Stead und Lorraine- Barow, sowie ein Zuschauer wurden tät­lich, 8 Personen schwer verletzt. Doch geht das Gerücht, daß die Zahl der Opfer noch größer sei, und die Nachricbt, daß der Ministerpräsident Combes die Fortsetzung der Wettfahrt auf französi­schem Boden untersagt hat, hat deshalb niemanden überrascht. Die vom Auto­mobil-Klub in Bordeaux veranstaltete Festbeleuchtung wurde gestern abend zum Zeichen der Trauer abgebrochen. Um Mitternacht sind in Bordeaux 107 Wett­fahrer eingetroffen. Es heißt, eine An­zahl von ihnen werde sich mit einer kleineren Geschwindigkeit an die spani­sche Grenze begeben, um dort unter den entsprechenden Verbindlichkeiten an der Wettfahrt weiter teilzunehmen. Man hält es für zweifellos, daß die Regierung in Zukunft überhaupt keine Straßenwett­fahrten mehr gestattet. Aus Angou- lsme werden folgende Einzelheiten be­richtet über den Unfall des Automobil­wettfahrers Turand, drei Meilen von Angouläme. Sein Automobil überfuhr zwei Soldaten, ein Kind und den vom Wagen gestürzten Mechaniker, die alle vier gerötet wurden. Turand selbst wurde schwer verletzt. Was die im Publikum herrschende allgemeine Eutrüstung noch verstärkt, ist die nach den vorliegenden Berichten nicht zu leugnende Tatsache, daß mindestens einer, wahrscheinlich aber mehrere Fahrer deshalb ihr Leben einbüßten, weil ihre Konkurrenten ver­sucht hatten, sie am Vorbeisahren zu verhindern, um nicht überholt zu werden. Bis jetzt sind 10 Todesfälle festgestellt. Doch ist wahrscheinlich noch nicht alles bekannt geworden.

Paris, 25. Mai. Der Automobil­fahrer Marcel Renault ist seinen schweren Verletzungen erlegen. Einzelne der Unheilstifter scheinen bei ihrer wahnsin­nigen Todesfahrt ihrer Sinne nicht mäch­tig gewesen zu sein. So berichtet der L.-A.": Am bedenklichsten ist der Fall des Wettfahrers Tourand, welcher durch Verlassen der eingeschlagenen Richtung bei Angouläme den Tod eines Soldaten und eines Kindes herbeiführte. Der offi­zielle Bericht betont, daß der Soldat und «das Kind sich ahnungslos jenseits eines 'Straßengrabens befanden; über diesen setzte Tourand angesichts einer wirklichen oder vermeintlichen Gefahr auf der Weg- strecke weg. Das Automobil stürzte in­

folge eines Manövers, das Tourands Be­gleiter im Zustande momentaner Sinn­verwirrung ausführte. Tourand antwortet jetzt auf alle Fragen nur:Das Kind, das Kind!" Er wurde einer Heilanstalt übergeben.

Die Herstellung von Geld, sowohl von Banknoten als von Münzen, wird vor den Augen des Publikums auf der Weltausstellung in St Louis 1904 vorgenommen werden. Das nordameri­kanische Schatzamt läßt eine Prägmaschine aufstellen, welche Münzen prägt, um dem Publikum die Art und Weise der Her­stellung von Silber-, Nickel-, Kupfer- und Bronzemünzen zu zeigen. Es werden aber auch Pressen aufgestellt, auf welchen Banknoten gedruckt werden; ebenso Ma­schinen, welche Briefmarken, Schecks und Wertpapiere, die der Staat ausgibt, Her­stellen. Hochinteressant wird eine Samm­lung von Banknoten sein, welche die Bereinigten Staaten von Amerika seit dem Beginn ihres Bestehens ausgegeben haben, und Banknoten von 1 Dollar bis zu 10000 Dollar (40000 Mk. Wert) sollen unter Glas und Rahmen dem Publikum zur Schau und zum Studium dienen.

LoAcrLes.

Wildbad. Die Schalter der hiesigen Postämter sind vom 1. Juni ab Sonntags geöffnet: Bahnhof von 1112 und 3^/r bis 5sii Uhr; Stadtpost vou 89, 11 bis 12 u. 26 Uhr.

Vermischtes.

(GrafHäseler als Kindermäd­chen.) Anläßlich des Häseler-Jubiläums wird folgendes Geschichtchen mitgeteilt: Als General Graf Häseler sein Kom­mando in Metz übernahm, fand er dort in vielen Offiziersfamilien die bequeme Sitte vor, den Burschen als Mädchen für alles, besonders auch als Kindsmagd zu verwenden. Er sprach seine Mißbillig­ung darüber auch aus und die Burschen wurden daraufhin soweit sich dies kontrollieren ließ mit unmännlichen Zumutungen verschont. Als aber einmal der Graf früh morgens 8 Uhr unterwegs war, begegnete ihm das Töchterchen eines ihm persönlich bekannten jungen Offiziers, das vom Burschen in dis Schule geführt wurde. Der Graf blieb stehen, nahm das Kind an der Hand und schickte den Bur­schen heim:Sagen Sie der gnädrgen Frau, General Häseler stehe hier auf dem Marktplatze und warte auf Ablösung!" Es soll nicht sehr lange gedanert haben, bis die Ablösung erschien.

(Anstandsregeln aus dem 16. Jahrhunder t.)Jnieinem sogen.., Kompli­mentierbuche" aus dem Jahre 1540 fin­den sich u. a., wie ein Mitarbeiter der Tgl. Rundschau" schreibt, folgende An­standsregeln für solche, welche an herr­schaftlichen Tafeln teilnehmen:Wenn du zu einer Herrentafel gehst, so sollst du vor allem deine Hände und deine Nägel rein haben, das sollst du aber nicht bei Tische machen, sondern wenn du allein bist. Wenn du trinkst, so hebe den Becher mit beiden Händen empor. Du sollst nicht trinken mit einer Hand, wie ein Fuhrmann, wenn er den Wagen schmiert. Ferner sollst du nicht in den Becher husten und nicht trinken, wenn du noch Speise im Mund hast, gleich dem Rind, noch mit Geräusch trinken wie ein Ochs, auch sollst du die