— Das Gerücht, von der bevorstehenden Thronentsagung des Kronprinzen von Sachsen ist, wie aus Dresden gemeldet wird, unbegründet.
— Der Dresdener Polizeikommissär Arthur Schwarz, der bekanntlich in der Nähe der Kronprinzessin in besonderer Mission in Genf weilte, erhielt von dem Kronprinzen von Sachsen eine goldene Busennadel mit Brillanten, welche die Krone und die Initialen bV trägt. — Daß zur Beobachtung der Kronprinzessin in Genf gerade Herr Schwarz, der sogenannte Fremdenkommissär von Dresden, als die geeignetste Persönlichkeit erwählt wurde, ist darin begründet, daß Herr Schwarz acht fremde Sprachen geläufig spricht, die er sich in verschiede- nen Ländern als Hoteloberkellner früher angeeignet hat. Wurde ihm doch gerade deshalb, obwohl er nicht Militäranwärter war, in Dresden das schwierige Amt der Hotel- und Gasthofskontrolle übertragen. Es dürfte deshalb auch den Leipziger Neuesten Nachrichten zufolge anzunehmen sein, daß Herr Schwarz in Genf durch seine Bekanntschaft mit Hotelbesitzer Reichert, dem er doch sicher seine seltene Karriere geosfenbart hatte, immer auf dem Laufenden gewesen, und daß seine Beobachtungen ans keinerlei Schwierigkeiten gestoßen sind.
Berlin, 1. Feb. Staatsmiuister a. D. Dr. Rudolf v. Delbrück erlitt gestern einen Schlaganfall und ist heute nachmittag gestorben. Unter den inaktiven preußischen Staatsministern war v. D. de r ehemalige Präsident des Reichskanzleramtes, der älteste. v. Delbrück war Bismarks „rechte Hand" und hat sich um die Gründung des deutschen Reiches große Verdienste erworben. Er erreichte ein Alter von nahezu 86 Jahren.
Berlin, 29. Jan. Eine dankenswerte Reform im Speisewagenbetriebe soll am 1. Mai d. I. in Wirksamkeit treten. Bekanntlich waren bisher den Eisenbahnreisenden 3. Klasse im Allgemeinen nur gegen Nachzahlung des Betrags für ein Billet 4. Klasse für die von ihm im Speisewagen zurückgelegte Strecke gestattet, den Speisewagen zu benutzen, so daß sie dies in Verbindung mit den schon ohnehin recht hohen Speisepreisen in den Restaurationswagen abhalten mußte, sich dort zu beköstigen. Dies soll nun vom 1. Mai ab insofern anders werden, als von diesem Zeitpunkte ab die Reisenden 3. Klasse an den gemeinsamen Mahlzeiten im Speisewagen ohne Nachzahlung des Preisunterschieds teilnehmen dürfen. Nur in den Fällen, wo der betr. Reisende über eine bestimmte Zeit hinaus im Wagen verbleibt, sollen die Zugführer Nachzahlung verlangen, und dann allerdings für die ganze im Speisewagen zurückgelegte Strecke.
Berlin, 28. Jan. Hoftheater- Jntendant v. Hülsen hat von der verstorbenen Baronik. Exzellenz Cohn-Oppen- heim die großen Kunstschätze der Verblichenen und außerdem 800000 Mark in bar geerbt.
— Das Krankenversicherungsge- fetzsoll geändert werden. Der Hauptzweck der Aenderung ist, eine Lücke'zwischen der Krankenversicherung und der Invaliden- Versicherung auszufüllen. Gegenwärtig mangelt es an einer Bestimmung, daß die Invalidenrente unmittelbar nach der Krankenunterstützung beginnt. Das frühere Jnvalidengesetz sicherte im Fall der Er
werbsunfähigkeit die Unterstützung erst zu, nachdem die Krankheit ein Jahr gedauert hatte. Durch die letzte Reform des Jnvalidenversicherungsgesetzes hat man zwar die Jnvalidenunterstützung der Krankenunterstützung wesentlich genähert, denn jene tritt nunmehr nach Ablauf von 6 Monaten ein. Trotzdem besteht zwischen dieser nach sechs Monaten eintretenden Jnvalidenunterstützung und der Krankenunterstützung, die nur bis zur Dauer von 13 Wochen gewährt wird, noch immer eine schmerzliche Lücke. Diese Lücke will die neue Novelle zum Krankenversicherungs- gesetz aussüllen, indem sie die Unterstütz- ungspflicht der Krankenkasse auf 26 Wochen ausdehnt, sodaß die Invalidenversicherung in dem Augenblick einsetzt wo die Krankenversicherung aufhört. Ueber die Notwendigkeit, diese Lücke auszufüllen, besteht keine Meinungsverschieden heit mehr. Es liegt ja auf der Hand, daß der Mangel einer Unterstützung in dieser Zeit nicht nur sehr schwer empfunden werden muß, sondern unter Umständen auch für die Wiedererlangung für die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Erkrankten verhängnisvoll werden kann. Diese Reform wird den Krankenkassen einen Mehraufwand von 1,16 Mk. für jedes Mitglied, das sind insgesamt etwa 10 Millionen Mark auferlegen. Bei dieser Gelegenheit soll auch die Unter- stützungsdauer nach einer Entbindung auf 6 Wochen erhöht werden. Endlich ist beabsichtigt, die Ortskrankenkassen zu zentralisieren und unter die Leitung der Gemeindebeamten zu stellen. Die Berab- schiedung dieses Gesetzes dürfte im Bundesrat auf keine besonderen Schwier- igkeiten stoßeäi. Ob aber die Erledigung des Gesetzes im Reichstage noch in dieser vorgerückten Session gelingen wird, ist zweifelhaft.
LoAal'es.
Wildbad, 3. Febr. Se. Maj. der König hat die Oberamtsarztstelle in Gaildorf Hrn. Or. mack. Teufel, Stadt- und Distriktsarzt hier, übertragen.
MnterHaLtenöes.
Der kleine Lord.
Von
Franccs Hodgson Burnett.
(34. Forts.) (Nachdruck verboten.)
An diesem Morgen hielt der junge Gesetzeskundige, als er seinen Fuß auf das kleine Bänkchen setzte, eine illustrierte Zeitung in der Hand, ein auf der Höhe der Zeit stehendes Blatt, das ungesäumt seinen Lesern in großem Formate zum Anblicke der das Tagesgespräch bildenden Personen und Dinge verhalf. Er überflog rasch die Seiten, und als der zweite Stiefel in erwünschtem Glanze prangte, reichte er dem jungen Schwarzkünstler das Blatt.
„Da hast du was zu lesen, Dick" sagte er, „kannst dir's zu Gemüt führen, wenn du bei Delmonieo dein üppiges Mahl einnimmst. So sieht ein englisches Schloß aus und so eines englischen Grafen Schwiegertochter. Schöne junge Frau — eine Unmasse Haar — scheint aber da drüben viel Staub aufgewirbelt zu haben. Es ist sehr an der Zeit, daß du, vorwärts strebender Jüngling, dich mit einem hohen Adel und verehrten Publikum näher be
kannt machst, hier kannst du mit dem ertauchtigsten Grafen Dorincourt und der ehrenwerten Lady Fauntieroy den Anfang machen. Hallo, Bursch! Was ist denn los!"
Die Porträts, von denen er gesprochen hatte, befanden sich auf der ersten Seite und Dick starrte, Augen und Mund weit aufgerissen und kreideweiß, unverwandt auf eins derselben.
„Was bin ich schuldig?" fragte der Advokat. „Was in aller Welt ist dir denn in die Glieder gefahren?"
Dick sah allerdings aus, als sei er vom Blitze gerührt, und deutete ohne ein Wort Hervorbringen zu können, auf das eine Bild.
„Die Mutter des Prätendenten (Lady Fauntleroy)" stand darunter.
Das Bild zeigte eine hübsche Frau mit großen Augen und dicken, mehrmals um den Kopf gelegten schwarzen Haarflechten.
„Sie!" rief Dick endlich. „Die — kenn' ich besser als Sie!"
Der junge Anwalt lachte.
„Wo hast du denn die interessante Bekanntschaft gemacht, Dick?" sagte er. „In New-Iork? Oder vielleicht bei Gelegenheit deiner letzten Spritztour nach Paris?"
Dick hatte nicht Zeit, diesen Witz zu begrinsen. Er begann, seinen Putzapparat eilig zusammenzupacken, als ob es sich vorderhand um sein Geschäft ganz und gar nicht mehr handeln könnte.
„Einerlei," sagte er, „ich kenn' sie! Und für heut ist ausgeschafft."
Kaum fünf Minuten darauf eilte er im Sturmschritt an Mr. Errols ehemaligem Häuschen vorbei in den Laden an der Ecke. Mr. Hobbs wollte seinen Augen nicht trauen, als er, von seinem Pulle aufblickend, Dick mit der Zeitung in der Hand hereinstürmen sah. Der Junge war außer Atem, daß er kaum sprechen konnte und nur das Blatt auf den Ladentisch warf.
„Hallo!" rief Mr. Hobbs. „Hallo! Was kommt denn da?"
„Ansehen!" keuchte Dick. „Die Frauensperson aus dem Bilde ansehen! Jetzt haben Sie's — ja die! Die, die ist keine Adlige — die wahrhaftig nicht," rief er zornig auflodernd. „Die — einem Lord seine Fran sein? In Stücke reißen soll man mich, wenn's nicht Minna ist — Minna! Die würd' ich überall erkennen, so gut wie Ben! Fragen Sie nur den!"
Mr. Hobbs sank auf seinen Stuhl.
„Ich hab's ja gesagt, daß alles eine abgekartete Geschichte gewesen ist," sagte er. „Ich hab's ja gewußt. Und das haben sie ihm angethan, weil er ein Amerikaner ist, einfach deshalb.".
„Welche ,sie' haben's ihm angethan?" brüllte Dick verächtlich. „Die da hat's gethan — die und kein andrer Mensch! Die hat immer voll Teufelei gesteckt, und ich will Ihnen auch sage», was mir ein- gefallen ist, gleich im Augenblicke, wie ich das Bild sah! Da — in irgend so einer Zeitung hat'S gestanden, etwas von dem Bengel, ihrem Sohne, und daß er eine Narbe am Kinne habe! Na, wenu der ihr Balg da ein Lord ist, dann bin ich auch einer! Bens Kind ist's — der Knirps, der die Narbe abgekriegt hat, wie sie den Teller nach mir hat schmeißen wollen."