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sofort nach der Ehescheidung mit der Kron­prinzessin nach Amerika übersiedeln werde.

LoAcrl'es.

Wildbad, 1. Febr. Ihre Durchlaucht Frau Gräfin Lippe, die mit ihrer Fa­milie seit ca. 5 Jahren hier wohnte, ist in letzter Woche nach Rom abgereist und wird später ihren Wohnsitz in Cassel nehmen.

Am letzten Donnerstag Abend hielt Herr Handelskammer-Sekretär Dietrich im Gasth. z.Sonne" einen Vortrag über Die wirtschaftliche Entwicklung Deutsch­lands im 19. Jahrhundert". Nachdem der Vorstand des Gewerbevereins, Herr Ober­reallehrer Hon old, die Versammlung eröffnet, gab Hr. Dietrich einen kurzen Ueberblick über die verschiedenen Zeit­abschnitte, wie sie sich durch die Anwen­dung der Erfindungen in Handel und Industrie von selbst ergaben. War daS erste Viertel des Jahrhunderts durch die Napoleonschen Kriege ohne Bedeutung für die Industrie, so entwickelte sich diese von den 30er Jahren an durch Einführung der Dampfmaschinen um so rascher. Im Jahre 1840 zählte Deutschland Maschinen mit zusammen 500, im Jahre 1890: 72 000 und 1895: 218 000 000 Pferde- kräfte. Die Gründung des deutschen Zoll­vereins war der erste Schritt zur wirt­schaftlichen Einheit. 1836 wurde die erste Zentralstelle für Gewerbe und Handel in Hessen errichtet, 1848 in Württemberg und damals schon verlangte der Hand­werkerstand infolge einer allgemeinen Ge­schäftsstockung die Errichtung einer eigenen Handwerkerkammer. Die Bewegung rich- tete sich gegen die Gewerbefreiheit. Die 3. Periode hat mit der politischen Einheit auch eine wirtschaftlich einheitliche Politik gebracht. Eine Arbeitsteilung bis ins kleinste brachte die Machtentfaltung des Kapitals und eine große Vermehrung der industriellen Bevölkerung. An der Hand von Zahlen wurde die ungeheure Zu­nahme des Verkehrs gezeigt, Eisenbahnen, Schiffahrt rc. und dennoch habe sich der Pferdestand seit 1870 um 26 Prozent vermehrt, weil an Stelle des Wagen- Verkehrs auf den Landstraßen der in den Großstädten getreten sei und von 1882 bis 1895 sei die Zahl der beim Fuhr­werksverkehr beschäftigten Personen um 30 Prozent gestiegen. Die Telegraphen­linien haben sich in den letzten 30 Jahren vervierfacht und die Telephonverbindungen sind in 10 Jahren von 3000 km. auf 650000 km gestiegen. Elektrische Bahnen sind in mehr als 100 Städten in Betrieb, außerdem dienen Fahrrad und Automobil nicht nur dem Sport, sondern sie sind Verkehrsmittel geworden. Die wissen­schaftliche Technik hat ungeheure Verän­derungen hervorgergfen und mehr als je gilt das Wortjeder ist seines Glückes Schmied." Ist auch der Konkurrenzkampf zwischen Großindustrie und Handwerk größer geworden, so ist keineswegs das Handwerk verloren. Durch kleine Motoren und verbesserte Werkzeuge ist der Betrieb erleichtert und durch vermehrte Repara­turarbeiten für die Zukunft auch des Handwerks gesorgt, wenn es sich der neuen Lage anpassen und sich zu Genossen­schaften znsammenschließen will. Freilich muß das Bestreben dahin gehen, durch bessere Schulbildung und Ausbildung in den einzelnen Zweigen des Berufs, durch rege Anteilnahme an jeden: Fortschritt, durch Vertrauen auf die Handwerkskam­

mern und ihre Fürsorge den ganzen Stand zu fördern und zu heben. Im Namen der Versammlung dankte der Vorstand dem Redner für den ebenso interessanten als lehrreichen Vortrag und schloß mit dem Wunsch, es möchte sich auch im hiesigen Gewerbeverein wieder mehr das Gefühl der Zusammengehörig­keit und der Gemeinschaftlichkeit der Interessen entwickeln.

Als Maschinenmeister für das neue städtische Elektrizitätswerk wurde vom Gemeinderat Hr. Schlossermstr. Schill hier aufgestellt.

Der kleine Lord.

Bon

Frances Hodgson Burnett.

Er sagte das alles in seinem rauhen, herben Tont, schien aber so ganz und gar gebrochen und tief gedrückt, daß Mrs. Errols Herz voll Sympathie und Mit- leid überströmte. Sie rückte einen Lehn­stuhl heran.

Wenn Sie sich nur setzen wollten/'sagte sie in ihrer einfachen, herzgewinnenden Weise.Der Kummer hat Sie müde gemacht und Sie brauchen jetzt alle Ihre Kraft."

Daß man so einfach und liebevoll mit ihm sprach und für ihn sorgte, war ihm ebenso neu, wie der erfahrene Widerspruch, auch dies erinnerteihn anseinen Jungen", und er that, wie ihm geheißen. Vielleicht war diese Verzweiflung und diese bittere, abermalige Enttäuschung recht heilsam für ihn. Wenn dies Elend nicht über ihn hereingebrochen wäre, hätte er die kleine Frau noch immer irit Haß und Abnei- gung betrachtet, während er jetzt in ihrer Nähe Trost fand. Freilich war es n cht allzu schwierig, ihm zu gefallen, nachdem erdie andre" gesehen, aber dies Gesicht- chen und diese Stimme waren doch be- sonders wohlthuend und in ihren Beweg, ungen und ihrer Sprache lag ein sanfter eigenartiger Reiz, unter dessen unwider­stehlichem Zauber er sich bald weniger gedrückt fühlte und mitteilsam wurde.

Was auch daraus werden mag," sagte er,für den Jungen soll gesorgt sein, jetzt und für die Zukunft."

Als er sich zum Gehen anschickte, sah er sich im Zimmer um.

Gefällt Ihnen das Haus?" fragte er.

O gewiß, außerordentlich," lautete die aufrichtige Antwort.

Ein gemütliches, heiteres Zimmer," bemerkte er.Darf ich wiederkommen und die Sache mit Ihnen durchzusprechen?"

So oft Sie wollen, Mylord!"

Darauf stieg er in seinen Wagen und fuhr davon, Thomas und Henry aber waren vor Erstaunen über diese neue Wendung der Dinge in der That sprachlos.

Zwölftes Kapitel.

Der Retter in der Not.

Selbstverständlich drang die Geschichte von Lord Fauntleroy und der schwierigen Lage Graf Dorinconrts aus den englischen Zeitungen auch in die amerikanischen; sie war viel zu interessant, als daß man sie sich hätte entgehen lasten können, und dort wie hier bildete sie bald das Tagesgespräch. Der Lesarten waren allmählich so viele geworden, daß eine gewissenhafte Zusam ­menstellung derselben zum Kapitel der Mythenbildung einen nicht zu unterschätz­enden Beitrag geliefert hätte. Mr. Hobbs las so viel darüber, daß er zuletzt voll­ständig verwirrt und nahezu geistesgestört wurde. Die eine Zeitung schilderte seinen

jungen Freund als ein hübsches Baby im Tragkleidchen, die andere als einen hoff- nungsvollen Schüler der Universität Ox­ford, welcher dort die größten Auszeich­nungen davontrug und namentlich ganz hervorragende Gedichte in griechischer Sprache verfaßte. Ein Blatt berichtete, daß er mit einer jungen Dame von auf- fallender Schönheit, der Tochter eines Herzogs, verlobt sei, ein anvres, daß er sich vor kurzem verheiratet abe, und das einzige, das nirgends erzählt wurde, war, daß er ein kleiner Junge zwischen sieben und acht Jahren mit strammen, flinken Beinen und lockigem Haar war! Die eine Auffassung ging dahin, daß er überhaupt kein Verwandter, sondern ein kleiner Usur­pator sei, der in New-Iork Zeitungen verkauft und auf der Straße geschlafen habe, bis es seiner Mutter gelungen sei, den Anwalt des Grafen vollständig zu täuschen und für sich zu gewinnen. Dann kamen die Beschreibungen des neuerdings aufgetauchten Lord Fauntleroy und seiner Mutter. Einmal war sie eine Zigeunerin, das andre Mal eine Schauspielerin, das dritte mal eine schöne Spanierin. Nur in dem einen stimmten alle Nachrichten überein, daß der Graf ihr Todfeind sei und alles daran setzen werde, die Ansprüche ihres Knaben nicht anerkennen zu müssen, und da sich in den Papieren, die sie vorweisen konnte, einige Ungenauigkeiten fänden, sei ein Prozeß mit Sicherheit zu erwarten, der an sensationeller Spannung alles bisher'Dagewesene weit hinter sich lassen werde. Mr. Hobbs pflegte ganze Stöße Zeitungen durchzustudieren bis ihm der K^pf brannte, und abends wurde dann alles mit Dick durchgesprochen. Allmählich ging dabei den beiden über die Bedeutung der Stellung eines Grafen Dorincourt ein Licht auf, und je genauer sie erfuhren, welch glänzendes Vermögen und welch herrliche Güter ein solcher besaß, desto höher steigerte sich ihre Aufregung.

Man sollte eben etwas thun", wieder­holte Mr. Hobbs täglich.So einen Besitz darf man doch nicht aus den Händen lassen Graf hin, Graf her."

Leider konnten die beiden Freunde und Verbündeten nichts thun, als Briefe schreiben, in welchen sie Cedrik ihrer Teilnahme und Freundschaft versicherten, was denn auch jeder für seinen Teil red­lich that, und Mr. Hobbs versicherte ihm noch überdies, daß, wenn es mit dem Grafen nichts sei, ihm jederzeit ein An­teil an dem Spezereigeschäft zu Gebot stehe und er ihn dereiust mit Vergnügen zu seinem Kompagnon nehmen werde.

Dann hat er wenigstens bei uns ein gutes Auskommen," sagte er zu Dick, nachdem sie sich gegenseitig ihre Briefe zu lesen gegeben hatten.

So ist's," bestätigte Dick sichtlich getröstet.

Am nächsten Morgen erlebte einer von Dicks Kunden eine große Ueber- raschung. Es war ein junger Jurist, der eben als Anwalt zu praktizieren begann, so arm wie junge Juristen hier und da zu sein pflegen, aber ein begabter, ener­gischer Mensch mit klarem Verstand und liebenswürdigem Humor. Er hatte sich ein ziemlich armseliges Büreau in der Nähe von Dicks Stand gemietet und war dessen allmorgendlicher Kunde, der immer ein freundliches Wort oder einen Scherz hatte, wenn auch der Zustand seiner Fuß­bekleidung für das Auge eines Fachmannes nicht allezeit befriedigend war. (Forts, f.)