6

Pflicht der Zeitungen, gleichfalls ernstlich an die Einführung der neuen Rechtschreib, ung zu denken, und bereits hat sich auch der Verein deutscher Zeitungsverleger in dem Sinne geäußert, daß vom 1. April an auch die deutsche Presse die neuen Rechtschreibregeln annehmen soll.

Genf, 2. Jan. Die Kronprinzessin von Sachsen hat ihren Anwalt Lachenal ersucht, ein Memorandum abzufassen, das sie unterzeichnet, worin die wahreGeschichte ihrer Lage am Dresdener Hofe und ihre Flucht dargestellt werden soll. Die Kronprinzessin und Giron haben für 6 Monate eine kleine Villa in Genf gemie- thet. Der Aufenthalt der Kronprinzessin von Sachsen in Genf ist insofern klug gewählt, als Genf der einzige Schweizer Kanton ist wo Ehebruch nicht bestraft wird.

Innsbruck, 31. Dez. Heute er­folgte großer Schneefall. Telephon und Telegraph sind gestört und auf der Brennerbahnstrecke InnsbruckFranzens­feste ist wegen Schneefall und Lawinen­stürze der Gesammtverkehr eingestellt. Die hiesigen Nachtzüge flehen vorm Brenner, die Südzüge bei Gossensaß. Zu Ober-Gossensaß blieb ein dem Schnell­zuge vorausfahrender Schneepflug in den Lawinen stecken. Von hier ging ein Arbeiterzug nach dem Brenner ab.

London, 30. Dez. Im City-Road» arbeitshaus in London befindet sich eine Frau Lydia Carr, die in den nächsten Tagen 104 Jahre alt wird. Sie lebt bereits seit 20 Jahren in dem genannten Armenhaus und ist fast die ganze Zeit bettlägerig gewesen, hat aber immer noch Erinnerung an ihre Vergangenheit. Daß die Eitelkeit auch in diesem hohen Alter den Menschen nicht verläßt, geht wohl daraus hervor, daß die alte Dame, als man sie photographieren wollte, eine Wärterin bat, ihr zu dem Zwecke Uhr und Kette zu borgen. In demselben Armenhaus lebt ein 80 Jahre alter Neffe von ihr.

Newyork, 2. Jan. Der bekannte Trust-Kapitalist Pierpont Morgan schenkte jedem seiner Angestellten zu Neujahr einen vollen Jahresgehalt.

Wntertzactenöes.

Der kleine Lord.

Von

Frances Hodgson Burnett.

(21. Forts.) (Nachdruck verboten.)

Achtes Kapitel.

Reiten lernen.

Das grimmige Lächeln wurde in der nächsten Zeit fast ein stehender Zug auf des Grafen Gesicht, und je mehr er sich daran gewöhnte, desto weniger grimmig wurde es, und sah schließlich einem rich­tigen Lächeln zum Verwechseln ähnlich. Der alte Herr war der Gicht, Einsam­keit und seiner siebzig Jahre etwas überdrüssig gewesen; nach einem langen Leben voll rauschender Vergnügungen und Zerstreuungen war die Existenz in einem noch so bequemen Fauteuil, mit dem einen Beine ans dem Gichtstuhle und als einzige Abwechslung Zornesausbrüche gegen die Dienerschaft etwas eintönig. Der Graf wußte sehr genau, daß seine Untergebenen ihn verabscheuten und daß auch die seltenen Besucher nicht gerade aus reiner Neigung sich einfanden

einzelne ausgenommen, die an seinenI scharfen, keinen Menschen verschonenden Sarkasmen Geschmack fanden. Lesem konnte er auch nicht immer, und so waren ihm allmählich die langen Nächte und die Tage zuwider geworden und seine Reizbarkeit und üble Laune hatten sich mehr und mehr gesteigert. Da war Faunt- leroy erschienen, und zum Glück für den Knaben hatte schon seine äußere Er­scheinung den großväterlichen Stolz be- friedigt, der in seiner Schönheit und seinem furchtlosen Auftreten das Blut der DarineourtS zu erkennen glaubte. Dann hatte er sein kindliches Geplauder begonnen, das den Grafen erst überrascht und dann belustigt hatte, und das er bald angenehm und unterhaltend fand. Dem armen Higgins durch diese kindliche Hand helfen zu lassen, war nichts als eine Laune gewesen. Mylord nahm nicht den geringsten Anteil an Higgins' Schick­salen, aber daß nun die ganze Gegend von seinem Enkel sprach, und daß dieser dadurch jetzt schon eine gewisse Populari tät erwarb, befriedigte ihn, wie ihn die Neugierde und das Interesse der Leute am Sonntag befriedigt hatte. Mylord von Dorincourt war ein hochfahrender alter Herr, stolz auf seinen Namen und Rang und deshalb stolz, der Welt zu guter Letzt noch einen Erben vorweisen zu können, der würdig war, dereinst beides zu tragen.

Der Morgen an dem der Pony vor­geführt wurde, war für den Grafen so erfreulich gewesen, daß er beinahe seine Gicht vergessen hätte. Er saß am offe­nen Fenster der Bibliothek und sah zu, wie der Reitknecht das hübsche Tier am Zügel hersührte und wie Fauntleroy seine ersten Reitstudien machte. Ob der Junge sich fürchten werde, darauf war er sehr gespannt; der Pony gehörte nicht zu den kleinen, und er hatte des öfter» Kinder den Mut verlieren sehen, wenn es sich nun wirklich ums Aufsteigen handelte.

Fauntleroy war vor Entzücken ganz außer sich und stieg seelenvergnügt aus er hatte noch nie auf einem Pferde gesessen nnd sein Glück war grenzenlos. Wilkins, der Reitknecht, führte den Pony vor dem Bibliothekzimmer auf und ab.

Der Jungherr hat höllisch Courage", äußerte sich WilkinS später im Stalle, den rauf zu kriegen, hat keine Mühe gekostet und sitzen that er kerzengrad', trotz einem Alten. ,Wilkins/ sagt' er zu mir, ,sitz ich gerad' ? Im Cirkus sitzen sie sehr gerade/ ,AlS ob Sie einen Ladstock verschluckt hätten, Mhlordh sag' ich; da lacht' er ganz vergnügt und sagt': ,Wilkins, Sie müssen mir's sogleich sagen, wenn ich nicht gerad' sitze, nicht wahr, Wilkins/ sagt' er."

Aber gerade sitzen auf einem Pony, der am Zügel geführt wird, war noch nicht der Höhepunkt der erträumten Glückseligkeit. Nach einigen Minuten fragte Fauntleroy zum Fenster herein: Darf ich nicht allein reiten? Darf ich nicht schneller reiten? Der Junge aus der FifthAvenue konnte traben und galoppi­eren."

Meinst du, daß du traben und ga- toppieren könntest?" erwiderte der Graf.

Versuchen möcht ich's gern," rief Fauntleroy bittend.

Mylord machte dem Groom ein Zeichen, worauf dieser auf sein Pferd aufsaß und den Ponv om Trensenzügel führte.

Nun, befahl der Graf,lassen Sie ihn Trab gehen."

Das war nun für den jungen Reit» künstler sehr aufregend und nicht gerade behaglich, denn daß Traben etwas anders wirkt als Schritt, erfuhr er gründlich.

Ddas wwirft einentüchtig gelt?" sagte er zu Wilkins.Sto stößt es SSie auch so?"

Nein, Mylord," erwiderte dieser Das verliert sich mit der Zeit. Heben Sie sich nur in den Bügeln."

Iich h-hebemich ddie gaganze Zeit," keuchte Fauntleroy.

Er flog auf und ab und hatte manch derben Stoß auszuhalten, sein Gesicht war dunkelrot und er kam kaum mehr zu Atem, aber er hielt stand und saß so gerade als möglich. Ein paar Minute.! lang waren die Reiter dem Blicke des Grafen durch die Bäume entzogen, dann kamen sie wieder in Sicht, Cedrik ohne Hut, mit blutroten Wangen und fest auf- einandergepreßten Lippen, aber noch immer mannhaft trabend.

Halt einen Augenblick!" rief der Graf. ,,Wo ist dein Hut?"

Wilkins griff an den seinigen,Fort­geflogen, Mylord," berichtete er mit sicht­licher Freude.Der junge Herr ließ mich nicht halten, Mylord."

Angst hat er nicht viel?" fragte der Graf trocken.

Der und Angst, Euer Herrlichkeit?" rief Wilkins begeistert aus.Glaube, daß er das Ding nicht vom Hörensagen kennt. Hab' schon manchen jungen Herrn reiten gelehrt, aber so couragiert ist noch keiner droben gesessen."

Müde?" fragte der Graf Cedrik. Willst du absteigen?"

Es schüttelt einen mehr als ich mir gedacht habe," gab Seine kleine Herrlich­keit ehrlich zu.Und müde wird man auch ein wenig, aber absteigen will ich nicht. Ich will's lernen, und wenn ich ein bischen ausgeschnauft habe, möchte ich meinen Hut holen."

Der feinste Diplomat hätte Cedrik keine bessere Anleitung geben können, des Großvaters Herz zu erobern. Als der Pony abermals davon trabte, lag ein Ausdruck von Freude in den lebhaften Augen des alten Herrn, den er sich selbst nicht mehr zugetraut hätte, und er saß und wartete mit wahrer Spannung, bis der Hufschlag wieder näher kam. Erst nach längerer Zeit erschienen die Reiter wieder, diesmal in rascherer Gangart. Wilkins hielt Cedriks Hut in der Hand, die Wangen des Knabeu glühten noch mehr als zuvor und seine Haare flogen im Winde, aber es war ein richtiger, flotter Galopp, in dem er dahersauste.

Hier!" stieß er hervor.Ich ich Hab' galoppiert. So gut gings noch nicht, wie bei dem Jungen in der Fifth Avenue, aber im Sattel bin ich doch!"

Von da ab war die Freundschaft mit Wilkins und dem Pony geschlossen, kaum ein Tag verging, an dem man die beiden nicht fröhlich auf der Landstraße und den grünen Wiesen dahin traben sah, und aus allen den Bauernhäusern liefen die Kinder herbei, um den stolzen, braunen Pony und seinen ritterlichen kleinen Reiter zu sehen, der so kerzengerade im Sattel saß, und der jnnge Lord schwang dann seine Mütze und rief:Hallo! Guten Morgen!" was vielleicht nicht ganz gräflich, aber sehr herzlich klang. Zuweilen hielt er auch an und schwatzte mit den Kindern,