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wurde er von der Menge mißhandelt und als sich die Polizisten vor der Ueber- uracht in mehrere Kaffeehäuser retteten, stürmte ihnen die Menge nach und demo- lirte drei der größten Kaffeehäuser vollständig. Das Militär mußte in der vergangenen Nacht mehrfach mit dem Bajonett Vorgehen, wobei 30 Personen schwer verletzt wurden. Allen Zeitungen wurde das Erscheinen untersagt. Nach Mitternacht plünderte eine Anzahl kroatischer Rotten die serbischen Kaufläden und zündeten die Einrichtungen an. Heute früh wurde Hauptmann Wtto, der bekanntlich auf die Excedenten geschossen hatte und deshalb gestern vor der Wuth der Menge hatte fluchten müssen, bei seiner Rückkehr nach Hause aus seiner Wohnung über die Treppen geschleift und trotz seiner Bitten fürchterlich mißhandelt, so daß er schwer verletzt ins Spital gebracht werden mußte. Zahlreiche Verhaftungen wurden vorgenommen.
Lokales.
Wildbad, 5. Sept. Dem Wunsche der Eltern der mitwirkenden Schüler ent- sprechend, wird am nächsten Sonnlag, nachmittags 4 Uhr, auf den Windhofwiesen „Herzog Ulrich und der Pfeifer von Hardt" noch einmal anfgeführt. Kleine Beiträge zur Schülerkasse werden mit Dank angenommen und dazu verwendet, den Schülern den Besuch des Naturalienkabinets in. Stuttgart zu er- möglichen.
WnterHalterröes.
der MM willen.
Roman von Arthur Zapp.
(Fortsetzung) (Nachdruck verboten.)
Er hatte es ja in Erfahrung gebracht, was außer ihm, seit der Konsul gestorben, niemand wußte: nur um der Mitgift willen hatte Axel v. Düringshofen die reiche Erbin geheiratet und nun machte er die Ahnungslose undankbar, ehrvergessen, unglücklich und frischte die leichtsinnigen, lockeren Beziehungen aus seinen Junggesellenjahren wieder auf.
Klara verbrachte eine schlaflose Nacht. Unaufhörlich rief sie sich das Gespräch, dessen Zuhörerin sie zufällig geworden, in die Einsamkeit zurück. Jedes Wort, das zwischen Axel und seinem Freunde gewechselt worden, überdachte sie wieder und wieder und den Namen Haberkorn sprach sie wohl hundertmal vor sich hin, um ihn ihrem Gedächtnis fest einzuprägen. Aber zu einer klaren, überzeugten Ansicht kam sie trotzdem nicht. Zuviel Aufregung war noch in ihr, zu viel Schrecken und Verwirrung. Freilich das, was sie bereits nach ihrem Tischgespräch mit AmtSrat Kattenbusch hatte vermuten müssen, stand jetzt in ihr unumstößlich fest: ihrjVermögen war es, das Axel mit ihr erstrebt hatte und wäre sie nicht eine reiche Erbin gewesen, hätte sie auch niemals Axels Interesse auf sich gelenkt. Welche Bedeutung aber dieser ihr gänzlich unbekannte, geheimnisvolle Herr Haberkorn für ihre Beziehungen zu Axel gehabt hatte, darüber war sie sich noch ziemlich im Unklaren. Gerade von diesem letzten Teil des Gesprächs zwischen Axel und seinem Freunde war ihr manches entgangen. Zu stark war ihre Erregung, ihre Bestürzung, ihr Entsetzen gewesen,
zu laut hatte ihr Herz in der Brust gehämmert.
Und nun hatte sie keinen anderen Gedanken, als sich völlige Klarheit über den Anteil zu verschaffen, den der mysteriöse Herr Haberkorn beiihrer Eheschließung gehabt hatte.
Zum Glück rief der Dienst Axel frühzeitig von ihrer Seite. Sie stellte sich schlafend, bis sie seinen Schritt auf dem Flur verklingen hörte, um nicht seinem Blick begegnen und seinen Abschiedsgruß empfangcrr und erwiedern zu müssen. Und dann kleidete sie sich rasch an und ging zu ihrer Tante hinunter, denn ihre Seele lechzte nach voller Gewißheit.
Die Frau Konsul war nicht wenig erstaunt über den frühen Besuch.
„Daß Du schon auf bist, Kind!" sagte sie verwundert. „Die Jugend Pflegt doch besonders nach einem Ball lange zu schlafen."
„Mit mir ist's anders," versetzte Klara, vor Ungeduld innerlich glühend, „ich habe nach einem Ball nie rechr schlafe» können."
„Sieh, sieh! Ja, ja. Du siehst noch! recht übernächtig und angegriffen aus. Uebrigens, es war recht schön. Axel ist doch von hinreißender Liebenswürdigkeit. Ich habe nie einen aufmerksameren Gastgeber gesehen.
Klara's Stirn umwölkte sich; sie that einen tiefen Atemzug und dann kam ihr mit mühsam verhaltener Spannung die Frage über die Lippen: „Sag mal, Tantchen, kennst Du Herrn Haberkorn?"
„Haberkorn?" Die alte Dame forschte eine kleine Weile in ihrem Gedächtnis, dann schüttelte sie ihren grauhaarigen Kopf. „Den Namen kenne ich gar nicht, Kind. Ich erinnere mich nicht, den Namen je gehört zu haben."
Klara sah ihrer Tante forschend, prüfend ins Gesicht. Die gutmütigen blauen Augen der alten Dame blickten so frei und ehrlich, daß ein Zweifel an der Wahrheit ihrer Worte nicht aufkommen konnte.
„Wer ist es denn Kind?" fügte die Frau Konsul ihrem Bescheide hinzu.
„Ich glaube, Herr Haberkorn hat mit Onkel in geschäftlicher Verbindung gestanden."
„So? Ich habe mich nie um meines Mannes geschäftliche Angelegenheiten bekümmert und kenne seine Geschäftsfreunde nicht. Woher kennst Du denn den Herrn ?"
Klara hüstelte, bevor sie erwiderte: „Ich hörte gestern auf der Gesellschaft von ihm sprechen. Ich glaube, man erzählte sich, daß er Geld ausleihe und daneben Hei —" das Wort blieb ihr fast in der Kehle stecken — „Heiraten vermittle."
Die Frau Konsul blickte überrascht und indigniert. In ihrem runden, behäbigen, von vielen Falten durchzogenen Gesicht malte sich ungeheuchelter Abscheu.
„Ja, ja", sagte sie, „es soll ja wohl solche Leute geben, die sich geschäftlich damit abgeben. Unter uns: ich finde es geschmacklos, häßlich und gemütsroh, die Dienste eines Mannes in Anspruch zu nehmen, der ein Geschäft daraus macht, Ehen zusammenzubringen. Ich begreife nicht, wie gebildete Menschen sich dazu verstehen können. Meinst Du nicht auch?"
Klara's Wangen färbten sich blutrot und in ihren dunklen Augen leuchtete es blitzartig auf.
„Ja, Tante," pflichtete sie aus voller Seele bei, „etwas Ordinäreres und Abscheulicheres kann ich mir gar nicht denken."
Ihr banges, bedrücktes Herz atmete auf und eine Hoffnungsfreude durchglühte sie. Eine so heftige Gemütsbewegung ergriff sie, daß sie sich Gewalt anthun mußte, um der ahnungslosen alten Dame nicht «m den Hals zu fallen. Ihre Augen wurden feucht und ein sichtbares Zittern durchlief die schlanke, hohe Gestalt.
„Aber was ist Dir denn Kind?" fragte die alte Dame besorgt.
„Nichts, Tantchen, nichts!" rief Klara und zwang unter Aufbietung aller ihr innewohnenden Willenskraft ein sorgloses Lächeln auf ihre Lippen. „Nur ein bischen müde bin ich noch. Ich will mich nun gleich noch ein wenig niederlegen."
Damit sprang sie auf und eilte mit kurzem Grnß davon. Daß die Tante nicht die Unwahrheit gesagt und nichts verschwiegen, hatte sie an ihren Mienen gesehen und nun war sie froh, daß sie wieder Hoffnung schöpfen durfte. Wenn ihre Heirat mit Axel wirklich durch die Vermittlung dieses Herrn H >bcr- korn zu Stande gekommen wäre, dann hätte doch die Frau Konsul es wissen müssen. Aber als sie wieder oben in ihrer Wohnung war und in ihrer Einsamkeit abermals zu grübeln begann, kam doch die Unruhe und der Zweifel von neuem über sie. Hatte Axel seinem Freunde nicht den Rat gegeben, sich an Rentier Haberkorn zu wenden, um zu einer reichen Heirat zu gelangen ? Solange der Stachel des Argwohns in ihr saß, würde sie nicht mehr glücklich sein, nicht mehr frei auf- atmen, Axel nicht mehr in die Augen sehen können. Gewißheit mußte sie sich verschaffen, Gewißheit um jeden Preis.
Sie kleidete sich zum Ausgehen. Es litt sie nicht in der Stille ihrer Wohnung. Sie mußte irgend etwas unternehmen, um über die Frage, die sie unablässig quälte, die sichere Wahrheit in Erfahrung zu bringen.
Herr Guntermann, der langjährige Vertrauensmann ihres Onkels, der Verwalter ihres Vermögens, würde vielleicht etwas wissen. Sie eilte in das Geschäftslokal und wurde auf ihr Verlangen sogleich nach dem Privatkomptoir geführt. Herr Guntermann erhob sich sehr überrascht. Er schob seinem unerwarteten Besuch einen Sessel zu und lud höflichst zum Sitzen ein.
„Was verschaft mir die Ehre," sagte er geschäftsmäßig, um gleich darauf noch ehe Klara in ihrer Verwirrung eine Antwort gefunden, fortzufahren: „Ah, die gnädige Frau kommen gewiß wegen der Rechnungsablegung und Uebernahme ihres Vermögens.
„Ja — jawohl," versetzte Klara mechanisch, im Stillen aufatmend, daß nun eine Erklärung ihres Besuchs gefunden war, denn erst jetzt empfand sie die ganze Peinlichkeit ihrer Lage, an die sie in ihrer Aufregung bisher nicht gedacht hatte. Das Anliegen, das sie hierher geführt, war so delikater Natur, daß sie in Verlegenheit war, wie sie nun davon beginnen sollte. Wenn sie Herrn Guntermann auch oft im Hause ihres Onkels begegnet war, so war er ihr doch beinahe ein Fremder geblieben, umsomehr, als sie ihn die letzten zwei Jahre fast gar nicht zu Gesicht bekommen hatte.
(Forts, folgt.)