Nr. 84.
Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.
94. Jahrgang.
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Donnerstag den IS. April ISIS.
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Die Zustände in München. — Die Lage im Reich. — Zur Friedensstage.
In München geht die Räteregierung an die Arbeit, um die Ideen ihrer Führer durchzusetzen, der Kommunismus, d. h. die Gemeinwirtschaft ans allen Gebieten soll durchgeführt werden. Die Münchener Mehrheitssozialisten haben nochmals Versuche gemacht, sich mit den Unabhängigen und Kommunisten auf eine bestimmte Plattform bezüglich der wirtschaftlichen Fragen zu einigen. Der Russe Levien aber hält seine bolschewistischen Grundsätze aufrecht, und hi- Kommunisten, — das sind einige Tokiköpse und dahinter die Masse des Gesindels — halten fest zu diesem Ausländer. Sollte das deutsche Volk nicht bald einsehen, daß es nur von fremden Elementen, die bei Gelegenheit den Schauplatz ihrer erfolgreichen Tätigkeit verlassen, und die wahrscheinlich von der Entente bezahlt werden, ins Verderben geführt wird. In der Schweiz gilt heute die Mark 40 Heller; vor dem Krieg hat man für eine Mark 120 Heller erhalten. Der Grund für den dauernden Rückgang des deutschen Geldwertes im neutralen Ausland liegt darin, daß wir infolge der andauernden Streiks keine Waren zu liefern vermögen. Durch den Streik im rheinisch- westfälischen Fndustriebezirk. an dem heute 400000 Arbeiter beteiligt sind, wird über kurz oder lang unsere ganze Industrie, unsere gesamte Licht- und Energiewirtschaft lahmgeleqt werden; und zudem wird die mit Mühe und Not geregelte Lebensmitteleinfuhr nach Deutschland gefährdet werden, denn die auf der Fahrt nach deutschen Häfen befindlichen Schiffe kann man nicht einmal mit dem nötigen Kohlenvorrat versehen, damit sie weder aus- sahren können, ganz davon zu schweigen, daß man ihnen vielleicht Kohlen als Ware mitgeben könnte. Sogar die Unabhängigen bekommen es jetzt mit der Angst. Der Unabhängige Eohen-Reuh brachte im Rätekongreß eine Entschließung ein, der Rätekongreß solle an die streikenden Ruhrbergleute appellieren, unter allen Umständen Noistands- arbeiten auszusühren, damit das deutsche Volk von dem Unglück verschont würde, das jetzt bei einem Ersaufen der Schächte eintreten würde. Und Herr Cohen ermahnte die Vertreter der Unabhängigen noch, sie sollten doch bedenken, welche Folgen es habe, wenn selbst Lebensmittelschiffe der Entente jetzt ohne Bunkerkohle zurücksahren müßten. Und der Mehrheitssozialist Kalinsky sagte, nicht mit Unrecht, eine Bergarbeiterschast, die die Kohlenschächte ersaufen läßt, ersäuft die deutsche Revolution. Der Reichsemährungs- winister Schmidt, ebenfalls ein Sozialist, beschwor den Rätekongreß, sich zu der Erkenntnis durchzuringen, daß eine so wüste Verhetzung und die brutale Unterdrückung des gesamten deutschen Wirtschaftslebens wie sie jetzt im Ruhrgebiet betrieben werde, auf das allerschwerste verurteilt werden müsse. Bor Düsseldorf liegen Rheinschiffe mit Lebensmitteln. Aber sie werden von den Belgiern nicht durchgelassen, bis der Streik zu Ende ist.
Wie sich die Dinge in Bayern entwickeln, ist heute noch nicht abzusehen. Die rechtmäßige Regierung, die ihren Sitz in Bamberg genommen hat, soll über München die Lebensmittelfperre verhängt und die Stadt vom Eisenbahn- Post- und Drahtverkehr abgeschnitten haben. Der Reichswehrminister Noske hat erklärt, in Bayern würden sich, wenn der Mehrheitssoztalist Hoffmann sich nur noch eine Zeit lang halte, die Verhältnisse zu Gunsten der rechtmäßigen Regierung befestigen. Der frühere Kommandeur des Münchner Leibreginients, den die Regierung zu ihrem Schutz mit der Bildung einer Regierungstruppe betraut hat, sei ein hervorragender Offizier. Wenn es nicht anders gehe, werde München genau so mit Waffengewalt zur Ordnung zuriick- geführt werden, wie das in Bremen, Düsseldorf usw. geschehen sei. Ehe unser Vaterland in den Abgrung gestürzt werde, müsse lieber aufs kräftigste zugeschlagen werden. Das Blut, wenn es fließen sollte, komme über die kommunistischen Tollhäusler. Bezüglich des Antrags im Rätekongreß, man solle einenReichssokdatenrat errichten, der dem Reichswehr- minister gleichgestellt sei, vertrat Noske den Standpunkt, wenn Ein solcher Retchssoldatenrat geschaffen würde, dann würde er Lehen, denn ohne einheitliche Leitung, ohne Disziplin sei nichts Vernünftiges anzustellen. Im übrigen sagte Noske, sei die militärische Leitung auf alle Möglichkeiten vorbereitet. In Magdeburg wurde der Putschversuch, der auf aus eine Militärrevolte in verschiedenen Armeekorvsbxzkben
hinauslief, unterdrückt; die dortige Streikleitung hat deshalb beschlossen, „im Hinblick auf die veränderten Machtoerhält- nisse" die Streikenden aufzusordern, die Arbeit wieder auf. zunehmen. In Braunschweig herrschen immer noch die Unabhängigen. Bei einer großen Versammlung wurde dort als Rettung Deutschlands der Anschluß an die russische Sovjetregisrung gefordert, gründliche Beseitigung des Militarismus und Kapitalismus in der ganzen Welt, Absetzung der Regierung Ebert-Scheidemann-Noske. Auflösung der Nationalversammlung und aller Landtage. So wütet das Fieber im deutschen Bolkskörper fort, und nirgends zeigt sich das richtige Mittel oder der richtige Arzt, der die gehörige Autorität besäße, daß seine Anordnungen Gehör fänden. Soll das deutsche Volk an dieser Revolution, die doch die große Freiheit bringen sollte, zugrunde gehen?!
Unsere Feinde würden es nur begrüßen, wenn die verblendeten und bestochenen Verführer unseres Volks das Werk vollenden würden, das sie aus politischen Gründen nicht ganz durchführen wollen. Die feindliche Presse ist zur Zeit voll Stimmungsberichten über angebliche Meinungsverschiedenheiten in Paris. Die einen schreiben, Wilson wolle abreisen; er habe schon seinen Dampfer bestellt, die anderen sagen, das sei nicht wegen der Uneinigkeit, sondern weil man sich jetzt bald geeinigt haben werde, um den Bor- frieden schließen zu können. Daß es sich bei allen diesen Manövern keineswegs um Schritte zu Gunsten Deutschlands handelt, das werden wir aus den Kriegsentschädigungs- forderungen und der Haltung Wilsons zur Frage der deutschen Kolonien bald genug hervusfinden. O. 8.
Kriegsgerichtliche Urteile nach den Gesetzen des Belagerungszustandes.
(STB:) Stuttgart» 8. April. Die anläßlich des Belagerungszustandes eingesetzten außerordentlichen Kriegsgerichte haben eine Reihe mehr oder weniger leichte Vergehen gegen das Belagsrungszustandsgesetz abgeurteilt. Wegen unbefugten Waffentragens erhielten der Metzger Johann Feifel in Gaisburg und der 29 Jahre alte Eisendreher Stefan Zehr von Stuttgart 1 Monat 15 Tage bezw. 1 Monat Gefängnis. Wegen Fflugblattoerbreitung der 19 Jahre alte Schlosser Friedrich Scheu in Degerloch, Mitglied der Kommunistischen Pattei, 2 Monate Gefängnis; der Schneider Johann Elust von Fürnsal, Mitglied der Komm. Pattei, 2 Monate Gefängnis; die Näherin Marie Birkmaier zehn Tage Gefängnis. Der 17 Jahre alte Eisendreher Richard Heim von Cannstatt wurde zu 20 Tagen Gefängnis bezw. 100 .tt Geldstrafe verurteilt, weil er sich an einer großen Menschenansammlung beteiligte, die einen Leutnant der S.-K. entwaffnen und miß- , wollte. Der 22 Jahre alte Hilfsarbeiter Melchior Warker wurde mit einer Woche Gefängnis bestraft, weil er gegen die S.-K. sich in rohen Ausfällen erging und für die Bewaffnung der Arbeiter eintrat.
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(SCB.) Stuttgart, 7. April. Die Verteidigung der Stuttgarter Spartakusführer Hörule, Muazeuberg, Rück und sieben weiterer Genoffen in den« vor dem Stuttgarter Schwurgericht gegen sie aiHängigen Strafverfahren wegen Aufruhrs u. a. haben der frühere preußische Justizminister, Rechtsanwalt Kurt Rosenfeld in Berlin, und der unlängst aus Stuttgart ausgewiesene Rechtsanwalt Dr. Levi in Frankfurt a. M. übernommen. Der Verhandlungstermin ist aus Freitag den 11. April, vormittags 9 Uhr, im Schwurgerichtssaal anberaumt. Ob die Verhandlung stattfinden kann, hängt von dem Umstand ab. ob die Verteidiger bis dahin die nötige Aktencinsicht erhalten haben und die Verteidigung entsprechend vorbereiten können. Rechtsanwalt.Levi ist zu diesem Zweck letzten Samstag in, Automobil aus Frankfurt nach Stuttgart gekommen.
Die süddeutschen Staaten und die
Räterepublik Bayern. Stuttgart, 8. April. Die Regierungen von Württemberg, Baden und Hessen sehen das Ministerium Hoffmann nach wie vor als die allein rechtmäßige Regierung des Volksstaates Baysrn an.
Stuttgart den 8. 4. 1919.
Blos, Württ. Staatsminister. Geiß, Bad. Ministerpräsident. Ulrich, Hess. Ministerpräsident.
Zur Lage i« München.
München, 8. April. Die Erregung in der DkSit- chener Bevölkerung wächst. Auf den Straßen und Plätzen haben sich heute wieder lebhaft debattierende Gruppe» gebildet. Offener noch als zuvor trat dabei eine judenfeindliche Strömung zutage, die durch zahllose, gegen die zum Teil jüdischen Führer des Radikalismus gerichtete Flugblätter in den letzten Tagen stark genährt worden war. Die Räteregierung erläßt soeben eine Kundgebung, daß durch das Verhalten von Offizieren, Studenten und- andern Bürgersöhnen seit der Ausrufung der Räterepublik die öffentliche Sicherheit gefährdet werde. Die Verbreitung von antisemitischen Flugblättern werde ohne Zweifel in kürzester Frist die Regierung dazu zwingen, alle die Personen, die die Ruhe der Stadt gefährden, festzunehmen und sofort vom Revolutionstribunal aburteilen zu lassen. In den Hauptgeschäftsstrasen haben im Laufe des Vormittags fast sämtliche Läden geschlossen, teils wohl aus Furcht vor'Plünderung, teils aber auch infolge lautlos betriebener Agitation für einen Dür- gerstreik. Auf falsche Gerüchte von bereits erfolgten Plünderungen hin rückte zeitweise ein starkes Truppenaufgebot aus, das später in die Kasernen zurückgezogen wurde.
In den ersten Morgenstunden hatten Ansammlungen kleiner Sparer stattgefunden, die vergebens auf die Oeff- nung der Banken warteten. Der Zentralrat hat übrigens dem revolutionären Bankrat für Bayern in München die Vollmacht für die sofortige Einsetzung von Bankräten an den einzelnen Dankplätzen mit folgenden Rechten erteilt: Gegenzeichnung aller abgehenden Schriftstücke, Schecks usw., Mitbestimmungsrecht in der Verwaltung, Recht ker Personalveränderung. Diese Bankräte haben für sofortige Aufstellung von Betriebsräten in den einzelnen Instituten zu sorgen, die bereits morgen die Kontrollarbeit zur Verhinderung der Kapitals«bwauderuug aus Bayer« übernehme». Die Betriebsräte müssen ans sozialistischen Bankangestalten gebildet sein. Nach einer Verordnung gegen die Kapitalsabwanderung find alle Vergütungen, Sendungen und Zahlungen im Betrage von mehr als 5000 die nach autzerbayerischen Stellen bewirkt werden, den zuständigen Ktntrollstellen des Zentralwirtschaftsamtes anzumelden. Der gleichen Bestimmung unterliegen ohne Rücksicht auf den Bestimmungs- "tt Verfügungen in bar oder Wertpapieren, die über eine» Betrag von 100 000 .tt innerhalb eines Vierteljahrs hinaus aus den Guthaben und Depots des gleichen Vergüt- ringsberechtigten getätigt werden.
Die Sozialisierung iu Bayern.
München, 9. April. Auf Anordnung des Zentral-- rates werden zur Vorbereitung der Sozialisierung alle Unternehmungen unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt. Die Betriebe haben ungestört weiter zu gehen, die leitende» Persönlichkeiten die Arbeit fortzusetzen. Geschästsgebaruna und Geldbewegung werden durch Betriebsräte bezw. durch die A.- und S.-Ausschüsse kontrolliert. Die öffentliche Aufficht liegt dem Zentralwittschaftsamt zusammen mit den Ardeiterkontrollräten, den Bergarbeiterräten, der staatlichen Bergverwaltung, dem Demobilmachungskommissar usw. ob. Der Ieutralrat fordert alle örtlichen Ärbeiterräte ans, durch Delegierte die Hotels und Gasthäuset auf Lebensmittelvorräte, Mahlzeiten und Zimmerpreise zu kontrollieren, Vorräte, die den normalen Verbrauch übersteigen, zu beschlagnahmen und den kleinen Gasthöfen, in denen vorwiegend Arbeiter verkehren, zuzuweisen.
München, 9. Aprii. Der revolutionäre Zentralrat veröffentlicht soeben folgende Anordnung über die Sozialisierung der Presse: Um die Sozialisierung der Presse sofort beginnen zu können, wird die gesamte Presse Bayerns unter gesellschaftliche Wirtschaftskontrotte gestellt. Die ge- gesamte Verwaltung und Betriebsführung untersteht auch in wirtschaftlicher Beziehung der öffentlichen Aufsicht. Die Kontrolle üben sofort Betriebsräte aus. Um der sozialistischen Lebensordnung Geltung zu verschaffen und gleichzeitig endlich eine wahrhaft freie (?) Meinungsäußerung zu ermöglichen. folgen umgehend Einzelbestimmungen. Ein« weitere Verordnung des provisorischen Zentralrais besagte. Es wird hiermit allgemeine Sonntagsruhe auch für dj? Messe ungeordnet.