Station Hauptbahnhof, ob Zug 126 a einfahren könne, erwiderte der dienst- thuende Beamte im Hauptbahnhof unbegreiflicher Weise niit ja. Der Mannheimer Zug fuhr ab, sah noch vom Lokalzug her das Vorsignal frei und fuhr, da die Strecke fast nirgends sich auf mehr als 100 Meter übersehen läßt, in den dastehenden Lokalzug hinein. Es wurden dabei 10 Personen getötet, 25 schwer und viele leicht verletzt. Die Szenen, welche nach dem Zusammenstoß folgten, spotten jeder Beschreibung. Die Verwundeten stöhnten und schrieen nach Hilfe und Wasser, die Unverletzten riefen angstvoll nach ihren Angehörigen. Eltern suchten ihre Kinder und umgekehrt. Die Lage einiger Verwundeter war gräßlich. Eine Frau, deren Beine zwischen die Bänke eingeguetscht waren, streckte den Kopf zum Fenster hinaus und bat flehentlich um Erlösung. Schwer heimgesucht wurde die Familie des Privatiers Busch-Heidelberg. Die blühende Tochter, eine Braut, blieb tot, der Vater wurde schwer verletzt. Die Familie Eisinger zählt vier Verwundete. Die Schuld an diesem traurigen Ereignis trägt der 21 Jahre alte Fahrdienstbeamte Weipert, der dem Personenzug freie Fahrt erteilte, trotzdem ihm bekannt sein mußte, daß der Lokalzug auf dem betreffenden Geleise stand. Weipert, der sofort verhaftet und einem Verhör unterworfen wurde, gab zu seiner Entschuldigung an, er sei überarbeitet. Er soll eine Zeitlang den gesamten Dienst am Karlsthor allein verrichtet haben.
Pforzheim 8. Okt. Tot aufgefunden in einer Wohnung der Baumstraße wurde gestern eine 24jährige Ketlenmacherin, die mit einem Bijoutier ein Verhältnis unterhielt, das Folgen hatte. Der Liebhaber zeigte den Tod seiner Geliebten gestern auf dem Polizeibureau an mit dem Bemerken, sie habe sich vergiftet. Ob das Mädchen sich nun selbst vergiftet hat, oder vergiftet worden ist, ist noch nicht entschieden. Der Liebhaber und sein Freund sind verhaftet.
Berlin, 9. Okt. Das Landgericht I verurteilte den Schriftsteller Maximilian Harden wegen Majestätsbeleidigung, begangen in einem Artikel der „Zukunft'- mit dem Titel „Der Kampf mit dem Drachen" zu 6monatlicher Festungshaft.
— Die Kosten des südafrikanischen Krieges liefern bei dem jetzt tobenden Wahlkampfe in England der Opposition ein unerschöpfliches Thema nnd eine scharfe Waffe gegen das Tory-Ministerium. Bis August beliefen sie sich auf rund 1400 Millionen Mark. Dabei war noch gar nicht abzusehen, wie hoch die weitern Kosten sich steigern werden. Im Oktober vorigen Jahres glaubte Schatzsekretär Hicks-Beach mit 200 Millionen Mark auskommen zu köunen.
Lokales.
Wildbad, 9. Okt. Gestern Vormittag gelangte ein Teil der hies. Gemeindejagd zur Verpachtung. Der erste Distrikt, Abt. Sommersberg wurde von Herrn Adolf Mayer, Privatier aus Pforzheim um die Summe von 835 Mark, und der zweite Distrikt, Abt. Wanne, von Herrn I. Löfin ger, Kfm. aus Stuttgart um 561 Mark je auf 10 Jahre gepachtet. In Anbetracht der durch das Bürgerl. Gesetz»
buch eingeführten höheren Entschädigungspflicht für Wildschaden war ein Mehrerlös wohl kaum zu erwarten.
Unterhaltendes.
Der weiße Hirsch.
Eine Erzählung von Adelheid von Rothenburg, geb. von Zastrow.
(Fortsetzung.)
„Die Sonne steht hoch," erwiderte sie, „aber Sie müssen doch die Kinder sehen," und sie rief nach der Wiese hinüber. Da kamen sie mit Blumen in den Händen, die noch nichts davon wußten, daß ihr Vater ein Ausgestoßener war, zwei Mägdlein, von denen das eine sich kaum auf den Füßen zu halten vermochte und eiri frischer kräftiger Knabe mit krausen Locken um den Kopf, Kinder, für die ein ächter Vater gern sein Herzblut gegeben hätte.
Die beide« Aeltesten sprangen auf Rüdiger zu und umfaßten seine Kniee, das Kleine streckte ihm einen Strauß entgegen.
„Wie kann man Kinder haben," dachte er, „und dabei von Mord und Brand träumen!" Er liebkoste sie und versprach ihnen von dem nächsten Jahrmarkt etwas mitzubringen, dann grüßte er noch einmal und verließ die Mühle.
Tr ging quer durch den Wald, aber das Rauschen und Plaudern tönte ihm noch lange nach. Wunderbar wogte und wallte es in ihm. Das Geschick seines Freundes, in welches er ohn sein Zuthun verwickelt worden war, das Bild der Prinzessin, das sich nicht bannen ließ,— immer wieder tönte es in ihm:
Die Sterne, die begehrt man nicht.
Man freut sich ihrer Pracht Und mit Entzück n blickt man auf So manche finst're Nacht.
Und mit Entzücken blick ich auf So manchen lieben Tag,
Vermeinen laßt die Nächte mich So lang ich weinen mag. (Göthe.
Die Oberförsterei lag auf einer Anhöhe, hinter welcher, hoch ansteigend eine Bergwand sich erhob- Sie war mit Edeltannen bewachsen, und bildete eine mächtige Schutzwehr gegen den Wind. Es mochte noch so wild im Herbst brausen, oder noch so schmelzend im ersten Frühling sausen, — um das alte Haus herum, an dem zahlreiche große und kleine Geweihe prangten, herrschte Stille und milder Sonnenschein rief zu allen Jahreszeiten eine Fülle von Blumen wach, wie sie nur der Wald und besonders der Thürringer so liebreizend und eigen herdorzu- bringen vermag.
Unter der Thür des Hauses stand eine ältliche Frau, die Hand über die Augen gelegt und spähte den verschütteten Weg hinunter, welcher nach Westen führte. „Gott sei Dank, dort kommt er," murmelte sie „aber wieso ganz in Gedanken! Als ob er keine Mutter mehr in der Welt hätte."
„Ihr habt doch nicht auf mich gewar- tet?" fragte Rüdiger, und er sah über sie hinweg, in einen dämmernden Vorraum, aus dem das Ticke-Tacke einer großen Wanduhr sich vernehmen ließ.
„Es ist mir nicht des Bratens wegen," antwortete sie und richtete dabei ihre lichten, grauen liebevollen Augen, deren Blick er auswich, aus sein Gesicht, „dem läßt sich nachhelfen. Ich will nur nicht, daß i ihr euch erzürnt, denn das geht mir an
das Leben. Znm Glück hat er sich heut selbst verspätet."
Rüdiger nahm das Gewehr von der Achsel. „Ich bin gleich unten," sagte er, und eilte die halbdunkle Treppe hinauf, welche in einen mächtigen Bodenraum führte. Zur Rechten und Linken befanden sich Giebelstuben nebst Kammern, in einer der letzteren schlief er, dicht daneben lag sein Wohnzimmer. Er hatte es zur Werkstatt eingerichtet, allerlei Geräte und Handwerkszeuge, verschiedene Hölzer, ein Leimtigel, eine Hobelbank, und anderes mehr, wie es ihm zur Hand stehen mnßte, wenn er es bedurfte, standen bereit. Doch machte das alles keinen ungeordneten Eindruck. Peinliche Sauberkeit herrschte vor, nnd dabei ein Moos- und Tannenduft, der angenehm wirkte, und ein grünes sanftes Licht das von außen eindrang und Träumereien wachrief, welche sich endlos fortspinnen konnten, endlos wie die Tannen, die ringsumher die ächte ungestörte Wald- einsamkeit schufen. Die Thnre zu der angrenzenden Kammer war offen geblieben, und dort sah man ein eigens hergerichtetes Bett, über dem ein Haussegen prangte. Die goldenen Buchstaben leuchteten herüber.
Rüdiger hing sei» Gewehr an einen Riegel, uahm den Hut ab, bürstete sein Haar und seinen Rock und wollte sich eben wieder nach unten begeben, als sein Blick auf einen Brief fiel, der auf der Hobelbank lag, und seine Adresse trug. Er hatte es eilig, darum zerriß er das Couvert. Seine Stirn zog sich finster zusammen, wie in großer Verwunderung trat er einen Schritt zurück, dann zerknitterte er das Papier und steckte es in die Tasche. Erhalte gelesen: „Die heimlichen Wege sind nicht unbekannt geblieben. Dafern Sie nickt nach drei Tagen in der hohlen Eiche bei dem Felsbrünnlein hundert Mark niederlegen, wird alles an die große Glocke gehängt. Verrat wird mit Tod bestraft."
Was war das für eine Sprache? Einen Augenblick lang stieg ihm das Blut zu Kopfe, doch faßte er sich rasch, sein Vater durfte ihm keine Bewegung anmerken, — aber wie um der himmlischen Barmherzigkeit willen sollte er da hindurch ? Welch ein Netz zog sich über seinem Kopfe zusammen?
Er fand den Oberförster mit starken unruhigen Schritten in dem kleinen ge- amtlichen Eßzimmer auf und abgehen. Die Suppenschüssel stand schon auf dem Tisch und.das Gesicht der Mutter zeigte sich in der Thür. Seit so vielen Jahren schon hatten diese drei hier in stiller enger Gemeinschaft gesessen und getrunken, und dabei auf ihren Angesichtern friedvolle Zuversicht geruht; — kam und ging auch das Sonnenlicht, war einmal der Tisch festlich besetzt und dann wieder bescheidene Einfachheit an der Tagesordnung, immer spendete diese Stelle ihnen Erquickung, trauliches Gespräch, ernste Mitteilung oder heiteres Lachen. Warum denn blieben sie heute so still, warum lag es wie ein Bann aus ihnen? Unter den umbuschten Wimpern schaute der Vater heimlich beobachtend nach dem Sohn, der verlegen die Augen niederschlug, während die Mutter sich mühte, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
„Habt ihr eine Spur gefunden?" erkundigte sie sich.
„Frag doch Rüdiger", entgegnete ihr Mann, „der ist darauf ausgegangen, uud