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tholiken Irlands, Amerikas, Deutschlands glauben, wenn sie ihre vielen Millionen schicken, es handle sich um Liebesgaben an einen ausgeplünderten und verfolgten Greis, während Leo XIII. in Wirklichkeit als gewaltiger Monarch dasteht. Je weiter ein Land von Rom entfernt ist um so entstellter erscheint die Wahrheit, und je mehr die Wahrheit über die Lage des Papstes entstellt wird, um so reichlicher fließt der Peterspfennig. Und etwas anderes als diesen hat eben der Papst nicht nötig. Damit soll, bemerkt Nitti, durchaus nichts Uebles über die Person des Papstes gesagt sein, der für sich keinerlei Bedürfnisse mehr besitzt. Aber der Vatikan ist ein Hof, und, entsprechend seiner Ueberlieferung/ einer der luxuriösesten Höfe der Welt. Die italienische Hofhaltung beispielsweise kostet nach Nitti weniger als die des Vatikans. Ueberdies verfügt der Vatikan über eine diplomatische Vertretung, die allein jährlich mehrere Millionen verschlingt. Und endlich ist der Vatikan das Zentralorgan einer Propaganda, die mit gewaltigen Mitteln arbeitet und arbeiten muß. Der Vatikan veröffentlicht kein Budget, aber man weiß, daß seine jährlichen Ausgaben sich aus 16 und mehr Millionen Mark belaufen. Um diese Summe aukzubringen, bedarf es eben des Peterspfennigs.
London, 21. Sept. Aus Peking wird gemeldet: Wahrscheinlich werden 10,000 Mann dort überwintern. Die Deutschen seien am zahlreichsten. Japan werde seine meisten Truppen nach Nagasaki legen. Die Russen werden 2000 Mann in Peking lassen. Es sei eine ver- einigte Expedition, bestehend aus deutschen, englischen und französischen Truppen, zur Abkontrolierung des Landes geplant.
London, 21. Sept. Ein Telegramm ans Shanghai berichtet, den letzten Erklärungen der Kaiserin-Witwe zufolge soll dieselbe bereit sein, unter der Bedingung nach Peking zurückznkehren, daß die Großmächte sich iür ihre Sicherheit verbürgen.
Lokal'es.
Wild bad, 24. Sept. O selig, o selig ein Kind noch zu sein! sich zu begeistern für Feenprinzen, die mit Zaubergürtel und -Schwert den bösen Drachen besiegen und die Prinzessin befreien, zu freuen über die guten Feen und Zwerge, die das Böse bestrafen, das Gute belohnen, — o selige Kinderzeit wo bist du hin. Sind es jetzt oft nicht noch kindischere Dinge, die unser Herz und Gemüt in Aufregung versetzen? Das waren unsere Gedanken als wir gestern abend die lieblichen Bilder vor uns auftauchen sahen, in Fleisch und Blut verwandelt, die unsere Fantasie in jungen Jahren so rege beschäftigten. Man muß es Herrn Pohl-Prantl zu- gestehen, er hat mehr als nur erstaunliches Talent, schöne Gruppen zusammenzustellen in wenigen Stunden mit den Kindern die schwierigsten Scenen einzuüben, er hat selbst ein Kinderherz, das mit ihnen denkt, fühlt und sich begeistert, sonst wäre ein solcher Erfolg gar nicht denkbar. Ein Blick hinter die Scene war in der That ein Hochgenuß — da zupften und rückten die Mädchen an ihren Bändern und Hauben, da strichen die Zwerge ihre Bärte zurecht, um sie ja nicht zu verlieren, da marschierte der mutige Königssohn angst
voll mit seinem Textbuch umher, um seine Rolle noch einmal durchzustudieren und ganz vergnügt saß Vater Klaus auf einem Kistchen und verzehrte einen Apfel, denn er hatte seine Rolle glücklich abgespielt. Und dieses Gesumme und Gewirre von den 80 Kindern und mitten drin der unermüdliche Meister, alles ordnend, die 1000 Fragen beantwortend, die von allen Seiten in der Aufregung an ihn gestellt werden, die ängstlichen aufmunternd, die mutwilligen strafend! Aber die Vorstellung fiel zur vollsten Zufriedenheit des Publikums aus, das jedes Bild mit stürmischem Applaus aufnahm und sich nicht satt sehen konnte, und Herr Pohl-Prantl darf stolz sein auf einen glänzenden Erfolg mehr! Den Kin- dern aber gebührt gewiß auch die größte Anerkennung, denn sie haben ihr Bestes gethan in allen Rollen und Herr Pohl- Prantl fand kein Ende des Dankes, als er ihnen eine gute Nacht wünschte, iu der sie wohl durchträumten von Drachen und Feen, Punzen und bösen Stiefmüttern. Am Dienstag Abend soll in der Turnhalle auf allseitigen Wunsch die Vorstellung wiederholt werden und zwar zu ermäßigten Preisen, um es jedermann zu ermöglichen, diese köstlichen Bilder zu sehen.
WntsrHaL'tenöes.
Der weiße Hirsch.
Eine Erzählung von Adelheid von Rothenburg, geb. von Zastrow.
O Waldesduft, o Tannengrün! Unter den Eichen, deren knorriges Geäst im lichten Grün prangte, schritten zwei Männer in grauen Joppen mit Grün verbrämt, den Hirschfänger an der Seite, das Gewehr über der Achsel. Ein glatthaariger, brauner Hühnerhund mit langem Behang und ein Dächschen, das witternd die kleine schwarze Nase emporreckte, begleiteten sie.
„Dort herum," sagte der Aeltere, indem er stehen blieb, Zst etwas vorgefallen. Wie sie den Ginster geknickt und das Gras zusammen getreten haben, das stammt von keinem Wild. So wahr uns die Luft von Thüringen umweht, hier ist er niedergeschossen und auf demselben Platz ist er auch ausgeweidet worden. Hölle und Teufel, und da kommen wir erst heute dahinter und haben das Nachsehen."
Der Jüngere hatte unterdessen mit einem Satze den Graben übersprungen, welcher den mit Gestrüpp und Buschwerk bestandenen Abhang von dem Waldweg trennte, bückte sich und untersuchte die Farren, deren schön gefiederte Wedel sich nach allen Richtungen breiteten.
„Es ist so," sagte er und reckte sich wieder empor." Er war ein hoher, schlankgewachsener junger Mann, der neben dem andern, seinem Vater, wie die himmelanstrebende Lärche an der Seite der markigen Kiefer erschien.
„Die Blutstropfen hängen überall," fuhr er fort und wischte sich dabei die Hände an seinem Tuch, „hier klebt auch Haar."
Sein Vater, ein fürstlicher Oberförster, errötete vor Zorn. Untersetzte Leute mit kurzein Nacken und breiten Schultern neigen ohnehin zur Erregung, und ihm, dem Oberförster Hildebrand, der seit einer
Reihe von Jahren unter den Tannenwipfeln streng Regiment führte, einen Hirsch wegschießen, hieß so viel, als ihm selbst eine Schrotladung in Fleisch und Blut jagen.
„Freilich," murrte er, den eisengrauen Bart streichend und stampfte den Boden, „wenn die, welche von rechtswegen ihre Augen offen halten sollten, bei Mondschein quinguilieren, daß ein ehrlicher Jagdhund vor Angst nicht weiß wohin, weil ihm das mörderische Gegeige durch jeden Zahn im Maul nachreißt, dann macht sich das Gesindel dem Alten seinen Reffmatismus und dem Jungen seine Musik zu Nutzen und schießt uns mitten in der Schonzeit die Hirsche weg, daß es nur so pafft. Ist mir früher nie passiert und soll auch nicht wieder, so wahr-"
„Vater," fiel ihm der Sohn Rüdiger in das Wort, „zanke nicht mir mir."
Ich gebe Dir mein Wort, ich schaffe ihn Dir. Meine Geige soll mich nicht daran hindern. Alles zu seiner Zeit. In grauen Tagen schon ist der Thüringer der edlen Musika ergeben gewesen, was den Alten das Herz erquickte, darf man den Jungen nicht verwehren. Ich stürb' lieber, als daß ich davon ließe."
„Erst das Amt und dann das Ver- gnügen," murrte der Vater.
„Vergnügen?" wiederholte Rüdiger. Sein Auge blickte ernst, vielleicht wollte er sagen: „Die Musik ist mir mehr als eine Unterhaltung," er schwieg aber. Hildebrand war Herr in seinem Hanse und der Sohn von Jugend auf an Unterwerfung gewöhnt.
„Was ein Mann ist," schalt jener jetzt weiter, „muß es ganz sein, — leim einen Stock aus drei Hölzern, er bricht sobald du ihn brauchst, — schneid ihn aus einem zähen Schaft am Haag und Du kannst Dir damit ein Wildschwein vom Halse halten. Du bist Förster, bist Musikant, und Drechsler bist Du außerdem auch noch, da hast Du die drei Hölzer."
Das letzte kam höhnisch heraus. Rüdiger lächelte sanft.
„Mit einem Stock verglichen zu wer- den, ist freilich nicht schmeichelhaft," ent- gegnete er dann, „Du solltest mir neben der Musik, die Spielerei, das Drechseln, gönnen. Wer unter den Tannen ausgewachsen ist, übt sich gleichzeitig im Schnitzen. Ich betrachte das als eine Erholung. Wenn im Kamin die Kloben schmelen und draußen der Herbstwind um den Schornstein saust, thut es mir gut, neben dem Feuer zu sitzen und dabei etwas in den Händen zu haben. Das ist alles. Genug davon! Hier geht die Spur ab, hier müssen wir suchen!"
„Such' Du nur," stieß der Alte grimmig hervor, „wo der Hang ein Ende hat, wächst das Moos unter den Tannen knietief. Zudem hat der Regen in der vergangenen Nacht alles weggewaschen; daß er hier nicht dazu konnte, liegt allein an der Buche dort. Das Laub ist schon zu dicht, es kommt nichts durch. Such' nur die Spur, wenn Du so klug bist."
Unruhig durchstreifte der junge Mann die Büsche.
„Sollte mir fehlen, dabei meine Zeit zu verlieren," rief ihm der Vater nach, „Diana"! und er pfiff dem Hühnerhund, welcher unentschlossen am Boden schnüffelte.