Amtsblatt für die SLaöt Witöbaö.
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Nr. 112.
Aienstag, 25. Septernöer: 1900
86. Jahrgang.
R u n v s ch a u.
— Auf den württ. Eisenbahnen tritt am 1. Okt. der durch Entschließung des k. Ministeriums der ausw. Angelegenheiten, Abt. für die Verkehrsanstalten, vom 18. August festgesetzte Winterfahrplan in Kraft.
— Die Aussührungsbestimmungen zum neuen Umgeldgesetz, das am 1. Oktober ds. Js. in Kraft tritt, sind nunmehr erschienen. Sie kommen in vielen Punkten den Abgabepflichten noch weiter entgegen, als es das Gesetz erfordern würde. Von den Kammerverhandlungen her dürfen die wesentlichsten Neuerungen dieses Gesetzes als bekannt vorausgesetzt werden; es mag daher genügen, wenn die Interessenten auf die großen Vorteile, welche der Wegfall der Faßsiegelung und der Kellerkontrolle , die Neuregelung des Abzugs für Hausbrauch, Schwand, HefeundTrübwein, die Feststellung des Durchschnittspreises, die Erleichterung der Akkorde und endlich auch die von den Wirten selbst verlangte Ernennung einer Bezirkskommission zur Festsetzung des Durchschnittspreises und des Hausbranchs bringen, in Kürze hingewiesen werden.
Liebenzell. Die frühere Löwenwirtin Faas in Liebenzell hat von der Strafanstalt Gotteszell auS unter Beteuerung ihrer Unschuld ein Wiederaufnahmegesuch an die Strafkammer Tübingen eingereicht.
Nagold, 21.Sept. Der Fuhrmann Schwarzkopf wurde gestern nachts 10 Uhr von einem ausschlagenden Pferde so unglücklich getroffen, daß er noch in derselben Nacht starb. Er hinterläßt eine Witwe mit 4 Kindern.
Die Tübinger Strafkammer hat den wegen Betrugs angeklagten Bauern und Weinhändler Mathias Funk von Breitenberg freigesprochen. Funk hatte durch einen Reisen! en des Weinhändlers Ille von Heilbrvnn 9000 Liter Wein ü, 40 Pfg. bestellt und den Wein, nachdem er 700 Mk. anbezahlt, auch erhalten. Er hat daun den Wein in Stuttgart im Wege der Steigerung für 2700 Mk. an den Händler Jakob Feucht verkauft. Feucht hat die 2700 Mk. sofort an Funk bezahlt. Nachdem Funk trotz wiederholter Warnung seine Rrstschuld von ca. 2700 Mk. an Ille nicht bezahlte, strengte letzterer eine Anklage wegen Betrugs an, worauf Funk nach Einleitung des Strafverfahrens Zahlung leistete. In den Gründen des
freisprechenden Urteils ist u. a. niedergelegt: Der Thatbestand des Betrugs liege deshalb nicht vor, weil der Angeklagte durch seine Vorspiegelung, er sei wohlhabend und besitze auch 60 Morgen Wald keinen weiteren Vorteil erlangt habe, als die sofortige Lieferung des Weins und die Anborgnng des Kaufpreises.
Tübingen, 20. Sept. Eine Tagesordnung von ungewöhnlickiem Umfang steht für die nächste, am 27. Sept. beginnende Tagung des hies. Schwurgerichts bevor. Nicht weniger als 18 Fälle stehen bis jetzt in Aussicht, darunter neben den gleichsam zum eisernen Bestand jeder Schwurgerichtstagesordnung gehörigen Verfehlungen gegen die Meineids- und Sittlichkeitsparagraphen eine Anzahl sehr schwerer Verbrechen gegen das Leben. Der schwerste von diesen Fällen ist der s. Zt. ausführlich mitgeteilte zweifache Kiudermord im Oberamt Neuenbürg. Ein ähnliches Verbrechen liegt der auf zweifachen Mordversuch lautenden Anklage gegen den Taglöhner Eckhardt von Unterboihingen zu Grunde, der in der Nähe von Nürtingen zwei kleine Kinder so schändlich zugerichtet hat. In noch zwei weiteren Fällen sind die Angeklagten des versuchten Mordes, in einem der Fälle gepaart mit Blutschande, beschuldigt. Auch ein Fall schweren Raubes wird zur Verhandlung gelangen. Traurige Bilder von sittlicher Verkommenheit werden da wieder entrollt werden.
— Auf der gegenwärtig in der alten Kaiserstadl Aachen tagenden Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte erregt das Plasmon, ebenso wie im vorigen Jahre auf dem Münchener Kongresse, die allgemeine Aufmerksamkeit. Diesmal ist es der Plasmon-Tisch in der mit dem Kongresse verbundenen Ausstellung, welcher sich des regsten Zuspruchs seitens der Aerzte und Hygieniker erfreut. Zwar ist das Plasmon den Aerzten nichts Neues und Unbekanntes mehr, denn es giebt heutzutage kaum noch einen Arzt, der dieses in allen Krankheits- und Schwäche- zuständen angezeigte Nähr- und Kräftigungsmittel nicht bereits mehrfach in der Praxis mit bestem Erfolg verwendet hätte. Allein da sind auch eine Anzahl neuerer mit Plasmon hergestellter diätetischer Nahrüngs- und Genußmittcl, welche das Verwendungsgebiet des Präparates erweitern und seine Darreichung besonders ieauem und angenehm gestalten, wie beispielsweise Plasmon-Cacao, -Chocolade,
-Hafercacao, -Biscuits, -Zwieback, -Speisemehl u. a., deren zumeist an Ort und Stelle konsumierte Proben uneingeschränkten Beifall finden. Auch die reichhaltige wissenschaftliche Litteraturversammlung, welche Berichte über die in Krankenhäusern, Lungenheilanstalten ec. mit Plasmon erzielten überaus günstigen Resultate enthält, erregt das Interesse der Aerzte- welt in hohem Maße, da unter den Autoren dieser Veröffentlichungen unsere hervorragendsten ärztlichen Capacitäten vertreten sind.
Pforzheim. Zu dem bereits in letzter Nr. berichteten Einsturz eines Teils des Kuppenheim'schen Fabrikneubaues ist noch nachzutragen, daß die Ursache des Einsturzes auf das Bersten des Untcr- baus eines Trägers zurückzuführen ist. Am Dienstag bemerkte man, daß der Pfeiler einen 2 em breiten Riß anfwies; der Bauführer Fetzner ließ ihn mit Cement ausgießen. Am Mittwoch früh, als sich von Neuem ein Riß zeigte, wurde die Absprießung vorbereitet, leider aber zu spät, indem der Bau vorher einstürzte. Ob das Baumaterial ein vorschriftsmäßiges gewesen, wird die Untersuchung feststellen. — Man glaubt annehmen zu dürfen, daß die Schwerverletzten dem Leben erhalten bleiben.
Pforzheim, 22. Sept. Herr Moritz Gerwig, Inhaber einer Spielwarenhand, lung und Besitzer einer Mineralwasserfabrik dahier, stürzte gestern Nachmittag kurz vor 3 Uhr vom Fenster des Stiegenhauses in den Hof, was seinen sofortigen Tod zur Folge hatte. Ein Herzkrampf scheint ih« überrascht zu haben. Herr Gerwig erreichte ein Alter von 54 Jahren.
Berlin, 21. Sept. Der „Lokalanzeiger" meldet aus Shanghai: Die Verbündeten nahmen die Peitang- und Lutai- forts mit großen Verlusten ein. Nach zuverlässigen Nachrichten dringt Deutschland darauf, die Mächte sollten die Schleifung der Küstenbefestigungen und der Pangtseforts zur Vorbedingung der Friedensverhaudlungen machen.
Rom, 4. Sept. In einem von der „Krzztg." eingehend besprochenen Aussatz wirft Professor Nitti die interessante Frage aus, weshalb denn eigentlich der Papst und die katholische Kirche so beharrlich auf der Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft bestehen, um dann selbst folgendermaßen zu antworten: „Weil die Idee der Verfolgung für das Papsttum eine Macht bedeutet. Die Ka-