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die Buren zu kämpfen; von einem Teil der Australier verlautet dasselbe. Lord Roberts, dessen Gesundheit Not gelitten hat, sehnt sich nach Hause; Lord Kitchener Wird überhaupt gar nicht mehr erwähnt. Dazu der Verlust von rund 42 000 Mann und 91000 Pferden! Nimmt man dazu die Wirren in China, die trostlosen Zu. stände in Indien, den blutigen Aschanti- Feldzng, die Sorgen in Egypten, das verlorene „Prestige" in Afghanistan, Persien und Marokko uud Ikwt not Isast die mehr als bescheidenen Erfolge auf der Aus- stellung in Paris, so wird man es verstehen, daß englische Blätter zu dem Urteil kommen, daß das ueue Jahrhundert für die Engländer nicht rosig anfängt. „Wohin wir auch blicken mögen, wir haben auf der ganzen Welt nicht einen einzigen aufrichtigen Freund, überall begegnet unser Mißgeschick schadenfrohen Gesichtern." Und wer trägt die Schuld daran? Die letzten 60 Jahre englischer Politik geben die Ant- wort darauf.
New-Iork, 10. Sept. Ein gewaltiger Wirbelsturm öerheerte die Küsten von Louisiana nnd Texas und richtete bis 100 Meilen landeinwärts furchtbaren schaden an.
— Durch den Orkan in Texas sind 50 kleinere Orte vollständig vom Erdboden verschwunden. Die materiellen Verluste belaufen sich auf mehr als 50 Millionen Dollars. Alle im Hafen vo» Galveston liegenden Schiffe sind im Sturm gestrandet. In den meisten Häusern steht daS Wasser S—5 Fuß hoch.
— Bahnbeamte aus Houston (Texas) sind der Ansicht, daß der Menschenverlust in Folge des OrkanS 5000 Personen beträgt, indeß ist eine annähernd genaue Schätzung unmöglich. Der Schaden in Galveston beträgt allein 10 Millionen Dollars. Die meisten Leichen liegen unter den Ruinen der Häuser. Alle Wasserwerke sind vernichtet, ebenso die Werften der großen Dampferlinien. 120 Soldaten Wurden durch den Einsturz einer Kaserne
Unter halt endes.
Der vergangene Auditor.
von Maximilian Schmidt.
(Fortsetzg.) (Nachdruck verboten-)
„Dös war die alt Reiserwab'n," rief der Mann; dös Malefizluder hat uns schon mehr solche Leut bei der Nacht g'schickt. Wart, i kimm glei awi."
Der Auditor setzte sich auf die Bank vor dem Hause und wartete auf den Mann. Es währte lange, lange. Schon glaubte er, der Mann hätte ihn ganz vergessen; doch hörte er im Innern des Hauses auf- und abgehen, Stiefel anziehen; dann erschien in der Wohnstube Lampenlicht und er sah, wie ein großer, kräftiger Bursche, von gedrungener Gestalt der bayerischen Oberländer', mit Hut und Stock vor der alten, nunmehr mit einem Unterrocke bekleideten Frau stand und ihr die Hand zum „Pfüt Gott" reichte. Die Frau weinte wie ein kleines Kind und machte ihm das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne.
Der Auditor konnte die Gesichtszüge des Mannes nicht sehen. Er begriff nicht, was der Bursche von der Alten lang Ab- schied zu nehmen hatte für die kurze Zeit, wo er ihm als Führer diente.
„So, i bin g'richt," sagte jetzt der Mann aus dem Hause tretend. „Gehn ma halt in Gottsnam!"
„Ich werde schon erkenntlich sein," entgegnete der Auditor und ging an der Seite des Burschen von dannen. Dieser war sehr schweigsam, der Auditor war aber über dessen vermeintliche Gefälligkeit so entzückt, daß er nicht umhin konnte, ihm seine Dankbarkeit anszusprechen.
„Mein lieber Freund," sagte er, „Ihr thut mir einen ungeheuren Gefallen, daß Ihr mich aus diesem Labyrinth hinaus- führt."
„Dös kann leicht sein," entgegnete der Bursche. „Woaßt zweg'n dir gaang i um die Stund nit durchs Filz, aber i muaß selm in aller Fruah z' Rosenheim sein, weil i mit n' Frühzug auf Münka muaß. Es hängt gar viel davon ab, daß i den Zug nöt versäum', drum hat mei Ahndl wachen woll'n, daß i mi ja nit verschlaf. I bin erst spat vom Raublinger Veterana- fest hoamkemma und woaßt, da haut ma halt viermal a bißl über d' Schnur — i mirk's scho', daß i no' a bißl doarkl (unsicher gehe), aber wenn i a Weil geh, wird's scho besser wern."
„O, ich merke gar nichts," entgegnete der Auditor, „du gehst ja ganz gerade. Gewiß bist du Soldat gewesen, weil du auf dem Veteranenball warst?"
„Freili bin i oana," erwiderte der Bursche, „leider Gottes! Sonst hättst mi no' nit dahoam troffen. Aber so hoaßt's auf Münka eini. Der Teufel soll die Gffchicht hol'n! Gieb acht, iatzt kimmt a schmaler Steg, der nit viel taugt, über an' Altwasser. Schau nur grad vür di hin, daß d' koan Schwindel kriegst."
Der Auditor folgte seinem Begleiter etwas ängstlich auf dem hohen, schwankenden Gerüste.
„I wünschet mir bloß oans!" rief jetzt der Bursche, auf der Mitte des Steges anhaltend, daß i den am Kragen hätt', der dran schuld is, daß i heunt auf Münka muaß! Den werfet i eini in Tümpel, daß er d' Haxen in d' Höh recket. — Der ließ 's Untersuchen bleib'n für Zeit und Ewigkeit."
„Von wem redst denn?" fragte der Auditor den bei der Erinnerung anseinen Feind erregten Burschen.
„Von an' Auditor red' i, der 's Nörgeln nit aufg'hört hat, bis i weg'n Insubordination heunt vor's Kriegsgericht g'stellt und wahrscheinli verurteilt werd'."
„Bist du der Johann Pangerer?" fragte der Auditor schnell und unbedachtsam, dabei von einem gelinden Entsetzen erfaßt.
„Du kennst mi?" fragte der Bursche zurück. „Pangerer Hans hoaß i. Wer aber bist denn du?"
Der Auditor wußte nicht sogleich zu antworten. Jetzt hieß es diplomatisch sein, denn er kannte das ihn erwartende Los. Endlich sagte er: „Ich kenne dich nicht, aber das alte Weib bei Pang hat mir gesagt, daß ich dich hier treffen könnte und daß du mir im Notfälle den Weg nach Pang zeigen würdest."
Man kann sicki wohl in die Lage des Auditors hineindenken. Mitten in der Nacht im Pangersilz allein zu sein mit dem durch vielen Biergenuß rabiaten Burschen, der auf seinen Antrag hin kriegs- gerichtlich verhandelt wird. Er verspürte
eine Erleichterung, als der Begleiter wie- der weiter schritt.
„Dö alte Karnalli!" sagte dieser. „Woaßt, i hon die alten Leut nit ungern, hon ja selm an' alts Großmuatterl; aber die alt Reiserwab'n nimmt alle Nester in die Auen aus und treibt damit an Handel. so wern die Singvögel alleweil we- Niger und nix kann mi mehr ärgern, als so an' arma Vögerl sei' Freiheit z' nehma."
„Da bin ich ganz deiner Meinung," stimmte der Auditor bei. „Einsperren soll man solche Leute, und diejenigen dazu, die solche Singvögel kaufen und zeitlebens einkerkern."
„Wer bist nacha du?" fragte der Bursche abermals.
„Ich?" entgegnete zögernd der Auditor, — „ich bin ein Beamter aus München."
„Am End aa so a Rechtsverdraaher?" fragte Hans in scharfem Tone.
„O nein!" beeilte sich der Auditor zu erwidern, denn sie betraten soeben wieder einen schwankenden Steg — „ich bin an- gestellt bei — der Post."
„Bei der Post?" versetzte Pangerer. „Nu, das laß i mir g'fall'n; aber die Gerichtsherrn mag i nit, nur weg'u dem kcummnasigen Auditor, weil der mir gar so aufsässig sein kann."
„Du thust ihm vielleicht unrecht!" sagte der Auditor in möglichst gutmütigem Tone. „Jeder thut halt seine Pflicht, so gut ers kaum"
„Wenn's d' mir den guat red'st," rief Franz erregt, „nacha laß i bi mitten im Filz da stehn und geh alloa meine Weg!"
„Ja. ich weiß ja gar nichts!" ver. sicherte der Auditor nicht im besten Wohl. Behagen.
„Hast koa Zigarrl?" fragte der Bursche. „Ich will dir nacha alles dazähl'n."
Der Auditor beeilte sich, dem Führer alle Cigarren anzubieten, weläe sich noch in seinem Etui vorfanden.
„O i dank," sagte der Beschenkte, „es langt oane schon. Aber du hast g'wiß aar a Feuer bei dir?"
„Herzlich gern," entgegneie der Au- ditor, seine Wachszündhölzchen hervornehmend; jedoch getraute er sich nicht, dieselben anzuzünden. Er reichte das Schächtelchen dem Burscheu und ging voran.
„Ja, die mußt scho' anzünden/' sagte dieser, „i versteh mi nit d'rauf."
Der Auditor war iu der peinlichsten Lage. Machte er Licht und wurde dadurch sein Gesicht beleuchtet, so erkannte ihn der Begleiter und was daraus folgen konnte, das wußte er.
„Wenn er nur meine gebogene Nase nicht sieht," dachte er bei sich, .diese könnte mich verraten."
„Probiers nur," sagte er zu dem Burschen. „du hast es gleich los."
„Sei nur du so guat," meinte der Pangerer Hans. „Bleib nur stehn — i möcht gar so gern a Zigarrl rauchen."
Der Auditor konnte jetzt nicht mehr anders, er mußte stehen bleiben und das Wachskerzchen anzünden. Er war in Todesangst. Mit abgewandtem Gesicht strich er das Kerzchen an und überreichte es mit der rechten Hand seinem Begleiter, während er mit der linken sein Gesicht bedeckte. (Forts, folgt).