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V. Ketteler ei» Schuß in de« Hals fest, gestellt. Der Mord geschah gegen 9 Uhr Vormittags. Die Gesandten hatten für S Uhr um eine Unterredung mit dem Tsungli-Aameu nachgesucht, um gegen die von der chinesischen Regierung über das diplomatische Korps verhängte Ausweisung Einspruch zn erheben. Sie erhielten aber auf ihr Audicnzgesuch keinen Bescheid und unterließen lediglich deshalb, nicht aus Besorgnis vor den Umständen nach nicht zu erwartenden Angriffen den Besuch. Sie hätten auch Ketteler nicht gewarnt, als dieser infolge anderweiter Verabredung das Tsuagli-Damenallein besuchen wollte.

London, 8. Sept. Während Lord Roberts, wenigstens so weit seine Mel» düngen veröffentlicht wurden, nur von einer angeblichen Belagerung Ladybrands berichtete, ergiebt sich aus Zeitungsmel­dungen, daß Ladybrand vorübergehend in Wahrheit genommen und später wieder aufgegeben wurde, als General Hunter mit großer Uebermacht heranrückte. Der Standard" berichtet, daß die Burenden Zweck ihres Angriffes auf Ladybrand voll- ständig erreichten, indem siegroße Vor- rate von Winterkleidern, Kaffee, Zucker, Mehl, Konserven usw. und zahlreiches Schlachtvieh in Ladybrand fortnahmen, um dann auf den verschiedenen Farmeu der Umgegend.das übliche Rekrutierungs. geschäft mit Erfolg zu besorgen." Ueber das Wiederaufleben der Streitigkeiten im Freistaate sagt derStandard", daß sie eine sehr unangenehme Ueberraschnng sind. Dasselbe Blatt fügt noch hinzu: Es liegt klar auf der Hand, daß die Buren größere Hilfsmittel und stärkeren Mannschafts-Ersatz zur Verfügung haben als wir uns bis jetzt vorstellten. Sie haben nicht nur Ladybrand gestürmt, son- dern erscheinen auch wieder in der Nähe von Tabanchu und sogar an den Wasser- werken von Bloemfontein, der Szene eines früheren, notorischenMalheurs"."

Ein eigenartiges Vorkomm, nis, das für die Beteiligten unvergeßlich bleiben wird, ereignete sich an einem der letzten Abende in einem Hotel 1. Range? in Wittdün. Sitzen da die Badgäste in munterem Geplauder beim Abendessen. Eben wollen sie sich erheben, als ein Mann in der Thür sichtbar wird, der mit ernstem Gesicht die Tafelrnnde mustert. Allgemeines Erstarren der Gäste, einige nervenschwache Damen bekommen Ohn> machtsanfälle, als sich dieser ernste Mann als der kgl. preußische Gerichtsvollzieher Wiese aus Wyk auf Föhr zu erkennen giebt und bei allen Anwesenden die Be- träge der ihnen zugestellten Hotelrechnungen für die auswärtigen Gläubiger des Wirts Pfändete. Zuerst allgemeine Entrüstung bei den Gästen; als man aber einsah, daß alles Protestieren nichts half und der Gerichtsvollzieher kraft seines Auf­trages handelte, wurde gute Miene zum bösen Spiel gemacht und Herr Wiese so­gar nach vollbrachter Amtsthätigkeit zn einem^Versöhnungsschv^

Mnte rHcrtt enöes.

Der vergangene Aaditnr.

von Maximilian Schmidt.

(Fortsetzg.) (Nachdruck verboten.)

Der Expeditor kam dem Auditor zu Hilfe und riet ihm, mit dem morgen früh

halb fünf Uhr abgehenden Zug nach München zu fahren mit dem er um sieben Uhr vierzig Minuten ankomme. Der An- ditor atmete ne» auf. Also war noch Hoffnung vorhanden, wenn auch erst mor- gen, doch noch zum Kriegsgericht zu kommen. Aber er wollte nicht in Oberaudorf bleiben. Je näher er sich der Hauptstadt wußte, desto beruhigter fühlte er sich ; auch war er von dem Laufen noch so erhitzt, daß es ihm Bedürfnis war, sich noch zu er- gehen und er entschloß sich, auf der Land- straße noch so lange fortzugehen, bis er einen Platz erreiche, von welchem er mit einem Gefährt nach Rosenheim kommen konnte. Er achtete nicht der Nacht, welche ihn bald umgab, rüstig schritt er vor­wärts über Flintsberg und Degerndorf und kam gegen zehn Uhr auf der Station Raubling an. Im dortigen Wirtshause machte er Halt.

Da ging es lustig her. Die Veteranen dtr ganzen Umgegend waren hier zur Fahnenweihe versammelt, im Saale war Musik und Ball, die übrigen Lokale voll­gepfropft mit heiteren Gästen.

Ein Uebernachten dahier war unmög­lich. Der Wirt lachte dem Auditor, als ihn dieser um ein Fuhrwerk nach Rosen- heim anging, ins Gesicht.

Heunt hat neamad Zeit zum Fahr'»," sagte er lachend,heunt woll'n ma lusti sei'!"

Ein Zimmer zum Uebernachten gab es, wie gesagt, auch nicht, und wenn auch, wer würde ihn rechtzeitig wecken? Er stärkte sichMt Bier und Fleisch und nahm sich dann vor, in Gottesnamen noch den Weg nach Rosenhem zurückzulegen.

Es war schon sehr spät, als er Pang erreichte. Außerhalb dieses Ortes begeg- nete ihm ein altes Weib, das ihm freund- lichstGute Nacht" wünschte.

Es wollte heute schon so sein. Der erste Morgengruß kam von einem alten Weibe, die letzteGute Nacht" rief ihm ebenfalls ein solches zu. Doch er dachte, es möchte hier sein, wie bei den Spinnen, und wenn der Morgengruß eines alten Weibes Unglück bringt, so konnte ja der Abendgruß vielleicht Glück bringen. Er lragte deshalb die Alte, wo sie noch so spät herkomme?

Von Rosenheiw," war die Antwort, über's Pangerfilz, da schneid't ma' a guate Stund ad."

Durch's Pangerfilz?" fragte der Au- ditor.Kann man sich da bei Nacht nicht vergehen?"

WBewahr' Gott!" sagte die Alte,es ist ja jetzt glöckelhell und wenn ma's woaß, so is 'S der schönst Weg über Brucken und Steg, der Gaster (Gangsteg) laßt eam nöt aus."

Und eine Stunde erspart man?" fragte der Auditor abermals.

No' drüber," entgegnete die Alte. »Ja, ja, Oes werd's es scho'segn. Guate Nacht; a guats Umikemma!" und trippelte mit ihrem Korbe auf dem Rücken weiter.

Wenn es eineRauhnacht", vielleicht die Johannisnacht wäre, könnte man wahrhaftig glauben, das sei die Frau Percht gewesen," sagte der Auditor lächelnd zu sich selbst.Wenn es eine Hexe, eine Drud wäre, die mich auf Irrwege leitete I Ein wenig Aberglaube, und jdaS Aben­teuer wäre fertig."

! Ju diese Gedanken vertieft, hatte er

bereits das Pangerfilz betreten. SS ging anfangs ganz schön dahin, der Fuß- oder Fahrweg war ziemlich breit; bald aber konnte ec nur mehr den Weg von dem schwarzen, moorigen Grunde zu beiden Seiten unterscheiden.

Der Auditor hoffte, daß hier die Künst- ler ihre Studien mit Vorliebe machten und so fürchtete er keine Gefahr. All- mählich wurde aber die Unterlage weicher. Es patschte und quatschte unter seinen Füßen bei jedem Tritt u»d er war jenen dankbar, welche an den bedenklichsten Stellen Bretter gelegt hatten. Braun wie Kaffeesatz zogen sich die Moorwassergräben durch die Gründe. Jetzt kamen Altwasser; über welche hohe Stege führten, dann ein fast unzugängliches Waidqestrüppe und jeyt jetzt sah der nächtliche Wanderer weder Weg noch Steg mehr. Wohin? Kein menschliches Wesen weit und brciü

Die Alte, die mir diesen Weg ange­raten, war wahrhaftig eine Hexe," sagte der Auditor für sich und er überlegte, was nun weiter zu thun. Vorsichtig schritt er nach der Richtung, wo er den Weg verlor, aber Wassertümpel und Pfützen ließen ihn nur Langsam vorwärts kommen, und als er jetzt wieder au einem fließendeil Altwasser zu sein glaubte, nahm er sich vor, dem Laufe desselben zu folgen.

Da plötzlich, durch ein Gestrüpp getre- ten, steht vor ihm ein Haus, ein Licht blendet ihn. Es kommt von einer Oel- lampe, die auf dem Fenstergesinffe der unteren Stube steht.

Freudig eilte der Auditor herbei. Da ist sein Fuß wie gefesselt und sein Auge blickt starr nach der Erscheinung, die sich ihm hier darbietet. Vor dem Fenster sitzt ein steinalter Mütterlein in einem langen, weißen Hemde, die Hände in den Schoß gelegt und den Kopf auf die Brust gesenkt. Sie schläft. Neben ihr steht ein Spinnrad mit Rocken und das Licht beleuchtet ihr altes, runzeliges, vergilbtes Gesicht.

Der Auditor wußte im ersten Augen­blicke nicht, was er aus dieser Erscheinung machen sollte. Die alte Spinnerin ans dem Turme in Dornröschens Schloß, Fausts Gretchen ir- antiker Auflage und weiß der Himmel, was sich das erhitzte Gehirn des Auditors noch vergegenwär­tigte; er kneifte sich in die Nase, ob er nicht träume aber nein, er wachte, und was er da sah, war Wirklichkeit.

Heda!" rief er jetzt endlich, ans Fen- ster tretend. Sofort schreckte die Alte auf und tiefe Finsternis herrschte ringsumher.

Heda!" rief er wieder.Ich bitte um Auskunft."

In diesem Augenblicke hörte er in der Dachluke ober ihm ein Geräusch und deut- lich das Knacken eines Flintenhahns. Dem Auditor war es jetzt nicht mehr ganz geheuer. Er fand es für nötig, die weitere Initiative zu ergreifen.

»Ich habe mich verirrt," sagte er; kann mir niemand für guten Lohn den Weg nach Rosenheim zeigen?"

Ah so!" ließ sich jetzt eine Manns­stimme aus der Dachluke vernehmen. Bist nit von der hiesigen Gegend?"g

Nein," antwortete der Auditor in möglichst freundlicher Weise,ich bin aus München und will heute noch nach Rosen­heim."