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sein Wort gegeben, daß er seinen Offizieren befohlen habe, das Feuer gegen uns einzustellen und zwar unter Androhung der Todesstrafe, doch wären die Gesandten wahrscheinlich umS Leben gekommen, wenn di» Entsatztruppen nicht eingetroffen wären. Wie der Gesandte weiter mitteilt, sind alle gegen die Fremden gerichteten Be- wegungen von der chinesischen Regierung ausgegangen. Die Boxer benutze sie nur als Borwand, diese hätten nicht einmal Kanonen.
London, 20. Aug. Die Admiralität
stand fest, in seinen alten Tagen das Glück nicht mehr zu versuchen, sondern mit Hilfe seiner Haushälterin die ihm noch gewährte Lebenszeit zu beschließen. Er befand sich ja äußerlich in der glücklichen Lage, sich das Leben so bequem wie möglich zu machen. Da kommt ihm Lehnchen dazwischen, die ihm bei seinem Besuch so ausnehmend gefiel. Er läßt sich nach zwei Jahren, als ihm die heiratslustige Haus- hälterin kündigt, das Bild schicken. Die Nichte hat sich gemacht. Er hört von ihr das beste Lob, er wills versuchen, er ver-
veröffentlicht ein Telegramm des Admirals sucht's. Alles fällt gut aus. Er kommt
Bruce, datiert aus Tschisu vom 19. ds.: »Ich höre aus japanischer Quelle, daß ein Teil von Peking in Flammen steht und daß der Straßenkampf fortdauert. General Junglu verhinderte die Kaiserin, Peking zu verlassen. Die Verbündeten umzingeln und beschießen die innere Stadt, wo ihnen der letzte Wiederstand entgegengestellt wird."
Unterhaltendes.
Lenchen.
Eine Erzählung von Dr. Emil Freiburger
(Fortsetzung.^ (Nachdruck verb.)
Du vergissest in Deiner Aufregung, liebe Susanne, daß wir gesagt haben, sie solle nur auf Probe gehen, auf ein Jahr oder ein halbes Jahr, und daß es ihr frei stehe, wieder heim zu kommen, wenn es mit dem Onkel nicht gut gehe."
„Heimkommen! Nicht gut gehen! ES geht aber gut, es geht nur zu gut. Ja, wenn der Onkel nicht zufrieden wäre! Aber so bietet er ihr alles an, nicht blos Kindesstatt, sondern seinen Herd. Schlägt sie die Hand aus, so weiß sie sich schuld an unserem Unglück; denn Du hast Recht, der Onkel wird die Weigerung nicht ertragen und sie ihr und uns nicht ver zeihen. Ergreift sie aber um unsertwillen die Hand, opfert sie sich, so ist sie zeit- lebens unglücklich, geopfert, geschlachtet durch uns."
„Nun, so warte doch nun einmal erst ab, Susanne! Der Onkel machte ihr ja noch keinen Antrag; und wenn er es thut, wird Lenchen in dieser so wichtigen Angelegenheit uns jedenfalls um Rat fragen. Vermutlich wird er aber selbst uns vorher seine Absicht Mitteilen, ehe er dem Len ch n etwas sagt. Oder meinst Du nicht, Susanne?"
„Jedenfalls würde es sich schicken, daß er so handelt. Du hast ja auch zuerst meine Eltern gefragt."
„Ja. Doch der Onkel hat das bei seiner ersten Frau nicht gethan", sagte der Hanfbauer. „Das ist aber für uns jetzt ganz einerlei. Thun können wir, wie die Sache jetzt steht, gar nichts. Wir würden nur Verwirrung und Unheil an richten. Siehst Du das ein, Susanne?"
„Gewiß sehe ich es ein, und vielleicht kommt schon in den nächsten Tagen ein Brief."
So trösteten sich gegenseitig Lenchens Eltern. Doch während diese warteten, war- tete der Onkel nicht.
Nein, der Onkel wartete nicht. Es galt ihm voller Ernst, als er schrieb, er fühlte sich um zwaazig Jahre jünger. Seine erste Frau hatte ihm das Leben gründlich sauer gemacht. Sein Entschluß bei ihrem Tode
chr bei den Fahrten uach Baltimore näher; ie benimmt sich auch da verständig, wie er es nur wünschen mag. Seine Bekannten in der Stadt gratnlieren ihm zu der neuen Hbushälterin, sie machen auch An- pielungeu, daß sie gar nichts Besonderes )aea» fänden, wenn er ein junges Mädchen heiratete. Wenn aber er, wenn an- dere Leute, wenn sogar Freunde nichts daran finden, sollte es da nicht auch den Eltern des Mädchens natürlich erscheinen? Ja, müssen sie es nicht unbedenklich vorziehen, daß ihre Tochter statt des Onkels Haushälteria seine Frau sei? Sie waren ja auf die einfachste Weise aller ihrer Sorgen enthoben.
So calculierte der Onkel ganz richtig, wenn er an Lenchens Seite im Theater saß oder nach Schluß desselben durch die Sternennacht dahinsuhr. Und als jetzt die Sonne den Schnee leckte und die Meisen ihr „Zit isch do" hören ließen, wollte es ihn bedünken, als sei auch für ihn die Zeit da, mit der Erfüllung seines Wunsches Ernst zu machen, und bei der fersten besten Gelegenheit der Nichte seinen festen Entschluß kund zu thun. Daß Lenchen auch „Nein" sagen könnte — dieser Ge- danke kam ihm gar nicht in den Sinn.
Da sitzt denn der Onkel eines Morgens mit seiner Nichte wieder beim Früh- stück und hat seine Pfeife mit feinstem Tabak gefüllt. Die verhängnisvolle sil- berne Dose steht neben dem Kaffeebrett. Soeben will er das von Lenchen ihm gereichte Zündhölzchen zur Anwendung bringen, da klopft e» rasch an der Thüre nnd ohne das „Herein" abzuwarten, tritt der Postbote ins Zimmer, legt dem Onkel die Zeitung und dem Lenchen einen Brief hin. Ein Brief aus der Heimat! Welcher Laut für ein Ohr, für ein liebendes, von den Seinen getrenntes Herz! Mit vor Freude zitternden Händen öffnet Lenchen den Umschlag, entfaltet die Blätter und durchfliegt mit verklärtem Antlitz die Zeilen.
Der Onkel belauscht, über die Zeitung hinweg, die Leserin, er bemerkt den Ein- druck und wird von dieser freudigen Verklärung auf dem Antlitz unangenehm berührt. Wahrlich, er hatte sich mit äußer- ster Anstrengung bemüht, seiner Nichte Vergnügen zu bereiten. Hatte er ihr nicht schöne K eider, den teuren Mantel gekauft? Hatte er sie nicht ins Theater geführt und sie noch in allerneuester Zeit mit einem Papagei überrascht, welcher „Guten Morgen, Lenchen" rufen konnte? Aber nie, nein nie äußerte die fürstlich Be- schenkte über alle diese Dinge eine nur annähernd so große Freude, als jetzt über diese lumpigen Blätter Papier.
„Du mußt sehr gute Nachrichten haben? " begann der Onkel in fast spitzigem Tone.
„Warum fragst Du so, lieber Onkel?"
„Weil Du ein so vergnügtes Gesicht machst. Deine Augen leuchten ja ganz vor Freude!"
„Ist es Dir denn nicht recht, wenn es zu Hause gut geht und ich froh darüber bin?"
„Freilich ist es mir recht, Lenchen. Aber warum machst Du sonst bei mir nicht auch so ein vergnügtes Gesicht? Gelt, Du bist nicht gern bei mir und wärest lieber wieder zu Hause?"
„Aber, wie magst Du nur so fragen, lieber Onkel? Komm', darf ich Dir Deine Pfeife anzünden?"
Mit diesen Worten stand Lenchen auf, trat zu ihrem Onkel und hielt das Flämm- chen über die Pfeife, bis die Rauchwölkchen über den Tisch hinfuhren. Dann wollte sie auf ihren Platz zurück, um das Geschirr abzuräumen. Doch der Onkel ergriff jetzt ihre Hand, schaute ihr in das hierüber verwunderte Gesicht und sagte in ungewöhnlich weichem Ton zu seiner Nichte:
^„Lenchen, sage mir einmal aufrichtig: Gefällt es Dir nicht bei mir? Möchtest Du lieber wieder nach Hause?"
War Lenchen vorhin der Frage völlig ausgewichen, jetzt konnte sie es nicht mehr. Sie hatte sich auch inzwischen auf eine Antwort besonnen.
„Du weißt, lieber Onkel", sagte sie, „daß meine Eltern einen Wunsch von Dir erfüllen wollten und mich deshalb hierher schickten. Sollte ich nicht gern hier sein, wenn es Dein und auch meiner Eltern Wunsch ist? Und hast Du nicht alles ge- than, um mir das Leben bei Dir angenehm zu machen?"
„Das meine ich auch", erwiderte der Onkel; „aber es scheint Dir doch nicht gut bei mir zu gefallen. Wenn Du die Wahl hättest, hier zu bleiben oder wieder heim zu gehen, fiele Dir die Wahl nicht schwer?"
Lenchen war sich völlig bewußt, daß eine gute Antwort in diesem Augenblick viel Geld aufwog. Lügen wollte sie nicht. Sagte sie aber die Wahrheit, so beleidigte sie sicherlich den Onkel. Sie zögerte.
„Nun, Lenchen, warum antwortest Du nicht?" frug der Onkel, noch immer die Hand des Mädchens haltend.
„Weißt Du was, Onkel, versetze Dich selbst an meine Stelle, was würdest Du antworten?"
„Was ich antworten würde, wenn Lenchen hier die Herrin und ich ihr übers Meer gekommener Haushofmeister wäre? Oh, mir fiele die Wahl nicht schwer, wenn sie mich früge, ob ich lieber bei ihr bleiben oder wieder heimkehren möchte. Ich würde, ohne mich nur einen Augenblick zu be- sinnen, antworten: „Gern bleibe ich da, liebes Lenchen, wenn Du mich haben willst, sehr gern, immer und ewig."
Lenchen, erschreckt über die Worte und die große Wärme, mit welcher der Onkel dieselben gesprochen, zog unwillkürlich ihre Hand zurück und stieß dabei an die silberne Dose, wodurch ihr Schrecken sich noch vermehrte; denn die Erinnerung an jene furchtbare Szene fuhr ihr durch alle Glieder.
Der Onkel, den jGrund des Schreckens sofort erkennend, griff nach der bebenden Hand der Jungfrau und sagte beruhigende Worte. (Forts, folgt.)