Das letzte von Kitchener vom 15. Aug. datirte Telegramm besagt, daß er zum Entsatz des Oberstleutnants Hoare von Südosten herangehe. General Carrington fand gestern am Ottofhop etwas weiter östlich von diesem Orte Ieomanry mit dem Feind im Kampf.
London, 18. Aug. Das Marine- Ministerium hat folgende Depesche von General Bruce erhalten: Peking wurde am 15. ds. genommen. Die Gesandt- schäften sind wohlbehalten.
London, 17. Aug. Die Abendblätter veröffentlichen folgende Telegramme: Schanghai 17. Aug., 10.15 Uhr Vorm.: Hiesige Mandarinen erhielten die Nachricht, daß die Kaiserin-Witwe, Prinz Tuan und der kaiserliche Hofstaat mit dem Hauptieil des Heeres und den Boxern am 7. Aug. Peking verlassen und sich nach Hokianfu (südsüdwestlich von Peking) begeben haben. Die verbündeten Truppen begannen ihre Operationen gegen die Mauern von Peking am 15. d. Sie fanden keinen langen Widerstand. — 10.40 Vorm. Die Verbündeten zogen am 15. d. in Peking ein, Man glaubt, daß die Truppen Ananschi- kais nach der Provinz Schansi gezogen sind, um die auf der Flucht befindliche Kaiserin zu schützen.
HlnterHcrtterröes.
Lenchen.
Eine Erzählung von Dr. Emil Freiburger
(Fortsetzung.) (Nachdruck verb.)
Noch an demselben Abend, als Lenchen alle ihre Arbeit verrichtet und ihrem Onkel angenehme Ruhe gewünscht hatte, saß sie bis tief in die Nacht hinein an einem, zum warmen Ofen gerückten Tischchen und schrieb einen langen Brief in die liebe Heimat. Alle Geschwister ließ sie mit Namen grüßen und wünschte jedem noch etwas Besonderes zu sagen. Auch dem kleinen kühlen Grabe auf dem Friedhofe schickte sie einen wehmütigen Erinnerungsgruß.
Lenchen eilte nach ihrem Zimmer, um die Schätze abzulegen. Es war ihr in dem Mantel so wohl und warm zu Mute. Sie trat vor das Familienbild, um sich allen zu zeigen, und nickte ihnen freundlich zu:
„Nicht war? Ich habe es gut, und ihr kennt mich gar nicht mehr? Aber ich gehöre euch, nur euch; und ihr sollet es auch gut haben, sonst kann ich mich über nichts freuen in der Welt."
In Maryland streckten sich die kurzen Tage, um bald wieder so lang als die Nächte zu werden. Die Amseln, welche in der Onkels Garten seither die im Herbst abgefallenen Beeren aus dem Schnee scharrten, dachten daran, ihr Waldrevier wieder aufzusuchen; und hie und da hüpfte eine Meise auf den Bäumen herum und rief: Zit isch do! Zit isch do! als wollte sie dem Landmann sagen: die Zeit ist da, um den Pflug vom Rost des Winters zu reinigen. Die Rosse des Onkels aber hielten von ihrem nächtlichen Rennen seit einiger Zeit Rast. Es hatte ihnen nicht besonders gefallen, bei der harten Kälte so oft aus ihrem warmen Stalle herausgeholt zu werden und zu Baltimore in einem fremden Raume stundenlang bis zum Ausgang
des Theaters zu warten, um dann erst noch bis Mitternacht in schneidendem Frost nach Hause zu traben. Sie besaßen kein Organ dafür, auf der Heimfahrt den Mond und die blinkenden Sterne zu bewundern oder auch über ein seltsames Meteor zu staunen, welches hellleuchtend und sprühend über den halben Himmelsbogen dahinfuhr.
Kaum mehr als die Pferde waren der Kutscher und die Köchin von den nächtlichen Fahrten erbaut. Die umfangreiche Person beschwerte üch niemals darüber, daß sie früh aufstehen mußte;! das war sie gewohnt, seitdem sie vor 35 Jahren iu ihren ersten Dienst als Kindsmädchen trat und sofort eine exemplarische Schreiliesel zu besorgen hatte. Aber jetzt auch noch bis Mitternacht aufbleiben und einen Kaffee, Thee oder Grog warm halten zu müssen, das schien ihr denn doch zu viel verlangt. Es wollte ihr überhaupt nicht gefallen, daß der Onkel dem jungen Ding mit schönen Kleidern und Theaterfahren den Kopf verrückte und die Haushälterin, die doch auch ein Bauernmädchen war, über alle anderen so hoch hinaus stellte, als ob sie die Tochter des Hauses oder gar schon die Frau wäre.
Die Leute begannen unter sich von der Sache zu reden, und dem Melker, dem Joseph schnitt es dann immer ins Herz, wenn er nichts dagegen zu sagen wußte; denn auch er sah voraus, daß, ehe Ostern herbeikäme, die junge Nichte des alten Onkels Braut wäre. Vom ersten Augenblick an, wo er Lenchen sah und ehrer- bietig vor ihr das Käppchen lupfte, muhte er sie lieb haben. Ja, schon vor ihrer Ankunft, als er davon hörte, daß sie kommen sollte, pochte ihm erwartungsvoll das Herz; und seitdem sie da war, verehrte er sie still, ohne je durch einen Blick oder durch ein Wort sein Geheimnis zu verraten. Freilich er war arm, eines armen deutschen Taglöhners Sohn. Um etwas Ordentliches für seine Eltern zu verdienen, trieb es ihn fort in die Fremde übers Meer, und was er sich durch seinen Fleiß und seine Genügsam- keit ersparte, schickte er heim. Nun mußte ihm das Unglück begegnen, daß diese Jungfrau in seine Nähe kam, daß er täglich mit eigenen Augen sah, wie jeder Gedanke an ihren Besitz hoffnungslos war und die Stunde unaufhaltsam nahte, wo Lenchen ans immer einen andern, freilich keinem Melker, keinem Knecht, sondern einem Herrn, einem reichen Gutsbesitzer gehörte. Oh, er hätte den Verlust vielleicht noch verschmerzen können, wenn er Lenchen glücklich wußte mit dem Onkel. Doch das war unmöglich; nicht etwa blos wegen des Altersunterschiedes. Aber! . . Joseph hatte in den 6 Jahren, während welcher er im Stall den Dienst versah, seinen Herrn kennen lernen, und wahrlich auch die verstorbene Herrin wäre im Stande, etwas davon zu erzählen, Wegen des geringsten Versehens konnte er bei übler Laune poltern, schelte», toben, ja sich bis zum schlagen Hinreißen lassen. Und unter solchen ManneS Hände sollte Lenchen, dieser Engel von einem weiblichen Wesen, kommen? „Nein," sagte Joseph, „sie kennt ihren Onkel nicht. Er nimmt sich vor ihr zusammen. Sie zwingt ihn, ohne es zu wissen, durch
ihre stille, ruhige Art, daß er ihr gegen' über auch stiller und ruhiger sein muß- Aber das geht nur eine Weile; er ist zu alt, um sich zu ändern, ein Mohr wird nicht weiß und ein Löwe wird kein Lamm".
„O, Lenchen", rief er oft in der Stille aus, wenn er unter den Kühen saß und molk, „o Lenchen, könnte ich dich vor diesem Unglück bewahren!"
Daß der Onkel mit Lenchen sehr zufrieden sein mußte, das merkten sie auch in der Heimat. Schon damals, als Le,l. chen von der ersten Schlittenfahrt nach Baltimore und von dem Pelz und anderen Kleidern schrieb, wollten sie kaum ihren Augen trauen. Aber es sollte noch besser kommen. Der Onkel selbst schickte einen Brief voll Anerkennung und Freude über das Glück, das ihm durch seine Njchte zu teil werde. Er sei ein ganz anderer Mensch, zwanzig Jahre jünger geworden durch das frische Leben, das chm das Mädchen ins Haus bringe. Auch merk- te er in seinen Büchern, daß ihm die Haus- Haltung, seitdem Lenchen über dieselbe wache, monatlich kaum mehr als die Hälfte gegen früher koste. So geschickt sei sie in allem und solchen Respekt wisse sie jedermann einzuflößen. Er halte sich in Anbetracht des großen Vorteiles, den ihm die neue Haushälterin einbringe, für verpflichtet, seinem Bruder den Zins auch fernerhin nachzulassen; und er solle es ihm überhaupt melden, wenn er im Notfall etwas brauche. Auf einen Acker mehr oder weniger komme es nicht an.
„Ist das wirklich noch der Onkel?" frug die Hanfbäuerin verwunderi ihren Gatten. „Man kennt ihn ja nicht mehr. Was sagst du dazu?"
„Was ich dazu sage, Susanne? Ich denk meine Sache". Und was denkst du, lieber Mann?"
„Vermutlich, was Du denkst".
„Ich denke nicht viel", meinte die Hanfbäuerin.
„Meinst Du, Philipp, man solle ihr zu- oder abreden für den Fall, daß . :
„Ich rede meiner Tochter nicht zu, Susanne. Sie ist ja trotz ihrer Jugend selbständig genug, wie Du immer gesagt hast; und überhaupt, das ist Frauensache. Mir ist alles recht was du thust. Ich bin immer gut dabeUgesahren. Soviel ist gewiß, daß der Onkel alle Vergünstigungen, die er uns machte, zurückzieht, wenn Len» chen „Nein" sagt. Dafür kenne ich ihn zu gut."
„Also hältst du es für ausgemacht, daß der Onkel unser Lenchen heiraten will?"
„Bist du vielleicht andrer Meinung?" erwiderte der Hanfbauer. „Das konnte man doch schon voraussehen, als er Len- chen zur Haushälterin haben wollte, daß, wenn sie sich als tüchtig erwiesen, er sie zur Frau begehren werde".
„Du hast Recht, Philipp, ich dachte auch so, wollte aber nichts sagen und vermuthete jedenfalls nicht, daß es der Onkel so eilig haben werde. Was meinst du aber, wird ihn unser Lenchen auch nehmen wollen? Er ist doch dreimal so alt wie sie".
„Das ist Geschmacksache, Susanne. Auf das Alter der Männer kommt es oft gar nicht an beim heiraten. Meine Mutter war auch dreimal so jung und