— 386 —
drn Selbstmord des auserwählten Thäters, der Reue empfand. Dem „Corriere della Sera" wird darüber aus Monza mitgeteilt: Am 9, Juli 1886 erschoß sich ein in das königliche Schloß zur Wache kommandierter Sergeant des 89. Jnfant.- Regiments, Namens Franzesco de Fran- zeschi, mit seinem Dienstgewehr. Auf seiner Leiche wurde ein Brief gesunden, der direkt an den König adressiert war. In diesem Briefe hieß es: „Ich habe den Auftrag erhalten, Eure Majestät zu töten, Aber ich habe gedacht, daß Euer Leben kostbarer ist, als das meine, deshalb töte ich mich selbst. Vor meinem Tode empfehle ich meine arme Mutter Eurer Gnade." Die Nachforschungen des Staatsanwaltes und des Regiments- Obersten ergaben, daß Franceschi einer geheimen Versammlung in Mailand beigewohnt und von dieser den Auftrag erhalten hatte, den König bei bester Gelegenheit zu töten. Das mysteriöse Ende des tüchtigen Unteroffiziers gab damals Anlaß zu allerlei Vermutungen; die wirklichen Beweggründe wurden aber nicht belannt. Die Fügung des Schicksals hat es gewollt, daß der König 14 Jahre später am selben Orte ein tragisches Ende finden sollte."
Paris, 14. Aug. Durch das Fallissement eines Reise-Bureaus ist eine große Anzahl von Amerikanern, die zur Zeit den Kontinent besuchen, in die ärgste Verlegenheit versetzt worden. Es wird darüber berichtet: Vorgestern fallierte ein bekanntes am-rikanisches Reisebureau, die Boston Craford Company, von deren Kunden augenblicklich 65 zum Besuche der Ausstellung in Paris weilen, während weitere 450 Kunden zur Zeit sich in verschiedenen Plätzen des Kontinents aufhalten. Als die Nachricht von dem Fallissement der Gesellschaft bekannt wurde, verlangten die Pariser Hotelbesitzer Begleichung der Rechnungen seitens ihrer Gäste, und da letztere ihre Kassen der Reisegesellschaft übergeben hatten, so waren sie zum größten Teil nicht darauf vorbereitet. Zwei derartig betroffene Damen erzählten mir, daß sie bei betr. Gesellschaft schon mitte Januar bei Anmeldung zur Teilnahme an der Reise je 800 Dollars eingezahlt haben und nun gezwungen sind, außer den noch von der Gesellschaft bezahlten Spesen der ersten Ueberfahrt sämtliche anderen Kosten nochmals auszulegen. Ein Teil der Ber- gnügungsreisendeu hat sich infolge dessen genötigt gesehen, die Rückreise anzutreten.
London, 15. Aug. Das Reuter'sche Bureau meldet aus Krügersdorp, v. 15. ds.: Dewet befindet sich jetzt, wie berichtet wird, jenseits Vendersdorp und marschiert gegen Norden, um Delarey die Hand zu reichen. Delarey steht in Rustenburg. Kitchener und die übrigen Generale folgen Dewet auf dem Fuße.
Konstantinopel, 8. Aug. Wieder „M. A. Z." aus London gemeldet wird, hat die türkisixe Regierung das Angebot der Firma Armstrong, betreffend die Armierung der türkischen Flotte abgelehnt, obwohl dasselbe sich um 88000 Pfund niedrigerstellte, als das der Firma Krupp der nunmehr den Auftrag auf Lieferung von 208 Geschützen und zwei Torpedozerstörern zum Preise von zusammen 728000 Pfund definitiv erteilt worden ist.
Unterhaltendes.
Lenchim.
Eine Erzählung von Dr. Emil Freiburger
(Fortsetzung^ (Nachdruck verb.)
So groß aber war und blieb der Eindruck unter den Schulkindern, daß man selbst eine Theatergesellschaft bildete, und bis in den Sommer hinein bald da, bald dort auf einem Speicher, in einer Scheune oder einem Schuppen spielte.
Das war damals in Lenchens Kinder- zeit. Als nun eines Tages der Onkel sie)Straße frug:
„Was meinst Du, Leuchen? Wollen wir nicht einmal nach Baltimore fahren ?" so erinnerte sie sich an jene Zeit und erzählte dem Onkel davon mit großer Leb- Hastigkeit.
Sie glaubte ater nicht, daß es ihm Ernst mit der Frage sei und gab ihm deshalb auch gar keine weitere Antwort darauf.
Doch der Onkel frug von neuem:
„Nun, Lenchen, würde es Dich nicht interessieren, einmal ein schönes Theaterstück zu sehen oder auch eine Oper zu hören?"
Lenchen besann sich erst und sagte kann:
„So viel ich weiß, gehen in solche große Theater nur vornehme geputzte Leute, und da passe ich nicht dazu."
„Nun, wenn Du nicht magst", meinte der Onkel, „so will ich Dich nicht weiter dazu bereden. Aber in nächster Zeit wird im deutschen Theater „das Käthchen von Heilbronn" gegeben. Das wäre wohl ein passendes Stück für Dich."
Das Käthchen von Heilbronn! Ja, diese Geschichte hatte Lenchen einmal an einem Sonntag Nachmittag, ganz allein auf der Gartenbank sitzend, gelesen, und dabei manche Thräne vergossen. Kein anderes war ihr so im Gedächtnis ge- blieben. Und jetzt sollte sie dieses Stück in einem großen berühmten Theater sehen!
Schon neigte sie sich zu einem „Ja", das ie dem Onkel geben wollte. Aber ein unerklärliches etwas, eine Scheu wie vor einem bösen Geist, hielt sie doch auch wieder zurück und sie sagte:
„Aber, Onkel, ich passe wirklich mit meinen Kleidern nicht in eine solche Ge- ellschaft; Du gehst besser allein. Und lann ist doch auch Frida noch nicht lange jer gestorben, so daß es sich für mich nicht schicken dürfte, schon jetzt einem olchen Vergnügen nachzugehen."
„Run, Lenchen, erwiderte der Onkel,
„Frida war ein kleines Kind, für das man nicht ein halbes Jahr trauert, und dieses Theaterstück ist kein Lustspiel. Du lachtest gewiß nicht, als Du es lasest, und würdest sicherlich noch weniger lachen, wenn Du es sähest. Doch, wie gesagt, ich will Dich nicht zwingen. Wir können warten. Das Stück wird vermutlich in diesem Winter noch uäls gegeben, oder wir finden ein underes. Einstweilen wollen wir dafür sorgen, daß Du Dich wegen Deiner Kleider nicht zu genieren brauchst, im Theater neben mir zu sitzen.
Ich habe ohnehin etwas in der Stadt zu thun; dann kannst Du sogleich mit fahren und wir besorgen das Nötige/
Richtig, des anderen Tages — die Sonne schien mit ihren Morgenstrahlen kalt auf den dichten Schnee — schirrte
der Kutscher mit prächtigen Decken die stattlichen Rosse und spannte sie an den bequemen zweisitzigen Schlitten. Die Köchin stellte eine heiße Wärmeflasche zu den Füßen, der Onkel griff nach den dargebotenen Zügeln, und fort gings mit der Nichte wie im Fluge nach Baltimore.
Hei, wie lustig fuhr es sich über die Fläche dahin! Die Rosse stießen qualmend den Atem aus den weitgeöffnetett Nüstern, die Raben umflogen d-s flotte Gespaun. Die zu beiden Seiten der gepflanzten Bäume trugen an ihrem entlaubten Geäste glitzernde Guir- landen von Eis und Schnee, und wenn mitunter einer der schweren Vögel auf dem Wipfel des Baumes zu kurzer Rast sich niederließ, so prasselten lauter Kristalle und Diamanten durch die Hellen Sonnenstrahlen herab, während der feine Schneestaub langsam zur Erde taute.
Es war für Lenchen eine Fahrt zum Entzücken. Doch je näher mau der Stadt und ihrem breiten Fluße kam, desto riesiger blies der Nord den Beiden ins Gesicht. Der Onkel konnte sich mit seiner Pelzkappe schützen; aber der Nichte fehlte die Kapuze, der Schleier, die warme Umhüllung. Sie begann zu frieren, und Thränen rannen ihr über die Wangen, bis sie, glücklich an dem Ort ihrer Bestimmung angelangt, sich in der Gaststube wieder auswärmen konnte.
Der Onkel stand mit einem reichen Pelzhändler in Canada, der eine Niederlage in Baltimore hatte, durch Tabaklieferungen an dessen Faktorei in geschäftlicher Verbindung. Sein erster Gang mit Lenchen war zum Agenten desselben. In diesem Magazin konnte man alles erhalteu, vom rauhen Fell der Ziege bis zum feinsten Zobel und Hermelin. Lenchen, beim Gang durch die Straße» von dem Vorhaben des Onkels nichts ahnend, stand plötzlich in dem Laden und staunte in ihrem dünnen Paletot diese warmen Herrlichkeiten an.
„Sie wünschen?" frug der Kaufmann in englischer Sprache den Eintretenden.
„Einen Mantel für meine Nichte", antwortete dieser in derselben Sprache.
„Ich werde sofort eine schöne Auswahl vorlegen," meinte der Kaufmann, indem er mit geübtem Auge die Größe und Gestalt des Mädchens maß.
Leuchen, der englischen Sprache unkundig, merkte noch immer nichts und schaute sich unbefangen nach allen Seiten um.
Jetzt kam der Kaufmann aus dem Hintergrund des Magazins mit seiner Auswahl zurück, legte sie auf den Tisch, nahm einen der Mäntel zur Hand und hielt ihn der Erstaunten zum Anprobieren hin.
„Für mich?" frug Lenchen und schaute ihren Onkel hocherrötet an.
„Freilich für Dich. Du wirst mir doch heute Abend auf der Heimfahrt nicht erfrieren sollen. Und wenn wir gar nächstens ins Theater fahren und um Mitternacht erst nach Hause kommen! Nein, das geht nicht anders. Probiere einmal diesen Mantel an?"
Lenchen legte ihren Paletot ab und schlüpfte in den reichen Pelz hinein.
Wie angegossen!" rief der Kaufmann und stellte die Ueberraschte vor einen