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Zahl weist nur das Jahr 188? auf, nämlich 21, dann folgen 1886 u. 1885 mit je 15. Auch der August brachte bis jetzt eine der Entwicklung der Trauben, die in erfreulicher Menge vorhanden find, günstige Witterung.

Eine wichtige Erfindung hat kürzlich ein Mitglied der Generaldirektion der sächsischen Staatseisenbahnen gemacht, durch die der Rauch der Lokomotiven nahezu vollständig in Wegfall kommt. Selbst bei stärkster Beschickung, während der Fahrt und auch bei Stillstand der Lokomotiven bemerkt man wenig oder gar nichts von Rauch. Diese Neuerung ist, wie dieDresd. Nachr." berichten, bereits in Chemnitz bei vier Maschinen versuchs­weise angebracht worden. Mit der Be­seitigung der Rauchbelästigung findet aber auch eine wesentliche Ersparung an Heiz­material statt. Eine Lokomotive, die mit der neuen Einrichtung ausgestattet ist, spart bei großer Ausnutzung und unter den schlechtesten Terrainverhältnissen mo­natlich an 13000 Kilo Kohlen, sodaß die sächsische Staatsbahn jährlich 4 000 000 Mk. Ersparnis haben dürfte, sobald die Rauch­verbrennungseinrichtung auf allen säch­sischen Lokomotiven eingeführt ist. Die Einrichtung kostet für jede Lokomotive noch nicht ganz 100 Mk., und da die sächsische Staatsbahnverwaltung rund 1500 Loko­motiven besitzt, so stände den einfachen Anschaffungskosten von 15000 Mk. eine jährliche Ersparnis von 4000 000 Mk. gegenüber. Selbstverständlich kann diese Vorrichtung auch bei jeder feststehenden Dampfkeffelanlage angebracht werden. Die Erfindung soll in der Hauptsache darin bestehen, daß durch zuströmenden Dampf die unverbrannten Kohlenteilchen gebunden und dem Feuerherd nochmals zugeführt werden.

UnlerHattenöes.

Lenchen.

Eine Erzählung von Dr. Emil Freiburg er

^Fortsetzung.; Machdruck »erb.)

Von ihrem Vater hätte sie sich noch so etwas gefallen lassen: es wäre ihr Vater gewesen. Aber von ihrem Onkel, der sie doch im Grunde nichts anging, zu dessen Vor- teil, zu dessen Bequemlichkeit sie alles ver­lassen hatte, Heimat, Eltern, Geschwister, sogar ihre leidende Frida. Und auch noch gerade jetzt so rücksichtslos gegen sie sein und thun, wo es ihr ohnehin so schwer ums Herz war!

Nun zeigte sich bei näherer Unter­suchung das Unglück nicht einmal so sehr groß. Die Dose war nicht zerbrochen, nur aufgesprungen, der Druck, den sie vom Falle erhalten, kaum bemerkbar Sie ließ sich so gut wie vorher schließen und öffnen. Nur der Tabak lag zerstreut und wurde von Lenchen unter Thränen zusammengewischt.

Der Onkel bereute seine Heftigkeit und schämte sich seines Jähzornes, der mit ihm durchgegangen war. Er sprach begütigend, entschuldigend, er streichelte sogar seiner Nichte die Wange. Aber mit der Sympathie für ihn, wenn je eine bei Lenchen vorhanden gewesen, hatte es ein Ende. Wie ein junges Reh, das bis jetzt furchtlos im Walde spielte, durch einen Schuß in seiner Nähe plötzlich er­starrt, dann zittert, und schließlich von

Angst gescheucht, sich in einem Zufluchts­orte birgt, so war es der Jungfrau, welche seither sicher und getrost sich im Hausrevier bewegte, zu Mut. Als zu guter Letzt am Abend der Bote auch noch den langersehnten Brief brachte und dieser die Ahnung Lenchens nicht Lügen strafte, sondern meldete, daß Frida krank, sehr krank und daß wenig Hoffnung auf Genesung sei, da lief die von Schrecken, Angst und Sorgen den ganzen Tag Ge­quälte hinauf in ihr Zimmer, schloß die Thüre hinter sich zu und sank unter einem Thränenstrom vor ihrem Lager zusammen.

Ach, wie bricht über ein liebes Men­schenkind bisweilen von allen Seiten das Leid herein! Und wenn Du nach dem Warum? fragst, so können Dir nur die Engel im Himmel das Rätsel deuten, weil sie allezeit Gottes Angesicht und neben dem dreimal Heiligen ein schuld­loses Opferlamm schauen. Um anderen den Weg zum Himmel zu bereiten, litt einst dieses Lamm. Es giebt auch noch heute bisweilen in großen Familien ein Glied, welches diesen Liebesdienst zu ver­richten hat.

* *

Das schöne Obst prangte schon längst nicht mehr in des Onkels Garten. Auch in Lenchens Heimat hing kein Apfel mehr am Baum. Die Novemberstürme hatten aufgehört, über die Fluren zu sausen und an den Mauern der alten Häuser zu rütteln. Der Winter mit seinen Eiszapfen an den Brunnen und Dächern und seinen Blumen an den Fensterscheiben war ein­gezogen; und weiße Flocken wirbelten iu der Luft durcheinander und legten sich auf dem Boden friedlich neben- und über­einander. Auch auf dem Grab der kleinen Frieda lag Schnee.

Neben der Mauer des Friedhofes, der auf einem leise ansteigenden Hügel ange­legt war. befand sich ein gerader, ziem­lich breiter Weg. Im Winter diente der­selbe den Kindern des Dorfes als will­kommene Schlittenbahn. Kaum waren des Nachmittags die Schulstunden beendet, so strömte alles, Knaben und Mädchen, mit ihren Handschlitten hinaus, zog den Hügel hinauf, rutschte herab, zog von neuem hinauf und rutschte von neuem hinab. So ging das muntere Treiben fort, bis die Nacht hereinbrach und die Betglocke das junge Volk wieder heim ins Dorf hinter die Tische, Bücher, Schriften und Schreibiafeln rief.

Still ging es auf der Schlittenbahn nicht zu, sondern man hörte beständig ein fröhliches Halloh, mitunter, wenn ein Schlitten umfiel oder mit einem anderen hart zusammenstieß, auch ein Schelten und Heulen. Besonders passend war ein so lautes Lärmen in allernächster Nähe des Gottesackers, der ein Bild der Stille und des Friedens ist, nicht; und der Herr Pfarrer hatte seine Christenlehr- pflichtigen schon wiederholt auf das Un­gereimte der Sache aufmerksam gemacht. Aber der Herr Bürgermeister verbot seinen eigenen Kindern den Platz nicht und zwar aus dem einfachen Grund, weil es keinen anderen geeigneten gab, und die Eltern und Großeltern schon ihre Jugend im Winter dort vertummelt hatten.

Im Anfang des Winters fehlten einige Kinder auf dem Platze. Es waren

des Hanfbauern Knaben und ßMädchen. Sie hatten ihre kleine Schwester erst vor kurzem zum Grabe geleitet, und es wider­strebte ihnen, so laut zu sein und ihren Liebling vielleicht im Schlafe zu stören. Aber Kinder sind Kinder. Nach und nach schlossen sie sich doch ihren Kameraden an, und war es einmal geschehen, so setzte man sich über den vorhin noch hindernden Gedanken hinweg. Nur Franz hinter dem man es am wenigsten ver­mutet hätte, konnte es nicht thun. War es eine unheimliche Geisterfnrcht, war es eine besondere Liebe für das liebe Kind - er konnte nicht. Doch wußte er sich für diese Entbehrung zu entschädigen. Er kam auf den Gedanken, den Sultan vor einen kleinen Holzschlitten zu spannen, den er sich vom Nachbar, dem armen Strumpfweber, lieh. Bei Lenchens Pathin, der L>chuhmachersfrau, erbettelte er sich einige Lederabfälle undfftach sie zu einem Halfter zusammen.

Der Sultan zeigte sich von diesem Geschirr und Geschäft nicht besonders er­baut, verdankte aber dem Franz schon lange manchen guten Brocken, nicht blos Knochen und Wurstzipfel, sondern auch einen delikaten Leckerbissen. Der Klappe am Butterfaß, die nicht genau schloß, half man mit einem alten Leinwandlappen nach. War nun die Butter fertig, so brachte Franz den von Rahm getränkten Lappen dem Hund; und wenn der Sultan diesen Lappen nur von weitem erblickte, sprang er freudig in die Höhe, um ihn schließlich mit heißer Gier zu verschlingen.

Es währte deshalb auch nicht lange, so kutschierte Franz mit seinem gelehrigen Tiere im Trab und Galopp durch die Straßen des Dorfes und wohl auch einipal den Hügel hinan, zu welchem die Andern ihre Schlitten ziehen mußten. Der Sultan aber wedelte beim Einspannen und Ausspannen, besonders am Samstag, wenn auf den Sonntag frische Butter gemacht wurde.

Doch nicht blos in Lenchens Heimat, auch in Amerika, in Maryland, in der Stadt Baltimore und ihrer Umgebung lag in jenem Winter reichlicher Schnee und auch Lenchen fuhr Schlitten. Sie fuhr aber nicht in einem Handschlitten wie ihre jüngeren Schwestern, auch nicht in einem Hundeschlitten, wie ihr erfinde­rischer Bruder Franz, sondern zwei prächtig geschirrte Rosse zogen das Ge­fährt. Die Fahrt ging auch nicht auf einer kleinen Strecke, durch die Gaffen eines Dorfes; nein, auf einer wohlge­bahnten, drei Stunden langen Straße flogen die Pferde dahin.

Der Onkel war nach dem Tode seiner Frau in den letzten Jahren gewohnt, sich die langen Winterabende bisweilen durch eine Fahrt in die benachbarte Großstadt zu verkürzen. Er besuchte iu Baltimore das Theater, vornehmlich die Oper, doch auch nicht minder gern ein Lustspiel. Seiner Nichte blieb dieses Vergnügen bis jetzt so gut als unbekannt. Zwar kam auck einmal in ihr Dorf eine Truppe und schlug ihre Bühne im Saale des Gast­hauses zur Krone auf.Theater! Theater!" Dieses Wort elektrisierte da- mals wie ein Zauberstab die Kinderwelt. Das war denn doch noch etwas ganz anderes, als wenn ein Kameel-oder Bären­treiber mit einigen kleinen Affen und