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hundert M. gestohlen. Zwei Taschendiebe kamen in Haft.
London, 28. Juni. Nach einer Meldung der „Daily Mail" aus Shanghai von gestern hätten die Vicekönige Luikuniy und Tschenschitung sowie die Gouverneure von Kiangsi, Kiangsn, Anhui, Honau und Hupeh am 15. d. in einer gemeinsamen Denkschrift telegraphisch durch den mandschurischen Militärgouverneur von Shan- haikwan und von dort durch einen Kurier der Kaiserin dringend vorgestellt, daß ihre Ratgeber bei der Ermuthigung der Boxer in einem verderblichen Jrrthum besangen seien, sie verwickelten China in einen Krieg mit der ganzen Welt und gefährdeten die Dynastie. Es sei daher Pflicht jedes treuen Patrioten, mit vereinten Kräften sofort gegen die Boxer loszumarschiren und sie auszurotten. Sie selbst hätten 100000 Mann und für sechs Monate Proviant und erwarteten nur einen kaiserlichen Befehl, um nordwärts aufzubrechen. Da keine Antwort erfolgt und Prinz Tuan angeblich die Kaisergewalt usurpirt hat, sollen die genannten Würdenträger nun- mehr unter sich verhandeln, um ohne Befehl vorzugehen. (Kln. Z.)
London, 27. Juni. Nach einer Meldung aus Shanghai marschiren 11000 Chinesen in Eilmärschen auf Peking. 5,000 Russen rücken aus Mukden heran.
Petersburg. Der Kriegsminister erhielt ein aus Port Arthur vom 27. datiertes Telegramm des Vize-Admirals Alexcjeff wonach ein au» 4 Kompagnien Russen und ebenso vielen fremden Truppen bestehender Detachement in der Nacht auf 26. ds. Admiral Seymour entsetzte. 200 Verwundete aus Seymours Detachement wurden nach Tientsin gebracht.
London. Das Reutersche Bureau meldet aus Tschifu von heute: Admiral Seymour ist entsetzt worden. Es gelang ihm nicht, die Verbindung mit Peking herzustellen und er befindet sich jetzt auf dem Rückweg nach Tientsin. Seine Truppen haben sehr gelitten. Der russische Oberst Stöffel dürfte jetzt mit einer 10000 Mann starken internat. Truppenmacht auf dem Marsche nach Peking sein. Aus Peking liegen keinerlei Nachrichten vor. Die chinesischen Truppen vor Peking werden auf 40 bis 60 000 Mann geschätzt. Von allen Seiten eilen Boxers herbei.
London, 27. Juni. „Daily Tele, graph" meldet aus Kanton vom 25. ds. über Hongkong vom 26. ds.: Hier herrscht die Besorgnis, daß man am Vorabend eines großen Blutvergießens und einer allgemeinen Anarchie steht, wie sie nur während des Taiping-Aufstandes in ähnlicher Weise vorgekommen seien. Die Anzeichen einer gefährlichen Erhebung der Boxer und Piraten, welche nichts zu verlieren, sondern durch Morden und Plünderungen nur zu gewinnen haben, seien so offenbar, daß die begüterten Chinesen aus Kanton und der Umgegend hinwegeilen und ihre Angehörigen nnd Wertsachen mitnehmen.
Wien, 26. Juni. Der Titel der Gräfin Chotek wird nach ihrer Vermähl- ung sein: Durchlaucht Erzherzogingemahlin Fürstin v. Hohenberg.
Paris, 26. Juni. Fürst Leo Ga- litzin in Moskau ließ heute morgen vor der Büste des Präsidenten Krüger im Ausstellungspavillon von Transvaal am Trocadero einen silbernen Kranz nieder-
! legen, welcher die Inschrift trug: „Dem Vertreter eines kleinen Volkes und einer großen Idee Achtung und Bewunderung !" Der Kommissar der Ausstellung von Transvaal sandte ein Telegramm nach Moskau, in welchem er dem Fürsten für diesen wertvollen Beweis von Sympathie und dieses Unterpfand aufrichtiger Freundschaft dankt^
MnterHaltenöes.
Gesühnte Schuld.
Von Hans Schack.
(Schlug) (Nachdruck Verb.)
Nun, nachdem sie eine geachtete Stellung in der Kunstgemeinde der schönen Jsarstadt sich errungen und die Mittel erworben hatte, eine Studienreise nach Italien zu machen, war auch der Groll gegen ihre Mutteraus dem Herzen Herrha's gewichen, sie wollte all das Leid, das man ihr zugefügt, vergessen und ihren Frieden schließen mit der, die ihr das Leben ge- schenkt.-
Als am konimenden Morgen die Pfingst- glocken die Gläubigen zur Kirche riefen, trat sie den Weg in das Thiergartenviertel an. Mit hochklopfendem Herzen näherte sie sich der bekannten Villa; wie staunte sie aber, als ein völlig fremder Mann ihn das Thor öffnete.
„Ich möchte Frau Freiberg sprechen," führte Hertha sich ein, „ich bin eine Ver- wandte und hoffe, der Dame willkommen zu sein-"
„Aber, gnädiges Fräulein," erwiderte zögernd der Portier, „Frau Freiberg wohnt ja schon lange nicht mehr hier, sie ist-"
„Nicht mehr hier? Warum hat sie ihre Villa verlassen?" fragte Hertha, von bösen Ahnungen gequält. „Sie ist doch nicht etwa gestorben? Nein! Können Sie mir denn sagen, wo sie jetzt wohnt?"
„So wissen Sie nicht, welch' schwerer Schlag die gute Frau getroffen hat?" entgegnete der Bediente, einen mitleidigen Blick auf das junge Mädchen werfend, das zitternd vor ihm stand. Dann fügte er leise, mit bewegter Stimme hinzu: „Sie hat durch den Krach eines großen Bankhauses fast ihr ganzes Vermögen verloren und lebt nun einsam und verlassen im Norden der Stadt."
Wie betäubt wankte Hertha aus dem Hause. Als sie aber auf der Straße stand, kam ihr die ganze Bedeutung dessen, was sie soeben erfahren, deutlich zum Bewußtsein. Was hatte sie gethan! Während sie im Groll von den Ihrigen geschieden war und Jahre lang nur an sich und das ihr zugefügte Leid gedacht hatte, war ihre Mutter falschen Freunden preisgegeben gewesen, die ihr Vertrauen mißbrauchten und sie um ihr Vermögen brachten. Was mußte die arme Frau gelitten haben, die nach dem Verluste ihres einzigen Kindes auch diesen Schicksalsschlag noch standhaft trug! Mit einem Schlage hatte sich die Situation geändert. Nicht Hertha war es mehr, die Vergebung brachte, sondern sie mußte froh sein, wenn die schwergeprüfte Frau ihr Kind wieder aufnahm, das sie aus selbstsüchtigen Gründen verlassen und nie mehr nach ihr gefragt hatte! Aber sie wollte sühnen, was sie gefehlt, sie wollte ihre Mutter nie mehr verlassen und für sie sorgen, so lange sie lebte. Dieser heilige Ent
schluß reifte in der Seele Herthas empor, als sie in einer Droschke der neuen Wohnung ihrer Mutter entgegenfuhr. Es kam etwas über sie von dem Geiste der Pfingsten, von dem Geiste der Liebe und Versöhnung, der an diesem Tage den Menschen näher ist als sonst.
Endlich, nach langer Fahrt hielt der Wagen vor einem der großen Mietshäuser des Nordens der Stadt. Klopfenden Herzens stieg Hertha die schier endlosen Stufen empor und stand einen Moment überlegend vor dem Korridor, der ihrer Mutter Wohnung abschloß. Dann drückte sie auf den Knopf der Klingel, ein blutjunges Dienstmädchen öffnete und führte die junge Dame in das Wohnzimmer. Einen Augenblick stand Hertha ans der Schwelle des Zimmers still und starrte auf die bleiche, gealterte Frau mit dem schneeweißen Haar, die sinnend am Fenster saß. Dann stürzte sie mit einem wilden Aufschrei: „Mutter, Mutter,vergib mir!" auf das Fenster zu und barg aufschluchzend das Haupt in der Mutter Schoß.
„Mein Kind, meine Hertha!" war alles, was die überraschte Frau Hervorbringen konnte, dann sank sie neben ihrem Kinde nieder und beide hielten sich lange, lange innig umschlungen. Sie hatten sich gefunden nach jahrelanger Trennung und in dieser seligen Minute des Wiedersehens war alles Leid und aller Schmerz der vergangenen Tage vergessen.
Durch das offene Fenster aber drang die eherne Stimme der Kirchenglocken, die am Tage der Pfingsten zur Liebe und Versöhnung mahnten. —
Aber noch eine große Ueberraschung blieb Hertha Vorbehalten. Während sich Mutter und Tochter gegenseitig die Erlebnisse der letzten Jahre erzählten, ertönte plötzlich im Flur die Klingel und eine Minute später trat Bruno von Hanstein in das Zimmer. Als Hertha seiner ansichtig wurde, wich alles Blut aus ihren Wangen, während über das Gesicht des jungen Offiziers ein Leuchten' seliger Freude glitt. Mit ausgebreiteten Armen stürzte er auf die Geliebte zu, drückte die nicht Widerstrebende stürmisch an sein Herz und bedeckte ihren Mund mit heißen Küssen.
»Ja," sagte Frau Freiberg, als sich Hertha, hocherröthend aus den Armen Bruno's losmachte und fragend ihre Mutter ansah, „er ist der einzige Freund, der mir nicht untreu wurde und der auch meinen kleinen Trotzkopf nicht ver- gessen hat. Und er hatte recht mit seinem felsenfesten Glauben, daß Du einst wieder kommen werdest."-
„„Und trotz allem mein süßes, liebes Weibchen werden würdest" jubelte Bruno und schloß die Geliebte von neuem in seine Arme, die, gerührt von so viel Liebe und Treue, unter Thränen flüsterte:
„Ich will Dir danken mein Leben lang, Du lieber, guter Mann! Ich bin ewig Dein."
Und die lachende Pfingstsonne, die durch die Fenster drang, sah drei glückliche Menschenkinder innig vereint.
SI.U'rLdI