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Vom Kriegsschauplatz in Südafrika
London, 29. Mai. (Telegr.) Lord Roberts telegraphiert aus Gcrmiston, einer Lorsladt von Johannesburg: Wir sind Nachmittags ohne ernsten Widerstand zu finden hier eingctroffen. Die Kavallerie und berittene Infanterie hatte nur geringe Verluste. Der Feind erwartete uns erst morgen. Johannesburg ist ruhig. Ich erfahre, daß die Gold minen unbeschädigt seien. Ich werde morgen früh den Kommandanten der Stadt zur Uebergabe auffordern. Ich erwarte keinen Widerstand und beabsichtige, Mittags mit meiner Armee in Johannesburg ein zuziehen.
— Der Uebergang der Engländer über den Vaalfluß hat sich kampflos vollzogen. Nur bei Vlljoensdrift wurde am vorigen Samstag kurzer Widerstand geleistet. Man glaubt, daß die Buren bis nach dem Klipriversberg, wenige Kilometer südlich von Johannesburg zurückgegangen sind. Hier wollte sie Lord Robertsznm Stehen bringen, um ihnen den Rückzug nach Lydenburg noch rechtzeitig abzuschneiden. Wahrscheinlich sind sie aber bereits vorher ousaewichen; einem Gericht zufolge, das gestern in Kapstadt verbreitet war, ist General French mit seiner Reiterei bereits in Johannesburg eingetrosfen. Ende der Woche, glaubt man, werden die Spitzen seiner Kavallerie vor Prätoria stehen. Im Unterhaus erklärte gestern Balfour auf eine neue Anfrage, er wisse nichts von angeblichen Friedensverhandlungen. Es heißt, Krüger sei einer Friedenspolitik nicht mehr so abgeneigt wie früher, dagegen beharren Steijn und Reitz darauf, Widerstand bis zum Aeußersten zu leisten.
London, 29' Mai. Die „Times" melden: General Botha beriet sich vor einigen Tagen mit der Regierung in Prätoria und hat nachdrücklich zur Kapitulation geraten. Präsident Steijn ist ebenfalls für den Frieden. Präsident Krüger aber für dieFortsetzung des Krieges. In Prätoria ist gleichfalls das Gefühl vorherrschend, daß die Friedenspartei jeden Augenblick die Oberhand gewinnen könne.
— Aus Mafeking wird über die dortigen Verluste der Engländer seit Beginn der Belagerung Folgendes gemeldet: Von 44 Offizieren sind 6 todt und 15 verwundet; einer wird vermißt. Von 975 Mann sind 61 tot und 108 verwundet worden, 26 werden vermißt; 16 starben an Krankheiten. Von der weißen Bevölkerung 4 getötet und 5 verwundet; 32 sind an Krankheiten gestorben. Von den farbigen Soldaten und Eingeborenen wurden 353 getötet und 297 verwundet.
— Den letzten Nachrichten zufolge scheint den Engländern auch der Uebergang überden Vaalfluß gelungen zu sein. Also selbst dieser wichtigste Verteidigungsabschnitt ist nicht gehalten worden. Daß die Freistaatburen in Masse sich unterwerfen, ist nicht mehr zu bezweifeln; es scheint aber, daß jetzt auch die Reihen der Transvaalburen sich lockern und lichten und die Widerstandskraft nahezu gebrochen ist. Es heißt, das völlige Fehlschlagen der Burengesaudtschaft in den Ver. Staaten auf die die Buren große Hoffnungen ge- setzt hotten, hatte häuptsächlich zu der offenkundigen Entmutigung und Lähmung des Widerstands beigetragen, Dies hat viel Wahrscheinlichkeit für sich und man
darf vielleicht der Beendigung des traurigen Krieges bald enlgcgeiiseh-m.
K a p st a d t, 28. Mai. Der Oranjefreistaat wurde heute formell anaektirt.
UntevHaltenöes.
Eine Erinnerung.
Novelle von Auguste Faure.
(Schuch.) Macht»!. vrrbotin)
Es war eine Wandertruppe, die in die großen Städte zog, um zu den hohen Festen Vorstellungen zu geben. Diesmal begab sie sich nach Valencia, wo wir einige Tage später anlangten. Dort war es meine erste Sorge, an die Großmutter zu schreiben, um ihr zu sagen, daß ich sie »och immer lieb hätte, und sie zu bitten, sich zu beruhigen. Ich teilte ihr mit, daß ich Schauspieler, Komödiant nnd Sänger werden wollte und eines Tages in einer Kalesche, die Taschen voller Geld, nach Hause zurückkehren würde.
In Valencia debütirte ich.
Die Truppe spielte dort ein schreckliches Melodrama, dessen drei Akte vor einem großen, einen afrikanischen Wald darstellenden Hinterprospekt,vor sich gingen. In einein bestimmten Augenblick hatte der Autor nichts besseres finden können, als den Dialog der Darsteller von dem Geheul wilder Thiere unterbrechen zu lassen. Ich hatte in diesem seltsamen Konzert auch eine Rolle; ich heulte nämlich in eine Lampenglock«, um das Brüllen des Löwen zn kopiren.
Das that ich etwa 14 Tage hindurch, und ich mußte wohl eine gewisse Begabung für diesen Beruf haben, denn sowie ich zu heulen anfing, sahen die Zuschauer unruhig nach der Thür, als wenn sie Miene machen wollten, zn verschwinden.
In allen Städten, durch die ich kam, schrieb ich stets ein paar Zeilen an die Großmutter, doch alle Briefe blieben unbeantwortet.
Die alte Frau war mir aufrichtig böse. Trotzdem wurde mir eines Tages eine große Freude zuteil; ich erhielt nämlich einen Korb aus den: Pachthofe, der mit Feigen, Mandeln, Pasteten u. Würsten vollgestopft war.
„Aha", sagte ich mir, „Mama Renaude liebt mich noch immer."
„Ich will Euch meine Wanderjahre nicht erzählen, es sind' darunter zu traurige Seiten, als daß ich sie aufs neue heraufbeschwören möchte. Ihr wißt alle, wie ein reicher Kunstfreund, der mich in einem Cafe in Montmartre hatte singen hören, mich auf seine Kosten, von meiner Stimme begeistert, ausbilden ließ. Ihr wißt, wie er mir alle möglichen Lehrer gab und kennt auch die Geschichte meine» ersten Debüts als Tenor an der „Großen Oper" und mit welchem unendlichen Wohlwollen das Publikum mich aufnahm und zum Künstler weihte.
Mit welcher Leidenschaft habe ich den „Raoul" in den „Hugenotten", den „Faust" von Gounod, den„Eleazar"in der „Jüdin", den „Fernando" in der „Favoritin" und andere Partien gesungen; ich habe die schönsten Triumphe gefeiert, die ein Mensch nur erträumen kann; ich habe die Ehre gehabt, alle großen Meisterwerke zu kreiren, und häufig — ich sage das mit Stolz — hat mich das Publikum fühlen lassen, daß ich sie auch verstanden habe. Doch ein trauriges Gefühl blieb mir in der
Seele. Zehn Jahre nach meinem Ein- tritt in die Oper hat mich Mama Renaude noch nicht eines Briefes gewürdigt. Dieser Eigensinn von Seilen der guten Alten drückte mich schwer; es war die Strafe, die wohlverdiente Strafe für meinen kindlichen Egoismus!
Eines schönen Tages erfuhr ich, daß ich dekoriert werden sollte und zwar wollte man mir das Kreuz der Ehrenlegion in einem Zwischenakt des Faust überreichen. Nun schrieb ich von neuem au Maina Renande,stecktein das Konvert ein Tansend- frankbillet und sagte ihr, ich würde sehr glücklich sein, sie bei dieser Gelegenheit in Paris zn sehen.
Ob sie aber auch kam?
Als sich der Vorhang an jenem Abend über dem Studierzimmer des Doktor Faust hob, warf ich einen Blick in den Saal, bemerkte aber Mama Renaude nicht. Es wurde mir eigentümlich weh um's Herz, doch faßte ich mich, als ich alle Operngläser auf mich gerichtet sah. Ich mußte Mut haben und ich hatte ihn auch.
Es kam der nächste Akt, doch noch immer war niemand zu sehen. Im Zwischenakt sollte mir meine Dekoration überreicht werden. Man holte mich aus meiner Garderobe, das ganze Personal war anwesend, mit Ausnahme meines Kollegen Rouviere, des ausgezeichnetsten Mephisto, den Ihr ja alle kennt.
Ich stand mitten unter meinen Kameraden : Auf der einen Seite die Künstler und Choristen, auf der andern die Damen vom Corps de Ballet. Der Direktor hielt eine kleine Rede, die bei einer solchen Gelegenheit ja immer angebracht erscheint, und die ich übrigens recht zerstreut au- hörte, denn meine Gedanken waren ganz wo anders.
Plötzlich drang folgender Satz an mein Ohr: „Mein lieber Lauriere, bevor wir den dritten Akt anfangen, bittet unser Freund Rouviere um die Erlaubnis, Ihnen die Person vorstelleu zu dürfen, die von dem Minister der schönen Künste delegiert werden ist, Ihnen das Kreuz der Ehrenlegion zu überreichen."
Mit diesen Worten trat der Direktor zur Seite, ich machte drei Schritte nach vorn und erblickte ganz im Hintergründe, auf mich zukommend diesen Spitzbuben von Rouviere-Mephisto, der in seinen Satansbart hineinlachts und — Ihr erratet wohl schon — die Dame Renaude am Arme führte, die trotz ihrer 75 Jahre auf mich znschritt und in ihren zitternden Händen das Kreuz der Ehrenlegion hielt.
Mein Blut schoß mir zu Kopfe, ich umarmte die Großmama vor dem ganzen Personal der Akademie der Musik, die der alten Frau eine unbeschreibliche Ovation darbrachte., Ich umarmte meinen guten Mephisto, umarmte die Damen vom Corps de Ballet, umarmte die Theaterarbeiter, kurz, ich umarmte alle Welt.
Und noch jetzt sehe ich nach vielen Jahren die Mama Renaude vor mir, die vor Freuden weinte.
Das, meine Kinder, ist die schönste Erinnerung meines ganzen Lebens, die mich in den Stunden der Sorge und Ermattung tröstet, und nie, hört Ihr wohl, nie wird Clement Lauriere den „Faust" wieder so schön singen, wie er ihn an jenem Abend für seine alte Großmutter gesungen."