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daß esder Arbeit eines Lebens und Deiner ganzen Manneskraft bedürfen wird, um diese Stellung so zu erhalten, wie sie seit Deinem Großvater im Herzen des Deutschen Volkes und der Armee fortlebt. Zuerst als Kronprinz von Preußen, dann als Kronprinz des Deutschen Reiches, als dieses im Jahre 1870/71 zusammenge- schweißt war, ragt diese herrliche Gestalt die zuletzt so unsagbar gelitten, in der Geschichte, lebt sie im Herzen des Volkes als der Kronprinz pur exevllsnes. Das Ansehen, welches Dein Großvater der Stellung des Deutschen Kronprinzen in der Welt und bei seinem Volke verschafft hat, ist für Dich ein Erbteil, welches du ungeschädigt zu erhalten und zu mehren hast. Machees Dirklar, daß Du Deiner ganzen MannSkrast bedarfst, um dieser hohen und schweren Aufgabe gerecht zu werden. Das ist der Gedanke, der mich bewegt, wenn ich Dich heute in persönliche Beziehungen zum Regiment Kronprinz bringe."
Wien, 22. Mai. Nach hier eingetroffenen Berichten aus München hätte sich der Zustand des Königs Otto in den letzten Tagen neuerlich wesentlich verschlimmert, und die Katastrophe sei nahe bevorstehend. Der König sei völlig gelähmt, die Nahrung müsse ihm zwangsweise eingeflößt werden.
Brüssel, 19. Mai. Einem hiesigen Blatte zufolge soll der Schwiegervater des Exkapitäns Dreysus ,n der Avenue de Longchamp eine Wohnung gemietet haben, in welcher sich Dreysus mit seiner Familie niederlassen wird.
— Aus Kapstadt wird berichtet, so bald die Engländer den Vaalfluß über- schritten haben, werde Lord Roberts eine Proklamation erlassen und darin kund- machen, daß jenen Burghers, die sich in ihre Farmen begeben, die Schonung ihres Viehs und ihres sonstigen Eigentums zu- gesichert werde, und man glaubt, daß die Mehrzahl der Burghers unter diesen Bedingungen auf ihre Gehöfte zurückkehren werde.
New-Aork, 21. Mai. Nach einem Herald Telegramm aus Washington deuten inoffizielle Nachrichten aus Samoa auf eine in großem Umfang vorgenommene Erhebung Mataafa's und seiner Anhänger gegen die deutsche Regierung hin, weil Mataafa darüber aufgebracht sei, daß er die Königswürde nicht erhalten hat.
London, 25. Mai. Dem „Daily Expreß" zufolge sind in Deutsch-Südwest- asrika Gold, Silber, Kupfer und Bleierze in großer Menge 400 engl. Meilen landeinwärts von Walfischbai gefunden worden. Die englisch-deutsche Westafrika- gesellschast, zu welcher Rhodes, Wernher Beit und andere Notabilitäten gehören, will 100 000 Pfund Sterling ausgeben, um sestzustellen, ob die Erze in genügen- der Menge vorhanden sind, so daß sich die völlige Ausbeutung lohnt. Sollte dies der Fall sein, so würde für zwei Millionen Pfund Sterling eine Eisenbahn von Walfischbai dorthin gebaut werden und eine gleiche Summe würde für Mienen daselbst verausgabt werden. Mitte Juni wird aus England eine Expedition nach dem betr. Gebietein Deutschsüdwestafrika abgehen. An der Spitze der Expedition steht Ehr. James aus Swansea, ein Mineningenieur, der in Kalifornien und Mexiko Erfahrungen gesammelt hat. Ein
Arzt, einige Mechaniker und eine Abteilung Bergarbeiter aus Cornwall werden sich der Expedition anschließen.
— Adrian Hofmeyer, der Vertreter der Times in Lobatsie, ist nach 7monat- licher Gefangeuschaft jetzt von den Buren freigelassen worden. Von General Botha erzählt der Korrespondent folgende Aaek- dote: In einer geheimen Sitzung des Raades berichtete Krüger, daß die Regierung Vorkehrungen getroffen habe, um eventuell die Mienen bei Johannesburg zu zerstören. Als Botha davon erfuhr, eilte er nach der Hauptstadt und es kam zu einer erregten Szene zwischen ihm und dem Präsidenten. Botha erklärte, wenn dieser Plan nicht aufgegeben werde, werde er sein Heer nach Johannesburg führen und die Stadt gegen ihre eigene Regierung verteidigen. Mit den Worten: „Wir sind doch keine Barbaren!" schnitt er alle Einwände, die Krüger noch machen wollte, ab. Schließlich gab der Präsident nach und erteilte das Versprechen, von einer Zerstörung der Minen Abstand nehmen zu wollen.
London 23. Mai. Dem „Manchester Guardian" zufolge wird der deutsche Kronprinz auf der größeren Tonr, die er unternehmen wird, auch Indien besuchen, da der Kaiser wünscht, daß der Kronprinz die Grundsätze kenne» lernt, nach denen England seiue orientalischen Besitzungen regiert. Lord Curzon hat von diesem Wunsche des Kaisers Mitteilung erhalten.
Vom Kriegsschauplatz iu Südafrika.
London, 25. Mai. Wie aus Pretoria gemeldet wird, berichtet ein amtliches Telegramm, welches am Abend des 23. veröffentlicht wurde, daß die Ruren- streitkräfte am vergangenen Dienstag bei Heilbronn in ein Gefecht mit den Engländern geriethen. Die Engländer mußten sich zurückziehen unter Zurücklassung von 60 Todten und Verwundeten. 200 Engländer wurden gefangen genommen. Die Engländer besetzten Heilbronn. Ungefähr 3 000 Engländer mit 6 Geschütze» drangen in die Gegend von Froedfort vor.
Lokales.
Wildbad, 27. Mai. Gestern Abend sprach Reichstagsabgeordneter S chrjempf vor einer Versammlung seiner Wähler im Gasthof z. „Ochsen" hier. In mehr als 2stündigem, glänzenden! Vortrag legte er Rechenschaft ab von seiner seitherigen Thätigkeit im Reichstag, sprach zuerst über die Art der Geschäftsführung im Allgemeinen, sodann über die Haupt- fragen, die in letzter Zeit zur Beratung gekommen waren: Fleischschaugesetz, lvx Leinria und die Flottenverstärkung. Seine Mitteilungen waren hochinteressant und mit Begeisterung wurde das von Herrn Stadtschultheiß Bätzner auf den Redner ausgebrachte Hoch ausgenommen, der seinerseits noch ein Hoch auf unser großes teures Vaterland ausbrachte.
Unterhaltendes.
Eine Erinnerung.
Novelle von Ruguste Faure.
(Nachdruck verboten--
Es war in der Avenue Oes Villsrg in dem prächtig eingerichteten Hotel des
Sängers Clement Lauriere. Eine Versammlung von Künstlern, Dichtern und Schriftstellern. Der Kaffee dampfte in Tassen aus Meißener Porzellan, und man plauderte — „Ja, ja," sagte der Dichter Louis Verneuil mit seiner melodischen Stimme, „ja wohl meine Herren, ich be- Haupte, daß es im Leben eines jeden Menschen eine Erinnerung giebt — freudige oder traurige, glückliche oder schwermütige Erinnerungen, welche wir wie einen treuen Freund stets wiederfinden, wenn wir einen Blick auf die Vergangenheit werfen, und die, wenn wir sie vergessen, an unsere Thür klopft und ruft: „Da bin ich." „Ja, gewiß," versetzte der Hausherr, sich eine Zigarre anzündend, „unser Freund hat vollständig recht, und ich sür meinen Teil habe in »reinem Leben eine Erinnerung, die ich stets verwahre und mit Rührung heraufbeschwöre."
„Erzählen Sie, erzählen Sie," rief man von allen Seiten.
„Ich folge Ihren Wünschen," versetzte Clement Lauriere."
„Ich bitte zunächst um die ErlauNris, sehr weit zurückgreifen zu dürfen, und zwar in die Zeit meiner ersten Kindheit. Aus den Zeitungen haben Sie wohl ersehen, daß ich Provencale bin und zwar Provencale vom reinsten Wasser. Meine Mutter starb bei meiner Geburt und meine Großmutter, die „Dame Renaude," wie mau sie in der Gegend nannte, nahm mich auf und brachte mich auf den Pachthof, auf dem sie lebte und wo sie mit Hilfe von zwei Dienstboten ihre Olivenbäume und einige Weinstöcke bebaute. Mein Vater einer der berühmtesten Trommler des Südens, zog von Stadt zu Stadt und gab Pfeifenkonzerte, die er mit seiner Trommel begleitete.
Armer Vater! Eines Tages, nachdem er stundenlang die Farandols gespielt, trank erßmehr Muskatwein als gewöhnlich, und einige Fuhrleute erlaubten sich, sein Talent als Trommelschläger zu bekritteln. In diesem Punkte verstand mein Vater wenig Spaß. Es entwickelte sich eine Schlägerei, und am Abend brachte man ihn auf den Pachthof, auf dem ich mich mit meiner Großmutter befand. Er hatte ein blutiges Gesicht und drei Rippen waren ihm eingeschlagen.
Drei Wochen später betraten der Pastor und ein Chorknabe den Pachthof, und als sie hinausgingen, war ich Waise.
Mau begrub den armen Trommler auf dem kleinen Dorfkirchhofe; er war erst 32 Jahre alt.
„Meine Großmutter wollte aus mir einen Landwirt machen; ich war 10 Jahre alt, und das Landleben gefiel mir gar nicht. Da sie nun einsah, daß ich dazu keinen Beruf hatte,so wollte sie die Tradition der LauriereS fortsetzen, und ich sollte Trommler werden. Das gefiel mir aber ebenso wenig. Mit buntgeschecktem Anzuge das Kand zu durchstreifen, eine Pfeife mit drei Löchern zu blasen, und dazu die Trommel zu schlagen, das tzvar nicht mein Fall. Du lieber Gott, mein Vater möge es mir verzeihen aber die Sache^kam mir ganz einfach lächerlich vor ; und außerdem, soll ich es gestehen, «s fehlte mir an Lungen- kraft.
Alle Abend hörte ich nun Predigten und Ermahnungen der Dame Renaude, die in der heftigsten Weise gegen meine Unthätigkeit und Faulheit wetterte.