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ein Nichtschuldig ausgesprochen hatten, wurde der Angeklagte wegen eines Ver­brechens wider die Sittlichkeit zu der Gefängnisstrafe von 6 Monaten und 15 Tagen, welch letztere als durch die Unter- suchungshast verbüßt erklärt wurden, verurteilt. Kommerzienrat Zöppritz - Calw war Obmann der Geschworenen. Damit haben die Sitzungen dieses Quartals ihr Ende erreicht; die Geschworenen wurden vom Vorsitzenden mit Worten des Dankes und dem Wunsche einer glücklichen Heim­kehr entlassen.

! Neuenbürg, 31. März. (Korresp.) Die Diebsbande, welche seit einiger Zeit die 'Stadt Pforzheim in unverschämter Weise brandschatzt, scheint ihre Thätigkeit auch auf unfern Bezirk ausdehnen zu wollen. So wurde in den letzten Tagen in einem Spezerei- und Ellenwarengeschäft in Gräfenhausen und in der Bahnhos- wirtschaft zu Birkenfeld mit Erfolg ein­gebrochen. Von den Thätern istnoch keiner beigebracht.

Calw, 2. April. Die Bezirkskran­kenkasse hielt heute eine außerordentliche Generalversammlung ab, die zum Zweck der Einführung einer weiteren Lohnklasse einbernfen wurde. Die Lohnklasse, welcher ein Durchschnittstagesverdienst von 3 Mk. zu Grunde gelegt ist, wurde mit 16 gegen 1 Stimme angenommen. Das Kranken­geld dieser Lohnklasse beträgt Mk. 1.50, das Sterbegeld 60 Mk, der Wochenbeitrag 60 Pfg. (bisher 46 Pfg. in der.höchsten Klasse). Einschließlich des Beitrages zur Jnvaliditätsversicherung beträgt die Er­höhung für den Arbeitgeber 8 Pfg., für den Arbeitnehmer 12 Pfg., zusammen 20 Pfg. Es fallen alle diejenigen Arbeit­nehmer darunter, welche über Mk. 2.70 Tagesverdienst beziehen. Diese 5. Lohnklasse wurde angesichts der in den meisten In­dustriezweigen eingetretenen höheren Löhne als zeitgemäß anerkannt, umsomehr als die betr. Arbeiter, welche hierunter fallen, auch bei der Jnvaliditätsversicherung in die 4. Klasse vorrücken und dadurch An­wartschaft auf größere Invalidenrente erwerben.

Nagold, 2. April. Die umfassenden baulichen Veränderungen an dem Luft­kurhaus Waldeck, 10 Min. von hier ent­fernt, s. Z. zur Errichtung eines Genes­ungsheims für .erholungsbedürftige Soldaten' gekauft, werden demnächst in Angriff genommen werden. Sie werden sich nach dem Ausschreiben auf ungefähr 36000 Mk. belaufen.

Cannstatt, 1. April. Gestern traf die Nachricht hier ein, daß der 35jährige Werkführer der hiesigen Daimler Motoren­fabrik, Mechaniker Wilhelm Bauer, bei den diesjährigen Motorwagenwettfahrten zwischen Nizza und Marseille aus dem mit einer Geschwindigkeit von 6872 Klm. dahinsausenden Wagen geschleudert wurde und sich hiebei so schwere Verletzungen zuzog, daß er nach kurzer Zeit den Geist aufgab. Bei der vorjährigen .internation­alen Motorwagenwettfahrt errang Bauer für die Daimler Motoren Gesellschaft, die in ihm einen ihrer tüchtigsten Werkfü'hrer verliert, den ersten Preis.

Heilbronn, 1. April. Eine interes­sante Entdeckung wurde, wie die N. Ztg. berichtet, dieser Tage in einer hies. Familie, die seit Jahren mit dein Kernerhause in Weinsberg in Freundschaft steht, geinacht. Versteckt unter allerlei altem Gerümpel entdeckte man ein noch ziemlich gut er­

haltenes Oelbild von Justinus Kerner, das von der Meisterhand des Stuttgarter Malers Stirnbrand ausgeführt, wohl das einzige sein dürfte, auf dem der schwäb. Dichter sich dem Beschauer im Schmuck eines schönen Vollbarts zeigt.

Von der UracherAlb, 31. März. Wie der März seinen Einzug hält, so hält er auch seinen Abzug" diese Wetter­regel trifft Heuer wieder auffallend zu. Seit gestern schneit es fast uuunterbrochen, so daß die Felder reichlich bedeckt find und bei 3 Grad Kälte noch einmal eine gute Schlittenbahn besteht. Der Verkehr hat sich noch in keinem Winter so schwierig gestaltet wie Heuer, oben Schlittenbahn unten Schmutz! Besonders die täglichen Postfahrten waren vielfachen Störungen hiedurchjunterworfen. Hofwagenfabrikaut Zaiser in Urach hat schon vor einigen Jahren einen sog. Schlittenwagen ange­fertigt, der mittelst eines Scbraubenmechan- ismus als Wagen oder als Schlitten eingestellt werden kann und sich andern­orts schon gut bewährte. Die Anschaffung solcher Wagen für die Postfahrten wird sich in Zukunft kaum umgehen lassen.

Ays der Gegend von Möglingen, Neckargröningen und Waiblingen werden, wie man demSchwäb. Merk." aus Lud- wigsburg schreibt, in den nächsten Tagen wieder eine Anzahl Familien, im ganzen mehr als vierzig Köpfe, nach der Provinz Posen auf dortige Ansiedlungsgüter aus­wandern. Den Leuten werden von der preußischen Ansiedluugskommisfion beson­ders günstige Reisebedingungen gewährt. Sie haben teilweise dort schon Verwandte und gehen voll froher Hoffnung ihrer Zukunft entgegen.

Ostheim. DieSchwäb. Tagw." schreibt: Am Montag den 26. v. Mts. hielt der Bezirk Ostheim imVolksgarten" eine öffentliche Volksversammlung, in der Genosse Blum har dt aus Voll über das ThemaDie Geschichte des Prole­tariats" sprach. Der Redner führte nach dem sozialdem. Blatt u. a. aus: Trotz­dem die Kirche seit Jahrhunderten Macht und Zeit genug besessen habe, so habe sie zur Befreiung der ausbeutenden Klaffe bis heute nichts gethan; und während die ärmeren Klaffen vorher von den Fürsten schon leiblich geknechtet worden seien, habe die Kirche nun auch die Schule, den Geist geknechtet. Auch sie, welche sich von der Reformation Besserung versprochen haben, wurden in ihren Hoffnungen ge­täuscht. Statt Besserung habe auch hier nach kurzer Zeit ein sozusagenrömischer Geist" geherrscht, der nur auf Niederhal­tung und Beherrschung der unteren Klassen gerichtet sei. Die Entwicklung des Hand­werks, der Manufaktur und der Industrie, und die mit letzterer immer mehr um sich greifende Proletarisirung großer Massen kurz schildernd, führte er den Anwesenden vor Augen, daß die Befreiung der arbei­tenden Klasse nur durch sie selbst geschehen könne und daß eine Bürgschaft für unfern Sieg in den ungezählten organisierten, denkenden Arbeitern liege, die, über alle Kulturländer verbreitet, in brüderlicher Einmütigkeit an derselben arbeiten. Wenn den Sozialdemokraten heute vorgeworfen werde, daß sie keinen Glauben haben, so sage er aus voller Ueberzeugung, daß der Glaube an die Menschheit dem Gottes­glauben gleich zu achten sei, und daß der Mensch, der an Gott glaube, dabei aber die Menschheit mit Füßen trete, kein

Christ sei. Dann kam der Referent auf Isx Heinze zu sprechen und schilderte mit warmen Worten den Kampf unserer Par­teigenossen im Reichstag für die Freiheit der Kunst und Wissenschaft. Wenn es den Patienten, die das Gesetz befürworten, wirklich um die Hebung der Sittlichkeit zu thun gewesen wäre, so hätten sie den Unternehmerparagraphen unter allen Um- ständen festhalten müssen." In seinem Schlußwort ermahnte der Redner die Anwesenden mit warnwn Worten, einzu­treten in die Reihen des kämpfenden Proletariats, fleißig die klassischen Werke von Marx, Engel», Kautsky, Bebel, Lieb­knecht, Mehring u. s. w. zu studiren, er ermahnte diejenigen, denen es der Druck von Oben unmöglich mache, mitzukämpfen, wenigstens am Wahltag für die Partei zu stimmen, die als einzige und unentwegt die Befreiung des Proletariats, die reine Menschlichkeit zum Ziele habe, die Sozial­demokratie.

Ein Mädchen aus Illingen bei Rastatt, das in Straßburg diente, erbte von seiner Herrschaft 50 000 Mk. Außer­dem erhält es das Hausinventar im Werte von 10000 Mk.

In der Nacht zum Samstag starb in Triberg unerwartet an einem Schlag­anfall der bekannte Besitzer des Schwarz­wald - Hotel Louis Bieringer. DasSchwarz- wald-Hotel wurde 1872 durch Bieringer erbaut und wurde namentlich während der Saison von Engländern und Ameri­kanern besucht. Aus Deutschland ver­kehrten hohe und höchste Kreise dort.

InBasel kann kein Spezereiladen mehr bestehen, der dortige Konsumverein erstickt alle. Auch die Bäcker sind ihm unterthänig und durch den Rabattverkehr zu Handlangern geworden. Gegenwärtig zählt der Baseler Konsumverein 20 000 Mitglieder.

Dresden, 31. März. Gegenüber einer Mitteilung der Londoner Evening News, daß der deutsche Kaiser sich miß­liebig über den Gesandten der Transvaal- Republik, Dr. Leyds, ausgesprochen und sich geäußert haben soll, daß er nicht be­absichtige, von Dr. Leyds fernerhin noch Meldungen er.tgegenzunehmen, veröffent­lichen die Dresdener Neuesten Nachrichten ein Telegramm von Dr. Leyds, welches folgenden Wortlaut hat:Die betreffende Mitteilung des Evening News ist eine böswillige Erfindung. Fragen Sie zu Ihrer Sicherheit noch beim deutschen Aus­wärtigen Amte an." Nach dieser Antwort ist also dem Dr. Leyds von dieser angeb­lichen Aeußerung des Kaisers nichts be- kanut.

DieNowoje Wremja" enthält ausführliche Details über diebevorstehende Reise des Schah von Persien nach Europa. Der Schah trifft mitte Mai in dem kaukasischen Kurorte Borschom ein, um dort einige Zeit zu verweilen. Am 27. Mai begibt er sich nach Petersburg, wo er sich drei Tage aufhalteu will. Von Petersburg reist der Schah zum Besuche des Kaisers nach Berlin, um nachher in einem deutschen Kurortelängeren Aufenthalt zu nehmen. Von hier aus begibt sich der Schah zur Besichtigung der Weltausstellung nach Paris, später nach London. Von London reist der Schah nach Wien, wo er als Gast des Kaisers Franz Joseph einige Tage ver- weilen dürfte. Dann geht die Reise nach Konstantinopel und über Batum nach