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Haltung der Diakonifsenstation auch die Katastrophe des Pfarrers Faulhaber zur Sprache. Dekan Lang äußerte, Fanlhaber habe in unerklärlicher Weise „Wohlthätig- keit" geübt, während er doch die Mittel nicht besaß. Den darüber geäußerten Bedenken wußte er immer entgegenzuhalten, daß die Erträgnisse seiner Industrie so trefflich stehen, daß er die Defizite wohl daraus decken könne, und dadurch wurde gewissermaßen den Komitemitglie- dern der Mund geschlossen und die Hoffnung auf Verschwinden des Defizits gehegt. Auf schreckliche Weise sei man, wie es sich herausstellte, getäuscht worden. Die Anstalt genieße wieder volles Vertrauen, da man das Defizit (280000 Mk.) nicht Hinausschleppen, sondern abbezahlen wolle. (Schw. B.)
Welzheim, 16. März. Bei der heutigen Stichwahl zum württemb. Landtag siegte der Reichstagsabgeordnete Professor Dr. Hieb er (Deutsche Partei) mit 1938 Stimmen über den Oekonomen Hinderer (Volkspartei), welcher 1755 Stimmen erhielt. 4 Stimmen waren ungiltig.
— Wie notwendig es ist, sich heutzutage gegen die Haftpflicht zu versickern, sei es als Hausbesitzer oder Gemeinde, beweist die jüngst erfolgte Verurteilung der Stadt Schleusingen, die einem ihrer Sommergäste 7000 Mk. Schadenersatz und außerdem die erheblichen Gerichtskosten zu zahlen hat. Der Mann hat sich auf einem Spaziergange nach dem Kohlberge auf dem schlechten Wege den Fuß beschädigt. Zum Glück ist die Stadt gegen Haftpflicht versichert.
Karlsru he, 18. März. Die hiesigen Tapezierer sind in eine Lohnbewegung eingetreten. Sie fordern: Einführung der Osts ständigen Arbeitszeit; Bezahlung der Ueberstunden mit 33stz Prozent und der Nacht- und Sountagsarbeit mit 50 Prozent; Vergütung der auswärtigen Arbeiten mit 1 Mk. 50 Pfg, bei Uebernachten mit 2 Mk. 50 Pfg; Einführung eines Minimallohns von 18 Mk; achttägige Lohnzahlung; Abschaffung der Accordarbeit; Minimallohn von 21 Mk. für die Zim- mertapezierer.
— In der von München ausgehenden Petition an den Reichstag zu Gunsten der Flotten-Vorlage, für die jetzt im ganzen deutschen Reiche die Unterschriften von Reichtags - Wählern gesammelt werden sollen, heißt es: „Es genügt nicht mehr, wenn die deutsche Flotte nur den Schutz der heimischen Küsten leistet — und bei der gewaltigen Vermehrung der maritimen Streitkräfte der übrigen Weltmächte wird ja selbst diese Sicherheit mehr und mehr zweifelhaft, — sondern das Reich muß auch in der Lage sein, die Person jedes Reichs-Angehörigen, das Eigentum des Volkes, die Produkte seiner Arbeit und seines Fleißes allüberall nachdrücklich zu schützen, wie in der Heimat, so auch in fernen Landen. Das deutsche Volk hat ein verfassungsmäßiges Recht, diesen Schutz zu verlangen: denn ohne ihn fordert der steigende Wohlstand, die enorme Entwickelung der deutschen Industrie und des deutschen Handels zu Angriff und Schädigung gerade heraus. Nur eine ausreichende Seemacht wird die Erhaltung der Großmachtstellung des Reiches, das Blähen und Gedeihen unserer politischen und wirtschaftlichen Entwickelung in Wahrheit gewährleiste» können. Wir
bitten daher den hohen Reichstag, der jetzt zur Beratung stehenden Vorlage der Reichsregierung zurVerstärkung derKriegs- flotte in ihrem ganzen Umfange zustimmen zu wollen, damit die Sicherheit von Vaterland und Volk, die nachdrückliche Wahrung der Ehre und der Macht Deutschlands und die friedliche Entwicklung seiner Interessen auch in Zukunft verbürgt ist." Die Petition trägt die Unterschrift des ersten Bürgermeisters von München, sowie einer großen Zahl angesehener Persönlichkeiten der Wissenschaft und Kunst sowie des bürgerlichen Lebens.
Berlin, 19. März. Wie das „Kl. Journ." aus bester Quelle erfährt, sind Verhandlungen im Gange, welche die Herstellung des Friedens zwischen England und den südafrikanischen Republiken bezwecken. Die deutsche und amerikanische Diplomatie sind ernstlich bemüht, eine Basis zu schaffen, welche den Friedensschluß ermöglichen soll. Dieser Dienst von genannten Staaten wird von England in wohlwollender Weise acceptirt und es ist zu hoffen, daß Transvaal seine Unabhängigkeit mit Bezug auf die innere Verwaltung behält, während England eine gewisse Oberhoheit eingeräumt wird, und bei Augliedernng von Transvaal und dem Oranjefreistaat an die englische Kapkolonie „England seine berechtigte Machtsphäre in Südafrika" finden. Die ganze Aktion entspricht der politischen Ansicht unserer maßgebenden Kreise.
Berlin, 19. März. Seit einer Reihe ' von Jahren wurde bekanntlich deutschen Offizieren Urlaub nach Frankreich nicht erteilt. Dem Offizier, welcher sich unerlaubterweise nach Frankreich begab, war Verabschiedung angedroht. Mit Rücksicht auf die bevorstehende Weltausstellung erwartete inan seit längerer Zeit bereits eine Abänderung dieser Bestimmungen. Eine solche ist lt. „Köln. Ztg." nunmehr erfolgt. Urlaubsgesuche von Offizieren nach Frankreich wurden von jetzt ab ebenso behandelt, wie sonstige Urlaubsgesuche ins Ausland. Besondere Bestimmungen sind nur nach folgender Richtung hin erfolgt: Urlaub uach Festungen der Ostgrenze und deren Umgebung (also Belfort, Nancy u. s. w.) ist im allgemeinen nicht zu erteilen. Ausnahmen sind nur unter besonderen Verhältnissen zulässig. Vor Antritt des Urlaubs ist den betreffenden Offizieren einzuschärfen, daß sie sich aller Handlungen, welche auch nur im entferntesten unter das französische Spionagegesetz fallen könnten,mitpeinlichster Sorgfalt zu enthalten haben. Jeder nach Frankreich beurlaubte Offizier hat erstens allen Bestimmungen der französischen Civil- behörden (Anmeldung im Gasthof, bei Polizei u. s. w. pünktlich nachzukommen und sich zweitens in französischen Garnisonen sofort bei dem militärischen Vorgesetzten, in Paris außerdem noch bei der deutschen Botschaft, unter genauer Angabe seiner Wohnung u. s. w. anzumeldeu.
WntereHaltenöes.
Ein Knalleffekt.
Humoreske von Franz Völkner.
i Nachdruck verboten.)
Es war Putzstunde bei der fünften Compagnie. Der Unteroffizier der dritten Korporalschaft war soeben in einer dienstlichen Angelegenheit abbernfen worden und die Unterhaltung war daher in
Schwung gekommen. Auf einmal tra? eine gewisse Stille ein, in welche hinein einer der Marssöhne, ein Spielmann, namens Wurm, in unverkennbarem Berliner Dialect rief: „Kinner, heut Nacht hats am Brandenburger Thor jebrannt!" — „Dat is uich wahr!" replicierte sein Gegenüber, seiner breiten Aussprache nach zu urteilen ein Vorpommer, an dein auf den ersten Blick sein leuchtend roter, von straffen Borsten gebildeter Haarschopf auf- fiel. „Dat is nich wahr," wiederholte er, „ick bnn doch dies' Nacht up Wacht dor west, ick müßt dat doch süst weeteu."
„War, det soll nich wahr sind? Na siehste, denn haste et eben nich jesehen, nich uffjepaßt haste; ick bin doch nich dajewesen un weeß et doch!" Dabei blickte er dem andern kampfbereit ins Oiesicht. Als der sich aber ruhig mit seinen Knöpfen zu schaffen machte, blinzelte er den übrigen, die offenbar auf den Ausgang des Streites sehr gespannt waren, mit halb zugekniffenen Augen listig lächelnd zu und sagte: „Na, Mensch, der Feuerschein hat ja wer weeß wohin geschienen," dabei machte er eine bezeichnende Handbewegung nach dem Haare seines Gegenüber. Jetzt verstanden die andern und brachen in ein schallendes Gelächter ans; aber auch Marcks, unser Vorpommer, hatte die Geste aufgefangen und sogleich richtig gedeutet. Er warf Wurm einen wütenden Blick zu und brummte: „Na töf. Du Berliner Bummel Du, dat verget ich Di nich; Du bist 'n ollen Zankdüwel, un (immer hest Du mit mi wat to uzen!"
„Na nu, sag' mir bloß eener, wat 'ne Sache is," wandte sich der Berliner mit der Miene gekränkter Unschuld an die übrigen, „Hab' ick ihm nn woll wat jethan?"
Am nächsten Tage wurde bei der Paroleausgabe für den Appell die Besichtigung der Drillichjacken angesagt. Marcks machte sich nach dem Dienste sofort daran, die seinige zu waschen. In dem Augenblicke, als er mit ihr zur Thür hinaus wollte, wurde diese aufgerissen und der Herr Feldwebel erschien auf der Schwelle:
„Marcks!" — „Herr Feldwebel?"
„Gehen Sie sogleich auf die Kammer u. lassen Sie sich einen neuen Helm verpassen. Der, den Sie jetzt haben, wackelt ja auf Ihrem Quadratschädel wie eine alte Droschke auf einem Knüppeldamm."
Rasch warf Marcks seine Jacke über den Bettrand und eilte mit seiner Pickelhaube zum eap'tain cl'armes. Der immer zu dummen Streichen aufgelegte Wurm schien nur darauf gewartet zu haben; kaum war nämlich Marcks zur Thür hinaus, so wechselte er dessen Jacke gegen die eigene ans und häugte die fremde in seinen Schrank. Freudestrahlend erschien nach einiger Zeit der feuerschopsige Pommer wieder auf der Bildfläche. Er hatte eineu tadellosen „Hut" neuerer Garnitur bekommen, der, wie er rühmend constatierte, „wie eine Mütze" saß. Er verschloß ihn sorgfältig und widmete sich dann mit wahrhaft rührendem Eifer drunten am Waschtrog der Jackenreinigung, ohne indes zu bemerken, daß sein Arbeitsobjekt unter dem Kragen einen falschen Namen trug. Nachdem er spät abends die steif getrocknete Jacke auch noch fleißig gemangelt hatte, strich er selbstzufrieden mit der Hand darüber hin: wußte er doch, daß er morgen Ehre mit seiner Arbeit einlegen werde.