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die Buren. Die Erregung in Petersburg ist groß. Trotz der Feiertage der Butterwoche nehmen die Nachrichten vom Kriegsschauplätze das ganze Interesse in Anspruch.
Vom Kriegsschauplatz in Südafrika.
— Die Brüsseler Transvaal-Gesandtschaft theilt der „Rhein. Wests. Ztg. mit, daß durch die Uebergabe Cronjes die politische Situation keineswegs gefährdet werde. Beide Republiken hätten noch über 50000 Mann Kerntruppen im Felde, ungerechnet die anderen Zugänge. Gegenwärtig vollziehe sich eine Konzentration auf Winburg im Zentrum des Oranjefreistaates. Cronje dürfte damit einverstanden gewesen sein, daß man ihm nicht mit der ganzen Macht zu Hilfe kam. Er opferte sich, sowie einen Teil der Streitkräfte, um den besten Teil seines Materials, sowie eine Anzahl Truppen zu retten.
— In offiziellen Kreisen herrscht großer Verdruß, daß General Roberts bei der Uebergabe Cronjes nur 6 kleine Kanonen erbeutet hat. Im Kriegsamt ist man geneigt, zu glauben, daß Cronje seine großen Kanonen entweder in Magers- fontein oder am Paardeberg vergraben hat.
— In dem in schrecklichem Zustande befundenen Burenlager des Generals Cronje wurden 200 Verwundete gesunden, welche ohne jede Pflege waren und seit mehreren Tagen gehungert hatten. Die Buren behaupten, sie hätten nur 50 Tote gehabt.
— Major Albrecht hat sich über Cronjes Taktik sehr abfällig ausgesprochen. Anstatt die Truppen in das Loch zu führen, hätte er die Copjes besetzen müssen. Ter Krieg sei übrigens keineswegs beendet. Noch stünden 75000 Mann (?) im Felde. Er erzählte, daß nur 4000 Buren bei Magers- sontein gestanden hätten, von denen in jener Schlacht nur 2600 Mann gefochten hätten. So abfällig er sich über Lord Methuen aussprach, so sehr lobte er Roberts Kriegsführung.
Bloemsontein, 5. März. Amtlich wird bekannt gegeben, daß die zwischen 2—3000 Mann betragende Streitmacht Cronjes am 27. Febr. wegen Mangels an Lebensmitteln und Munition kapituliert hat. Der Präsident, richtete au die Burghers in Natal, die auf dem Rückmarsch nach Biggersberg befindlich sind, einen begeisterten Aufruf. Der Präsident kehrt morgen nach Pretoria zurück.
London, 3. März. Dem Kriegsamt ging folgende Depesche Bullers vom 2. ds., Abends 6 Uhr 30 Min. aus Ladysmith zu: Ich finde, daß die Niederlage der Buren (so bezeichnet Buller den freiwilligen Abmarsch der Buren zu ihrer Konzentrirnng im Freistaat. D.R.) vollständiger ist, als ich anzunehmen wagte. Der ganze Bezirk ist vollständig von ihnen geräumt und abgesehen von der Höhe des Van Reenens-Passes, <wo die Buren den Eingang in ihr Land sperren. D R) wo einige Wagen sichtbar sind, kann ich keine Spur von ihnen entdecken. Ihr letzter Zug verließ Modderspruit-Station gestern um 1 Uhr. Sie sprengten darauf die Brücke. Ihre Wagen packten sie vor sechs Tagen und setzten sie dann in nördlicher Richtung von Ladysmith in Bewegung. Sie ließen eine große Menge Munition jeder Art, Futtermittel, sowie Lagergeräthe und anderes Gepäck zurück. Ihre Geschütze nahmen sie bis auf 2 mit.
73 Wagen mit Nahrungsmitteln rücken soeben in Ladysmith ein.
— Aus Brüssel wird geschrieben: Der Entsatz Ladysmiths kann natürlich nicht als ein englischer Sieg aufgefaßt werden. Wie bereits vor 14 Tagen, gemeldet wurde, ordnete General Joubert Mitte Februar die Rückwärtskonzentrirung aller Burentruppen an, so daß General Buller ohne Kamps in Ladysmith einziehen konnte. Auch die Aufhebung der Belagerung von Mafeking ist angeordnet. Jouberts Plan geht dahin, ein kleines Kontingent in den Defiles der Drakensberge znrück- zulassen, um Bullers Armeekorps zu beschäftigen. dagegen die übrigen Burenstreitkräfte in dem nördlichen Oranjestaate zu konzentriren. Fortan wird jede Kräftezersplitterung vermieden. Burenkreise glauben an keine Friedensvermitte- lung, weil alle Großmächte ein Interesse daran haben, daß England in einem möglichst langen Kriege in Südafrika sich völlig erschöpfe. Andererseits sind auch die Buren zur Fortsetzung des Kampfes fest entschlossen.
London, 3. März. Die „Times" schreibt: Nichts könnte für das Reich verhängnisvoller sein als irgend ein Zeichen der Schwäche seitens der Reichsregierung, oder von Geneigtheit sich dem Spruche anderer Mächte zu unterwerfen oder durch Zögern der ganzen Welt klar zu machen, daß nach der Herausforderung, die uns zu Teil geworden ist, und nach den Opfern, die wir gebracht haben, die gesamten Burenrepubliken mit den übrigen Teilen Südafrikas unter der Herrschaft der Königin vereinigt werden müssen. Diese Punkte sind jetzt so gut wie erledigt.
London, 2. März. „Morning Post" meldet aus Paardeberg vom 28.: Die englischen Vorposten hatten ostwärts mit dem Feinde Fühlung genommen. Tie Zahl der dortigen Buren beträgt 7000 Mann. „Standard" und „Daily News" bestätige» diese Nachricht.
Mnterhctltenöes.
Der alte Posteinnehmer.
Eine Erzählung von M- Ling.
<Fortsetz.) /Nachdruck verboten.)
„Wer hat das Geld ausgegeben?" fragte dieser.
„Mein bisheriger Schreiber, jetzt Rentamtmann in Westheim."
„Nicht mehr hier?"
„Doch, Herr Postinspektor. Er geht erst in acht Tagen auf seine neue Stelle."
„Wo ist er? Lassen Sie ihn holen."
Griech erschien und wurde zu Protokoll vernommen.
„Haben Sie für Ihre Sendung einen Schein erhalten?"
„Ja". Es sei ihm leid, daß die Sache gerichtlich anhängig gemacht sei, sagte er gegen den Bürgermeister gewendet. Er habe dem Landreiter keinen Auftrag gegeben.
„Wie ist denn die Sache unter die Leute gekommen?"
Er habe mit einigen Bekannten im Vertrauen davon geredet. Aber er verzichte auf das Geld und auf eine Untersuchung. Er bitte sie niederzuschlagen. Er möchte den Herrn Einnehmer nicht in Ungelegenheit bringen.
Ter Schreiber sah bleich aus, so daß man ihm wohl glauben mochte.
„Das ist jetzt zu spät. Legen sie den Postschein vor."
Griech holte ihn.
„Treren Sie ab und halten Sie sich bereit, uns in das Posthaus zu begleiten. — Was wissen Sie von der Angelegenheit, Herr Bürgermeister? Ist der junge Mann da zuverlässig?"
„Ichkenne ihn nicht anders, Herr Amtsrichter. Er ist schon viele Jahre bei mir. Aber gerade darum werde ich nicht klug aus der Sache. Der Herr Postinspektor selbst hat den Einnehmer vorhin einen pünktlichen Beamten genannt. Ich bürge für ihn. Er ist mein ältester Freund und in allen Stücken ehrenhaft und treu wie Gold. Es ist ganz undenkbar, daß er das Geld veruntreut oder auch nur verloren habe. Er war allerdings an jenem Abend gemütlich äußerst angegriffen und zwar vor Freude. Sein Neffe, den er erzogen hat und au welchem er mit väterlicher Liebe hängt, kam eben an jenem Abend nach sechsjähriger Abwesenheit unvermutet aus Amerika zurück.
„Ist dieser Neffe noch da?"
„Nein, er reiste schon am folgenden Morgen wieder ab, infolge eines Telegramms: Sein Vater sei in London erkrankt, wurde ihm gemeldet."
„Und in derselben Nacht kam das Packet abhanden?"
„Das kann ich nicht sagen. Aber es scheint so, sonst müßte es der Einnehmer doch am folgenden Morgen bei Abfertigung der Post oder später gefunden haben. Fern sei cs übrigens von mir, auf den jungen Mann irgend einen Verdacht zu lenken."
„Natürlich. Ich denke, wir gehen nun in das Posthaus." —
Heinrich Griech folgte den Dreien.
Der Einnehmer war bei ihrem Eintritt aufs Höchste bestürzt. „Na, aller Freund", ermunterte ihn der Postinspektor, „Sie denken sich, warum wir kommen, he? Wird sich bald aufklären. Ist ja bei Ihnen immer alles in Ordnung gewesen. Nun, erzählen Sie, wie war die Geschichte ?"
Der Einnehmer schilderte den Abend von Pauls Ankunft, seine damalige Freude und sein späteres tätliches Erschrecken, als Griech ihm die Mitteilung gemacht habe, daß das Geld nicht in die Hände seiner Mutter gelangt sei.
„Erkennen Sie diesen Postschein als richtig an?" fragte der Amtsrichter.
Ja, die Handschrift sei die seinige. Er habe damals vor freudiger Aufregung so gezittert, daß er kaum habe schreiben können, — daher die unsicheren Buchstaben.
„Und Sie erinnern sich, daß Ihnen der Amtmann Griech ein Geldpacket für seine Mutter übergab?"
„Es sei von einem solchen zwischen ihnen die Rede gewesen : von seinem Verbleib wisse er nichts."
„Zeigen Sie ihr Annahmebuch. Der Postschein ist vom vierundzwanzigsten; war dies der Tag, an welchem Ihr Neffe ankam?" Der Einnehmer bejahte dies. „ Hier steht aber am vierundzwanzigsten kein Geldpacket mit fünfhundert Thalern eingetragen."
„Ich weiß es."
„Tragen Sie denn die Wertstücke nicht sogleich beim Empfang in das Buch ein, wie es Vorschrift ist?
„Immer, — nur an jenem Abend legte ich sie zurück, um es später zu thun,