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unverrückbares Ziel gesetzt wird, werden durch das von der Hand in dcn Mund leben bei sder Marine selbst weitere Schwierigkeiten entstehen. Diesverbünde- ten Regierungen sind so voll durch­drungen von der Notwendigkeit der Vor­lage, daß sie nicht länger damit warten konnten. Ich hoffe, daß das hohe Haus sich davon überzeugt, daß die Vorlage notwendig war. Dr. Schädler (Centr.): Der Staatssekretär leitete die General­debatte über die gegenwärtige Vorlage und die Begründung der letzteren mit dem allgemeinen Gedanken ein, daß be- züglich der Bedeutung und der Not­wendigkeit einer starken Flotte kaum ein Unterschied von Anschauungen bestehe, wohl aber die Meinungen auseinandergehen über das Ziel, das Tempo und anderes mehr. Ich stehe garnicht an, dem Aus­druck zu geben, daß auch wir eine starke Flotte wollen, dabei inbetracht ziehen müssen unser Landheer. Es mag sein, wie es will, unsere Stärke liegt auf dem Lande, daß wir ferner beabsichtigen müssen die Leistungsfähigkeit unseres Volkes. Die Verstärkung, welche vor 2 Jahren bewilligt wurde, ist damals von der Re­gierung als vollständig genügend und ausreichend anerkannt worden. Wir ver­langen eine eingehende Begründung, be­vor wir uns entgiltig entscheiden. Dr. Lieber sagte, wir stehen vor einem allgemeinen Umsturz des Flottengesetzes von 1898 und darum erkläre ich Namens seiner sämtlichen politischen Freunde: Wir sind für das Gesetz in der Form und dem Umfange, wie es hier vorliegt, nicht zu haben. Die Vorlage nimmt es sehr leicht mit der Deckungsfrage. Man will vor­läufig 796 Millionen Mark Schulden machen. Eine Anleihe in der Höhe er- scheint doch unzulässig. Die Deckungsfrage muß erst gelöst werden und das Gesetz ist un­ausführbar ohne Bewilligung von 100 120 Millionen neuerSteuern. Diese sollten die Interessenten tragen und die zahlungs­fähigen Steuerzahler. Wir sind nicht Gegner einer starken Flotte, aber es handelt sich da­rum,was wir leisten können ; es handelt sich um das Wohl des ganzen Volkes. Abg. v. Levetzow (kons.): Wir wollen die Flotte gegenüber dem Landheer in keiner Weise vernachlässigen und erkennen auch an, daß wir nicht daran denken können, eine Flotte zu gründen, die der englischen gleichkommt. Die allergrößte Mehrzahl meiner politischen Freunde steht der Vor­lage im allgemeinen freundlich gegenüber. Wir erstreben keine sprungweise Ver­wehrung, aber wir meinen, eine Ver­mehrung, die sich über 20 Jahre erstreckt, ist nicht sprunghaft. Mit der Verweisung an die Budgetkommission sind wir ein­verstanden, denn eine gründliche Vorbe­reitung ist nötig. Abg. Frohme (Soz.): Seine Partei lehne die Vorlage rundweg ab. Sie verfolge nicht thörichte Ideale. Die Auflösung des Hauses fürchte sie am allerwenigsten, zumal sie immer für die wirklichen kulturellen Güter der Nation eingetreten sei. Abg. B a ff ermann (ntl.): Auch wir wollen eine starke Flotte; auch wir wollen das Landheer darüber nicht vernachlässigen. Auch wir wollen Rücksicht nehmen auf die Leistungsfähigkeit des Volkes. Auch wir wollen die schwächeren Schultern schonen. Die Konsumartikel der breiten Massen dürfen nicht von Steuern betroffen werden. In der Rede Schädlers

vermisse ich die Betonung der großen Handels- und wirtschaftspolitischen Ge­sichtspunkte. Die Ausführungen Schädlers entsprechen im allgemeinen dem was wir erwarten konnten. Das Centrum will dieses Gesetz unbedingt nickt, aber es will viel­leicht ein anderes. Die Brücken sind bis jetzt noch nicht abgebrochen. Frohme hat übersehen, daß auch in Arbeiterkreisen ein lebhaftes Interesse für die Flotten­vermehrung gezeigt wird, teils aus prak­tischen Erwägungen, teils aus Patriotis­mus. Wir sind bereit, über das Gesetz von 1899 hinauszugehen. Ueber die Deck­ungsfrage brauchen wir uns heute noch nicht zu einigen. Wenn man sagt, daß sich seit der Vorlage von 1898 die Ver- hältniffe nicht geändert hätten, so ist dem entgegenzuhalten, daß eben die 1898er Forderungen zu gering waren. Der spanisch-amerikanische und der südafrika­nische Krieg zeigten, daß die Reibungs­flächen sich vermehrten. Daher müssen wir gegen einen Angriff stärker gerüstet sein. Die allgemeine politische Lage weist darauf hin, daß wir zur See stärker sein müssen, als das Gesetz von 1898 es vor­aussah. Das Bild des deutschen Handels und der deutschen Rhederei, das die Denkschrift entrollt, muß uns mit Freude erfüllen. Der Zusammenhang der Flotten­vorlage mit der Bevölkerungszunahme ist ganz klar: die Bevölkerung wächst jährlich um 800- bis 900000 Köpfe. Zur aus­kömmlichen Ernährung dieser ist das einzige Mittel die Ausdehnung der Exportindustrie. Wichtig ist ferner, wie wir als Bundes­genossen eingeschätzt werden. Die Ursache der Flottenvermehrung ist nicht Abenteurer­lust oder Eroberungssucht, sondern das Wachsen des Handels. Die Ausgaben für Heer und Flotte sind nicht unproduktiv, sie fließen größtenteils als Löhne in die Taschen der Steuerzahler zurück und machen sich bezahlt durch jdas Bewußtsein des Geschäftsmannes, daß der Friede gesichert sei. Zur Vermehrung zwingt uns außerdem das Vorgehen Rußlands, Englands und Frankreichs. Nach der jüngsten Schiffsbeschlagnahme kann unser Vertrauen auf internationale Abmachungen nicht allzu groß sein. Es wäre zu be­dauern, wenn die liberalen Parteien nicht einmal in solchen großen Fragen sich zu­sammenfinden sollten. Ich hoffe, daß wir zu einer Einigung kommen, und schließe mit den Worten: Wer die See beherrscht, beherrscht den Handel, und wer den Handel beherrscht, dem gehören die Schätze der Welt und damit die Welt selbst. ^Lebh. Beifall.) Abg. Hilpert (Bayer. Bauern­bund): Die Beschlagnahme der Schiffe scheine eine abgekartete Sache gewesen zu sein. (Stürmische Heiterkeit.) Seine Freunöe seien für Kommissionsberatnng.

9. Febr. (Fortsetzung der Flotten- Berathung.) Abg. Graf Arnim (Rpt. begrüßt die Vorlage mit Geuugthunng. Die gegenwärtige Lage möchte er mit der Lage vergleichen, in der wir uns vor der Durchführung der Militärorganisation befanden. Auch Amerika, das demokra­tischste Land der Welt sorgt für seine Flotte. Gegen die Kanalvorlage stimmten wir nur aus technischen Gründen. Hier beweisen wir, daß wir nicht verkehrs­feindlich sind. In Betreff der Deckungs­frage ist es nicht angängig sich für eine so lange Reihe von Jahren zu binden. Das kann man nicht einmal im Privathaus­

halte. Bei der steigenden Zunahme de Bevölkerung wird es möglich sein, diessuan- ziellen Erfordernisse der Vorlage ohne neue Steuern zu decken. In den letzten 10 Jahren stieg die Ausfuhr und Einfuhr um etwa 900 Millionen, lieber die Leist­ungsfähigkeit unseres Volkes klärt uns der zunehmende Wohlstand des Volkes auf, wie es sich aus den Daten der preuß­ischen Einkommensteuer ergiebt. Das kann auch auf die übrige Reichsbevölkerung übertragen werden. Abg. Richter: Die Flottenschwärmerei ist nicht von unten gekommen, wie die Schwärmerei für das Reich, sondern von oben. Damals ris- kirten die Schwärmer den Verlust ihrer Stellung und Gefängnis, heute bekommen sie Orden (Zustimmung links). Der Ab­geordnete ch. Arnim sagte seiner Zeit, wenn der Reichstag der notleidenden Landwirtschaft den Todesstoß versetzen wolle, so müßte er die doppelte damals geforderte Flotte bewilligen. Die Vor­gänge bei Manila zeigen, daß eine Macht­entfaltung zur See an Unrechter Stelle viel eher zu Verwicklungen führt, als zu einer friedlichen Beilegung. Ich teile die Entrüstung über die englischen Uebergriffe und über den frivol begonnenen Krieg; aber ich bin darum noch nicht bereit, eine Schuld von vielen Millionen zu kontrahiren. Staatssekretär Tirpitz: Auf Einzelheiten werde ich in der Kommission antworten. Abgeordneter Richter ver­wendet seine reichen Kenntnisse jahrelang dazu, unsere Marine so klein als möglich zu halten, d. h. nach unserer Meinung wehrlos. Ich wollte von ganzem Herzen hoffen, daß die Geschichte nicht einmal einen Urteilsspruch hierüber zu fällen haben wird. Rickert (Frs. Vg.) tritt für die Vorlage ein. Seine Partei erkenne die Notwendigkeit einer weiteren Flotten- vermehrung an, ebenso, daß die Verhält­nisse sich gründlich geändert haben. Er­wünscht sei eine gemeinsame Beratung der Deckungsfrage. Redner sei einer Reichs­einkommensteuer nicht abgeneigt, besonders weil man sie Jahr für Jahr nach Bedarf quotisieren könne. Er hoffe auf eine Verständigung auch mit dem Zentrum. Liebermann v.Sonnenberg (Refp.): Eine ganz besonders sorgfältige Prüfung der Vorlage erscheint geboten. Unmittelbaren Vorteil von der Vorlage wird die Land­wirtschaft nicht haben. Englands Beispiel zeigt, wohin ein Staat kommt, wenn die Wurzeln seiner Kraft, die Landwirtschaft, vernachlässigt werden. Fordert man Opfer von der Landwirtschaft, so ist ein Entgegen­kommen in anderen Dingen nötig. Ent­scheidend ist die Deckungsfrage. Die Lasten müssen leistungsfähige Schultern tragen. Die Hansa mußte ihre Flotte selbst be­zahlen, warum soll nicht auch jetzt der Handel die Flottenkosten aufbringen? Die Hoffnung auf einen günstigen Aus­gang der Kommissionsberatung brauchen wir nicht anfzugeben. Graf v. S chwerin- Löwitz (kons.). Das, was nötig ist, um Deutschland die ihm gebührende Stellung zu sichern, werden wir stets bewilligen. Bediel (Soz.): Wir lehnen die Vorlage ab und werden ebenso die Forderungen ablehnen, weil sie einemSystem entspringen, das wir bekämpfen, weil wir die dazu geforderten Mittel anders besser ver­wenden zu können glauben, und weil die Forderungen von einer Regierung gestellt werden, zu der wir kein Vertrauen haben.