Nr. 67.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

64. Jahrgang.

ErscheinnttgSweiser 6 nm! wd^ntlich Anzeigenpreis: Die klein palttge Zeile IS Pfg., Reklauren kstfn, tzchsust der .Anzeigenannahme S Uhr vor- mittagS. 5fenUr»re<t»er S.

Zum Streikenischlutz der Seeleute in Hamburg. Die Polenfrage.

* Wie aus Hamburg gemeldet wird, haben sich nun» mehr genügend Seeleute bereit gefunden, sich auf den Lebensmiüeljchiffen anmifftern zu lassen. Es sei aber noch ungewiß, ob die Mannschaften in den französischen Hafen durch die Entente von den deutschen Schiffen herunter­genommen und zurückgeschickt werden, sie seien auf diese Möglichkeit austnerksam gemacht worden. Der Verband Deutjcher Seeschifferoereine, der Verein Deutscher Kapitäne und Offiziere der Handelsmarine, der Verband Deutscher Echiffsmgenieure und Verband technischer Schisfsoffiziere haben erklärt, die Kapitäne und Schiffsoffiziere würden jederzeit bereit sein, im Interesse der gesicherten Lebens­mittelversorgung des deutschen Volkes unsere Schiffe im Sinne des Brüsseler Abkommens zu besetzen. Die sozial­demokratische Partei, das Gewerkschaftskartell und der Kommandeur des Soldatenrots in Hamburg haben die Seeleute auf die ungeheure Verantwortung aufmerksam ge­macht, und sie aufgefordert, im Interesse der Ernährung des deutschen Volkes die Schiffe herauszubringen. Wie der Seemannsbund mittcilt, hat er an die Reichsregierung das Ersuchen gerichtet, nochmals bei der Entente vorstellig zu werden, um wenigstens zu erreichen, daß ein Teil der Besatzungen an Bord bleiben kann. Auch die dem See« mannsbund ungehörigen Bremer Seeleute aller Chargen haben beschlossen, die Schiffe auf keinen Fall an England auszulieferu, und sie nur ausfabrcn zu lassen, wenn die Be­satz, lg die Zusicherung bekommt, daß die Mannschaft an Bord verbleibt. Gegenüber diesem hier vertretenen Stand­punkt wird daran erinnert, daß schür Ende Februar der Vorsitzende des Seemannsbundcs in Berlin erklärt habe, es sei damit zu rechnen, daß die deutschen Seeleute erst anssabren würden, wenn ihre Lohnforderungen erfüllt seien. DerVorwärts" faßt das Vorgehen des Ssemannsbundrs als Ausfluß der Tätigkeit der Hamburger Spartakisten auf. Es st. das ein Teil des Plaues, Deutschland derart zu zerrütten, daß es nicht mehr imstande sei. sich gegen die spartakistischen Machtensprüche zu wehren, und er vermutet hinter ihrem Vorgehen die russische Hand, .der der deutsch : Epartakismus nur als Werkzeug diene. Der Abschluß des Lebensmitlelabkommsns sei den Spartakisten sehr unange­nehm gewesen, da die deutschen Arbeiter hungern sollen, um für die spartakistische Politik reif zu werden. Uebrigens sollen sich nach neuesten Nachrichten bei den gestrigen Ver­handlungen zwischen der Handelsschiffahrt, dem Gewerbe und dem deutschen Seemaunsbund die Führer des.letzteren einem gewissen Entgegenkommen nicht abgeneigt gezeigt haben. Wenn wir auch nicht abstreiteu wollen, daß hinter der Haltung d^s Seemaunsbiuides Lohusord nuiigen und auch spartakistische Absichten verstecken, so möchten ivir uns doch nicht verhehlen, daß dabei auch die Be,Ürchtung mit­spricht, durch die Auslieferung der Handelsflotte würden die Seeleute spater arbeitslos werden, denn darüber sind sie sich natürlich klar, daß, wenn auch die Friedenskonferenz erst über das Schicksal der deutschen Handelsflotte entschei­den soll, kein anderes Ergebnis herausko.nmeu wird als das befürchk.e. Wenn wir aber die Flotte noch in der Hand, und mit unfern Leuten besetzt hätten, so könnte mau eben anders mit den Alliierten verhandeln, als wenn sie unsere Schiffe schon im Besitz haben. Es wird nun allerdings darauf aufmerksam gemacht, daß die feindlichen Mächte entschlossen sind, sich nötigenfalls der deutschen Schiffe mit Geinalt zu bemächtiaen, wobei dann jede Aussicht auf Lebensmittel vernichtet wäre. Das ist aber gerade der Punkt, an dem jeder Widerstand scheitern muß. Wir sind militärisch und wirtschaftlich wehrlos, und könnten daun nur unsere Handels­schiffe versenken, um sie nicht in feindliche Hände geraten zu lassen. Da wir aber dann dem Hungertod ausgeliefert wären, so ist auch dieser Weg nicht zu empfehlen.

Die Alliierten verlangen von Deutschland, daß es die Landung polnischer Truppen in Danzig gestaltet, die dann auf der Weichsel oder dem Landwege nach Polen gebracht werden sollen. Die deutsche Reichsregiernng aber lehnt dieses Ansinnen nach wie vor ab, da wir nach Wortlaut und Sinn des Waffenstillsinndsabkommens in keiner Weise verpflichtet seien, in Danzig polnische Truppen landen zu lassen. Auch bei den Verhandlungen in Posen hat sie das

Freitag den 21. März 1919.

abgelehnt, und zwar aus dem Grunde, die Polengefahr von der deutschen Stadt Danzig abznwenden. Der Wunsch der Alliierten und Polen beruht nämlich auf ebnem hinter­listigen Plan, der dahin geht, im Augenblick des Eintreffens der Polen in Danzig einen Aufstand zu instruieren, und eine polnische Armee in Westprcußen einmarschieren zu lassen. So würde man die Friedenskonferenz vor eine vollendete Tatsache stellen wie mit der Besetzung Posens, Uebrigens soll der Oberste Rat der Alliierten schon über Danzig zu Gunsten Polen entschieden haben. Haoas meldet, der Rat vertrete die Ansicht, daß Polen, um seine Unabhängigkeit genießen zu können, einen freien Zugang zum Meere nötig habe. Unter diesen 'Umständen aber sei es unmöglich. Polen keine fremden Elemente einzuoerleiben. Gleich, zeitig müsse festgehalten werden, daß wenn ein Staat wie Polen dreimal aufgeteilt werde, sich Glieder des be­herrschenden Staates ansiedelten, und es sei ungerecht, aus diesen Siedelungen Beweisgründe ziehen zu wollen. Im großen Ganzen habe die Kommission die Grenzen Polens wenig weiter ausgedehnt, als sie vor der ersten Teilung Polens 1772 bestanden hätten. Polen sei ein Ausgang an die Ostsee bewilligt worden, sowie ein Landstreifen längs der Weichsel. Der frühere französische Botschafter in Berlin, Cambon, der diese tiefe Weisheit des Alliiertenrats vorqe- tragen hat, hätte eigentlich, wenn die Alliierten ihre Entschlüsse nicht mit einer unnachahmlichen Unverfrorenheit fasten würden sich darauf besinnen sollen, daß Deutsch- lnnd ans Grund dieser Ueberleg''nnen einen rechtlichen An­spruch ans Elsaß-Lothringen, und 'noch verschiedene Teile Frankreichs hätte, die von Ludwig XlVi seinerzeit geraubt und verwelscht worden sind. Und ebenso wie die Polen könnten beispielsweise die Schweizer einen Anspruch aus einen Zugang zum Meere erheben. Es scheint, daß die deutsche 'Regierung mit aller Kraft gegen diese Ver- geivaltigungspläne sich wehren will, und sie darf der Unterstützung des deutschen Volkes dabei sicher, sein. Ob der deutsche Protest jedoch eine p.aklische Wirkung aiislösen wird, das möchten wir vorerst bezweifeln, denn an dem Plan, die Polen als feindlichen Faktor zwischen Deutschland und Rußland einznschalten, um den unmittel­baren Verkehr beider Völker zu verhindern, werden die Alliierten im Interesse ihrer künftigen Politik unbedingt ststhalten wollen. O. 8.

Zur MsseiWslnds- und MeüeWage.

Bericht der deutschen Heeresleitung von der« polnischen und bolschewistischen Front.

- * Berlin, 20. März. An der polnisch - obcrschlcsischen und posenschen Front Patrouillengeplänkel. Die Polen be­schießen neuerdings, so bei Zäune und im Raume von Bromberg, die friedlich ihrer Feldarbeit nachgehenden Bauern mit Maschinengewehr- und Insanieriefkner. Am 19. Mär; abends schleppten sie fünf Bauern aus der Benischener Gegend fort. Im Balistrnm gehen die Bolschewik! weiter zurück. Trotz ihrer mibchr.schen Erfolge der letz.er Zeit, insbesonders in Sndrnßlond, ist es ihnen bisher noch iffcht gelungen, ihre durch Angaben geschwächte baltische Front wieder zu verstärken. In-wlge dessen haben Truppen der lettischen Regierung und baltische Landes wehr weiter nach Osten Gelänöe gewonnen. Bairische Landeswehr hat unter der persönlichen Führung ihres Befehlshab'rs, Major Fleischer, in kühnem blitzschnellen Strcifzug, von Tnkku n aus vordringend. Milan besetzen können. Auch den reichs- deuischen Truppen gegenüber beginnt der bisher sich hart­näckig wehrende Gegner nunmehr seine Stellungen zu räumen.

Gegen den Anpruch Polens auf Danzig und das Weichsclgebiet.

Berlin, 21. März. In einer Unterredung, die Reichs- Minister Erzberger mit einem Vertreter derDeutschen All­gemeinen Zeitung" hatte, äußerte er über den Stand der polnischen Angelegenheit u. a.: Die Deutsche Regierung hat die Pflicht, eine polnische Truppenlandung in Danzig zu verweigern. Es widerspricht Treue und Glauben, wenn die Polen versuchen, schon vor der Friedenskonferenz der Ent­scheidung oorzugreifen und Verhältnisse zu schaffen, die jetzt zu Blutvergießen und für die Zukunst zu neuem Völker- unglück und Völkermord führen müssen.

ve,ug«pret«r In der Stabt mit rrggerlohn Mk. 22S vlerteijShrllch, VostbezugLpretS im OrtS- und Nachbarort-verkehr Mk. 2.IS, im Fernverkehr Mk. L.2S, Bestellgeld in Württemberg SO Psg.

Die Luxemburger wollen unabhängig bleiben.

Luxemburg, 20. März. (Havas-Reuter.) Die Kam­mer nahm einstimmig.einen Antrag an, in dem der Wunsch nach Erhaltung der Unabhängigkeit und Selbstverwaltung des Landes ausgesprochen wird. In Beantwortung einer Anfrage sagte der Staatsminister, daß die Regierung zur Pariser Konferenz der Neutralen über den Völkerbund nicht eingeladen wurde. Luxemburg wird also von der En­tente nicht mehr als neutraler Staat behandelt.

Das französische Sozialistenorgan gegen Clemenceau.

Paris, 20. März. Mit Bezug auf die Meldung, daß Clemenceau den französischen Sozialisten, die als Mitglieder der von dem Berner Kongreß eingesetzten Studienkommission nach Rußland gehen sollten, die Passe verweigert habe, schreibt dieHumonitS", Clem.icean beseele der Haß des kleinen Bourgeois gegen den Sozialismus und die Revo­lution. Er werde sich eines Tages wegen dieser Pollick zu verantworten haben und vielleicht komme dieser Tag schneller als er erwarte. In einem anderen Artikel vom gleichen Tage begrüßt das Blatt die Sorgfalt, mit der Wilson an die großen Aufgaben gehe. Es handle sich jetzt um einen Kampf des Wilsonismns gegen den Imperialis­mus von Lloyd George und Clemenceaus

Die UnnbhängigkeitsforderuKgen. Aegyptens.

Amsterdam, 19. März. Nach einer Re-itermeldung hat sich die Lage in Aegypten gebessert. Wie Reuter wei­ter erklärt, wünscht die englische Regierung dringend in London mit aegyptischen Vertretern zu beraten. Die briti­sche Regierung wird jede ans gemäßigten Aegypten: zu­sammengesetzte Delegation, die den anstichligen Wunsch hat, über konstitutionelle Aenderungen für Aegypten und die künftigen Beziehungen zwischen Aegyvten und den Schutz- mächlen zu beraten, willkommen heißen. Im Unterhpuse legte Dudler, Ward von seiten der englischen Regierung die Vorgänge dar. die zu den Unruhen in Aegypten gezührt haben. Daraus geht heroor, daß im November letzten Jah­res eine Depnta.io» von ägyptischen Nc-tionaiisten die vollständige Autonomie Aegyptens verlangte. Großbri- tanien solle nur die Kontrolle der ägyptischen Schulden und Erleichke/ungen für die britische Schiffahrt im Suezkana! erhalten.

Wie es in Koblenz ausstehl.

Ans einem Brief aus dem von den Amerikanern ge­setzten Koblenz erfährt man u. a. folgendes: Man ist in seiner Freiheit sehr beschränkt. Man da.s auch i» ameri­kanischem Gebiet nicht mehr ohne Reisterlanbnis fahren, die man nur in allerdringeiidsien Fällen erhält. Die Be- satzrmg ist ja im Benehmen gegen die Deutschen hoch an» ständig, aber in mancher Beziehung auch sehr rücksichtslos Alle verfügbaren Säle der Stadt sind von den Amerikanern beschlagnahmt, so daß von Konze n.r keine Rede sein kan». Die Festhalle ist ein großer amerikanischer Beranügimgs- pcffast geworden mit Cafe, Tingeltangel, Kino, Tycater und Billiard. Kleine und mittlere'Hotels-sind,meist in ameri­kanische Offiziers- »nd Sockoteirspeisehäuser umgcwandett. Täglich kommen 260 Ame.ckaner von den besetzten Dörfern im Auto in die Stadt, ury sich zu amüsieren. Sie müchn i überhaupt alles tun, um ihre Leute in Stimmung zn er- ! halten, da viele sehr unter Heimweh leiden. So liegen ständig 30 00035 000 Amerikaner in der Stadl! daher hat die Stadt nun 50 000 Einwohner. Streng verbaten ist. sich amerikon sthe Lebensmittel zu kaufen oder sich schenken zu lassen. Die Liste der Ertappten wird namentlich ver­öffentlicht. Eine ganze^Reihe angesehener Bürger sitzt bo rerts hinter Schloß und Riegel. Mit Deutschen zu reden oder gar mit deutschen Mädchen zu verkehren, ist strenge verboten. Man liest täglich die neuesten Zeitungen ans Paris; die Abendnnmmern sind stets am nächsten Morgen *um 10 Pfg. zu haben.

Arme Kinder.

Bei St. Margareten kamen 500 Wiener Kinder über die Grenze zur Erholung in die Schweiz. Die meisten der Kinder boten einen herzzerreißenden Anblick und wohl manche hätten das Elend nicht mehr lange ausgehalten. Schon seit 2 Jahren haben diese armen Kinder keine Milch ' mehr gesehen!