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und Roon ausgestaltet worden ist. Man möchte sagen, daß das deutsche Volk in diesen Tagen im Begriff ist, eine neue Stufe seiner Weltmachtstellung zu ersteigen, daß es sich nicht mehr mit dem Ruhme sich begnügen will, das beste Landheer der Welt zu besitzen und in diesem Besitz mit Ruhe auf seine Grenzen blicken zu können, sondern daß es nnn auch den großen Weltmächten nacheifern will, welche ans dem Weltmeer eine achtunggebietende Herrscherstellung inne haben.
Ist das etwa Größenwahn? Geht unser Volk mit diesem Streben über die ihm von Gott und Natur gesetzten Grenzen hinaus? Ohne Selbstüberhebung dürfen wir behaupten, daß unser deutsches Volk ein jugendstarkes, mit Macht in die Weite strebendes ist, welches Ellbogenfreiheit haben muß, nämlich für seinen blühenden Handel neue Absatzquellen und ausreichenden Schutz für seine Handeltreibenden auch im fernen Auslande. Wer das Aufblühen des deutschen Handels wünscht und ihm die Mittel zum Ausbau der Flotte verweigert, gleicht einem Manne, der seinen Knaben zu einem starken charakterfesten Manne erziehen will und ihn in der Stickluft seines eigenen Arbeitszimmers festhält, statt ihn hinauszuschicken in die freie Lust, daß er seine Muskeln erprobe und seine Kräfte stähle.
Freilich sind die Kosten für die bevorstehenden Schiffsbauten von einer erstaunlichen Höhe; die Regierung verlangt für die nächsten 16 Jahre allein für die Zwecke der deutschen Flotte nicht weniger als 1861 Millionen. Kann unser Volk solche Lasten tragen ? Zunächst werden sich ängstliche Gemüter damit beruhigen können, daß von dieser Summe nur 769 Millionen wirklich aufgebracht werden müssen, während der Finanzminister für die übrigen 1092 Millionen Deckung aus den laufenden Einnahmen des Reiches versprochen hat. Aber wenn auch die finanziellen Verhältnisse des Reiches nicht so günstig wären, so würde man die Forderung der Flottenvergrößerung dennoch mit gutem Gewissen nicht abweisen können. Man rechne doch nur aus, welche Unsumme» England in diesen Monaten für sein mangelhaftes Landheer ausgeben muß, und berechne darnach, was uns eine mangelhafte Flotte für unsagbaren Schaden und für riesige Unkosten in den Zeiten der Not verursachen wird. Man bedenke ferner, wie schwere Schädigungen unser überseeischer Handel dadurch,erleiden kann, daß z. B. englische Kriegsschiffe unsere deutschen Handelsschiffe belästigen, wie wirs ja vor wenigen Wochen erlebt haben, und man rechne sich den unheilvollen Rückschlag auf unsere Industrie, auf unsere Fabriken und die Hunderttausende von Arbeitern, welche von den Fabriken leben, aus, wenn uns die Häfen durch eine fremde Kriegsflotte einfach verschlossen werden. Man bedenke auch die vorteilhaften Einwirkungen auf unser gewerbliches Leben, wenn der Staat solche Rieien- summen auf den Markt wirft und in den Verkehr bringt! Wohl müssen wir Steuerzahler diese Millionen aufbringen, aber das Geld bleibt doch im Lande, es fließt doch irgendwie wieder in unsere Taschen zurück, nachdem es einen befruchtenden Umlauf vollbracht hat. Hunderte von Fabriken finden reichliche Beschäftigung,
viele tausende von Arbeitern finden lohnende Arbeit und mit ihren Familien das tägliche Brot; der Zinsfuß der Staatspapiere wird um ein Geringes steigen müssen, so daß auch die kleinen Rentner ihren Vorteil haben, kurz, wie man die Sache auch ansehen mag, überall findet man so in die Augen springende Vorteile, daß man mit ehrlichem Gewissen und mit lauter Stimme für die Wehrhaftigkeit unserer deutschen Flotte ein- treten kann.
Mnterhctklenöes.
Der alte Postemnehmer.
Eine Erzählung von M. Ling.
(Fortsetz.) /Nachdruck verboten.)
„Und nun erzähle, mein Kind!" sagte der Einnehmer und nahm seine Pfeife in die andere Hand, um die freigewordene auf die seines Neffen zu legen.
„Wo soll ich anfangen,! Onkel? Ist es Dir recht, wenn ich mit dem Ende beginne und den Schluß meiner Irrfahrten zuerst berichte? Denn meine übrigen Erlebnisse kennet ihr der Hauptsache nach aus meinen Briefen.— Von Rio Janeiro aus schrieb ich, daß — "
„Von Rio haben wir keinen Brief von Dir erhalten."
„Dann muß er verloren gegangen sein."
„Wann schicktest Du ihn ab?"
„Vor anderthalb Jahren."
„So erklärt sich Dein Stillschweigen. Seit zwei Jahren sind wir ohne Nachricht von Dir gewesen."
„O, das thut mir leid. Deshalb fragte Dora vorhin, warum ich so lange nicht geschrieben habe? Auch von Valparaiso aus sandte ich einen Brief."
„Er ist ebensowenig in unsere Hände gekommen."
„Das ist ärgerlich. So muß ich weiter zurückgreifen. Als ich von Brasilien wieder nach Chacleston kam, — Ihr erinnert euch, daß der Professor, den ich begleitete, unterwegs starb —, nahm ich eine Gelegenheit wahr, auch Afrika zu besuchen."
„Du bist in Afrika gewesen? Bist Du Märtens Frau nicht begegnet?" fragte Dora, — „der schwarzen Prinzessin?"
Märte stöhnte hinter dem Ofen, an den er sich mit seinem Glas zurückgezogen hatte.
„Gut, daß Du mich daran erinnerst", sagte Paul lachend. „Gewiß, — ich habe die Dame gesprochen. Wir hatten Fracht für die Goldküste und wollten Palmöl, Palmkerne, Erdnüsse und derlei Fettwaren holen. Ich führte das erste Boot ans Land und kaum stehe ich auf afrikanischem Boden, so rennt ein altes, runzeliges, ausbundhäßliches Negerweib auf mich los und fragt, ob ich von Weidingen sei und ob der Märte noch lebe? Als ich mich freue, von dort zu sein und meinerseits frage, ob ich vielleicht die Ehre habe, die Frau Prinzessin (hieß sie nicht Katalnla, Märte?, zu sehen, wird sie ganz närrisch, fällt mir um den Hals und will durchaus mitgenommen sein. Ich mußte ihr mit einem Rohrstab deutliche Zeichen machen, daß wir ans dem Schiff für schwarze Prinzessinen nicht eingerichtet seien. So gab sie mir wenigstens Grüße für Dich mit, Märte, und läßt Dir sagen, Dein Herr Schwiegervater sei gestorben und die Häuptlingschaft sei erledigt, und wenn
Du die Federkrone mitbcingest, fehle es gar nicht."
„Ach Paul", seufzte Märte kleinlaut, „ich meinte, die ganze Geschichte sei vergessen."
„Wo denkst Du hin. Märte? Du hast sie uns so oft und so rührend erzählt, daß man sie gar nicht vergessen kann.
Als ich von Afrika zurückkam, nahm ich auf einem Walfischfänger Dienste. Wir gingen um das Kap Horn (auf dem Weg dorthin schrieb ich von Rio Janeiro aus) und kreuzten westlich von Südamerika. Die Schiffsmannschaft gefiel mir nicht sonderlich. Sie war aus aller Herren Länder zusammengewürfelt, Amerikaner, Engländer, Franzosen, Spanier, — und schlimme Kerle befanden sich darunter. Der schlimmste von allen war der Kapitän selbst, ebenfalls ein Engländer. Was der zusammenfluchte, wenn der Tag lang war, das ging selbst einem Matrosen über Theer und Putzstein. Das Schiff war sein Eigentum, und die Leute behaupteten, er sei ein steinreicher Mann und führe all sein Geld mit sich herum. Die Wache höre ihn oft bei Nacht damit klimpern.
Anfangs unserer Fahrt hatten wir Glück und unsere Thrantonnen füllten sich rasch. So lange also die Jagd gut ging, war mit dem Kapitän ausznkommen. Aber als wir später lange vergeblich kreuzten, ohne einen Fisch zu Gesicht zu kriegen, wurde er immer unangenehmer, und, — hatte er bisher mehr geflucht, als getrunken, so trieb er jetzt beides gleich schrecklich und wurde alle Tage wütender. Dabei behandelte er uns auch hinsichtlich des Essens und Trinkens schlecht: wir bekamen fast nur harten sSchiffszwie- back mit Syrup und davon kaum genug, von einem Glas Rum war gar nicht mehr die Rede und wir waren doch schon über sieben Monate in See. Wenn er in seiner Kajüte war, trank er, und wenn er auf Teck kam, ging das Wettern und Prügeln los, daß man sich nicht zu raten wußte.
Jch^war Steuermannsgehilfe und so seinen Launen weniger ausgesetzt. In meiner Wache hatte ich einen gar ordentlichen Burschen und wir hielten zusammen. Er war ein Engländer, guter Leute Kind, und wollte ebenfalls, wie ich damals Steuermann werden. Er hieß John Plaster. Als wir eines Abends abgelöst wurden und nach unten gingen, um unsere Hängematten aufzusuchen, (der Kapitän hatte eben wieder eine rohe Szene aufgeführt und einen Matrosen wegen einer Kleinigkeit mit einer Handspeiche niedergeschlagen), sagte John zu mir: „Paul, wenn wir an Land kommen, brenne ich durch. Bei diesem Wüterich bleibe ich nicht länger."
„Dann kommst du um deinen Lohn. Ich für meinen Teil thus nicht, ich will mein Geld."
„Da kannst du lange warten, du Narr," sagte eine Stimme hinter uns. Es war der lange Tom, ein böser Gesell, der im Streit gleich das Messer zog. „Merket ihr Dummköpfe nicht, warum er uns so mißhandelt, je näher wir an Land kommen? Er thäte das, auch wenn wir das Schiff voll Thran hätten. Er will uns dadurch veranlassen, durchzügehen. Dann steckt er unsere Löhnung in die Tasche und lacht die blödsinnigen Seekälber aus, die fortgegangeu sind. So macht ers immer. Aber mich bekommt er
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